• 2016 - 2017| Vortragsreihe “Die Dimension des Ästhetischen”

  • Vortragende: Dr. Mathias Behrens, Dr. Peter Guttenhöfer, Michael Evers, Jörn Budesheim, Stefan Mennemeier, Lutz Freyer, Dr. Albert Vinzens

  • Forum für ästhetische Praxis e.V, KulturNetz Kassel: Das Forum veranstaltete (2016/2017) eine 7-teilige Vortragsreihe, welche die Dimension des Ästhetischen aus verschiedenen Perspektiven beleuchten sollte. Das Projekt verfolgte dabei einen interdisziplinären und integrativen Ansatz, so dass Vortragende aus ganz verschiedenen Bereichen zu Wort kamen.

Angst vor der Schönheit

[W]eder zur Schönheit noch zur Wahrheit (oder zum Guten) ist das letzte Wort gesprochen. Zwar gibt sich leicht der Lächerlichkeit preis, wer über den Ursprung des Schönen nachdenkt. Doch bereits dieses eine sollte zu denken geben: Die ästhetische Krise fällt mit einer anderen genau zusammen - nämlich mit der Krise der lebenden Wesen, der Natur.

(sagt der Meeresbiologe und Philosoph Andreas Weber)

Mein Vortrag besteht aus wenigen Schritten. Es geht um die Frage, ob Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Das ist heute sicherlich der Mainstream. Oder sind die Dinge selbst schön, wie man über Jahrtausende glaubte und wie es unsere Erfahrungen nahelegen. Die vermeintliche Binsenweisheit “Schönheit liegt im Auge des Betrachters” lässt sich auf zwei Arten und Weisen lesen, die zwar zusammenhängen, die ich aber getrennt betrachten möchte.

Dominant geworden ist diese Ansicht zusammen mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften im 17./18. Jahrhundert. Der schottische Philosoph David Hume hat es 1757 so formuliert: „Schönheit ist keine Eigenschaft, die den Dingen an ihnen selbst zukommt; sie existiert lediglich im Geiste dessen, der die Dinge betrachtet.”

Franz von Kutschera drückt das etwas technischer so aus: „Alle rein wertenden ästhetischen Aussagen lassen sich in solche über subjektive Präferenzen übersetzen". Der Subjektivismus ist also eine naturalistische Position." Die naturalistische/materialistische Einstellung besagt, dass wir von nichts anderem als inneren Einstellungen sprechen, wenn wir von Schönheit sprechen und keineswegs von schönen Dingen.

Ich werde am Beispiel der Farben zeigen, mit welchen Problemen diese Weltanschauung belastet ist.

Die Farben stehen dafür nur beispielhaft, aber sie eignen sich natürlich hervorragend - wir erinnern uns, Ästhetik stammt von aisthesis, was so viel wie Wahrnehmung heißt. Ziel ist, den Naturalismus abzuschütteln und zu einem Begriff der Welt zu kommen, der bunt und vielfältig ist.

Die nächsten Schritte widmen sich den Relativismus. Findet nicht jeder Mensch etwas anders schön? Ist es nicht so, dass alle Kulturen und alle Zeiten anderes schön gefunden haben? Zeigt das nicht, dass Schönheit “subjektiv” bzw. “kuturrelativ” ist? Entgegen diesem gängigen Vorurteil, legen sehr viele Untersuchungen nahe, dass unsere Schönheitsempfindungen universeller sind als wir glauben oder zu glauben bereit sind.

Hirngespinste

Der Naturalismus besagt schlicht und ergreifend, dass es die Dimension des Ästhetischen in einem strengen Sinn gar nicht gibt. Was es laut dieser Sicht gibt, sind individuelle Präferenzen im Kopf jedes Einzelnen. Und jede Aussage über Schönheit lässt sich verlustfrei in eine Aussage über ebenjene individuelle Präferenzen übersetzen. Und diese lässt sich dann auf Hirnzustände oder dergleichen mehr zurück führen.

Schönheit ist dann wortwörtlich ein Hirngespinst.

Die Gegenposition, die ich vertreten werde, heißt dann einfach: Nicht alle wertenden ästhetischen Aussagen lassen sich in Aussagen über individuelle Präferenzen übersetzen. Unsere Vorlieben sollen uns natürlich nicht genommen werden. Doch mit den Vorlieben ist nicht das letzte Wort in der Ästhetik gesprochen. Schön sind nach meiner Einschätzung die Kunst und die Natur selbst.

Der Begriff der Schönheit ist verwoben mit vielen anderen Begriffen, teilweise mit Begriffen die sich sogar ausschließen. Er grenzt an den Begriff des Hübschen, überlappt sich mit dem Begriff des Interessanten, hängt zusammen mit dem Begriff des Erhabenen und kann auch Überlappungen mit dem Begriff des Kitsches aufweisen ...

Schönheit?

Da es in der Kunst natürlich nicht nur um Schönheit geht, möchte ich den Begriff “Schönheit” hier sehr großzügig verstehen, gemeint ist “das gelungene Werk” in einem weiten Sinn. Ziel meines kleinen Vortrages ist nicht, den Begriff Schönheit zu präzisieren. Ziel ist, den weltanschaulichen Hintergrund zu klären, der dazu führt, zu glauben Schönheit sei “bloß” etwas Inneres.

Eng damit zusammen hängt natürlich der Relativismus: Er besagt, dass das Schöne grundsätzlich subjekt-, kultur-, etc.-abhängig ist. (Logisch - wenn Schönheit bloß im Kopf ist, dann fehlt ja das äußere Korrektiv.) In diesem zweiten und kürzeren Teil will ich einige empirische Befunde vorlegen, die die Ansicht, dass alle etwas anderes schön finden, zumindest in frage stellen. Befunde, die den Relativismus etwas relativieren.

Naturalismus?

Was heißt also Naturalismus? Der Philosoph Markus Gabriel definiert Naturalismus in seinem Bestseller “Warum es die Welt nicht gibt” so:

“Naturalismus ist die Behauptung, dass es nur die Natur gibt und dass diese identisch mit dem Universum, dem Gegenstandsbereich der Naturwissenschaften ist.“

Bei dem Philosophen Julian Nida Rümelin findet sich etwas ähnliches: “[Naturalismus ist die] Auffassung, dass alle Ereignisse im Prinzip naturwissenschaftlich erklärt werden können.” Mit anderen Worten, die Naturwissenschaften haben bei der Frage, was es tatsächlich gibt, das letzte Wort.

Metaphysik

In gewisser Hinsicht entscheidend für die Frage nach der Schönheit ist die Frage “Was gibt es?” Wenn es nur die Dinge gibt, von denen die Naturwissenschaften zu berichten haben, dann entpuppen sich alle Fragen um die Verbindlichkeit von Werten (ethischen wie ästhetischen) als veritable Hirngespinste.

Dieter Sturma sagt daher in einem Aufsatz über die Objektivität von Werten sinngemäß: Letztlich geht es also um die Frage, wer sich besser darin auskennt, was es gibt.

Was gibt es? Das ist eine der Grundfragen der Metaphysik. Die Naturwissenschaftler gehen dieser Frage nach, indem sie (zum Beispiel) milliardenschwere Forschungsprogramme aufsetzen und mit hilfe von Teilchenbeschleunigern nach den letzten Elementen der Natur suchen. Zum Beispiel den sogenannten Gottesteilchen, den Higgs-Bosonen. Das ist ohne Frage sehr faszinierend und meiner Ansicht nach auf keinen Fall zu kritisieren. (Kritisch wird es erst, wenn man diese Perspektive zur allein seligmachenden verklärt.)

Künstler und Philosophen kommen in der Regel mit deutlich kostengünstigeren Versuchsanordnungen aus. Ich will dazu an Mathias Behrens erinnern, der sich bei seinem Vortrag vor uns stellte, mit Nachdruck die Füße auf den Boden der Tatsachen stellte und damit die Evidenz der eigenen Existenz demonstrierte. Viel preiswerter kann ein metaphysischer Selbstversuch nicht sein - und zudem für jeden leicht nachvollziehbar.

Für uns genügt es im Moment, die Augen zu öffnen. Denn wir werden gleich feststellen, dass das Sinnliche (und keineswegs das Übersinnliche) eine der größten Herausforderungen des naturwissenschaftlichen Weltbildes ist.

Farben

Wenden wir uns also den Farben zu. Am Anfang seines Vortrages in dieser Vortragsreihe “Kunst und Wissenschaft” erwähnte Dr. Peter Guttenhöfer den Blick in den Himmel. Ist er blau? Ist er wirklich blau?

Ich möchte diese Spur ein wenig verfolgen … Wir erinnern uns: der Titel der Vortragsreihe lautet “Die Dimension des Ästhetischen” Ästhetik stammt, wie Michael Evers schon erläutert hat von dem altgriechisch aísthēsis „Wahrnehmung“, „Empfindung“

Farben nehme ich im Folgenden als Statthalter des Sinnlichen, als Pars pro toto. Alles was man über die Farben sagt, könnte man in ähnlicher Weise über Gerüche, Töne, Geschmäcke, Taktiles, usw, ebenso sagen. Und ich werde geltend machen, dass für die Schönheit vergleichbares gilt.

Farben sind uns einerseits das Nächste, denn wer könnte daran zweifeln, dass er das Blau des Himmels sieht. Doch andererseits scheinen sie ein seltsame ätherische Existenz zu fristen …

Michael Evers erwähnte, dass sie als das “untergeordnete Erkenntnisvermögen” galten und gelten. Aber im Grunde ist es noch viel schlimmer … Dazu möchte ich den Philosophen und Bewusstseinsforscher Thomas Metzinger und den Hirnforscher, Psychologen und Philosophen Manfred Spitzer zu Wort kommen lassen. Aus einem kurzen Radiofeature habe ich folgenden Ausschnitt entnommen >

“Der Himmel ist garantiert nicht blau!

Das weiß ja jeder - auch unsere Zuhörer - dass es keine Farben in der Welt gibt, sondern nur Wellenlängenmischungen …” (Metzinger)

Der Himmel ist nicht nur nicht blau - es ist garantiert nicht blau. Denn: Farben gibt es in der Welt gar nicht! Aber nicht nur Farben stehen zur Disposition, im nächsten Satz meldet sich der Kollege Manfred Spitzer mit skeptischem Unterton:

“Dann gibt es nur Frequenzen, aber die gibts natürlich auch nicht, dann gibt es nur Materie und Energie - und das sind letztlich nur Quarks - was gibt es dann? Quarks gibt es dann, 12 verschiedene Sorten.”

Das nennt man manchmal Mikro-Fundamentalismus und der deutsche Philosoph Gabriel hat es spöttisch Legozentrismus getauft, weil es uns dazu animiert, uns die Welt wie aus kleinsten Legosteinen zusammengesetzt vorzustellen.

Farben?

Farben gibt es also (angeblich) gar nicht. Der zeitgenössische Naturalismus hat hier keine besonders großen Fortschritt gegenüber antiken Positionen gemacht. Bereits vor zweieinhalb tausend Jahren meinte der griechische Philosoph Demokrit:

Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome und leeren Raum.

Heute weiß man zwar, dass Atome noch nicht die Grenze nach unten darstellen, aber in Bezug auf die Farben ist man anscheinend noch nicht viel weiter als die Kollegen in Athen.

Das Problem ist: Verbannt man die Farben in den Bereich des Scheins, dann wird man sie dadurch ja nicht los. Wohin also mit den Farben? Metzinger fragt sich das in dem kurzen Radiofeature auch >

[Wenn Bläue oder Röte] keine Eigenschaften von physikalischen Dingen in der Außenwelt sind - und auch keine Eigenschaften von Hirnzuständen, dann muss man sich natürlich fragen: Was ist denn hier eigentlich blau? Vielleicht ist die Bläue ja gar nicht in der Welt drin?

Wow! > Vielleicht ist die Bläue ja gar nicht in der Welt drin?

Was heißt es, dass “Bläue” keine Eigenschaft von Hirnzuständen ist? Schaut man mit hilfe von Neuroscanner ins Gehirn, entdeckt man allerlei biochemische Vorgänge - aber natürlich keine “Bläue”. “Bläue” ist das, was wir erleben. Es ist - wie die Philosophen sich ausdrücken - nur aus der Perspektive der ersten Person zu erleben. Das, was die Scanner zeigen, entspricht in dieser Terminologie dem Blickwinkel der dritten Person.

“Der Ansatz der Naturwissenschaften ist, dass ich zähle und messe und das blau weglasse.” (Spitzer) An diesen Blickwinkel sind die Naturwissenschaften gebunden … und das ist im Grunde bis zu einem gewissen Grad auch gut so, solange man diese Perspektive nicht absolut setzt.

Objektivität

Warum ist das gut und richtig? Dazu ein ganz simples Beispiel: Bekanntlich haben wir über lange Zeiten geglaubt, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Diese Vorstellung ist jedoch allein unserer Perspektive geschuldet und wie wir heute wissen, ist das natürlich falsch.

Wie also kommt man stattdessen zu einem objektiven Weltbild? Markus Gabriel erläutert diese bekannte Verfahrensweise in einem Vortrag über den modernen Nihilismus so:

“Man fragt sich, unter welchen Bedingungen können wir denn erkennen, wie die Dinge wirklich sind. Da sagt man: Naja, eine scheinbar vernünftige Bedingung scheint die folgende zu sein: Ziehen Sie alle ihre möglichen Irrtumsquellen ab, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie erkennen, wie die Dinge an sich selbst sind, höher.” “Also streichen wir die perspektivischen Bedingungen, diese ganzen “Zugänglichkeiten” heraus und stellen auf “maximale Objektivität”. Das nennt man dann Wissenschaft oder das naturwissenschaftliche Weltbild. Und damit haben wir den hinreichenden Begriff von Objektivität.

Und nun haben wir das folgende geleistet: Der Mensch und alle seine Sinnanstrengungen sind aus dem Bild verschwunden.”

Der Mensch verschwindet

“Und nun haben wir das folgende geleistet: Der Mensch und alle seine Sinnanstrengungen sind aus dem Bild verschwunden.”

“Mit anderen Worten: wir haben uns ein Bild gezimmert, indem wir nicht mehr vorkommen.”

Das nennt Markus Gabriel > Die Welt ohne Zuschauer. Und das bestimmt bis heute noch unsere Vorstellung, was wissenschaftliche Objektivität ist. Es versteht sich von selbst, dass in diesem Bild Ansichten über Schönheit nicht mehr objektiv sein können.

Wie soll auch die naturwissenschaftlichen Weltanschauung, die nicht einmal Platz für Farben hat, der angemessene Hintergrund sein, um über das Schöne nachzudenken?

Der Mensch und alle seine Sinnanstrengungen sind nun aus dem Bild verschwunden. Aber wohin dann mit den Farben? Wohin mit der Schönheit - sie passen in diesem Bild nur in den Kopf und lösen sich letztlich in Hirnfunktionen auf. Auf diese Weise lassen sich sich gewissermaßen domestizieren.

Ist das das letzte Wort? Das Problem der Farben, der Farbwahrnehmungen hat viele Philosophen beschäftigt. Dazu gibt es sehr viele sogenannte Gedankenexperimente - mit denkenden Mühlen, lebenden Zombies und schwarzweißen Zimmern.

Was Mary (nicht) wusste

In diesem Beispiel zeigt der Philosoph Frank Jackson mit einem sehr einfachen, sehr kostengünstigen und sehr populären Gedankenexperiment, welche Probleme Farben dem Naturalisten bereiten.

Hier ist das Gedankenexperiment in Kurzfassung: Die große Farbenforscherin Mary wurde (aus irgendwelchen x-beliebigen Gründen) in einem schwarzweißen Raum geboren und großgezogen. Sie ist eine begabte Physikerin und lernt alles Physikalische, was es über das menschliche Gehirn in Bezug auf Farben zu wissen gibt.

Sie könnte zum Beispiel das Gehirn von mir oder sonst jemandem “scannen” und mit hilfe der so gewonnenen Daten erkennen, dass ich gerade etwas rotes sehe, also ein “Roterlebnis” habe. Sie kennt jedes physikalische Detail der Farbwahrnehmung und irrt sich dabei nie. Nach Ansicht des Naturalisten weiß sie alles, was man über Farben wissen kann. Aber es ist offensichtlich, dass das nicht die ganze Wahrheit sein kann. Ihr Wissen ist unvollständig. Da sie in der besagten schwarzweißen Umgebung lebt, und selbst nie etwas rotes, gelbes, blaues gesehen hat, weiß sie nicht wirklich, was es bedeutet, Farben zu sehen.

Eines Tages wird sie in die farbige Außenwelt entlassen (und zwar um des Vortrages willen) in ein Kunstmuseum. Sie tritt vor ein Bild von Yves Klein.

Nun macht sie eine Erfahrung von der sie - trotz all ihrem Wissen über die physikalische Welt - zuvor nicht die geringste Ahnung hatte. Sie erlebt, wie es ist blau zu sehen. Sie erlebt, wie es ist ein Kunstwerk von Yves Klein zu sehen. So viel die Naturwissenschaften auch über die Welt wissen können, diese Perspektive - die Perspektive des “wie es ist” verfehlen sie. Mit anderen Worten: hier klafft eine Lücke, eine Wissenslücke.

Subjekt sein

In einem Aufsatz über Thomas Nagel, der nicht müde wird, diesen Punkt wieder und wieder stark zu machen, schreibt Markus Gabriel

“Subjekt sein bleibt unvertretbar real.” Das ist eine der Lehren, die man aus diesem und anderen Gedankenexperimenten zu sollte.

Dazu noch ein weiterer, ähnlicher Aspekt: Im Fridericianum hat die Kasseler Philosophin Zhuofei Wang vor kurzem einen Vortrag gehalten über “Ökologische Ästhetik und das Konzept der Leiblichkeit.” Die Dimension der Leiblichkeit ist eng verwandt mit dem, worum es mir hier geht. Der Leib ist nicht dasselbe wie der Körper. Er ist nicht einfach das, was die Biologie untersucht. Der Leib ist immer der erlebte Leib, er ist an die Perspektive der ersten Person gebunden. Diese Erlebnisperspektive, diese eingebundene Perspektive bleibt dem naturwissenschaftlichen Blick von außen notwendig verborgen.

Subjekt sein ist unvertretbar real. Aber es erschöpft sich keineswegs in der “Ich-Perspektive”. Bewusstsein ist immer auch auf andere Bewusstseine bezogen und durch andere Bewusstseine konstituiert. Das gilt in vielerlei Hinsicht: für die Gefühle ebenso wie für die Vernunft und Fragen der gegenseitigen Anerkennung.

All das ist wie es Gabriel formuliert unvertretbar real. Es ist genauso real wie der physikalische Raum. Aber dieser phänomenale Raum, der Erlebensraum zeigt sich uns nur in der Teilnehmerperspektive und er ist nicht wesentlich kausal geordnet, es ist ein Bedeutungs- und Sinnraum. Von jenseits des Spielfeldes (aus der losgelösten Perspektive der dritten Person, sozusagen mit dem Scanner betrachtet) ist er nicht als er selbst zu erkennen, weil er eben unverbrüchlich an die Ich-, Du- und Wir-Perspektive gebunden ist.

Wer von einer eigenen Schönheitserfahrung glaubt, sie entstünde in seinem Auge, der steigt gewissermaßen aus diesem Lebens-Raum - der Lebenswelt wie man sagt - aus und betrachtet sich selbst “von der Seite” mit den Augen des Naturalisten.

Weitere Probleme des Naturalismus

Farben sind also nicht das einzige Problem des Naturalismus. Dazu eine weitere Stimme, ein weiterer Zeuge: Julian Nida-Rümelin. Nida-Rümelin ist nicht nur Philosoph, er ist auch Physiker, war Kulturstaatsminister und ist der Sohn des Bildhauers Rolf Nida-Rümelin, der mir allerdings bis zur Vorbereitung auf diesen kleinen Vortrag unbekannt war. Diese Skulptur ist von ihm.

Das folgende Zitat stammt aus dem Buch “Humanistische Reflexionen”, in dem er den Naturalismus streng zurückweist.

“Intentionen, Qualia und Inferenzen, menschliches Handeln [...] und die objektiven logischen Relationen sprechen gegen die Plausibilität des zeitgenössischen physikalischen Naturalismus.”

Er legt damit eine weiter kleine Aufzählung von Aspekten der Welt vor, die nicht in das Universum des Naturalismus passen. Ich will kurz erläutern, worum es im Einzelnen geht:

Unter Intentionen (oder Intentionalität) versteht man in der Philosophie nicht nur unsere Absichten, sondern insbesondere die erstaunliche Tatsache, dass die Sätze, die wir äußern oder die Kunstwerke, die wir machen, manchmal von etwas handeln. Qualia ist der Fachterminus dafür, dass unsere Wahrnehmungen und unsere Gefühle sich irgendwie “anfühlen”. Ein Punkt, der sich besonders hartnäckig der “Naturalisierung” widersetzt.

Der Philosoph David Chalmers nennt dieses Problem daher das harte Problem. In “Bild der Wissenschaft” erklärt, was er damit meint:

Zu den leichten Problemen der Bewußtseinsforschung zähle ich die Fragen: Wie unterscheidet das Gehirn Information, die es aus der Umgebung erhält? Wie wird diese Information verarbeitet und so integriert, daß das Gehirn Verhalten steuern kann? [...] Doch was ich als hartes Problem bezeichne, läßt sich damit nicht erklären: Warum gehen diese Bewußtseinsfunktionen mit einem subjektiven Innenleben einher? Warum funktioniert das Gehirn nicht auch ohne diese Empfindungen und Gefühle?

Warum sind wir also keine Bio-Maschinen? Das Leben des Naturalisten wäre um so vieles einfacher, wenn wir das wären.

Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben

Hier noch eine weitere Problem-Liste, die ich (stark modifiziert) einem Aufsatz von Nida-Rümelin entnommen habe.

Der zeitgenössische physikalistische Naturalismus ist reduktionistisch: Alles lässt sich (im Prinzip) physikalisch erklären. Chemie ist Physik, Botanik ist Physik, Zoologie ist Physik, Psychologie ist Physik, Logik ist Physik, Ethik ist Physik , Ästhetik ist Physik ...

Hier zeigt sich, dass der Reduktionismus des physikalistischen Naturalismus nicht ausschließlich die Bereiche “der humanen Lebensform” - also uns - umfasst, sondern auch die Gegenstandsbereiche anderer Wissenschaften.

Man kann diese Sicht auf folgende Gleichung bringen: Wissenschaft = Naturwissenschaft = Physik und der Rest ist Aberglaube - das soll (so oder so ähnlich) der Evolutionsbiologe Richard Dawkins gesagt haben. Im Grunde läuft das auf den Imperativ des Naturalisten hinaus: Du sollst kein anderes Wissen von der Welt neben mir haben.

Dazu ein Beispiel, wieder aus Kassel, wieder aus dem Fridericianum -

Bei dem Symposium: nature after nature erläutert Cord Riechelmann, einer der Redner, im Anschluss an den Vortrag von Gabriel, dass er im Biologie-Studium zunächst einmal “lernte”, dass Biologie nicht wirklich eine harte Naturwissenschaft ist, das gilt nur für die Physik. Sowohl Riechelmann als auch Gabriel waren sich im übrigen völlig einig, dass Naturalismus - ich zitiere nur - eine dumme Form von Ideologie und Religion ist.

Es bunt treiben

Was tun? Die Versuche, all die verschiedenen Bereiche auf einen grundlegenden Bereich (das Physikalische) zu reduzieren sind nach Ansicht vieler Philosophen gescheitert.

Daher sollte man den Naturalismus verabschieden. Das schafft Platz für eine Weltsicht, die bunt und vielfältig ist. Alle Bereiche, die der Naturalist vergebens auf das Physikalische reduzieren will, sollten wieder als verschiedene Gegenstandsbereiche eigenen Rechts anerkannt werden.

Realismus und Pluralismus

Das ist das Programm des “neue Realismus”: “[der “neue Realismus”] ist die doppelte These, dass wir erstens Dinge und Tatsachen an sich erkennen können, und dass zweitens Dinge und Tatsachen an sich nicht einem einzigen Gegenstandsbereich angehören.” (Markus Gabriel)

Wir erinnern uns, wie es zur naturalistischen Sicht kam: Bei dem Versuch, die Welt zu erkennen wie sie an sich ist, haben die Naturwissenschaften gleichsam auf maximale Objektivität gesetzt. Doch der Preis dafür war zu hoch. Noch mal Markus Gabriel:

“Der Mensch und alle seine Sinnanstrengungen sind damit aus dem Bild verschwunden. Mit anderen Worten: wir haben uns ein Bild gezimmert, indem wir nicht mehr vorkommen.”

Wenn wir dieses Bild nicht akzeptieren (und die Argumente sprechen dafür) können und sollten wir eine Vielfalt tatsächlicher Bereiche annehmen. Auch die Dimension des Ästhetischen. Auf diese Weise können wir uns selbst wieder in das Bild der Welt einfügen. Ich will diesen Punkt noch einmal wiederholen:

Der Teil der Welt in dem wir selbst vorkommen

Wenn wir Dinge als schön empfinden und von der Schönheit sprechen, dann befinden wir uns in dem Teil der Welt, in dem wir selbst vorkommen. Wenn wir dem entgegen behaupten, Schönheit entstehe im Auge des Betrachters, dann versuchen wir diese Lebenswirklichkeit von außerhalb zu verstehen. Statt die eingebundene Perspektive gelten zu lassen, versuchen wir sie abzuschütteln und zu losgelösten Perspektiven kommen.

Weitere Zeugen

Ich will noch weitere Zeugen aufrufen ... Auch der amerikanische Philosoph John McDowell schlägt vor, Farben und Schönheit als Teil der objektiv erkennbaren Wirklichkeit zu betrachten. Ein Gegenstand der Erfahrung ist nach seinem Vorschlag dann “objektiv” wenn er dieser Erfahrung offensteht, im Unterschied etwa zu einer subjektiven Einbildung.

McDowell schlägt vor, dass “sich eine Erfahrung auf eine objektive Realität bezieht, wenn der Gegenstand unabhängig ist von dieser speziellen Erfahrung selbst” vorliegt. Wenn wir diesen Begriff der Objektivität akzeptieren, können wir auch Farben und Schönheit als objektive Beschaffenheiten der Gegenstände, an denen sie sich zeigen, verstehen.

Hier drei Zitate, verschiedener Philosophen, die auf das Gleiche aus sind:

“Dass die Welt manche ihrer Eigenschaften nur Lebewesen mit einer bestimmten sinnlichen und begrifflichen Ausstattung enthüllt, nicht jedoch anderen, steht nicht im Widerspruch zu der These, dass diese Eigenschaften den Dingen objektiv zukommen.” (David Lauer, Philosoph - über John McDowell)

Daß wir an gewissen Dingen ästhetisch Gefallen haben, liegt sicher auch an der Organisation unserer Wahrnehmung und unseres Gefühls. Das gilt aber ebenso für die Farbwahrnehmung. In beiden Fällen rechtfertigt das jedoch nicht die Behauptung, die fraglichen Eigenschaften kämen nicht den Dingen selbst zu. (Franz von Kutschera)

Der neue Realismus unterstellt, [dass es Wahrheiten gibt] die nur zugänglich sind, wenn gewisse Registraturen im Spiel sind. [...] Daraus folgt aber weder, dass diese Formen eine Art willkürlicher Halluzination [dass sie bloß im Kopf sind] sind oder dass sie irgendwie alle falsch sind. (Markus Gabriel, Warum es die Welt nicht gibt.)

Reiner Wein - objektiv

Zum Abschluss dieses Potpourris, ein kurzes Statement von Barry Smith, der sich der Philosophie des Weines widmet. Bis zur Vorbereitung auf diesen Vortrag war mir gar nicht bewusst, dass es so etwas überhaupt gibt. Dazu ein kurzer Ausschnitt aus einem Interview:

Frage: Wie können Sie tatsächlich richtig liegen in Bezug darauf, wie ein Wein schmeckt?

Barry Smith: Der Gedanke, dass wir nicht richtig [oder falsch] liegen können [dass also Geschmack im Gaumen des Trinkers liegt] und dass alles nur subjektiv ist, also in dem Sinne, dass etwas mir hier und jetzt nur so erscheint, ist falsch. Wir wissen doch alle, dass wir nicht den vollen Geschmack dieses edlen Cabernet Sauvignon[...] erfahren werden, wenn wir uns gerade die Zähne geputzt oder in eine Zitrone gebissen haben. Uns ist also bewusst, dass bestimmte Vorbedingungen erfüllt sein müssen, und natürlich auch hinsichtlich des Weins, damit man zu einem Ergebnis gelangt.

Das wäre schon einmal ein Anfang, um sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass es da nur meine Sinneswahrnehmung in diesem einen Moment gibt. [Wir sollten den Gedanken zulassen,] dass ein Geschmack etwas ist, das da draußen ist, etwas, was wir zu erreichen suchen, was wir nicht immer sofort auf der Zunge haben. Wir sollten daher nicht der Meinung sein, dass der Geschmack ausschließlich eine Sinneswahrnehmung ist, die in uns stattfindet.

Relativierung des Relativismus

Jetzt folgt der zweite Teil des Vortrages und die Frage nach dem Relativismus.

Die These, dass Schönheit allein im Auge des Betrachters liegt, ist wie gesagt durch zwei Vorstellungen motiviert. Im ersten Teil ging es um den Naturalismus und seine Probleme, nun soll es um die “augenscheinliche” Tatsache gehen, dass ein jeder was anderes schön findet.

Doch entgegen diesem gängigen Vorurteil, legen sehr viele Untersuchungen nahe, dass unsere Schönheits-Empfindungen universeller sind, als wir glauben. Zudem ist die Idee, Schönheit sei bloß subjektiv ziemlich jung, wie der Philosoph und Biologe Andreas Weber deutlich macht:

“Lange Zeit, gewiss die meiste, seit es Menschen auf der Erde gibt, galt das Schöne als objektiver Bestandteil der Welt.”

Man bedenke: Den Menschen gibt es seit ca. 400.000 Jahren. Die Idee, dass Schönheit allein im Auge des Betrachters liegt, ist demgegenüber erst seit wenigen hundert Jahren vorherrschend. Aufs Ganze gesehen ist das kaum mehr als ein Wimpernschlag …

Eine ganz kurze Geschichte der Schönheit

Der Philosoph Paul Liessmann fasst es in seinem Buch “Schönheit” so zusammen:

“In der Geschichte des europäischen Denkens nimmt die Frage nach dem Schönen und die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Schönheit eine zentrale Rolle ein. Die moderne Ansicht, dass, Schönheit Ausdruck eines subjektiven Geschmacks sei, stand dabei allerdings nicht im Vordergrund, eher im Gegenteil.

Nach Auffassung des polnischen Ästhetikers Wladyslaw Tatarkiewz galt von der Antike bis zur Renaissance die von ihm so genannte „Große Theorie” des Schönen, die versuchte, die objektiven Kriterien zu bestimmen, die das Schöne konstituieren. Als diese galten Proportionalität, Harmonie und Symmetrie ...”

Erst im 18. Jahrhundert verlor die „Große Theorie" für viele Denker ihre Überzeugungskraft. Der schottische Philosoph David Hume hat dieser Wende 1757 (also vor kaum mehr als 250 Jahren) ihre klassische Formulierungen gegeben „Schönheit ist keine Eigenschaft, die den Dingen an ihnen selbst zukommt; sie existiert lediglich im Geiste dessen, der die Dinge betrachtet.” [Das geschieht natürlich mehr oder weniger Parallel zum Siegeszug der wissenschaftlichen Weltsicht.]

(nach Paul Liessmann, Philosoph)

Universelle Muster

Die Subjektivitätstheorie ist also sehr jung. Die Frage, ob Schönheit rein subjektiv ist, ob sie kulturell geprägt ist oder ob sie im Gegenteil “universell” ist, wurde natürlich auch empirisch erforscht.

Der Philosoph Wolfgang Welsch hat sich dieser Frage gewidmet und kommt zu folgendem Ergebnis:

“Es gibt tatsächlich universale Muster des Schönheitsempfindens – ästhetische Präferenzen, die für Menschen in jeder Kultur gleichermaßen gelten. Alle Menschen schätzen Gegenstände, die diesen Mustern entsprechen, als schön ein.”

Drei Muster (nach Welsch)

  • Manche Landschaftstypen und manche Körpertypen

    • Man hat herausgefunden, dass alle Menschen savannenartige Landschaften schätzen – unabhängig davon, ob sie solche Landschaften aus ihrem Lebensraum kennen oder jemals durch Reisen kennengelernt haben. Die Einhelligkeit der Savannenpräferenz ist Kulturen- und Sozialschichtenübergreifend.

    • Was menschliche Körper angeht, so gelten ein betont symmetrischer Körperbau und Gesichtsschnitt als schön. Zudem werden makellose Haut und kräftiges, glänzendes Kopfhaar universell als schön eingestuft. Ferner gibt es Präferenzen, die Proportionen des Körperbaus betreffen. So hat eine Studie von Devendra Singh 1993 gezeigt, dass Männer weltweit bei Frauen eine Taille-Hüfte-Proportion von 7 : 10 als ideal ansehen.

  • Viele atemberaubend schöne Kunstwerke werden kulturübergreifend geschätzt. (Taj Mahal, Mona Lisa, Beethovens Neunte)

  • Formen “holistischer Selbstähnlichkeit” (siehe Abbildung)

Andere Untersuchungen ...

... kommen zu ähnlichen Ergebnissen, auch wenn so etwas natürlich nie unumstritten ist. Diese Befunde widerlegen zwar nicht die naturalistischen Sicht, das hatte andere Gründe, aber sie passen nicht gut zum damit verbundenen Relativismus.

  • Schön ist also für uns vermutlich was von mittlerer Komplexität und hoher Selbstähnlichkeit ist [...] Wir Menschen lieben Symmetrie, (Christoph Redies, Biologe)

  • [Es zeigt sich, dass die] Vorstellung, mit der ich noch aufgewachsen bin, also "Schönheit liegt im Auge des Betrachters", mittlerweile revidiert werden muss” (Karl Schawelka, Kunsthistoriker)

  • Schönheit liegt entgegen der allgemeinen Annahme nicht im Auge des Betrachters. Vielmehr sind die Kriterien für Schönheit [...] kulturunabhängig. Der wichtigste Bewertungsfaktor ist dabei die Symmetrie. (Ilka Lehnen-Beyel, Bild der Wissenschaft)

  • Auf der Ebene der ästhetischen Wahrnehmungen ist die Übereinstimmung nicht nur innerhalb eines Kulturkreises, sondern sogar weltweit sehr groß. Das wird durch Untersuchungen von Ethnologen, Psychologen und Biologen immer wieder bestätigt. (Dr. Christian Thies, Philosoph)

Formel der Schönheit?

Der Mathematiker George David Birkhoff hat gar versucht, eine Formel der Schönheit zu finden:

M = O/C

Dabei ist M die Maßzahl, O steht für Organisation und Ordnung, C für Complexität oder Chaos. Eine Formel für die Schönheit ist natürlich ebenso reduktionistisch wie ein ungezügelter Naturalismus :-) aber da ich es nun schon mal gefunden habe, wollte ich es Ihnen nicht vorenthalten.

Ein paar Argumente gegen den Relativismus

Neben diesen faktischen Übereinstimmungen im Schönheitsempfinden möchte ich noch kurz drei weitere Punkte andeuten, die gegen den Relativismus sprechen.

  • Diskurse: Wir reden und streiten über Kunst. Sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich (Literarischen Quartett / Feuilleton, etc) Diese Praxis wäre ganz sinnlos, wenn man nicht voraussetzen würde, dass die Gründe pro und contra auch überzeugen können.

  • Doch solche Diskurse führen nicht immer zur Einigung. Stimmt. Aber aus der mangelnden Einigkeit folgt nicht die Relativität. Franz von Kutschera erläutert das an einem Beispiel: “Gibt es verschiedene Meinungen über das Bestehen eines Sachverhalts oder ändern sich die Meinungen darüber, so folgt daraus noch nicht, daß dieser Sachverhalt nicht objektiv wäre. Die Ansichten über die Entstehung der Erde haben sich in der Geschichte erheblich gewandelt und es gibt darüber auch heute verschiedene Theorien. Deswegen kann man aber nicht behaupten, es gäbe keine tatsächliche Entstehungsgeschichte der Erde.“

  • Wenn wir über zeitgenössische Kunst streiten, dann begeben wir uns gleichsam ins ästhetische Forschungslabor. Dann sollte man sich über Meinungsverschiedenheiten nicht wundern, sondern vermehrt damit rechnen. Das dürfte in den Naturwissenschaften kaum anders sein: Einen fröhlichen Relativismus kann man daraus aber nicht ableiten

  • Lernprozesse: Jeder Einzelne dürfte solche Prozesse schon durchgemacht haben, sowohl in Bezug auf die eigene Lebens- und Lerngeschichte als auch in Bezug auf Kunstwerke oder Kunstrichtungen. Läge Schönheit allein im Auge des Betrachters, dann wären solche Prozesse bloß zufällige Variationen, man würde mal dies mal das schätzen. Stattdessen beobachten wir eher gerichtete Prozesse, die sich als Lernprozesse verstehen lassen. (Eigenes Beispiel: Ensemble Modern)

  • Unterschied von “das gefällt mir” und “das ist schön”: Beispiel: Aktuelle Ausstellung von Imi Knoebel, Felix Droese und Blinky Palermo in der neuen Galerie > der ästhetischer Wert der Knoebel-Arbeiten leuchtet mir zwar "irgendwie" ein, ich mag sie aber trotzdem nicht. Das Recht hat natürlich jeder. Aber daraus, dass ich persönlich es nicht mag, folgere ich einfach nicht, dass es auch nix ist. Das sind halt Arbeiten, die mir nicht ganz zugänglich sind, davon geht die ästhetische Welt nicht unter.

Am Ende

Was aber die Schönheit sei, daß weiß ich nit. (Albrecht Dürer)

Die Schönheit liegt nicht im Auge des Betrachters. Die Dimension des Ästhetischen steht der Erfahrung jedes Einzelnen offen und ist ebenso real wie die Legobausteine des Universums. Jeder Einzelne spielt in diesem Raum eine unvertretbare Rolle. Doch nicht alles, was es insbesondere in der Kunst zu erfahren gibt, erschließt sich unmittelbar. Kunst zu betrachten, ist oft selbst eine Form der Kunst, ein Geschäft der Freiheit. Freiheit heißt aber nicht Beliebigkeit. Wenn der Künstler scheitern kann, dann auch der Betrachter. Keiner von beiden ist von vornherein im Recht. Das hieße die Rechnung ohne den Wirt zu machen, ohne die Kunst selbst. Dass ein Werk oft seine eigenen Wege geht, weiß keiner besser als der Künstler. Diese Eigenständigkeit oder gar Widerständigkeit des Werkes - seine Wahrheit - sollte immer im Zentrum der Betrachtung stehen. Zwar holt die Kunst uns stets da ab, wo wir sind, nämlich bei unserem Menschsein. Aber dazu gehört immer auch das Nochmögliche, das Nochnichtverwirklichte, das ist das Menschenmögliche, das heißt: auch das, wo wir noch nicht sind.