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Leo Trotzki 19380301 Brief an Henri Molinier

Leo Trotzki: Brief an Henri Molinier

(1. März 1938)

[eigene Übersetzung nach Léon Trotsky, Œuvres 16, janvier 1938 – mars 1938. Institut Léon Trotsky, Paris 1983, pp. 214-216, unter dem Titel: „Questions après la Mort de Sedov“, Fragen nach dem Tode Sedows, verglichen mit der englischen Übersetzung]

Lieber Freund,

Wir haben Ihren Brief erhalten, der uns die ersten Einzelheiten über das Geschehen gab. In dem von Jeanne unterzeichneten Bericht fällt eine Sache auf. Die Situation des Patienten nach der Operation ist vier Tage1 lang günstig, dann tritt eine plötzliche Veränderung ein. Er irrt im Delirium in den Korridoren des Krankenhauses herum. Der Chirurg geht bei dieser abrupten Veränderung so weit, zu fragen, ob der Patient nicht beabsichtigte, Selbstmord zu begehen. Diese Tatsache scheint mir fundamental. Selbstmord konnte nur Gift bedeuten, jedenfalls kein Revolver. Warum konnte dieses Gift nicht von jemand anderem kommen? Aber sofort lehnen die Ärzte die Hypothese eines Mordes durch Vergiftung ab. Wie erklärt man diesen Widerspruch? Ich gebe zu, dass ich nichts verstehe. Bis die Frage Thalheimers über die Möglichkeit eines Selbstmordversuch nicht klar geklärt ist, bleibt es ein vollständigen Rätsel.

Die Gestalt der russischen Krankenschwester tritt in diesem eher finsteren Zusammenhang auf. Der von Jeanne unterzeichnete Bericht besagt, dass diese Krankenschwester nicht nur daran interessiert war, was der Patient im Delirium auf Russisch sagte, sondern dass sie versuchte, von ihm ein paar vertrauliche Informationen zu erlangen, indem sie ihn befragte. Hat sie Jeanne oder anderen Freunden Leos einen Bericht oder eine Mitteilung über den Inhalt dieses Wahns gemacht? Wenn nicht, musste sie ihn jemand anders melden. Auch diese Frage bleibt unklar. Vielleicht erscheinen Dinge aus der Ferne anders als vor Ort, aber ich kann mich nur auf den Text dieses Berichts stützen.

Jetzt die Frage der Archive. Die Wichtigkeit dieser Frage ist Ihnen klar, aber sie ist jetzt wegen des neuen Prozesses äußerst akut. Zumindest müssen Dokumente und Briefe, die verwendet werden können, um neue Verleumdungen zu widerlegen, so bald wie möglich verwendet werden. Das ist es, was ich im Einvernehmen mit Natalia vorschlage. Wir geben unsererseits ein Mandat für eine Kommission, die aus AR, Paulsen und GR oder AB besteht (sie müssen es untereinander entscheiden). Diese Kommission aus dreien, oder sogar allen vieren, wenn es sich als bequemer erweist, sollte durch Sie in Beziehung zu Jeanne treten, weil Sie, lieber Freund, uns als der passendste Mann erscheinen, um die Frage des befriedigendsten Weges zu regeln. Die Aufgabe dieser Kommission ist zweifach: a) sofort verwendbare Dokumente zu mobilisieren, indem man Photostate erstellt; b) mit Ihnen die Übermittlung dieser Dokumente unter den Bedingungen absoluter Sicherheit in den Vereinigten Staaten zu arrangieren.

Natalia und ich möchten auch möglichst bald alle unsere Briefe an Ljowa haben, auch seine alten an uns geschriebenen Briefe, die in den Archiven in Paris aufbewahrt wurden.

Was Siewa angeht, ist es uns sehr peinlich, von hier aus Vorschläge zu machen. Wir lassen im Moment alle Möglichkeiten offen. Natalia wartet auf Jeannes Vorschläge. Ich glaube meinerseits, dass der Junge selbst zumindest eine beratende Stimme in dieser Angelegenheit haben muss.

Der „praktische" Charakter dieses Briefes erklärt seinen Ton. Unsere Dankbarkeit ist sehr tief. Sie werden als ein unerschütterlicher Freund alles zu tun wissen, was zu tun ist.

Unsere herzlichsten Grüße.

Ich sende Ihnen eine Kopie eines Briefes, den Van dem französischen bevollmächtigten Vertreter hier persönlich anvertraut hat.

1In der englischen Übersetzung „vier Stunden“.

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