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Leo Trotzki 19380130 Brief an Suzanne LaFollette

Leo Trotzki: Brief an Suzanne LaFollette

(30. Januar 1938)

[eigene Übersetzung nach Léon Trotsky, Œuvres 16, janvier 1938 – mars 1938. Institut Léon Trotsky, Paris 1983, p. 128-130, unter dem Titel: „Quelques Précisions“, Einige Präzisierungen]

Sehr geehrtes Fräulein LaFollette,

1) Mein Essay über die Vereinigten Staaten von Europa wurde erstmals in der kleinen russischen Zeitung Nasche Slowo (Unser Wort) in Paris in einer Artikelserie in den Jahren 1915-1916 veröffentlicht. Im Jahr 1917 wurden diese Serien in Form einer Broschüre ausgearbeitet. Die Broschüre wurde in meinen Werken, Band 3, erster Teil veröffentlicht, beginnend auf Seite 70. Anmerkung 74 zu dieser Broschüre lautet: „Die Broschüre Das Friedensprogramm ist eine Bearbeitung von Artikeln, die L. D. Trotzki in Nasche Slowo in den Jahren 1915 und 1916 veröffentlichte."

Ich weiß nicht, aus welchem Blickwinkel Sie interessiert sind. Jedenfalls kann ich erwähnen, dass ich in meiner Eigenschaft als Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten die Idee der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa gegenüber John Reed zum Ausdruck gebracht habe.1 Sie können meine Unterhaltung mit ihm in seinem berühmten Buch finden. Niemand in der Partei war damals gegen das Programm der Vereinigten Sozialistischen oder Sowjetstaaten von Europa. Im Jahr 1923 wurde diese Losung offiziell vom Politbüro der Partei und dem Exekutivkomitee der Komintern angenommen. Dies kann gegebenenfalls problemlos nachgewiesen werden. Der Kampf gegen diese Losung begann später, mehr oder weniger gleichzeitig mit der Verteidigung der Idee des Sozialismus in einem Land.

2) Meine Kommentare zur Kapitulation Smirnows und Boguslawskis wurden in der russischen Zeitschrift Bjulleten Oppositzii Nr. 7, November-Dezember 1929, S. 10, 11 und 12 unter dem Titel „Über den Sozialismus in einem Land und Ideenlähmung" veröffentlicht.

3) Leider kann ich Ihnen die russische Quelle der Erklärung Sinowjews und Kamenews nicht nennen, die auf Seite 113 des Berichts der Vorkommission erwähnt wird. Hier ist die Geschichte dieser wichtigen Episode: Am 31. Oktober 1931 veröffentlichte die deutsche stalinistische Zeitung Die Rote Fahne eine halboffizielle Mitteilung über die Vorbereitung einer terroristischen Aktion gegen mich durch den russischen General Turkul. Ich war damals in der Türkei. Die Hauptbasis Turkuls lag auf der Balkanhalbinsel (Bulgarien, Jugoslawien). Es war klar, dass GPU sich durch die Rote Fahne ein Alibi vorbereitete. Oppositionelle Organisationen in verschiedenen Ländern starteten sofort eine Kampagne gegen Stalin und GPU, die mich in der Türkei der Gefahr der Bedrohung durch Turkul und anderen Weißgardisten aussetzten. Die Opposition gab Flugblätter heraus, versuchte in sowjetischen Botschaften empfangen zu werden (diese Kampagne spiegelte sich sicherlich in The Militant wider). Im Zusammenhang mit dieser Kampagne schrieb ich dem Moskauer Politbüro einen Brief vom 4. Januar 1932 über Stalins politische Verbrechen in China, Deutschland und anderswo, und ich erklärte, dass Stalin versuchen würde, seine Gegner physisch auszurotten. Ich zitierte Sinowjew und Kamenew, die mir nach dem Bruch mit Stalin im Jahre 1926 mitgeteilt hatten, dass Stalin 1924/25 bereits über meine Ermordung nachgedacht habe. Er gab diese Idee auf, die damals zu gefährlich war. „Wenn Stalin Sinowjew und Kamenew zwingen würde, ein Dementi ihrer alten Aussage zu schreiben", fuhr ich fort, „würde ihnen niemand glauben.“ Ich habe meinen Brief nicht veröffentlicht, weil mir solche Enthüllungen im Januar 1932 für die bolschewistische Partei zu kompromittierend erschienen. Ich sandte diesen Brief nur als Warnung an das Politbüro, mit dem Vermerk „streng vertraulich".

Das Politbüro konnte seinerseits nicht beurteilen, wie weit ich in meinen Enthüllungen gehen würde. Unter Vermittlung der Komintern verbreitete es in Frankreich einen Brief mit dem rituellen „Dementi“ Sinowjew-Kamenews, das Herr Goldman während der Befragungen zitierte. Um seinen Apparat auf mögliche Enthüllungen und Anschuldigungen meiner französischen Freunde vorzubereiten, schickte das Zentralkomitee der stalinistischen Partei Frankreichs dieses Dementi an die örtlichen Sekretäre. Zu dieser Zeit hatten wir Freunde im stalinistischen Apparat in Frankreich und von ihnen erhielt ich ein oder zwei Exemplare dieses Briefes, natürlich auf Französisch. Das war die wahre Quelle unserer Information.

Ich weiß nicht, ob Sie den oben erwähnten und zitierten Brief vom 4. Januar 1932 brauchen. Natürlich kann man, wenn nötig, Herrn und Frau Rühle die Kopie zeigen. Der Brief endet wie folgt: „Dieses Dokument wird in einer begrenzten, aber völlig ausreichenden, Anzahl von Exemplaren in verschiedenen Ländern in sicheren Händen aufbewahrt werden: Sie sind also gewarnt."

4) Der wirkliche Name von Herrn Tarow ist Arben A. Davtian. Er ist armenischer Herkunft, aus dem Kaukasus. Ich füge einen Originalbrief von ihm bei, den er am 4. August 1935 geschrieben und nach seiner Flucht aus der Deportation von Persien nach Paris geschickt hat. Dieser Brief kann als Originaldokument zu den Beweisstücken der Kommission hinzugefügt werden.

Ich hoffe, dass diese Information genügen wird. Wenn der endgültige Entwurf des Berichts hier eintrifft, werden wir ihn mit der nötigen Aufmerksamkeit lesen, aber ich hoffe, Sie werden ihn auch Herrn J F geben, der bestimmte Fakten, Daten, Namen usw. besser als wir alle hier kennt.

1Tatsächlich war Trotzki zu diesem Zeitpunkt noch nicht Volkskommissar [Der Übersetzer]

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