• 2008| “Trashing Adorno"

  • Wanzke (Idee), Budesheim (Screen)

  • Luminale in Frankfurt


Für die Luminale in Frankfurt (2008) hat Reinhard Wanzke als künstlerische Intervention das Poll-Game "Trashing Adorno" entwickelt und direkt im Adorno-Denkmal in Frankfurt realisiert.

So funktionierte das Poll-Game

Der Begriff "Poll-Game" lässt sich vielleicht mit "Wahlspiel“ übersetzen. Abstimmen und Wählen heißt aber – unter Bedingungen des 21. Jahrhunderts – manchmal auch: Spielen.

Zur Abstimmung stand 2008 das wohl geläufigste Adorno-Zitat überhaupt: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Wie es sich für ein Poll-Game ziemt, stehen nur „Ja“ oder „Nein“ als Antwort zur Wahl. Wer sich für „ja“ entscheidet, ruft mit seinem Handy eine bestimmte Nummer an. Wer „Nein“ meint, wählt eine andere Nummer. Dank des eingesetzten Teleschalters (eine Entwicklung Reinhards) ist das Wählen für den Anrufer gebührenfrei.

Eine „Nein-Stimme“ entspricht in einem gewissen Sinne einem „Angriff“ auf das Adorno-Denkmal – doch alles bleibt virtuell, gewissermaßen folgenlos. Das Denkmal wurde (mit einfachsten Mitteln) digital nach- und online gestellt. (Abbildung) Ein „Nein“ zerbombt virtuell eins der Möbelstücke. Ein „Ja“ stellt ein Möbelstück wieder her.

Programm der Luminale 2008


Links: Zunächst wurde das Projekt vom Kulturamt zurück gewiesen. Hier geht es zur kompletten Absage und unserer Antwort, welche das Projekt gerettet hat.


Trashing Adorno

Eröffnungsrede von Georg Bussmann

Ich stehe hier nicht als berufsmäßiger Kunsterklärer, sondern wegen Adorno. Da bin ich im richtigen Alter, mich einer Generation zuzurechnen, die man schon mal als "adornogeschädigt" bezeichnet. Wie reagiere ich darauf? Bestimmt nicht so, dass ich jetzt zu einer "Würdigung" Adornos ansetze, oder gar zu einer Rechtfertigung. Wenn etwas dran ist an dem Vorwurf, so bekommen Sie das hier sozusagen vorgeführt, von mir an mir.

Um mich vorzubereiten habe ich natürlich Adorno gelesen, mein altes Exemplar von "Minimal moralia", Da steht auch der Satz, um den es heute abend geht: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen", Adorno -wieder -lesen war eine Überraschung, diese Menge an Unterstreichungen, die vielen handschriftlichen Bemerkungen am Rand und auf losen Zetteln, irgendwann habe ich aufgehört zu lesen, weil ich das Gefühl hatte, wenn ich weiter lese finde ich mit Sicherheit etwas, das auf diese Unternehmung hier passt, was Bedenkenswertes oder vielleicht Vernichtendes. Also habe ich es gelassen.

Dabei ist mir aber klar geworden, mit einiger Sicherheit ist hier ein bisschen Ödipus im Spiel: Zwei junge Künstler gegen den übergroßen unerreichbaren Alten, unbewusst natürlich. Ödipus als mythische Figur ist tragisch, als Schauspiel des Generationenwechsels, d. h. Ödipus sozusagen biologisch gesehen, hat jedoch auch etwas Komisches: Jeder gibt mal den Ödipus und jeder dann mal den Vater.

Dann habe ich mir diesen besonderen Satz vorgenommen: "Es gibt kein richtiges Leben im falschen". Wenn man die Gnadenlosigkeit Adornos nicht mag, dieses "ungemilderte Bewusstsein der Negativität" nicht aushält, sollte man es eigentlich gleich lassen. Aber, wieso könnte man daran nicht herumdenken, z. B. so: liest man den Satz, kann/muss man ihm auf der logisch theoretischen Ebene eigentlich sofort zustimmen. Das ist irgendwie unausweichlich, bis, ja bis das Denken vom Wahrnehmen des Textes auf die Biologie umspringt, d. h. vom Wort "Leben" auf das eigene Leben im Moment, d. h. auf den Atem, den Herzschlag usw. Natürlich ist solche Trivialität von dem Satz nicht gemeint, oder doch? Man lebt doch schließlich währenddessen, irgendwie, so oder so. Soll man dieses "richtig" und "falsch" nur denken, oder will das angewandt sein? Wenn man sich das fragt, ist es eigentlich schon zu spät: Man sitzt in der Falle. Das Leben ist dem Denken auf den Leim gegangen. Wie kommt man da wieder raus?

Genial in seiner Einfachheit scheint mir der Einfall von Robert Gernhardt. Er hat Adornos Satz mal abgedruckt und nur das falsch mit v geschrieben.

Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich es bei diesem Satz mit einem Idealismus zu tun habe, einem Idealismus der Negativität. Und Idealismen versuche ich immer zu entkommen, indem ich so reagiere wie Diogenes auf Plato, d. h. kynisch. Da stelle ich mir dann vor, dass beim Hinschreiben des berühmt-berüchtigten Satzes vielleicht eine gute Flasche Rotwein, ein kalifornischer, mit im Spiel war. Darf man das? Natürlich nicht, es ist politisch nicht korrekt. Und natürlich ist es letztlich irgendwie hilflos. "Versöhnlerisch" hätte Adorno gesagt.

Und die Aktion hier, auf den ersten Blick sieht sie wie Denkmalschändung aus, wie ein Happening mit Spaßvergnügen, auch nicht besonders seriös. Deshalb hat sich das Ku!turamt mit dieser Aktion zunächst schwer getan. Das Amt habe sich "unzweideutig das Erhalten und Bewahren auf die Fahnen geschrieben" und die Zuspitzung des Werkes von Adorno auf diesen bewussten Satz sei eine "unzureichende Verkürzung". Richtig, das ist eine Verkürzung, aber dies hier ist kein Seminar, sondern eine Kunstaktion. Und Kunst kann ebenso aus Verstehen wie aus Missverstehen entstehen und aus dem Irrtum sowieso. Deshalb finde ich dieses Unternehmen geradezu NOTWENDIG!

Warum? Als ich aus der Beschreibung dieser Aktion erfuhr, dass es in Frankfurt ein AdornoDenkmal gibt, war meine spontane Reaktion: "Nein, das hat er nicht verdient!" Damit meine ich nicht das Aussehen des Denkmals, also das Denkmal an sich. Da könnte es doch witzig sein, sich z. B. ein Adorno-Denkmal von Jeff Koons vorzustellen (ich hätte auch eine Idee dazu), sondern dass eine wohlmeinende Obrigkeit sich eines Menschen annimmt, in der Weise, wie Obrigkeiten das so tun. Sie setzen Denkmale wie sie Bundesverdienstkreuze verleihen, und bedenken nicht, dass, indem sie da auszeichnen, ehren usw., sie sich als erste selbst ehren, als die, die das können, die das Wissen, den Durchblick, den Rang usw. haben.

"Es gibt kein ... usw." ganz verloren ist die Sache deshalb nicht. In Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" findet sich die Bemerkung, dass nichts so unsichtbar sei wie ein öffentliches Denkmal. Also nennen wird die Aktion hier ruhig mal eine versuchte Denkmalschändung. Dann wird dieses Denkmal dadurch, dass es virtuell in die Luft fliegt, als Denkmal erst eigentlich richtig. Ich fürchte, das ist ein bisschen "dialektisch". Sehen Sie es also meinetwegen als "AdornoSchaden" an.

Georg Bussmann


Denkmal

Attentat auf Adorno VON FELIX HELBIG

Irgendwann ist dem Professor beim Denken dann der große Roman von Robert Musil in den Sinn gekommen. Darin finde sich die Bemerkung, sagt Georg Bussmann, dass nichts so unsichtbar sei wie ein öffentliches Denkmal. Also möge man die Aktion doch ruhig mal eine "versuchte Denkmalschändung" nennen, denn dann werde das Denkmal dadurch, dass es virtuell in die Luft fliege, als Denkmal erst eigentlich richtig.

Wahrscheinlich ist das ein bisschen dialektisch. Aber den versammelten Denkmalschändern verschafft es eine diebische Freude an diesem Samstagabend am Glaskubus. Es geht ja um Adorno. Da ist so etwas natürlich erlaubt.

Dem besseren Verständnis halber also der Reihe nach. Als der Kasseler Kunstprofessor Bussmann erfuhr, dass es in Frankfurt ein Adorno-Denkmal gibt, ist ihm ein spontanes "Nein, das hat er nicht verdient!" entfahren. Damit meine er nicht das Denkmal an sich, das in Form von Adornos Schreibtisch hinter Glas in Bockenheim steht, sagt Bussmann, sondern die denkmalsetzende Obrigkeit, die am Ende mit der Denkmalsetzung ja doch immer zuerst sich selbst ehre. Nun gibt es das Denkmal aber, und da ist es natürlich ein Hingucker, dass auf Adornos Schreibtisch neuerdings ein Computerbildschirm steht. Der Frankfurter Künstler und Kunstlehrer Reinhard Wanzke hat ihn gemeinsam mit seinem Partner Jörn Budesheim installiert, also auf den Tisch im Kubus gestellt, schön mittig zwischen Lampe und Metronom. Ein echter Fremdkörper.

Der Bildschirm zeigt nun nichts anderes als die virtuelle Nachahmung des Denkmals und einen Aufruf. Per Mobiltelefon sollen die Betrachter ein Votum abgeben über Adornos Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Bei Zustimmung wird dem virtuellen Abbild ein Möbelstück hinzugefügt, bei Ablehnung eines in die Luft gejagt. Ideengeber für dieses "Trashing Adorno" seien die wiederholten Attentate auf Vadim Zakharovs AdornoMonument, sagt Wanzke. Weil immer wieder Menschen versuchten, den Glaskubus zu zerstören, verstehe er die Aktion als "Reflexion über ein beschädigtes Denkmal". Man wolle also keinesfalls zur Beschädigung aufrufen, sondern vielmehr zum Nachdenken über die diversen großen und kleinen Angriffe. Und über das richtige Leben im falschen natürlich - sowie den Fremdkörper im Denkmal, gewissermaßen falsch im Richtigen.

Zur Einführung in die Installation, die über den gesamten Zeitraum der Luminale zu sehen und zu beeinflussen sein wird. Zur Eröffnung gibt es dann auch noch einen kleinen Fehler, das passt ganz gut. Der Bildschirm zählt nämlich nicht. Während alle um den Kubus stehen und wie wild ihre Mobiltelefone bearbeiten, passiert auf dem Schreibtisch nichts. Schon gar keine Explosion.

Am Sonntag scheint dieses Problem behoben, das kann man im Internet sehen (unter www.dasbyro.de). An die 100 Stimmen sind da abgegeben, deutlich pro Adornos Behauptung. Also immer noch keine Möbelexplosion. Nach Bussmanns Musil-These sorgt das natürlich für ein dialektisches Problem. Denn das Denkmal wird ja nicht richtig, wenn es nicht in die Luft fliegt. Adorno darf also gar nicht Recht haben.

Trashing Adorno, Detail