Leo
Trotzki: Das EKKI an die Seine-Föderation der französischen Kommunistischen Partei [Eigene Übersetzung nach The first five years of the Communist International, Band 2, London 1974, S. 156-161] Liebe Genossen, Während der letzten Sitzung des erweiterten Plenums des EKKI widmete die Internationale einen beträchtlichen Teil ihrer Arbeit der Analyse der Lage in der französischen Partei und besonders in ihrer wichtigen Organisation, der Seine-Föderation. Mehrere Monate vorher, im Februar, hatte das erweiterte Plenum schon die Frage gemeinsam mit einer großen Delegation der französischen Partei diskutiert und letzterer gegenüber auf die Gefahren hingewiesen, denen die Seine-Föderation und die Partei ausgesetzt sind, weil sie das föderalistische Prinzip als Bass für eine kommunistische Organisation akzeptieren. Wegen der Hartnäckigkeit föderalistischer Vorurteile und weil es nicht gelang, die Linie der Pariser kommunistischen Organisation in Übereinstimmung mit der allgemeinen Struktur der Internationale und alle ihr angeschlossenen kommunistischen Parteien anzupassen, war das EKKI gezwungen, die Frage der Seine-Föderation einer speziellen Diskussion zu widmen. Das EKKI hat in völliger Übereinstimmung mit dem Generalsekretär der französischen KP und den teilnehmenden französischen Delegierten nach einer erschöpfenden Diskussion in der französischen Kommission und in Plenarsitzungen einmütige eine Resolution angenommen, die die Seine-Föderation einlädt, ihre Organisationsstruktur in Übereinstimmung mit den von der Internationale festgelegten Statuten, die sich auf die Struktur und Organisation der Kommunistischen Parteien beziehen, zu bringen. Die Internationale ist überzeugt, dass diese Resolution bei der überwältigenden Mehrheit der französischen Genossen gut aufgenommen werden wird, die überzeugt worden sind sowohl durch theoretische Schlussfolgerungen, die von scharfsinnigen Kommunisten gezogen worden sind, als auch durch praktische Erfahrungen, deren Lehren durch den bestehenden Zustand der Seine-Föderation verstärkt werden. In Übereinstimmung mit dem Geist der brüderlichen revolutionären Offenheit, der die Regel zwischen Kommunisten verschiedener Sektionen sein muss, beharrt die Internationale darauf, dass diese Resolution weithin veröffentlicht wird, so dass alle Parteimitglieder die Gelegenheit erhalten, sie zu diskutieren und zu bewerten. Die organisatorischen Prinzipien und Vorschriften, die die Internationale festgelegt hat, sind kein Ergebnis der intellektuellen Spinnerei, sondern sind die aus einem Dreivierteljahrhundert proletarischem Befreiungskampf in beiden Erdhalbkugeln gezogenen Erfahrungen. Bei der Durchquerung der ersten Etappen des revolutionären Weges kämpfte und litt die Arbeiterklasse nicht vergebens. Sowohl Niederlagen als auch Siege haben die Arbeiterklasse überzeugt, wie unerlässlich es für kämpfende Proletarier ist, ihre Reihen zusammengeschweißt zu haben, die Disziplin der Klassenorganisation zu bewahren und eine einheitliche Führung zu haben. Deshalb haben die Kommunistischen Weltkongresse – in ihren Thesen und besonderen Resolutionen, die die Gesamtsumme des von den Arbeiterparteien aller Länder erlangten Wissens und der Erfahrung zusammenfassen – das Prinzip des Demokratischen Zentralismus als Hauptgrundlage der proletarischen politischen Organisation aufgestellt. Zentralismus – weil es entscheidend ist, Einheit der Aktion in allen Teilen des Proletariats und die Gleichzeitigkeit von Demonstrationen unter einer einzigen gemeinsamen Parole zu sichern; dies kann nur erreicht werden, wenn es eine wirkliche Konzentration der Führung in den Händen der verantwortlichen zentralen und örtlichen Gremien gibt, die in ihrer Zusammensetzung und in ihrer Haltung zu ihrer politischen Linie stabil ist. Demokratie – weil diese führenden zentralen und örtlichen Gremien, die unter gewissen Bedingungen sehr klein sein können, von allen Parteimitgliedern gewählt, kontrolliert und ihnen verantwortlich sein müssen. Zentralisierte Konzentration der Führung wird manchmal mit der Begründung abgelehnt, dass sie zu Willkürherrschaft durch die Führer führe; dass die Mitgliedschaft unzureichend aktiv werde und ein oligarchisches Regime geschaffen werde. Es ist selbstverständlich, dass Zentralismus, wenn er falsch angewandt wird, in ein System der Oligarchie degenerieren kann. Der Fehler liegt aber nicht beim Zentralismus, sondern gerade an der falschen Anwendung seiner Methoden und Vorteile. Aber ihrem ganzen Charakter nach fördert eine streng zentralisierte Organisation die Tätigkeit der Massen im höchsten Grade, in dem Ausmaß, in dem sie eine systematische, stabile und kontinuierliche politische Führung sichert. Diejenigen, die behaupten, die Arbeiterklasse brauche überhaupt keine Führer, führen die Arbeiter einfach irre. Ohne eine sorgfältige Auslese der Führer im örtlichen und nationalem Maßstab, ohne ein ständiges Testen dieser Führer in der Aktion kann die Arbeiterklasse nie siegreich sein. Eine Parteiorganisation nach föderalistischen Prinzipien führt zu einem Durchlauf der Führung, eine Formlosigkeit in der Führung und einem Fehlen jeder klaren persönlichen Verantwortung. Genau unter solchen Umständen kristallisieren sich Gruppen innerhalb der Organisation heraus, die unter der Kontrolle von niemandem sind, sondern tatsächlich hinter dem Rücken der Mitgliedschaft an die Führung gekommen sind, die von den fiktiven Vorteilen der föderalistischen Struktur eingelullt ist. Argumente aus der föderalistischen Struktur der Sowjetrepublik müssen in diesem Zusammenhang als reines Missverständnis betrachtet werden. Föderalismus in der Staatsorganisation wird von der Sowjetrepublik angewandt in dem Maße, in dem es notwendig ist, ungeheure Gebiete, die von verschiedenen nationalen und Stammesgruppen bewohnt werden (Weißrussen, Ukrainer, Georgier, Armenier etc.), zusammenzubringen. Dieser Organisationstyp wird durch gewisse national-staatliche Funktionen (Staatssprache, nationale Schule und so weiter) notwendig gemacht. Aber wir wandten diese föderalistische Prinzip nie auf den Aufbau der proletarischen Partei an. Wir machen es auch jetzt nicht. Ukrainische, georgische, armenische und andere kommunistische Organisationen treten dem Rahmen der einheitlichen Partei nicht nach föderalistischen, sondern nach streng zentralistischen Prinzipien bei. Ohne diesen Parteizentralismus hätte es die Arbeiterklasse Russland nie geschafft, die Sowjetrepublik zu verteidigen oder auch nur die Machteroberung zu schaffen. Jedem klassenbewussten Arbeiter ist es klar, dass es angesichts der streng zentralisierten und disziplinierten Macht der Bourgeoisie keine weniger zentralisierte und disziplinierte Macht des Proletariats geben darf. Deshalb zeigen die, die die von der Internationale verkündete Idee des Demokratischen Zentralismus ablehnen, dass ihnen der Geist fremd ist, der unter den aufgeklärten Teilen des Proletariats herrscht, und sie den Interessen der Revolution unbeabsichtigt Schaden zufügen. Kommunistische Parteien sind keine akademischen Diskussionsklubs, auch keine Propagandagesellschaften. Sie sind Kampforganisationen und müssen als solche aufgebaut werden. Die Arbeiterrevolutionen in modernen Zeiten, der tragische Kampf des Proletariats gegen kapitalistische Unterdrückung, die zahllosen Opfer, die die besten Teile des Proletariats brachten – all dies ist eine nie zu vergessende Lehre für die kämpfende Vorhut der sozialen Revolution. Die Seine-Föderation, die geistige Erbin der Pariser Kommune, sollte die letzte sein, die die wichtigste Lehre der Niederlage der Kommune ignoriert, nämlich kleinbürgerliche demokratische und föderalistische Prinzipien, das Fehlen einer starken Hand bei der Leitung der Revolution, bei ihrer Einigung, Disziplinierung und Zentralisierung. Die Internationale ist überzeugt, dass sie den besten Weg der Organisation skizziert hat, der mit den revolutionären Interessen der Seine-Föderation übereinstimmt. Sie stellt mit Befriedigung fest, dass es in der französischen Partei eine breite Tendenz gibt, die durch die Ideen der Internationale angeregt ist und fähig ist, alle gesunden Kräfte auf der kommenden Konferenz der Föderation zu vereinigen. Das EKKI ist erfreut, dass die Frage des Artikels 9 der internationalen Statuten auf die Tagesordnung der nächsten Konferenz gesetzt wurde. Eine Diskussion über diese Frage wird den grundlegenden Unterschied zwischen der Dritten und der Zweiten Internationale voll beleuchten, einen Unterschied, dem die Komintern zu großen Teilen das Vertrauen der breiten Arbeitermassen verdankt. Wie jede der Kommunistischen Parteien, aus denen sie besteht, ist die Internationale eine zentralisierte Organisation, deren Führung im Exekutivkomitee konzentriert ist, dem der Weltkongress, der jährlich zusammenkommt, volle Machtbefugnisse verliehen hat. Im Unterschied zu allen anderen internationalen Organisationen, die von nationalen Vorurteilen durchtränkt sind, ist die Komintern so nicht eine Föderation unabhängiger nationaler Parteien, sondern eine einheitliche und große Kommunistische Weltpartei. Die Internationale hat das fraglose Recht, Beitrittswünsche abzulehnen und früher zugelassene Parteien auszuschließen. In den Zeiträumen zwischen Weltkongressen wird dieses Recht vom EKKI ausgeübt. Das ist die Bedeutung des Artikels 9 der Statuten. Dies bedeutet, dass der erwähnte Artikel nicht im Eifer des Gefechts geschrieben wurde, nicht unter dem Einfluss von Eindrücken, die aus zufälligen und vorübergehenden Umständen entstanden. Er ergibt sich logisch aus dem organischen Prinzip des Demokratischen Zentralismus und kann nur mit der Beseitigung der Vorstellung einer Kampforganisation beseitigt werden, wenn das Proletariat die Idee zurückweist, die Befreiung durch intensiven Kampf zu erlangen. Den Artikel 9 in Frage zu stellen, oder ihn so zu interpretieren, dass er seinen revolutionären Inhalt verliert, bedeutet, das organische Prinzip der Kommunistischen Internationale in Frage zu stellen. Jede nationale Sektion hat das Recht und die Pflicht, die Neudiskussion jedes Prinzips zu verlangen, von dem die Erfahrung zeigt, dass es ungültig ist oder schlecht angewendet wird; und die französische Sektion hat die Freiheit, von diesem Recht auf dem Vierten Weltkongress Gebrauch zu machen. Aber die Seine-Föderation wird zustimmen, dass so eine wichtige Frage in vollem Umfang und auf der richtigen Ebene gestellt werden muss. Wenn es sich als notwendig erweist, sogar die Grundlagen der internationalen Organisation zu überprüfen, dann sollte die Frage aufgeworfen werden ohne Spitzfindigkeiten über einen Zwischenfall mit disziplinarischem Charakter. Die Internationale fand es notwendig, sich auf das Recht zu berufen, das ihr durch den Artikel 9 gegeben ist, um den Bürger Fabre und alle, die sich mit ihm solidarisieren, aus ihren Reihen auszuschließen. In dieser Entscheidung war das EKKI von Erwägungen der revolutionären Zweckmäßigkeit geleitet. In einem alten bürgerlich-parlamentarischen Land wie Frankreich ist der Druck der bürgerlichen öffentlichen Meinung besonders mächtig. Diese öffentliche Meinung sucht nach Werkzeugen, mit denen es in die revolutionäre Partei eindringen kann, um sie zu spalten, zu schwächen und zu vergiften. Fabres Zeitschrift ist eines dieser Werkzeuge der bürgerlichen öffentlichen Meinung. Erscheinungen dieser Art zu ignorieren, bedeutet, das größte Risiko für die Partei einzugehen. Aus diesem Grund hielt es das EKKI für seine Pflicht, die Aufmerksamkeit der ganzen Partei auf die Fabre-Gruppe zu richten. Die Dissidenten und die Bourgeoisie machten sofort Fabres Sache zu ihrer Sache, gerade weil Fabre die Sache der Bourgeoisie vorher innerhalb der Partei verteidigt hatte. Das Gezeter um Fabre gibt ihm einen Schein von Bedeutung. Aber sobald die Bourgeoisie findet, dass sich die Kommunistische Partei drastisch vom Fabrismus gesäubert hat, wird Fabre und seine Publikation keinerlei Wert mehr für sie haben und diese ideologisch sterile und schmarotzerhafte Gruppe wird wie eine Seifenblase platzen. So forderten die Interessen der Revolution den Hinauswurf von Fabre und seiner Gesinnungsfreunde aus den Parteireihen. Politische Interessen haben Vorrang über allen formellen und juristischen Erwägungen. Aber es ist selbstverständlich, dass man Aufmerksamkeit gegenüber Überlegungen formellen Charakters haben muss, die zweitrangige Bedeutung haben. Aber gerade von einem rein formalen Standpunkt hat der Artikel 9, der der Komintern zur Verfügung steht, seine volle Wirksamkeit in dem gegebenen Fall gezeigt. Das Zentralkomitee der französischen Kommunistischen Partei, dessen überwältigende Mehrheit die Notwendigkeit des Ausschlusses von Fabre erkannte, erwies sich als unfähig, den Ausschluss durchzuführen wegen gewisser Besonderheiten der französischen Parteistatuten. Das Konflikt- und Beschwerdekomitee, das eine sehr wichtige Rolle im Organismus der Partei spielt, hat wesentlich die Aufgabe, sorgfältig, gründlich und unparteiisch alle Einzelfälle zu überprüfen, bei denen es um den moralischen Charakter und die Ehre von einzelnen Mitgliedern, besondere Fälle von Verletzung der Parteidisziplin, Verletzungen der Parteimoral und so weiter geht. Aber beim Fabre-Fall ging es nicht um eine komplexe Untersuchungsprozedur, sondern um eine politische Einschätzung einer Gruppe, die dem Geist des Kommunismus völlig feindlich ist. So eine Frage muss natürlich nicht einer Kontrollkommission, sondern dem Zentralkomitee der Partei, das das höchste leitende Gremium zwischen den Parteitagen ist, zur Entscheidung vorgelegt werden. Insoweit sich das Zentralkomitee auf der Grundlage der bestehenden Statuten machtlos sah, die Fabre-Clique auszuschließen, war es die Pflicht des EKKI, den Artikel 9 der internationalen Statuten zur Hilfe zu nehmen. Die Schlussfolgerung, die man aus dieser sehr lehrreichen Erfahrung ziehen muss, ist nicht, dass der Artikel 9 der internationalen Statuten beseitigt oder beschränkt werden sollte, sondern dass die Statuten der französischen Kommunistischen Partei ergänzt werden sollten, um dem Zentralkomitee volle Machbefugnisse zu geben, die ideologische Reinheit und die Disziplin der proletarischen Partei zu schützen. Die Erfahrung aller Parteien zeigt, dass instabile, politisch wankelmütige und halb opportunistische Elemente ihre Tendenz in der Regel nicht im offenen Kampf gegen die revolutionäre Tendenz, sondern bei der Opposition gegen sie in zweitrangigen, formalen, legalistischen und ähnlichen Fragen ausdrücken. Die Seine-Föderation wird diesen schwankenden und instabilen Elementen eine angemessene Lehre geben, wenn sie sie anweist, sich der kommunistischen Disziplin zu unterwerfen; und an einem schonungslosen politischen Kampf gegen die Überbleibsel des Fabrismus in der Partei teilzunehmen, statt Fabre indirekt mit formalen und offensichtlich falschen Gründen zu unterstützen. Das Programm der kommenden Seine-Konferenz muss die Festigung aller wirklich revolutionären Elemente sein. Dies wird auf die unbegrenzte Unterstützung der Masse der Arbeiter-Mitglieder stoßen. Es ist notwendig, eine feste revolutionäre Führung in der wichtigsten Organisation des französischen Proletariats zu sichern. Die Seine-Konferenz muss ein würdiges Vorspiel des für Oktober angesetzten nächsten Parteitags sein, der gleichfalls die Aufgabe haben wird, die revolutionären kommunistischen Elemente zu festigen, die zentristischen und pazifistischen Tendenzen zu beseitigen, ein Regime der revolutionären Disziplin in der Partei zu errichten, den Fraktionskämpfen innerhalb der Partei ein Ende zu machen und eine wirkliche revolutionäre Führung in den Händen eines einheitlichen Zentralkomitees zu sichern. Der Prozess des Aufbaus der Kommunistischen Partei ist schwierig und komplex und unlösbar mit der Selbstkritik und einer inneren Säuberung verbunden. Das EKKI ist zuversichtlich, dass die Vorhut des französischen Proletariats in der Lage sein wird, mit dieser Aufgabe fertig zu werden und dass in dieser Arbeit die Seine-Föderation die erste Stelle einnehmen wird, die ihr zu Recht zusteht. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale |
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