Leo Trotzki: Für die Befreiung der Kunst [Unser Wort. Halbmonatszeitung der IKD, Jahrgang 7, Nr. 2-3 (93-94), März 1939, S. 5] Lieber Breton, Von ganzem Herzen begrüße ich Ihre und Diego Riveras Initiative der Gründung der FIARI1 des Verbandes aller wahrhaft revolutionären und wahrhaft unabhängigen Künstler; warum nicht auch hinzufügen: der wahrhaften Künstler? Es ist Zeit! Die Erdkugel verwandelt sich in eine schmutzige und stinkende imperialistische Kaserne. Die demokratischen Helden, mit dem unnachahmlichen Daladier an ihrer Spitze, tun alles, was in ihren Kräften steht, um den faschistischen Helden zu gleichen (was die ersteren nicht daran hindert, sich bei den letzteren in einem Konzentrationslager zu befinden). Je unwissender und stumpfer der Diktator ist, desto mehr fühlt er sich berufen, die Entwicklung der Wissenschaft, der Philosophie und der Kunst zu bestimmen. Die blinde Unterwürfigkeit der Intelligenz ist ihrerseits ein wesentliches Symptom der Verfaulung der heutigen Gesellschaft. Frankreich bildet darin keine Ausnahme. Reden wir nicht von den Aragon, Ehrenburg und anderen kleinen Kanaillen. Erwähnen wir nicht die Herren, die mit gleichem Enthusiasmus die Biografie Jesu Christi und Josef Stalins schreiben (der Tod hat ihnen nicht Absolution erteilt); lassen wir beiseite den erbärmlichen, um nicht zu sagen schändlichen Abstieg Romain Rollands … Es hieße jedoch, die Selbstbeherrschung zu weit treiben, wollte man sich nicht bei dem Fall Malraux aufhalten. Ich habe seine ersten literarischen Schritte nicht ohne Interesse verfolgt. Schon zu jener Zeit fand sich bei ihm ein ausgeprägter Zug des Gekünstelten und Affektierten. Oft genug fühlte man sich peinlich berührt von der gewollt kalten Suche nach Heroismus bei andern. Immerhin war es unmöglich, ihm Begabung abzusprechen. Mit unzweifelhafter Kraft gelangte er zu den Gipfeln der menschlichen Gefühle, dem Heroismus im Kampf, dem tiefsten Schmerz, der Selbstaufopferung. Man konnte erwarten, – persönlich wollte ich es hoffen – dass der Sinn für den revolutionären Heroismus tiefer in die Nerven dieses Schriftstellers eintrat, die Pose aus ihm vertrieb und aus Malraux den bedeutenden Dichter einer Epoche der Katastrophen machte. Was wurde er in Wirklichkeit? Der Künstler wurde ein Reporter der GPU, der Lieferant eines bürokratischen Heroismus in Schützengräben von genau berechneter Länge und Breite (es gibt keine dritte Dimension). Während des Bürgerkrieges musste ich einen hartnäckigen Kampf gegen die ungenauen und lügenhaften Kriegsberichte führen, mit deren Hilfe die Kommandanten ihre Irrtümer, Misserfolge und Niederlagen in einem Sturzbach allgemeiner Phrasen zu verbergen suchten. Die gegenwärtige Produktion von Malraux besteht aus eben solchen lügenhaften Berichten vom Kriegsschauplatz (Deutschland, Spanien etc.). Die Lüge wird jedoch nur noch widerwärtiger, wenn sie sich in künstlerische Formen kleidet. Das Schicksal Malraux's ist symbolisch für eine ganze Schicht von Schriftstellern, fast für eine ganze Generation: die Leute lügen aus angeblicher «Freundschaft» für die Oktoberrevolution. Als ob die Revolution der Lüge bedürfe! De bedauernswerte Sowjetpresse beklagt sich – offenbar auf Befehl von oben – in der letzten Zelt unablässig über die «Verarmung» der wissenschaftlichen und künstlerischen Produktion in der Sowjetunion und wirft den russischen Schriftstellern und Künstlern vor, ihnen fehle es an Ehrlichkeit, Kühnheit und Schwung. Man traut seinen Augen nicht: die Boa constrictor hält dem Hasen eine Moralpredigt über Unabhängigkeit und Selbstrespekt! Ein abscheuliches und schändliches und dennoch unserer Epoche durchaus würdiges Bild. Der Kampf für die Ideen der Revolution in der Kunst muss seinerseits beginnen mit dem Kampf für die künstlerische Wahrheit, nicht im Sinne dieser oder jener Schule, sondern im Sinne der unerschütterlichen Treue des Künstlers gegenüber seinem inneren Ich. Ohne das gibt es keine Kunst. «Du wirst um keinen Preis lügen», nur in diesem Motto liegt das Heil. Die FIARI ist wohlverstanden keine ästhetische oder politische Schule und kann es nicht werden. Aber die FIARI kann die Atmosphäre reinigen, in der die Künstler atmen und schaffen müssen. Die wahrhaft unabhängige Schöpfung in unserer Epoche der krampfhaften Reaktion, des kulturellen Niedergangs und der Rückkehr zur Barbarei kann nicht verfehlen, durch ihren Geist selbst revolutionär zu sein, denn sie kann in einem unerträglichen sozialen Ersticken keinen Ausweg suchen. Aber möge die Kunst als Gesamtheit, möge jeder Künstler im besonderen diesen Ausweg mit eigenen Mitteln suchen, ohne auf irgendein Kommando von außen zu warten, ohne es zu dulden, indem er es zurückweist und alle diejenigen mit Verachtung bedenkt, die sich ihm unterwerfen. Eine solche Meinung unter dem besten Teil der Künstler zu schaffen, ist die Aufgabe der FIARI. Ich glaube fest, dass dieser Name in die Geschichte eingehen wird. Ihr Leo Trotzki. 1 Anmerkung der Redaktion [von „Unser Wort“]: Die FIARI ist eine Vereinigung unabhängiger Künstler, über deren Tätigkeit wir unsere Leser noch informieren werden |
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