Leo Trotzki: Brief an das Internationale Sekretariat (21. Januar 1938) [eigene Übersetzung nach Léon Trotsky, Œuvres 16, janvier 1938 – mars 1938. Institut Léon Trotsky, Paris 1983, S. 104-106, dort unter dem Titel „Conclusion d’une longue expérience“, Schlussfolgerung aus einer langen Erfahrung] Liebe Genossen, Es ist durchaus möglich, dass mein früherer Brief nicht explizit genug war, da er Ihnen nahelegte, dass ich mich bezüglich der Haltung und Pläne von Genosse Sneevliet täusche. Nein, nach fünf Jahren ununterbrochener Erfahrung kann ich mir leider nicht die geringste Illusion leisten. Der einzige Vorwurf, den wir uns machen können – und ich schließe mich nicht aus –, ist derselbe wie im Falle Nins, wir waren zu geduldig, zu nachsichtig, zu tolerant gegenüber der Haltung des Genossen Sneevliet. In solchen Fällen ist es immer schwierig zu bestimmen, wann man zum offenen Kampf übergeht. Ich glaube, dieser Moment wurde durch die Intervention Sneevliets in der spanischen Frage festgelegt. Seine Haltung in dieser Angelegenheit war ein offener Verrat an den grundlegendsten Prinzipien des revolutionären Marxismus und all unseren Entscheidungen. Er und seinesgleichen flößten der Führung der POUM ein wenig mehr Vertrauen in ihre Verwirrung und ein wenig mehr Misstrauen gegenüber dem revolutionären Marxismus ein. Das Ergebnis kennen wir. Leider gab es gerade in diesem Augenblick die Moskauer Prozesse, die Internierung usw. Alle unsere Sektionen wurden von diesen neuen Fragen absorbiert, und die niederländische Angelegenheit zog sich weiter hin. Das IS hat seine Pflicht getan. Alles, was das IS über und gegen Sneevliet schrieb, war und bleibt absolut richtig. Das ist genau der Grund, warum Sneevliet es niemals wagte, mit politischen Argumenten zu antworten, indem er – das ist seine Art – zu absolut unerträgliche und in keiner Weise gerechtfertigte Beleidigungen griff. Sneevliet hat nicht das geringste Interesse am Marxismus, an der Lehre, an der allgemeinen Orientierung. Was ihn interessiert, ist die NAS, eine kleine bürokratische Maschine, ein parlamentarischer Posten. Sneevliet benutzte die Flagge der Vierten Internationale besonders, um seine opportunistische Arbeit in Holland zu schützen. Da die NAS finanziell völlig von der Regierung abhängig ist, vermied Sneevliet jede präzise, das heißt marxistische, Politik, um nicht den Bannstrahl der Regierung gegen die NAS hervorzurufen. Die RSAP war und bleibt nur ein politisches Anhängsel der NAS, die selbst nicht lebensfähig ist und in den letzten Jahren von 25.000 auf 12.000 Mitglieder und vielleicht sogar noch weniger gefallen ist. In der spanischen Frage, in der Frage der Volksfront, ganz zu schweigen von der niederländischen Innenpolitik, nimmt Sneevliet eine Position ein, die der der Parteien des Londoner Büros in keiner Weise überlegen ist. Außerdem hat er nie seine Doppelmitgliedschaft, im IS und dem Londoner Büro versteckt. Praktisch hat er die Verbindungen mit dem IS seit, glaube ich, einem Jahr oder mehr abgebrochen. Er nutzte diese Zeit, um seine Organisation auf den endgültigen Bruch vorzubereiten. Er hat sich immer geweigert, eine ehrliche Diskussion über die Unterschiede zu führen. In der Reiss-Frage handelte er völlig illoyal gegenüber der russischen Sektion, was wesentlich zum tragischen Ergebnis beitrug. Das IS hat meiner Meinung nach alles getan, um die Zusammenarbeit zu erleichtern, und wir können ihm nicht vorwerfen, dass es ihm nicht gelungen ist, die Natur der Führung des RSAP zu ändern, die grundsätzlich opportunistisch, trade-unionistisch und antimarxistisch ist. Dies ist der unumstößliche Abschluss einer langen Erfahrung. Wenn ich Sie bitte, einen weiteren Brief an Sneevliet zu schreiben, ihn zur internationalen Konferenz einzuladen und die Teilnahme seiner Partei an der internationalen Diskussion zu fordern, dann nicht, weil ich mir persönlich die geringsten Illusionen machen würde, sondern weil ich den Eindruck habe, dass andere Sektionen, besonders jene in der Neuen Welt, die organische Entwicklung des Falles nicht ausreichend verfolgt haben und dass jemand das Gefühl haben könnte, dass es die „schlechten Methoden" des IS und nicht der organische Opportunismus der Führung des RSAP seien, die Sneevliet zum Bruch mit der Vierten Internationale und zum späteren Beitritt zum Londoner Büro gestoßen haben (ich hoffe, niemand hat vergessen,, dass Sneevliet mit Hartnäckigkeit die Resolution unserer letzten internationalen Konferenz über London bekämpft hat. Nicht überraschend, er fühlte sich angegriffen). Am 2. Dezember 1937 schickte ich Sneevliet einen persönlichen Brief, in dem ich den letzten Versuch unternahm, seine Antwort zu provozieren. Er antwortete nicht auf diesen Brief. Ich sende eine Kopie an alle Sektionen. Die niederländische Frage muss ihren Platz in der internationalen Diskussion vor der Konferenz einnehmen. Zuerst geht es darum, Sneevliets gewerkschaftliche Erfahrung zu analysieren, um die Möglichkeit einer ähnlichen Politik in anderen Sektionen ein für alle Mal auszuschließen. Wir sehen, dass man hier und da mit der Idee dieser eigenen Gewerkschaft spielt. Diese Politik bedeutet die unvermeidliche Krise. Die Vierte Internationale kann diese Politik in ihren Reihen nicht tolerieren, ohne sich zum Tode zu verdammen. In dieser Frage wie in anderen zeigt die niederländische Erfahrung, was man nicht tun darf. Ich sende gleichzeitig einen offenen Brief an die Presse der RSAP und ich füge Ihnen eine Kopie bei. |
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