Leo Trotzki: Gegen den Terrorismus [Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 6. Jahrgang, Nr. 3. (87), Mai 1938, S. 2] [Der hier veröffentlichte Brief Trotzkis an die juridische Abteilung des Völkerbundssekretariats ist ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung der wirklichem terroristischen Pest, die dem faschistischen Terror in nichts nachsteht und die mit ihm die Reihen dar Arbeiterklasse und jeden Freiheitskampfes verwüstest. Es genügt längst nicht mehr, der mörderischen Stalinclique mit «Protesten» entgegenzutreten: der Kampf gegen den stalinistischen Terror muss systematisch organisiert werden und muss überall dort geführt werden, wo sich die Moskauer Bürokratie eine Basis für ihre Provokationen und neuen Verbrechen zu schaffen versucht. Wir verweisen unsere Leser in diesem Zusammenhange nochmals ausdrücklich auf den in unserer letzten Nummer (Nr. 2-86) veröffentlichten Brief an alle Arbeiterorganisationen: «Es ist Zeit, international gegen den Stalinismus vorzustoßen.» «UNSER WORT».] An die juridische Abteilung des Völkerbundssekretariats Am 22. Oktober 1936 hatte ich, durch Vermittlung meines norwegischen Rechtsanwalts, den verstorbenen Michael Puntervold, die Ehre, mich an Sie mit einem Brief zu wenden, dessen Empfang sie mir unter Nr. SA 15105 15085 bestätigten. Ich bin nicht darüber unterrichtet, in welchem Stadium sich die Gründung des dem Völkerbund angeschlossenen Gerichtshofs gegen die Terroristen befindet, ob er schon existiert, und man erwarten darf, dass er demnächst seine Arbeit beginnen wird. Auf alle Fälle, halte ich es für meine Pflicht, nicht nur alle Erwägungen zu wiederholen, die ich vor anderthalb Jahren Ihnen zu unterbreiten die Ehre hatte, sondern sie auch durch neue, ganz konkrete Vorschläge zu ergänzen. Der Initiator der Gründung eines dem Völkerbundes angeschlossenen Gerichtshofs gegen Terroristen war die Sowjetregierung. Der sowjetrussische Volkskommissar für Äußeres, Herr M. Litwinow, bekundete auf den Sitzungen des Völkerbundes ein besonders reges und, wie es damals schien, schwer erklärliches Interesse für diese Frage. Aber für Eingeweihte war die Sache schon damals klar. Die GPU welche im Laufe mehrerer Jahre einen Prozess gegen die «Trotzkisten-Terroristen» vorbereitete, war vollkommen sicher, dass vollständige «Geständnisse» die ganze Welt, darunter auch den künftigen Gerichtshof des Völkerbunds von der Richtigkeit der Anklage überzeugen und es ermöglichen würden, meine und meines Sohnes, Leo Sedows, legale Auslieferung in die Hände der GPU zu erlangen … Das war das nächstliegende und unmittelbare Ziel der Moskauer Initiative in der Frage des Internationalen Gerichtshofes. Ich habe in meinem Brief vom 22. Oktober 1936 den Gedanken geäußert, dass der Gerichtshof, welcher sich den Schutz der Regierungen der verschiedenen Staaten vor Terroristen zur Aufgabe macht, anderseits auch Privatpersonen, welche aus politischen Motiven von irgendeiner übelwollenden Regierung fälschlich des Terrorismus angeklagt werden, nicht seinen Schutz versagen darf. Darum glaubte und glaube ich ein Anrecht darauf zu haben, dass mein Fall vor dem künftigen Gerichtshof des Völkerbundes zur Verhandlung gelangt, ungeachtet dessen, dass offenbar die Sowjetregierung endgültig von dem Gedanken abgekommen ist, von meinen angeblichen «Verschwörungen» in Genf Hilfe zu suchen. Die unparteiische Internationale Kommission unter der Leitung des bekannten amerikanischen Philosophen und Pädagogen John Dewey hat nach fast neunmonatiger Arbeit ihre endgültigen Schlüsse aus den Moskauer Prozessen gezogen, und diese als böswillige Fälschung erklärt. Mit zahlreichen, unumstößlichen Beweismitteln, welche sich im Besitze der genannten Kommission befinden, bewaffnet bin ich jeden Augenblick bereit, vor den Gerichtshof des Völkerbundes zu treten, um noch einmal und endgültig meine Ankläger in Angeklagte zu verwandeln. Aber ich erlaube mir zu meinen, dass man jetzt schon nicht mehr bei diesem ersten Schritt Halt machen dürfe. Im Laufe des letzten halben Jahres wurde die Welt Zeuge einer Reihe wirklicher terroristischer Akte, welche in verschiedenen Ländern nach gemeinsamem Plan und unzweifelhaft mit dem gleichen Ziel begangen wurden. Ich meine hier nicht die Morde in der UdSSR, mit oder ohne Prozess, wo es sich so oder so um legalisierte Handlungen des Staatsapparates handelt, sondern die Akte offenen Banditismus auf internationalem Schauplatz. Der an Ignaz Reiss, einem ehemaligen GPU-Agenten, am 4. September 1937 in der Schweiz unweit Lausanne begangene Mord kann keinesfalls zu den legalisierten Akten gerechnet werden. Die schweizerischen und französischen Behörden sind im Besitze absolut erschöpfender, den wirklichen Organisator dieses Mordes entlarvende Beweise: dieser Organisator ist die GPU, die Geheimpolizei der UdSSR. Bei den gerichtlichen Untersuchungen im Falle der Ermordung I. Reiss' wurde beiläufig entdeckt, dass dieselbe Bande meinen Sohn, Leo Sedow, systematisch beobachtet hat und ihm in Mühlhausen im Januar 1937 ermorden wollte. Inwieweit die GPU mit dem plötzlichen Tode meines Sohnes am 16. Februar d J. in Verbindung steht, wird Sache einer besonderen Untersuchung sein. Unter den Papieren des Hauptmörders I. Reiss'. eines gewissen «Rossi», dem es rechtzeitig zu fliehen gelang, wurden Beweise dafür gefunden, dass er es versucht hatte, nach Mexiko zu gelangen mit Absichten, die sich auf Grund aller übrigen Umstände nicht schwer erraten lassen. Der wirkliche Name dieses beruflichen Mörders im Solde der GPU lautet: Roland Abbiat. Zeugen von höchster Autorität können dem Gericht erzählen, wie GPU-Agenten terroristische Akte gegen mich während meines Aufenthaltes in Europa und Mexiko vorbereiteten. Ich darf ferner auf die in Spanien erfolgte Entführung meines früheren Mitarbeiters Erwin Wolff hinweisen, eines tschechoslowakischen Staatsbürgers, der spurlos verschwunden ist. Weltbekannt wurden die in Spanien verübten Terrorakte gegen den katalanischen Revolutionär Andres Nin, den österreichischen Emigranten Kurt Landau, den Sohn eines russischen Emigranten, Mark Rhein und eine Reihe anderer Personen. Schon der Test der gerichtlichen und außergerichtlichen Untersuchungen. der bisher der Öffentlichkeit zugänglich wurde, genügt vollauf, um den internationalen Gerichtshof zum Eingreifen gegen die zentralisierte Maffia von Terroristen zu bewegen, die auf dem Territorium der verschiedenen Staaten arbeiten. Mit Hilfe von Dokumenten. Zeugenaussagen und unwiderleglichen politischen Argumenten erbiete ich mich etwas nachzuweisen, woran die Öffentlichkeit längst nicht mehr zweifelt, nämlich, dass das Haupt dieser Verbrecherbande Josef Stalin ist. der Generalsekretär der Kommunistischen Partei der UdSSR. Da der Volkskommissar für Äußeres der UdSSR, Herr Litwinow, sehr beredt auf der Notwendigkeit zur gegenseitigen Verpflichtung der Regierungen, sich die Terroristen auszuliefern, bestanden hat. so wird er es. hoffentlich, nicht ablehnen, seinen Einfluss dahin geltend zu machen, dass der obengenannte Josef Stalin als Haupt der internationalen Terroristenbande an den Gerichtshof des Volkerbundes überantwortet wird. Ich meinerseits bin bereit, alle meine Kräfte, Kenntnisse, Dokumente und persönlichen Beziehungen dem Gerichtshof zwecks völliger Aufdeckung der Wahrheit zur Verfügung zu stellen. L. Trotzki |
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