EMPFEHLUNGEN

Allgemeine Bemerkungen zu medizinischen Zwangsmassnahmen gemäss FMH und Weltärztebund

Die aerztliche Tätigkeit in der Schweiz ist geregelt. Die ethischen Leitplanken jeglicher Aktivität sind im Obligationenrecht (OR) und im Medizinalberufegesetz (MedBG) fest geschrieben. Daraus lassen sich automatisch die weiteren Empfehlungen für die aerztliche Begleitung von gewaltsamen Ausschaffungen von Migranten herleiten. Demnach dürfen ausschliesslich die Interessen des Patienten / implizit auch des Häftlings durch den Arzt wahrgenommen werden. Der Weltärztebund verneint in seinen Richtlinien die Möglichkeit, z.B. Beruhigungsmittel mit der Absicht, einen Häftling dann besser abschieben zu können, zu verabreichen. Die Schweizerischen Richtlinien gestatten lediglich die Verabreichung von Beruhigungsmitteln bei einer psychiatrische Notfallsituation, also ähnlich der Situation eines fürsorgerischen Freiheitsentzugs (FFE) bei psychiatrisch erkrankten Personen. Tritt eine solche Massnahme in Kraft, muss aber anschliessend der Häftling / Migrant einer geeigneten psychiatrischen Institution zugewiesen werden: demnach ist eine Ausschaffung eines mittels Beruhigungsmitteln ruhig gestellten Migranten nicht möglich. Der Arzt kann nicht verpflichtet werden. eine Situation mittels medizinischer Massnahmen zu schaffen, welche eine Ausschaffung gegen den Willen des Migranten ermöglicht.

http://www.samw.ch/de/Ethik/Richtlinien/Aktuell-gueltige-Richtlinien.html

Richtlinien FMH / SAMW

Richtlinien Weltärztebund

Bundesgesetz über die Anwendung polizeilichen Zwangs und polizeilicher Massnahmen im Zuständigkeitsbereich des Bundes

Zum Gesetz Link... / Artikel 27: Link...

Folgerungen aus der Sicht des VEMS

(Stand vom 10.01.2013)

Vernehmlassungstext:

Die einzelnen Schicksale, insbesondere Migrationsmotive, sind zu erfassen.

Der Wegweisungsvollzug liegt bei den Kantonen, der Wegweisungsentscheid beim Bundesamt für Migration. Jedoch: die Praxis des Entscheids (Richtlinien) und des Vollzugs müssen transparent bleiben. Liegen Krankheiten vor, ist der Wegweisungsentscheid sogar rückgängig zu machen (mehr).

Der Arzt wird vollumfänglich über die Gründe für den Wegweisungsentscheid und die Gründe für die Modalitäten des Ausschaffungsvollzugs durch die Behörden selbst informiert.

Die medizinische Verantwortung für Ausschaffungen oder Ausschaffungsbeobachtungen kann nur vom Arzt wahrgenommen werden. Alle anderen Beobachter sind bei Auftreten von Notfallsituationen als hilflos zu betrachten.

Die Rolle des Arztes als Begleiter gemäss Schengen Abkommen der EU sowie in der Vorphase der Ausschaffung ist umfassend zu gestalten, um die Sicherheit der Migranten zu schützen, sollte vor allem präventiv Ausschaffungskatastrophen verhindern und lässt sich gemäss folgenden Ausführungsbestimmungen definieren:

  1. Die Empfehlungen des Weltärztebundes zur "Medizinischen Versorgung von Flüchtlingen" gelten uneingeschränkt.
    • [Die Empfehlungen der FMH / SAMW sind noch zu präzisieren].
  2. Spätestens wenn das BFM einen Ausweisungsentscheid erwägt, ist eine umfassende ärztliche Beurteilung des Migranten zu erstellen, welcher als "ärztliche Bericht" (Form N° 257, Bestellung: Fax 031 325 93 79) erhältlich ist. Dieser Bericht umfasst eine vollständige Anamnese zum Migrationshintergrund, zu somatischen und psychischen Erkrankungen und erstellt aufgrund weiterer allfällig notwendig erscheinender medizinischer Abklärungen ein ganzheitliches medizinisches Profil mit dem Ziel, die Ausschaffungs-Erstehungsfähigkeit exkl. Level IV zu beurteilen (Level IV ist in jedem Fall kategorisch abzulehnen), um ferner geeignete Massnahmen bei Vorliegen einer Krankheit zu treffen und schliesslich um zu beurteilen, ob eine Ausschaffung wegen vorliegender Krankheiten (vorerst) gar nicht möglich ist.
    • Der Gutachter ist unabhängig von staatlichen oder privaten Institutionen zu wählen und muss für die Fragestellung möglichst gut geeignet / erfahren sein.
    • Die Finanzierung des medizinischen Gutachtens und allfällig notwendiger medizinischer Abklärungen erfolgt durch die Krankenkasse.
    • Die Gemeinden sind für die Entrichtung der Krankenkassenprämien und Selbstbehalte verantwortlich, falls der Migrant diese nicht selber bezahlen kann.
    • Ein Leistungsverbot für Gutachten und medizinische Abklärungen beim Migranten ist nicht gestattet.
    • Zentrale Bedeutung hat dabei das Gespräch zwischen Arzt und Migrant unter vier Augen sowie allenfalls den Beizug eines diplomierten Dolmetschers.
    • Es muss von MitarbeiterInnen von Asylorganisationen (Empfangsstellen, Auschaffungsgefängnissen etc. ) ein Personenblatt geführt werden, in welchem alle gesundheitlichen Auffälligkeiten inkl. Verhaltensauffälligkeiten (Erregbarkeit, Apathie, Schlafstörungen), bis hin zu besonderen Vorkommnissen mit Datum und Zeit protokolliert werden, resp. im Verlauf über Tage und Wochen festgehalten werden. Diese Protokolle müssen für den Arzt zur Verfügung stehen.
    • Die Erfassung psychiatrischer Krankheiten sollte möglichst früh erfolgen und obliegt primär den Kantonen.
  3. Der medizinische Gutachter muss, wo notwendig, einen Ausschaffungsentscheid des Bundesamtes für Migration BFM als medizinisch nicht durchführbar erklären. Sofern der Arzt im medizinischen Arztbericht zum Schluss kommt, dass aus medizinischen Gründen der Ausschaffungsentscheid nicht durchführbar ist , haftet der Kanton vollumfänglich, wenn er die Ausschaffung trotzdem durchführt.
  4. Allfällige - z.B. vom BFM eingeforderte - Zweitmeinungs-Gutachten müssen ebenfalls durch medizinische Gutachter in völliger Unabhängigkeit der Institutionen erfolgen.
  5. Der Migrant kann einen Gutachter ohne Nennung von Gründen einmal ablehnen.
  6. Die "Reisefähigkeit" wird durch den begutachtenden Arzt beurteilt. Er veranlasst hierfür soweit ihm sinnvoll erscheinend medizinische Abklärung (unabhängig vom Level). Eine Begutachtung durch nicht ärztliche Fachpersonen ist ausgeschlossen.
  7. Verweigert der Migrant das medizinische Gutachten, muss der Gutachter einen Bericht erstellen, welcher auf anderen verfügbaren Informationen beruht und die Ausschaffungs-Erstehungsfähigkeit beurteilt (z.B. könnte eine autistische oder katatone Reaktion auf eine angedrohte Ausschaffung eingetreten sein, in welchem Fall eine Ausschaffung medizinisch nicht durchführbar ist). Diese Beurteilung kann auf Wunsch des BFM durch ein unabhängiges Zweitgutachten überprüft werden. Bei Diskordanz der Begutachtung ist eine Ausschaffung medizinisch nicht möglich.
  8. Verweigert der Migrant die Bekanntgabe der Inhalte seines medizinischen Gutachtens an den im Ausschaffungsvollzug involvierten Begleitarzt, ist ein Zweitgutachten zu erstellen. Bei Inkongruenz der Gutachten ist eine Ausschaffung nicht durchführbar.
  9. Der Migrant ist über sämtliche erwähnten Punkte durch den Gutachter oder bei Verweigerung eines Gutachters, in der Landessprache des Migranten schriftlich zu orientieren oder wo notwendig ein Übersetzer beizuziehen.
  10. Personen im Hungerstreik dürfen aus medizinischen Gründen nicht ausgeschafft werden. Der Hungerstreik beginnt 8 Std. nach verweigerter Nahrungsaufnahme oder sobald der Migrant mündlich zu verstehen gibt, dass er sich im Hungerstreik befindet.
  11. Ärztliche Beobachtung und Begleitung bei medizinisch möglicher und bei medizinisch nicht möglicher Ausschaffung (unabhängig vom Level des Ausschafflungsvollzugs):
    • Jede Ausschaffung muss von einem unabhängigen Arzt beobachtet und medizinisch begleitet werden. Dieser muss über das medizinische Gutachten des auszuschaffenden Migranten informiert sein. Der Migrant muss zudem diesem Arzt explizit einen Behandlungsauftrag erteilen: demnach hat der Arzt aktiv das Einverständnis des Migranten einzuholen und im Ausschaffungsprotokoll festzuhalten.
    • Der Migrant muss im Vollzug des Transports jederzeit betreffend vitalen Funktionen überprüft werden können.
    • Auf Anordnung des Arztes sind Vollzugsmassnahmen zu modifizieren (z.B. Lösung einer Fesselung) um die Überprüfbarkeit der Vitalfunktionen zu gewährleisten und Schwellungen oder Ischämien vor allem im Bereich der unteren Extremitäten festzustellen oder auszuschliessen.
    • Ob eine Notsituation eintritt, wird ausschliesslich durch den Arzt beurteilt.
    • Tritt eine Notsituation gemäss Beurteilung durch den Arzt auf, obliegt die Autorität für weitere Massnahmen ausschliesslich beim Arzt. Weitere Begleitpersonen sind in dieser Situation Befehlsempfänger und haben sich an die Anordnungen des Arztes zu halten.
    • Jeder begleitende Arzt muss über ein vollständiges Reanimationsset verfügen.
    • Zur Erstellung der Transportfähigkeit ist die Verabreichung von Beruhigungsmitteln durch den Arzt gegen den Willen des Migranten verboten / ausgeschlossen.
    • Benötigt der Migrant wegen Selbst- oder Fremdgefährdung zwangsweise Beruhigungsmittel oder andere medizinische Interventionen, ist die Ausschaffung in jedem Fall abzubrechen und der Migrant ist zu hospitalisieren.
    • Versuche durch Aussenstehende, auf die Arztentscheide währen der Ausschaffung ungebührlich Einfluss zu nehmen, können strafrechtlich verfolgt werden (z.B. gegen den Arzt gerichtete Drohung und Nötigung, SR Art. 180, 181 Link).
  12. Gesetzesänderung: Art. 27 sollte neu folgendermassen lauten:

Art. 27 Vorschlag Änderung Gesetzestext

Vorbereitung von Rückführungen auf dem Luftweg

1. Die zwangsweise Rückführung von Personen auf dem Luftwege ist von den zuständigen Behörden jeweils aufgrund der konkreten Umstände vorzubereiten.

2. Die betroffenen Personen sind vorgängig zu orientieren und anzuhören, soweit der Vollzug selbst dadurch nicht in Frage gestellt wird; es ist ihnen insbesondere Gelegenheit zu geben, dringliche persönliche Angelegenheiten vor der Rückführung

zu erledigen oder erledigen zu lassen.

3. Eine betroffene Person ist vor Beginn des Transportes mit dem Entscheid der Ausschaffung durch das Bundesamt für Migration ärztlich mittels medizinischem Gutachten im Hinblick auf die Ausschaffungs-Erstehungsfähigkeit zu untersuchen, wenn:

a. die betroffene Person dies verlangt;

b. Anzeichen für gesundheitliche Probleme feststellbar sind.

Ausführungsbestimmungen:

Die Ausführungsbestimmungen für die Gutachten und deren Bedeutung im Ausschaffungsvollzug berücksichtigen die oben erwähnten Ausführungsbestimmungen 1-12. Vorbehalten sind weitere Verlautbarungen seitens der SAMW und der FMH