Leo Trotzki: Im Kampf
gegen den Faschismus muss man gegen den Imperialismus kämpfen Interview mit Vertretern der kubanischen Presse. [Eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der englischen und französischen Übersetzung] In der Politik ist es meiner Meinung nach das Wichtigste und Schwierigste, auf der einen Seite die gemeinsamen Aufgaben zu bestimmen, die das Leben und den Kampf aller Länder der modernen Welt bestimmen, und auf der anderen Seite die besondere Verbindung dieser Gesetze in jedem einzelnen Land aufzudecken. Die heutige Menschheit, alle ohne Ausnahme, von den britischen Arbeitern bis zu den abessinischen Nomaden, lebt unter dem Joch des Imperialismus. Das kann man nicht eine Minute lang vergessen. Aber das bedeutet nicht, dass sich der Imperialismus in allen Ländern auf die gleiche Weise manifestiert. Nein, einige Länder sind Champions1 des Imperialismus, andere seine Opfer. Dies ist die grundlegendste Linie der Wasserscheide zwischen den modernen Nationen und Staaten. Unter diesem und nur unter diesem Blickwinkel muss man insbesondere die so aktuelle Frage des Faschismus und der Demokratie zu betrachten. Demokratie bedeutet für Mexiko zum Beispiel den Wunsch eines halbkolonialen Landes, aus der Knechtschaft auszubrechen, den Bauern Land zu geben, die Indianer auf ein höheres Kulturniveau zu heben, etc. Mit anderen Worten, die demokratischen Aufgaben Mexikos haben progressiven und revolutionären Charakter. Und was bedeutet „Demokratie" in Großbritannien? Erhaltung dessen, was ist2, d.h. vor allem die Erhaltung der Herrschaft der Metropole über die Kolonien. Das Gleiche gilt in Bezug auf Frankreich. Das Banner der Demokratie deckt hier die imperialistische Herrschaft der privilegierten Minderheit über die unterdrückte Mehrheit zu. Ebenso wenig kann man auch von „Faschismus im Allgemeinen" sprechen! In Deutschland, Italien, Japan, sind Faschismus und Militarismus die Werkzeuge des gierigen, hungrigen und damit aggressiven Imperialismus. In den lateinamerikanischen Ländern ist der Faschismus Ausdruck der sklavischen Abhängigkeit vom ausländischen Imperialismus. Es ist notwendig, den wirtschaftlichen und sozialen Inhalt unter der politischen Formel zu finden. Jetzt ist in einigen Kreisen der Intelligenz die Idee der „Vereinigung aller demokratischen Staaten" gegen den Faschismus populär. Ich halte diese Idee für eine Fantasterei, eine Chimäre3, fähig, nur die Volksmassen zu täuschen, besonders die schwachen und unterdrückten Völker. Ist es wirklich möglich, für eine Minute zu glauben, dass Chamberlain, Daladier oder Roosevelt bereit oder fähig sind, im Namen des abstrakten Prinzips der „Demokratie" einen Krieg zu führen? Wäre die britische Regierung so demokratieliebend, hätte sie Indien längst die Freiheit gegeben. Dasselbe gilt für Frankreich. Großbritannien zieht in Spanien die Diktatur Francos der politischen Herrschaft der Arbeiter und Bauern vor, denn Franco wird ein viel unterwürfigerer und zuverlässigerer Vertreter des britischen Kapitalismus sein. England und Frankreich gaben Hitler Österreich ohne Widerstand, aber wenn er ihre Kolonien anfasste, wäre ein Krieg unvermeidlich. Die Schlussfolgerung daraus ist, dass man nicht gegen den Faschismus kämpfen kann, ohne gegen den Imperialismus zu kämpfen. Koloniale und halbkoloniale Länder müssen vor allem gegen jenen Imperialismus kämpfen, der sie direkt unterdrückt, unabhängig davon, ob er die Maske des Faschismus oder der Demokratie trägt. In den lateinamerikanischen Ländern ist die beste und zuverlässigste Methode des Kampfs gegen den Faschismus die Agrarrevolution. Nur weil Mexiko ernsthafte Schritte auf diesem Weg unternommen hat, hing der Aufstand General Cedillos in der Luft. Im Gegenteil ist die brutale Niederlage der Republikaner in Spanien darauf und nur darauf zurückzuführen, dass die Regierung Azañas im Bündnis mit Stalin dort die Agrarrevolution und die unabhängige Arbeiterbewegung unterdrückt hat. Konservative und mehr noch reaktionäre Sozialpolitik in schwachen und halbkolonialen Ländern bedeutet im wahrsten Sinne des Wortes Verrat an der nationalen Unabhängigkeit. Sie fragen mich, wie man erklären kann, dass die sowjetische Regierung, die aus der Oktoberrevolution hervorgegangen ist, die revolutionäre Bewegung in Spanien unterdrückt hat? Die Antwort ist einfach: über den Sowjets erhob sich zunehmend eine neue privilegierte Kaste der Bürokratie, konservativ, gierig und tyrannisch. Diese Bürokratie traut den Massen nicht und fürchtet sich vor ihnen. Sie sucht die Annäherung an die herrschenden Klassen, insbesondere an die „demokratischen" Imperialisten. Um ihnen seine Reife zu beweisen4, ist Stalin bereit, die Rolle des Gendarmen auf der ganzen Welt zu spielen. Die stalinistische Bürokratie und ihre Agentur Komintern stellen jetzt die größte Gefahr für die Unabhängigkeit und den Fortschritt der schwachen und kolonialen Völker dar. Ich weiß zu wenig von Kuba, um mir eine unabhängige Meinung über Ihr Vaterland zu erlauben. Sie können besser einschätzen, welche der obigen Überlegungen für die Situation auf Kuba gelten. Was mich persönlich betrifft, so erlaube ich mir, die Hoffnung zum Ausdruck zu bringen, dass ich die Perle der Antillen besuchen und Ihr Volk kennen lernen kann, dem ich durch Ihre Zeitung die heißesten und aufrichtigsten Wünsche schicke. L. Trotzki 21. September 1938 Coyoacan, Mexiko 1In der französischen und englischen Übersetzung: „Träger“ 2In der französischen und englischen Übersetzung: „der bestehenden Ordnung“ 3Eigentlich steht im russischen Text „fantastisch, chimärisch“ (ebenso in der englischen Übersetzung). Aber da im heutigen Deutsch „fantastisch“ meist positiv verwendet wird, wäre das missverständlich. In der französischen Übersetzung „extravagant, chimärisch“ 4 In der französischen Übersetzung: „um ihnen seine Zuverlässigkeit zu zeigen“. In der französischen Übersetzung: „zu beweisen, dass er ihres Vertrauens würdig ist“ |
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