Leo Trotzki: Brief an die Redaktion einer der mexikanischen Zeitungen [Eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der englischen und französischen Übersetzung, dort unter dem Titel „Terrorismus und die Morde an Rasputin und Nikolaus II.“ bzw. „Die Ermordung Rasputins und die Hinrichtung Nikolaus II,] Sie fragen mich, was meine persönliche Beteiligung an der Ermordung Rasputins und der Hinrichtung Nikolaus' II. war? Ich bin überrascht1, dass diese Fragen, die längst der Geschichte angehören, jetzt die Periodika- Presse interessieren können. Dinge aus vergangenen Tagen … Zur Ermordung Rasputins hatte ich natürlich nicht die kleinste Beziehung. Rasputin wurde am 30. Dezember 1916 getötet. Zu dieser Zeit war ich auf einem Dampfer, der mich und meine Familie2 von Spanien in die Vereinigten Staaten brachte. Schon die geografische Distanz zeigt, dass ich nicht an diesem Unternehmen beteiligt sein konnte. Aber es gab auch ernsthafte politische Gründe. Mit dem individuellen Terror hatten die russischen Marxisten nichts gemeinsam; sie waren die Organisatoren der revolutionären Massenbewegung. Tatsächlich wurde der Mord an Rasputin von Elementen höfischen Charakters begangen. Direkt an dem Mord beteiligt waren: ein ultrareaktionärer Dumaabgeordneter, der Monarchist Purischkewitsch, Fürst Jussupow, ein Verwandter der Zarenfamilie, und andere Personen gleichen Typs; es scheint, dass eine unmittelbare Rolle bei der Vorbereitung3 des Mord einer der Großfürsten gespielt hat, Dmitri Pawlowitsch. Das Ziel all dieser Verschwörer war die Rettung der Monarchie durch die Eliminierung des „schlechten Ratgebers". Unser Ziel war der Sturz der Monarchie mit allen ihren Ratgebern. Wir beschäftigten uns nicht mit den Abenteuern individueller Morde, sondern mit der Vorbereitung der Revolution. Die Ermordung Rasputins hat, wie bekannt, die Monarchie nicht gerettet. Sie ging der Revolution nur zwei Monate voraus. Was die Hinrichtung des Zaren betrifft, so war die Situation hier völlig anders. Nikolaus II. wurde von der provisorischen Regierung arretiert, zuerst in St. Petersburg festgehalten und dann nach Tobolsk geschickt. Aber Tobolsk, eine kleine Stadt, ohne Industrie und ohne Arbeiter, war für den Zaren kein ausreichend zuverlässiger Wohnsitz: Man konnte von Seiten der Konterrevolutionäre Versuche erwarten, ihn zu befreien, um sich in seinem Namen4 an die Spitze der weißen Bewegung zu stellen. Die Sowjetmacht verbrachte den Zaren von Tobolsk nach Jekaterinburg (im Ural), einem der wichtigsten Industriezentren. Hier konnte man sicher sein, dass die Aufsicht über den Zaren ziemlich streng sein würde. Die Zarenfamilie lebte in einem Privathaus und genoss hinreichend Freiheit. Man nahm an – aber es war nur ein Plan –, man werde einen öffentlichen und offenen Prozess gegen den Zaren und die Zarin organisieren. Der Verlauf des Bürgerkriegs entschied jedoch anders. Weiße Banden umzingelten Jekaterinburg und konnten von Stunde zu Stunde in die Stadt eindringen. Ihre Hauptaufgabe war die Befreiung der Zarenfamilie. Unter diesen Bedingungen beschloss der örtliche Sowjet, den Zaren und seine Familie hinzurichten. Ich persönlich befand mich zu dieser Zeit in einem anderen Sektor der Front und erfuhr seltsamerweise erst nach eine Woche von der Hinrichtung, wenn nicht später. Im Strudel der Ereignisse hinterließ das Faktum der Exekution bei mir keinen großen Eindruck. Ich interessierte mich nie für die Frage, „wie“ es geschah. Ich muss hinzufügen, dass das spezifische Interesse am Schicksal gekrönter oder ex-gekrönter Personen einen tüchtigen Anteil Sklaveninstinkten beinhaltet. Während des Bürgerkriegs, der 5von den russischen Gutsherren und Kapitalisten mit Hilfe ausländischer Imperialisten hervorgerufen wurde, wurden Hunderttausende Menschen getötet. Wenn unter sie die Mitglieder der Romanow-Dynastie fielen, dann kann man darin nur eine gerechte Vergeltung für alle Verbrechen der Zarenmonarchie sehen. Mexikaner, die mit Kaiser Maximilian6 abgerechnet haben, haben in dieser Hinsicht eine gute Tradition. L. D. Trotzki 14. November 1938, Coyoacán 1 In der englischen Übersetzung: „bezweifle“ 2 In der englischen Übersetzung: „Frau“ 3 Fehlt in der englischen Übersetzung 4 In der englischen und französischen Übersetzung statt „sich in seinem Namen“ „ihn“ 5 In der englischen und französischen Übersetzung eingefügt: „ausschließlich“ 6 In der englischen Übersetzung: „Maximilians Kaiserstaat“ |
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