Leo Trotzki: Jüdische Bourgeoisie und revolutionärer Kampf [Eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der englischen und französischen Übersetzung] 1Pater Coughlin, der offenbar zeigen will, dass absolute idealistische Moral einen Menschen nicht daran hindert, der größte Gauner zu sein, sagte im Radio, dass ich seinerzeit von der jüdischen Bourgeoisie in den Vereinigten Staaten große Summen für die Revolution erhalten hätte. Ich habe bereits in der Presse geantwortet, dass dies nicht wahr ist. Ich habe dieses Geld nicht erhalten, natürlich nicht, weil ich finanzielle Unterstützung für die Revolution abgelehnt hätte, sondern weil die jüdische Bourgeoisie diese Unterstützung nicht geleistet hat. Die jüdische Bourgeoisie bleibt dem Grundsatz treu: Nicht einmal jetzt zu geben, wenn es um ihren eigenen Kopf geht. Der an seinen Widersprüchen erstickende Kapitalismus richtet tollwütige Schläge gegen das Judentum, und einige dieser Schläge fallen auch auf die jüdische Bourgeoisie, trotz all ihrer vergangenen „Verdienste" für den Kapitalismus. Maßnahmen philanthropischen Charakters in Bezug auf die Flüchtlinge stellen sich als weniger und weniger wirksam dar im Verhältnis zu dem gigantischen Ausmaß der Katastrophe, die über das jüdische Volk hereinbricht. Jetzt ist Frankreich an der Reihe. Der Sieg des Faschismus in diesem Land würde eine grandiose Verstärkung der Reaktion und ein ungeheures Wachstum des Pogrom-Antisemitismus2 in der ganzen Welt bedeuten, insbesondere in den Vereinigten Staaten. Die Zahl der Länder, die die Juden vertreiben, nimmt ständig zu. Die Zahl der Länder, die sie aufnehmen können, nimmt ab. Gleichzeitig nimmt die Bitterkeit des Kampfes zu. Man kann sich leicht vorstellen, was die Juden schon zu Beginn eines zukünftigen Weltkriegs erwartet. Aber auch ohne Krieg bedeutet die weitere Entwicklung der Weltreaktion fast mit Zwangsläufigkeit die physische Vernichtung des Judentums. Palästina war ein tragisches Trugbild, Birobidschan eine bürokratische Farce. Der Kreml weigert sich, Vertriebene aufzunehmen. „Antifaschistische" Kongresse alter Ladies3 und junger Karrieristen haben nicht die geringste Bedeutung. Jetzt mehr denn je ist das Schicksal des jüdischen Volkes – nicht nur das politische, sondern auch das physische Schicksal – untrennbar mit dem Befreiungskampf des internationalen Proletariats verbunden. Nur eine kühne Mobilisierung der Arbeiter gegen die Reaktion, die Schaffung einer Arbeitermiliz, direkter physischer Widerstand gegen die Banden des Faschismus, die Zunahme des Selbstvertrauens, der Aktivität und des Mutes aller Unterdrückten kann zu einer Veränderung des Kräfteverhältnisses führen, die Weltwelle des Faschismus stoppen und ein neues Kapitel in der Geschichte der Menschheit eröffnen. Die Vierte Internationale warnte als erste vor der Gefahr des Faschismus und zeigte als erste den Rettungsweg auf. Die Vierte Internationale ruft die jüdischen Volksmassen auf, sich keine Illusionen zu machen, sondern der schrecklichen Wirklichkeit direkt in die Augen zu schauen. Rettung gibt es nur im revolutionären Kampf. Der „Nerv" des revolutionären Kampfes wie des Krieges ist Geld. Die progressiven und weitsichtigen Elemente des Judentums sind verpflichtet, der revolutionären Avantgarde zu Hilfe zu kommen. Die Zeit geduldet sich nicht. Ein Tag ist jetzt wie ein Monat oder sogar ein Jahr. Was du tust, tue bald! L. Trotzki 22. Dezember 1938 Coyoacán 1 In der englischen Übersetzung: „Werter Freund,“ 2 In der englischen und französischen Übersetzung: „gewalttätigen Antisemitismus“ 3 In der französischen Übersetzung: „Damen“ im russischen Original „леди“ (ledi) |
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