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Leo Trotzki 19381111 Brief an Albert Goldman

Leo Trotzki: Brief an Albert Goldman

[Eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit den französischen und englischen Übersetzungen, dort unter den Titeln „L'Intrigue stalinienne“, die Stalinsche Intrige und „Can the Daily News be Sued?“, Können die Daily News verklagt werden?]

An den Rechtsanwalt Albert Goldman,

Chicago

Werter Freund!

Ich möchte mich an Sie wenden wegen Hilfe bei einer komplizierten Intrige, die Stalins Agenten um mich herum knüpfen. Sie wissen, dass die New Yorker Zeitung Daily News zum dritten Mal, wie es scheint, Leitartikel veröffentlicht, in denen erwähnt wird, dass die Enteignungspolitik der Regierung von General Cárdenas … das Ergebnis meines Rates sei. Man muss die Absurdität dieser Aussage nicht erklären. Aber falls es zu einem Prozess kommen sollte, informiere ich Sie: Ich hatte kein einziges Treffen mit General Cárdenas, ich hatte keine Gespräche weder mit ihm noch mit Mitgliedern seiner Regierung, weder direkt noch über Vermittler, und meine Korrespondenz mit den Behörden beschränkte sich auf formelle Fragen im Zusammenhang mit meinem Aufenthalt in Mexiko. Die Autoren der Unterstellungen in der Daily News und anderen Publikationen sind sich der Unabhängigkeit und Entschlossenheit des Charakters von General Cárdenas bewusst, der meinen „Rat" nicht braucht, um seine eigene Politik zu verfolgen. Man muss auf der anderen Seite nicht sagen, dass das Programm, für das ich mich einsetze, extrem weit vom Programm der mexikanischen Regierung entfernt ist. Jeder lese- und schreibkundige Mensch1 weiß das. Kein redlicher Mensch würde das bestreiten. Aber wir haben es mit Menschen zu tun, die zwar lese- und schreibkundig, aber offensichtlich unredlich sind.

Mein erster Gedanke war, dass die Intrige von beleidigten Eigentümern geleitet wird, die nach Wegen suchen, die mexikanische Regierung auf die eine oder andere Weise zu „kompromittieren". Ich denke auch jetzt, dass es diesen Faden in der Intrige gibt. Aber der andere Faden, der Hauptfaden, führt zu den Stalinisten. Diese Herren spielen ihr Spiel gleichzeitig in zwei Richtungen. Die lokalen Agenten der GPU begannen damit, mich in öffentlichen Reden und Artikeln (Toledano, Laborde) zu beschuldigen, einen Aufstand gegen General Cárdenas im Bündnis mit faschistischen Generälen usw. vorbereitet zu haben. Die Absurdität dieser Erfindungen war jedoch für alle zu deutlich, und die Intrige in dieser Richtung erschöpfte sich sehr bald. (In einer Minute der Erleuchtung oder in einer Minute der Fahrlässigkeit hat Toledano selbst zugegeben, dass eine solche Anschuldigung nur … verrückte Menschen erheben können). Es stimmt, Menschen, die nichts zu verlieren haben, fahren fort, den gleichen Unsinn zu wiederholen. Aber die Hauptaufmerksamkeit der GPU wird auf eine andere Ebene verlegt. Nun stellt sich heraus, so glaubt Toledano, dass ich selbst bestrebt bin, den Eindruck zu erwecken, dass ich … ein Berater für die Regierung von General Cárdenas sei. Niedertracht wie auch Unsinn haben keine Grenzen, wie Sie sehen können! Muss ich Ihnen erklären, wie sehr ich das Asyl in Mexiko schätze und wie sehr ich daran interessiert bin, dass die Regierung nicht eine Minute lang an meiner vollständigen Loyalität zweifelt? Aus welchen Gründen sollte ich mich als etwas ausgeben, was ich nicht bin und was ich nicht im Geringsten sein will? Offensichtlich im Interesse des … Ehrgeizes2. Die Verleumder verraten hier völlig ihre eigene geistige und moralische Größe!

Aus einer gut informierten Quelle erhielt ich die Nachricht, dass der Anreger für die Artikel der Daily News ein gewisses X ist, ein Mitglied der stalinistischen Partei in den Vereinigten Staaten und ein Mitarbeiter der Federated Press. Ich füge hier eine schriftliche Erklärung zu dieser Frage bei, die noch vertraulich zu behandeln3 ist. Die Mechanik der Provokation ist völlig klar: auf der einen Seite übermitteln Stalins Agenten offensichtlich falsche Botschaften an die Daily News, indem sie den bösen Willen der reaktionären Zeitung der großen Eigentümer ausnutzen; auf der anderen Seite wird das Erscheinen dieser Artikel (durch Toledano und Co.) genutzt, um den Eindruck zu erwecken, dass ich selbst ihr Anreger bin. Schließlich besteht der zusätzliche „Gewinn" dieser Herren darin, dass sie meine Einwände und Widerlegungen sofort als meine „Einmischung" in das innere Leben Mexikos interpretieren. Es gibt keine Grenzen der Niedertracht! Die gesamte Mechanik der Provokation trägt einen ganz deutlichen Stempel, der aus drei Buchstaben besteht: GPU. Den gleiche Stempel kann man auf den starrsinnigen4 Stirnen der Herren Verleumder leicht erkennen.

Der Zweck dieses Briefes besteht darin, Ihnen, lieber Freund, eine juristische Frage zu stellen: Gibt mir das Gesetz der Vereinigten Staaten die Möglichkeit, einen Prozess gegen die Daily News zu eröffnen und die Provokateure auf diese Weise ans Tageslicht zu bringen5? Ich hoffe, es gibt einen Paragraphen, der Zeitungsleute6 dafür bestraft, falsche Informationen zu verbreiten, um einer bestimmten Person materiellen und moralischen Schaden zuzufügen. Und es geht um großen Schaden: Die ganze Bande versucht, mich und meine Frau des Asyls in Mexiko zu berauben und uns in die Hände der Henker der GPU zu drängen. Lassen Sie mich hinzufügen, dass der letzte Artikel in der Daily News (New York) vom 29. Oktober 1938 besagt, dass der Verkauf von mexikanischem Öl an Japan und Italien auf meine Empfehlung hin erfolgt, und mein Ziel ist … militärischen Schaden der Sowjetunion zuzufügen. Diese Aussage zielt eindeutig darauf ab, meine politische Ehre zu diskreditieren, und ich glaube, sie entspricht voll und ganz den Strafrechtsparagraphen des amerikanischen Rechts, die die moralischen und materiellen Interessen einer Person und eines Bürgers schützen.

7herzlich Ihr ergebener

L. Trotzki

11. November 1938 Coyoacán

1In der englischen und französischen Übersetzung: „Jeder [Mensch], der kein Analphabet ist“

2 In der englischen und französischen Übersetzung: „Stolzes“

3 In der englischen und französischen Übersetzung: „noch nicht veröffentlicht“

4 Wörtlich „ehernen Stirnen“, eine Anspielung auf die biblische Redewendung in Jesaja 48, 4, fehlt in der englischen und französischen Übersetzung.

5 Wörtlich „an frisches Wasser zu bringen“, in der englischen Übersetzung: „entlarven“, in der französischen: „demaskieren“

6 In der englischen und französischen Übersetzung: „Journalisten“

7 Der Schluss fehlt in der englischen und französischen Übersetzung

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