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Leo Trotzki 19380900 Notizen fürs Gedächtnis

Leo Trotzki: Notizen fürs Gedächtnis

[Eigene Übersetzung nach dem russischen Text]

Aus den Schilderungen eines ausländischen Besuchers, der viele Jahre in der UdSSR verbracht hat und gut Russisch spricht:

1. Die Urne des ehemaligen Oberkommandierenden S. S. Kamenew wurde von der Kremlmauer entfernt – ein symbolischer Akt, die Enthüllung der Beteiligung des ehemaligen Oberkommandierenden an irgendeiner Militärverschwörung. Militärverschwörungen scheint es allgemein viele gegeben zu haben. In der Nähe des Hauses, in dem der Erzähler wohnte, gab es ein Wohnheim für Offiziere, ein neues Haus. Jetzt ist dieses Haus, im Zusammenhang mit den Verhaftungen, fast vollständig geleert.

2. Die Zahl der durch Hungersnot und Kollektivierung der Bauern getöteten Menschen wird auf 20 Millionen geschätzt.

3. Man sagt, dass in Moskau einer von zehn Personen verhaftet wurde. Unter den Arbeitern gab es große Verhaftungen. Eine starke Protestbewegung begann in den Kreisen der Moskauer Arbeiter nach dem zweiten Prozess, Gespräche begannen, auf den von den Arbeitern organisierten „Parties" sprachen man nur über diese Prozesse und brachten seine Empörung über sie zum Ausdruck. Danach gab es große Verhaftungen. Eine regelrechte Welle des innerparteilichen Terrors begann erst nach dem zweiten Prozess.

4. Jagoda wurde angeblich deshalb ausgetauscht, weil er sich weigerte, den Prozess gegen die Rechten vorzubereiten. Er soll eine Rechtfertigung Bucharins und Rykows nach dem Sinowjew-Kamenew-Prozess organisiert haben, die entsprechenden Dokumente vorgelegt haben.

5. Man glaubt, dass Ordschonikidse vergiftet wurde und die Sache nicht ohne die Beteiligung von Dr. Lewin gelang. Ordschonikidse war entschieden gegen den Prozess gegen Pjatakow und soll die Kinder Pjatakows nach dessen Hinrichtung zu sich genommen haben.

6. Gorkis Tod wurde auf Befehl Stalins „beschleunigt". Gorki war in letzter Zeit in Oppositionsstimmung. Alle Menschen, die ihm nahe standen, wurden entfernt, sie verschwanden aus allen Redaktionen, etc.

7. Der Erzähler war bei den ersten beiden Prozessen anwesend. Im Bericht über den ersten Prozess war bei weitem nicht alles enthalten. a. Alle Angeklagten machten einen sehr schwerfälligen Eindruck auf ihn. Sinowjew war ohne Kragen, ungekämmt. Kamenev war purpurrot, hatte aber immer noch sein professorales Aussehen. b. Als die Angeklagten gefragt wurden, ob sie sich schuldig bekennen, fragten sowohl Sinowjew als auch Kamenew vor der Beantwortung der Frage den Gerichtspräsidenten, ob ihre Erklärung zu diesem und jenem Zeitpunkt eingegangen sei. Erst nach Erhalt einer positiven Antwort bekannte sich sowohl der eine als auch der andere schuldig. d. Mratschkowski sprach ausführlich über sein Treffen mit Stalin. Stalin erwähnte seine Vergangenheit nicht mit einem einzigen Wort, sprach mit ihm nur über Arbeit und Arbeitspläne, und bei Mratschkowski bildete sich der Eindruck, dass die Vergangenheit völlig vergessen sei. e. Iwan Nikititsch war in seinem ganzen Handeln sehr mutig. Er zeigte mit seinem ganzen Verhalten deutlich, dass er eine Art Abmachung getroffen hatte, sagte aber darüber hinaus keinen Ton. Als er erzählte, wie er die terroristischen Anweisungen erhalten, entstand der Eindruck, dass I. N. sein Testament überliefere – tötet die Hunde! f. Als Radek nach gehaltener Rede an seinen Platz zurückkehrte, stand Drobnis auf und schüttelte ihm die Hand (wie im Parlament nach einer gelungenen Rede). g. Im zweiten Prozess kam die Rede darauf, dass Norkin eine Verbindung zu einem gewissen Davidson hatte, der sich als Spion herausstellte. Norkin protestierte und sagte: Es wirft einen Schatten auf mich. Auf die Frage Wyschinskis, ob er die Anklage gelesen habe und ob Norkin nicht glaube, dass die Anklageschrift einen Schatten auf ihn werfe, sagte Norkin nichts. Aber Wyschinski beeilte sich hinzuzufügen: aber wir machen Sie nicht für Davidson verantwortlich. Der Erzähler nennt dies als Beispiel dafür, dass alles im Voraus vereinbart war und sich alle an den „Vertrag" halten.

September 1938

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