2008 - Ein WERSI-Testbericht

01.04.2008 - In meiner Kindheit waren die Orgeln der Firma WERSI für mich das Größte. Ein traumhaftes Design, toller Sound und die Programmierungsmöglichkeiten waren Lichtjahre von meiner kleinen ELKA-Orgel entfernt. Genauso wie der Preis dieser Orgeln. Ich träumte davon, einmal auf einer solchen Orgel zu spielen, doch es kam damals nicht dazu. Ein paar Jahre später machte ich Bekanntschaft mit diesen Instrumenten, und das war gelinde gesagt ziemlich ernüchternd.

Ich schließe nicht aus, dass es Produkte von WERSI gibt, die einwandfrei und unkompliziert funktionieren. Es sollte sie geben, denn die Marke genießt seit vielen Jahren den Ruf eines Premium-Herstellers und versteht sich auch selbst als solcher. Doch die Instrumente, die ich bis jetzt gespielt habe, zählten leider allesamt nicht dazu.

Meine ersten Erinnerungen an die Marke WERSI reichen in meine Kindheit zurück. Anfang der 80er Jahre gab es noch keine Keyboards, die E-Orgel war angesagt. Und WERSI galt (und gilt) als Rolls-Royce der E-Orgeln: zeitlos schönes Design und gigantischer Sound (bzw. das, was ich damals darunter verstand und Hammond kannte ich da ja noch nicht). Aber eben auch horrende Preise, die damals bei mindestens 20.000 Mark für das kleinste Modell begannen und irgendwo jenseits der 60.000 Mark für das Topmodell Atlantis endeten (heute das gleiche in Euro). Diese Orgeln waren so unerreichbar, dass ich davon träumte, einmal auf einer WERSI zu spielen. Das müsste doch das Größte sein! Es kam jedoch damals leider nie dazu.

Mitte der 90er Jahre, die Keyboards hatten weltweit ihren Siegeszug angetreten und die E-Orgel immer mehr verdrängt, baute auch WERSI ein Keyboard mit dem klangvollen Namen "Pegasus". Wenn WERSI außer Design noch eins wirklich gut kann, dann schöne Namen für die Instrumente zu finden. "Galaxis", "Atlantis", "Wega", "Gala" oder "Spectra", das klang doch viel eleganter als meine "Elka EP8"! Der/die/das Pegasus kostete über 5.000 Mark und damit fast das doppelte der Konkurrenzprodukte mit ähnlichem Funktionsumfang.

Ich hatte gerade meine Hammond A100 bekommen und wusste nun wie guter Orgelsound klingt, da ergab es sich, dass eine Keyboard-Schülerin von mir besagtes Pegasus-Keyboard gekauft hatte. Mein erster Kontakt mit einem Produkt von WERSI in der Realität. Ich war zunächst freudig überrascht, statt der unsäglichen Discounter-Tischhupen ein so "qualitativ hochwertiges" Keyboard vorzufinden, doch schon nach fünf Minuten war die Begeisterung für die Marke WERSI nicht nur weg, sondern hatte sich in Ärger und Frust verwandelt. Bei diesem Betriebssystem schaffte ich es nicht, einfachste Änderungen der Registrierung wie gewünscht vorzunehmen! Ich saß vor dem Ding wie ein Volltrottel, und das obwohl ich eigentlich jedes Keyboard auf Anhieb verstehe und bedienen kann, zumindest die Hauptfunktionen. Der Sound? Das Klavier klang mechanisch, die Streicher- und Bläsersounds weit entfernt von realistisch. Die Orgel klang wenigstens ein bisschen nach WERSI, aber nicht so wie bei den großen Modellen. Das Touchscreen-Display (damals noch eine Seltenheit) sollte eigentlich den Bedienkomfort erhöhen, aber es reagierte nicht immer und das nervte. Manche Knöpfe, die öfter bedient werden (wie z.B. der Start/Stop-Knopf der Begleitautomatik), musste man mit Gewalt drücken, um überhaupt eine Reaktion zu bekommen, weil sie so schnell verschlissen waren. Meine Schülerin und ich schlugen uns noch ein halbes Jahr mit diesem Pegasus rum, bis der Kauf eines Yamaha Clavinova die Probleme beendete. Das Pegasus wurde mit großem Wertverlust verkauft.

Über 20 Jahre später hab ich mir bei Ebay für 400 € eine WERSI vom Typ "WEGA CD 600" ersteigert. Mehr oder weniger per Zufall. Ich verfolgte verschiedene Auktionen, stolperte über besagte WEGA und hab mehr aus Jux und Dollerei mal 400 € eingetippt. Ich hätte nie gedacht, dass ich damit eine Orgel bekomme, die mal soviel wie ein Mittelklassewagen gekostet hat! Normalerweise enden solche Auktionen locker bei 800 bis 1000 €. Aber es hat keiner mehr mitgeboten und ich hatte eine WERSI! Ist ja kein Pegasus, hab ich mir noch gedacht und das Ding gut gelaunt abgeholt.

Zu Hause hab ich meine neue Errungenschaft dann noch am selben Abend ausgiebig angespielt und siehe da: der Orgelsound war genau so, wie ich ihn aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte! Natürlich völlig anders als bei meiner Hammond. Im Gegensatz zu Hammond hat WERSI ein 10chöriges Zugriegelsystem, was den Sound etwas frecher in den Höhen klingen lässt. Allerdings rauschte die Orgel im Kopfhörerbetrieb wie die Nordsee bei Windstärke 8. (Das war bei meinem Yamaha V50 Synthesizer von 1989 aber auch nicht anders). Die anderen Instrumente (Klavier, Streicher, Bläser usw.) waren ziemlich bescheiden, aber man darf nicht vergessen, dass die Orgel aus dem Jahr 1990 stammt. Im Vergleich mit meiner ELKA waren der Sound und die Möglichkeiten dieser Orgel damals phänomenal: die Manuale waren anschlagdynamisch, man konnte jeden Sound auf jedes Manual und sogar auf das Pedal legen, bis zu drei Sounds "layern", die Manuale splitten, alles speichern, selbst Rhythmen erstellen und sogar Sequenzen programmieren und auf Memory-Cards abspeichern. Hab ich geschrieben "man konnte"? Ja, wenn man denn konnte! Die Programmierung dieser WEGA rief sofort die Erinnerung an dieses Pegasus-Keyboard wach...

"Na dann spiel ich halt einfach so" hab ich mir gedacht. Die grundlegenden Registrierungen waren bei diesem Instrument tatsächlich noch einfach, jeder Sound hatte einen eigenen Schalter. Ich fand nur die Beschriftung etwas seltsam: das war nämlich ein bunter Mix aus englischen und deutschen Begriffen. Beispiele: statt "Power" hieß es "Netz". Unter "Programmierung" fanden sich "Enter/Center/Exit" und neben dem Schalter "Trompete" ein Schalter mit der Beschriftung "Muted Trumped". Das zog sich durch die ganze Orgel: die meisten Instrumentennamen waren auf Deutsch und die meisten Effekte und Begleitschalter auf englisch. Aber nie alles einheitlich. Hm. Irgendwie nicht konsequent. Aber egal, damit dürften englischsprachige Musiker mehr Probleme haben. Als Deutscher weiß man ja was gemeint ist. Die Orgel auszuprobieren war schön, auch wenn ich feststellen musste, dass die Zugriegel leider nicht wie bei meiner Hammond in Echtzeit reagieren, d.h. man kann keine Klangveränderung vornehmen, während man die Tasten gedrückt halt und die Töne liegen bleiben. Es hat trotzdem Spaß gemacht, den Traum seiner Kindheit 20 Jahre später mal Wirklichkeit werden zu lassen.

Die Wirklichkeit holte mich schon am 2. Tag ein. An diesem 2. Tag versagte die Orgel nämlich ihren Dienst. Im Display stand "17:02 MASTER ERROR $1208 - USE RESET FOR RECOVERY!" (siehe Foto oben) und es ging NICHTS mehr. Sobald man das Untermanual berührte, kam die Fehlermeldung und die Töne blieben hängen. Je nachdem, welche Tasten man drücke, änderte sich auch die Zahl hinter dem $. Hm, gut, mache ich halt einen RESET, wie im Display empfohlen. Wer jetzt glaubt, man macht die Orgel kurz aus und wieder an, der kennt WERSI nicht. Nach einigem Rumfummeln bin ich schließlich im System-Parameter-Menü auf die Seite "Initialize System - RAM Format" gestoßen. Laut WERSI-Forum ist das der MASTER RESET. Hat absolut gar nix gebracht. Tolle Fehlermeldung!

Ich hab's dann sportlich genommen und dachte, schickste mal ne Mail nach Halsenbach, wo das Ding produziert worden ist. Die Antwort kam schon am nächsten Tag. Was das angeht, dachte ich, scheinen die Jungs von WERSI ja auf Zack zu sein. Ich bilde die Mail mal genauso ab, wie sie in meinem Postfach gelandet ist:

"Sehr geehrter Herr Schuessel Es gibt verschiedene Fehler 1: großes Jc auf untermanual defeckt tauschen mit Obermanual. 2:kontaktfehler am Stecker dieser ein paar mal abziehen und auf stecken 3: kontaktfehler an den Kontaktfedern Federn, anschlag und ruhekontakt reinigen. Mit freundlichen Grüßen Produktion / Service"

Von der abenteuerlichen Rechtschreibung mal abgesehen: man setzt einfach so voraus, dass ich technisch absolut versiert bin und es für mich ja wohl kein Problem ist, die Orgel auseinander zu nehmen, mal eben ein "Jc" zu tauschen oder Federn, Anschlag- und Ruhekontakte zu reinigen. Was in Gottes Namen ist ein Jc? Ich bin Musiker und kein Techniker! Da ich keine Lust auf Rumschrauberei hatte, hab ich die Orgel als "defekt" sofort wieder bei Ebay eingestellt. Der Käufer kannte sich mit diesen Dingen aus und hat es nach einer Woche Bastelei sogar geschafft, die Orgel wieder ans Laufen zu kriegen. Glückwunsch...

Wie es der Zufall so will, rief am selben Tag jemand wegen Orgelunterricht bei mir an. "Was haben Sie denn für ein Instrument?" fragte ich, nix Böses ahnend. "Eine WERSI!" Oh, oh. "Welches Modell?", "Ein Pegasus". Nicht schon wieder! "Mit zwei Manualen". Hm? Hab ich da was nicht mitbekommen? Es gab meines Wissens nie ein zweimanualiges Pegasus. Es stellte sich dann bei der Probestunde auch als eine "Phönix" heraus. In schwarzem Klavierlack. Hochglanz. Sonderanfertigung. Einzelstück. Neupreis jenseits der 20.000 Mark.

Nachdem ich bislang so viel Pech hatte, wird diese Orgel ja wohl funktionieren! Es kann doch nicht sein, dass alle Instrumente von WERSI, die ich ausprobiere, versagen! Ich setze mich also an die "Phönix" und: Bedienoberfläche und Betriebssystem sind genau wie beim Pegasus, inklusive einer Fehlermeldung auf dem Display. Gibt‘s doch nicht.

Ich hab erstmal den Besitzer gefragt, wie es soweit kommen konnte (natürlich anders formuliert). Die Story in Kurzform: das Instrument Mitte der 90er gekauft. Ein Jahr gespielt, dann aufgehört. Vor einem Jahr wieder Lust bekommen und die Orgel angeschlossen. Ergebnis: die Orgel ist komplett platt und nichts funktioniert. (Kleiner Einschub: ich hab meine ELKA nach dem Kauf der Hammond auch 10 Jahre lang nicht eingeschaltet, aber danach funktionierte sie wie am ersten Tag! Das Problem sind die internen WERSI-Akkus. Wenn die Orgel nicht ständig (!) am Netz hängt, entladen sie sich und nichts geht mehr). WERSI-Support angerufen. Nach Halsenbach gefahren. Erste Info: WERSI musste Konkurs anmelden und wurde zerschlagen, später aber neu gegründet. Aus der Zeit vor der Zerschlagung sind angeblich keine Schaltpläne, Platinen oder ähnliches mehr vorhanden. Nur dank eines Mitarbeiters, der schon vor der Zerschlagung bei WERSI war, konnte die Orgel "neu konfiguriert" werden. Wer jetzt denkt "Was für ein Glück": immer schön langsam!

Folgende Begebenheit aus der Probestunde Orgelunterricht: alles was ich wollte, war eine normale Orgel-Registrierung mit Sinusklängen auf dem Ober- und Untermanual einzustellen. Das war nicht möglich, weil das Untermanual alle Sounds eine Oktave, das Obermanual sogar satte zwei Oktaven zu tief abspielte. "Kein Problem" dachte ich, "die verstellte Oktavierung einfach auf 0 zurücksetzen. Das müsste unter dem Knopf Controls zu finden sein." Aber Pustekuchen: da steht nix von Oktavierung, sondern irgendeine Liste mit Dateien. Das verstehe nun wer will. Schauen wir doch mal im Bedienungshandbuch nach, wie das geht. Nächste Überraschung: das ist bei WERSI kein gebundenes Handbuch, sondern ein handelsüblicher Aktenordner mit gelochten Schwarz-Weiß-Fotokopien. Vielleicht hat man sich überlegt, dass es einfacher (und billiger) ist, ein paar Kopien auszutauschen, als jedes Mal ein neues Handbuch in der Druckerei in Auftrag zu geben, wenn mal wieder etwas im Betriebssystem geflickt worden ist, in Fachkreisen "Update" genannt. Mein Schüler in spe verriet mir, dass noch während das fertige und fabrikneue Instrument zur Abholung bereitstand, schon das erste Update aufgespielt wurde.

Doch zurück zum Ausgangsproblem mit der Oktavierung. Im Bedienungsanleitungs-Ordner wurde ich nach einiger Sucherei schließlich fündig. Unter dem Schalter "Controls" sollte ein Menü aufgerufen werden, mit dem sich die Oktavlage der Manuale einstellen lässt (die Display-Anzeige des besagten Menüs war auch als Grafik abgedruckt). Moment mal, das war doch vorhin mein erster Gedanke! Ich hatte gerade eben intuitiv auf "Controls" gedrückt, weil ich genau da diese Parameter vermutete, aber da war doch eine andere Seite erschienen, oder nicht? Ich drücke also noch mal auf "Controls". Und was passiert? Es öffnet sich die "Quickload"-Seite, inklusive einer weiteren Fehlermeldung! Mein erster Gedanke: drück ich halt auf den "Quickload"-Taster, dann öffnet sich vielleicht die "Controls"-Seite. Hat leider nicht geklappt.

Genauso wenig tat sich beim Druck auf den Taster "Start/Stop" der Begleitautomatik. Man musste diesen Taster mit roher Gewalt betätigen und fast einen halben Zentimeter tief ins Gehäuse drücken, um eine Reaktion zu bekommen. Und das nach den paar Betätigungen durch einen Hobby-Musiker? Genau wie beim "Pegasus" meiner Schülerin damals, die Knöpfe waren fertig mit der Welt! "Ich starte den Rhythmus seitdem immer mit dem Fußschalter" erklärt der nun nicht mehr ganz so stolze Besitzer. Ach ja, diese Orgeln haben ja am Volumen-Pedal rechts und links so kleine Schalter, mit denen man durch einen kurzen Seitenkick des Fußes Funktionen auslösen kann. Das ist doch praktisch, gleich mal ausprobiert. Kleiner Tritt nach links, der Rhythmus startet, prima. Noch mal getreten, Rhythmus stoppt, startet aber sofort wieder, hm. Noch mal getreten und Rhythmus stoppt. Getreten, nichts passiert, noch mal getreten, Rhythmus startet, stoppt aber sofort wieder. AAAH! Da wird man ja wahnsinnig! Wie soll man so was denn live einsetzen? Funktioniert also auch nicht. Also starten wir den Rhythmus und lassen ihn durchlaufen. So lange er einfach läuft, passiert ja wohl hoffentlich nichts Unerwartetes...

Die "Phönix" hat wie ein Keyboard auch Begleit-Styles, die man durch Akkordspiel auf dem Untermanual steuern kann. So. Es ist ja eine Orgel. Da möchte man den Bass ja vielleicht selbst auf dem Pedal spielen. Ich wollte also nur den Bass aus dem Style stumm schalten und den Rest normal laufen lassen. Welch kühner Gedanke! Welch abwegige Programmierungs-Idee! Bei meinem Yamaha CVP drücke ich auf "Mixer", sehe "Bass" und drücke "Mute". Fertig. Bei der Phönix wusste ich gar nicht, was ich überhaupt drücken sollte, um in die Nähe eines Menüs zu kommen, das mit den Lautstärke-Regelungen der Instrumente des Begleit-Styles zu tun hat! Ich habe im Laufe der Zeit dutzende Keyboards und Orgeln problemlos bedient, sogar ein eigenes Tonstudio mit all der komplexen Technik ans Laufen gekriegt, aber für die Bedienung von WERSI-Instrumenten bin ich anscheinend zu doof. Und schon wieder im Bedienungsanleitungsordner suchen? Nee, ich hatte an dem Abend auch noch was anderes vor. Falls jemand glaubt, ich hätte mir das alles nur ausgedacht: ich hab einen Zeugen. Den Besitzer.

Dies ist übrigens die zweite Version meines Testberichtes. Die erste war deutlich länger, weil ich alle Fehler, die ich in den offiziellen WERSI-Foren gefunden hatte, gesammelt und hier aufgelistet hatte. Nachdem der erste Ärger über WERSI verraucht war, hab ich das ganze dann doch wieder gekürzt und etwas moderater formuliert. Ich will ja keinen Ärger mit den Leuten dieses namhaften deutschen Orgelherstellers. Aber die Schilderung meiner persönlichen Erfahrungen muss erlaubt sein, denn von Problemen mit den Instrumenten liest man ja auch in den offiziellen WERSI-Foren.

Dort hab ich ja nachgeschaut und festgestellt, dass ich nicht der einzige bin, der Probleme mit diesen Instrumenten hat. Auch die neueren Keyboards und Orgeln mit dem so genannten "Open Art System" (kurz OAS) sorgen anscheinend mit schöner Regelmäßigkeit für Überraschungen und Frust bei ihren Besitzern.