Lorna Simpson

31 Monitore aufgereiht wie Tage eines Kalenderblattes zeigen eine (eine?) junge Frau in ihrem Lebensalltag: Aufstehen, Arbeiten, Einkaufen, Freizeit, Wochenende …

Meine häufigen "Besuche" erfahren eine kleine Irritation – als ich gerüchtehalber höre, man verfolge hier nicht eine, sondern zwei Frauen mit den Blicken. Eigentlich sieht man sie sehr selten, stelle ich daraufhin fest und versuche daher ein paar Portraits von ihr einzufangen.


Die unsichtbare Frau

  • Mir ist das schon’mal passiert.

  • Irgendso ein französischer Intellektuellen-Film. Umständehalber mußte die Hauptdarstellerin während der Dreharbeiten ausgetauscht werden, höre ich später. Ich merke nichts davon. Wie auch? Rolle, Geschlecht, Kleidung, Geschichte… all das blieb gleich. Warum also an der Identität der Dame zweifeln? Keine Sekunde.

  • An den Film erinnere ich mich kaum noch (irgendwas mit Liebe), aber an mein "Missgeschick" sehr wohl. Shocking. Wie kann das sein?

  • Und jetzt wieder?

  • 31 Monitore, aufgereiht wie die Tage in einem Kalender-Blatt. In ca. 20 Minuten sehe ich 31 Tagesabläufe einer Frau.

  • Leben im Kalender-Rhythmus.

  • Ich sehe, wie sie sich für den Tag zurecht macht, wie sie sich langweilt, wie sie heimkehrt, wie sie einkauft, wie sie wochends länger schläft, wie sie tanzt …

  • Schön, denke ich: Der zerteilte Mensch. Zerteilt in Tage, zerteilt in Funktionen. (funktionale Differenzierung klänge noch besser) Eine einfache, klare Sache?

  • Dann lese ich, dass die Kamera zwei Frauen verfolgt hat!

  • um Himmelswillen… nicht schon wieder.

  • Nochmal hin.

  • Ich sehe mehr … Geschlecht, Rasse, Identität sind offensichtlich die Themen.

  • Wie nehme ich jemanden wahr? Jemanden? Eine schwarze Frau. (Oder zwei?) Ich sehe offensichtlich nur Zeichen, keine Frau: Dunkle Haut. Kraushaar. Rock. Mantel.

  • Ich sehe Silhouetten und Ausschnitte.

  • Meine Wahrnehmung ist scherenschnitthaft auf schnell lesbare Zeichen eingestellt. Was ich in dieser Installation sehe ist: Wie ich sehe.

  • Ist das alles?


  • Dienstag: Ich sehe meine Hauptdarstellerin am Kopierer. Mittwoch: Beim Sargkauf. Die Szenen ähneln sich: Sie steht vor dem offenen Sarg wie vor dem Kopierer …

  • Donnerstag. Wieder bei Pietät XY: Ich sehe den Sarg. Ich sehe, wie sie wartet. Ich weiß nicht worauf … Sie muss oft warten: Auf die Bahn. Auf den Feierabend. Auf den Arzt. Auf den Sarg …


  • Ich sehe, wie sie selbst ein Bild von sich macht, ihr Bild (das Schema, das sich sehe?) überprüft: Vor dem Spiegel und im Photoautomat. Smile please! Sie lächelt … Sie wartet auf ihr Bild.


  • Ich sehe sie zu Hause. Im Dunkel der Nacht. Ich sehe sie im Planetarium. Die Erde im Dunkel des Alls.

  • Ich sehe sie in einer Ausstellung. Sie betrachtet Bilder: Es geht in dieser Ausstellung um Stereotype: Geschlecht, Rasse …

  • Ich sehe nur eine Frau. (Oder ein Frau?)

  • oder?

Leben im Kalender-Rhythmus? Geschlecht, Rasse? Eine Frau, zwei Frauen? Wahrnehmung? Nein, das ist nicht alles. Ich sehe eine wunderschöne, aber auch bedrückende, poetische, unergründliche Arbeit.