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Leo Trotzki 19380400 Das Problem der Arbeiterpartei („Labor Party")

Leo Trotzki: Das Problem der Arbeiterpartei („Labor Party"1)2

[eigenen Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit den englischen und französischen Übersetzungen]

Die Frage der Labor Party war für revolutionäre Marxisten niemals eine Frage des „Prinzips". Wir sind immer von der konkreten politischen Lage und ihren Entwicklungstendenzen ausgegangen. Vor einigen Jahren, vor der Krise von 1929 und noch später, vor der Entstehung der CIO, konnte man hoffen, dass sich die revolutionäre, d.h. die bolschewistische Partei in den Vereinigten Staaten parallel zur Radikalisierung der Arbeiterklasse entwickeln werde und rechtzeitig da sein werde, um sie zu führen. Unter diesen Bedingungen wäre es sinnlos, eine abstrakte Propaganda zugunsten einer unbekannten „Arbeiterpartei" zu betreiben. Die Lage seit dieser Zeit hat sich jedoch radikal verändert (und es wäre unverzeihlich, die Augen davor zu verschließen).

Mächtig anwachsende Gewerkschaften unter den Bedingungen einer sich verschärfenden Krise des Kapitalismus werden auf den Weg des politischen Kampfes und damit auf den Weg des Zusammenschlusses3 in der Labor Party gedrängt und werden immer unwiderstehlicher auf ihn gedrängt. Wenn viele offizielle Gewerkschaftsführer trotz der gebieterischen Stimme der Lage und des zunehmenden Drucks der Massen eine mehr als reservierte Haltung in der Frage der Labor Party behalten, dann gerade deshalb, weil die tiefgreifende soziale Krise der bürgerlichen Gesellschaft der Frage der Labor Party eine viel größere Dringlichkeit als in allen vorangegangenen Perioden gibt. Dennoch kann man mit Sicherheit voraussagen, dass der Widerstand der Bürokratie gebrochen wird. Eine revolutionäre Organisation, die gegenüber dieser fortschrittlichen Bewegung eine negative oder neutral abwartende Haltung einnehmen würde, würde sich zu Isolation und sektiererischer Degeneration verdammen.

Die Socialist Workers Party (Sektion der Vierten Internationale)4 ist sich bewusst, dass ihre eigene Entwicklung aufgrund einer Reihe ungünstiger historischer Gründe hinter der Radikalisierung der breiten Teile des amerikanischen Proletariats zurückgeblieben ist und gerade deshalb stellt sich das Problem der Schaffung der Labor Party auf dem gesamten Entwicklungsweg. Die SWP beschränkt sich jedoch nicht wie die Stalinisten, der Lovestoneisten usw. auf die abstrakte Losung der Arbeiter- und Arbeiter- und Farmerparteien und lehnt die prinzipienlosen Spitzenkombinationen unter dem Deckmantel dieser Parole ab, sondern stellt ein System von Übergangsforderungen auf, um die Massenbewegung zugunsten der Labor Party zu befruchten.

Unter Beibehaltung ihrer vollständigen organisatorischen und politischen Unabhängigkeit führt die SWP einen systematischen und unerbittlichen Kampf gegen die konservative Gewerkschaftsbürokratie, die der Gründung der Labor Party entgegensteht oder sie zu einem Hilfswerkzeug einer der bürgerlichen Parteien machen will. Indem die SWP ihr Programm von Übergangsforderungen in Gewerkschaften, Versammlungen usw. erklärt und propagiert, entlarvt sie unermüdlich die reformistischen und pazifistischen Illusionen der Gewerkschaftsbürokratie und ihrer sozialdemokratischen und stalinistischen Verbündeten anhand der lebendigen Erfahrung der Massen.

Wann und wie die Labor Party gebildet wird und durch welche Etappen und Spaltungen sie gehen wird, wird die Zukunft zeigen. Die SWP verteidigt die Labor Party gegen die Angriffe der Bourgeoisie, übernimmt für diese Partei jedoch keine Verantwortung und wird sie nicht übernehmen. In allen Phasen ihrer Entwicklung steht die SWP der Labor Party kritisch gegenüber, unterstützt progressive Tendenzen gegen reaktionäre und kritisiert gleichzeitig unversöhnlich die Halbherzigkeit progressiver (zentristischer) Tendenzen. Für die SWP sollte die Labor Party einerseits eine Arena für die Rekrutierung revolutionärer Elemente sein, andererseits ein Transmissionsmechanismus zur Beeinflussung größerer Arbeiterkreise. Die Labor Party kann ihrem Wesen nach nur während einer relativ kurzen Übergangszeit ihre progressive Bedeutung behalten. Die weitere Verschärfung der revolutionären Lage wird unweigerlich die Hülle der Labor Party sprengen5 und der SWP erlauben, die revolutionäre Vorhut des amerikanischen Proletariats unter dem Banner der Vierten Internationale zu mobilisieren.

L. D. Trotzki

April 1938


1Im russischen Text verwendet Trotzki teils den amerikanischen Ausdruck „Labor Party“, teils den russischen Ausdruck für „Arbeiterpartei“, in den englischen und französischen Übersetzungen ist immer von Labor Party die Rede.

2 Trotzki sandte den Text mit folgender Bemerkung an die SWP: „Dies ist ein Rohentwurf einer Erklärung oder vielmehr ein Vorschlag für einen Entwurf. Die Erklärung sollte konkreter werden mit Bezug auf die bestehenden Arbeiterparteien, in dem Sinne, z.B. von Burnhams Artikel in der New International. Ich sende dieses kurze Dokument, um präziser zu machen, was ich in der Diskussion hier über die Labor Party gesagt habe."

3In der englischen und französischen Übersetzung: „der Kristallisation“

4In der englischen und französischen Übersetzung durch Kommas abgetrennt statt eingeklammert.

5In der englischen und französischen Übersetzung: „zerbrechen“

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