Leo Trotzki: Brief an Rae Spiegel 29. Juni 1938 [eigene Übersetzung aus dem Englischen, ergänzt nach der französischen Übersetzung, dort unter dem Titel „Für eine offene Polemik mit den Liberalen“ bzw. „Sich von den Liberalen abgrenzen“] Liebe Rae: Joe teilte mir die Nachricht aus Ihrem Brief mit, dass mein Artikel über die Moral bei Dr. Dewey, Sidney Hook und anderen große Unzufriedenheit hervorruft und dass sie meine schlechte Philosophie zerschlagen wollen. Ich bin sehr froh, das zu hören. Mit den ehrlichen Liberalen und Radikalen haben wir eine „Einheitsfront" mit einem praktischen Ziel: eine Justizfälschung zu entlarven. Aber in jeder ehrlichen Einheitsfront verzichtet keine der beiden Parteien auf ihr Recht auf freie Kritik. Dr. Dewey machte weidlich Gebrauch davon sogar bei seiner Urteilsverkündung über den Rundfunk. In dieser Hinsicht waren unsere Genossen meiner Meinung nach zurückhaltender, sogar zu zurückhaltend. Eine offene Polemik wird die Dinge in ihren natürlichen Proportionen und Beziehungen wiederherstellen. Ich hoffe, dass Max Eastman auch antworten wird. Der sehr verwirrte und zweideutige Charakter seiner Freundschaft zu uns ist extrem nachteilig für unsere Bewegung. Freunde, die über uns sagen: „Sie sind sehr gute Menschen, intelligent, ehrlich, bewundernswert mutig, aber ... ihre Theorie ist schlecht, ihre Politik ist falsch, sie sind unfähig, eine Organisation usw. zu schaffen" sind die schlimmsten, gefährlichsten Feinde der Vierten Internationale. Besser gesagt, sie sind umso gefährlicher, je diplomatischer und toleranter wir sind. Eine offene Abgrenzung von diesen Freunden ist absolut notwendig. Jeder junge Arbeiter oder Intellektuelle, der sich für uns interessiert, muss wissen, dass diese Freunde dem Lager der radikalen bürgerlichen Demokratie angehören und nicht dem revolutionären Lager des Proletariats. Nur unter diesen Bedingungen kann die „Freundschaft“ in bestimmten Fällen für beide Seiten nützlich sein. Dasselbe trifft doppelt auf einen so kläglichen Philister zu wie Eugen Lyons, der an den Banketten des Pioneer Publishers teilnimmt und unmittelbar danach einen Vortrag vor weißgardistischen Russen hält und ihnen erklärt, dass die armen „Trotzkisten“ nur Überbleibsel einer verurteilten Vergangenheit seien. Nein, Gott schütze uns vor solchen Freunden. Meine herzlichsten Grüße an Sie und Max. Wo sind Sie? Haben Sie einen Job gefunden? Wir arbeiten hier hart mit Sara am Stalin-Buch, das sehr schnell voranschreitet. Beste Grüße, Leo Trotzki1 1In der französischen Übersetzung folgt ein Postskriptum: „P.S. Dass die armen Akrobaten vom Modern Monthly gezwungen sind, sich von uns abzugrenzen, ist ein ausgezeichnetes Symptom. Niemand kann uns so sehr kompromittieren wie Calverton und Co. Indem sie sich abgrenzen, helfen sie uns, der jüngeren Generation zu zeigen, dass wir aus einem ganz anderen Holz sind.“ |
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