Leo Trotzki: Betreffend den Tod Leo Sedows [Eigene Übersetzung nach der Wiedergabe einer Kopie, die in den Archiven von Trotzki an der Harvard University aufbewahrt wird, im Ordner bMs Russ 13 Т-4279 — /И-R/, verglichen mit den englischen und französischen Übersetzungen] Die Wunde ist immer noch zu frisch, und es ist schwer für mich, über Leo Sedow wie über einen Toten zu reden, der nicht nur mein Sohn, sondern auch mein bester Freund war. Aber auf eine Frage muss ich sofort antworten: Das ist die Frage nach den Ursachen für seinen Tod. Ich muss von Anfang an sagen, dass mir keine direkten Daten zur Verfügung stehen, die es erlauben würden zu sagen, dass der Tod von L. Sedow die Arbeit der GPU ist. In den Telegrammen, die meine Frau und ich aus Paris von Freunden erhalten haben, gibt es nichts weiter als das, was in den Nachrichten der Telegraphenagenturen steht. Ich möchte jedoch einige indirekte Informationen geben, die jedoch für die gerichtliche Untersuchung in Paris von großer Bedeutung sein können. 1) Es ist nicht wahr, dass mein Sohn an chronischer Darmerkrankung litt. Der Bericht über diese Krankheit war für seine Mutter und für mich eine völlige Überraschung. 2) Es stimmt nicht, dass er in den letzten Wochen ernsthaft krank war. In meinen Händen ist der letzte Brief, den ich von ihm erhielt, vom 4. Februar. In dem Brief, der sehr optimistisch im Ton ist, wird kein Wort über eine Krankheit gesagt. Der Brief zeigt im Gegenteil, dass L. Sedow gerade in Zusammenhang mit dem anstehenden Prozess der Reiss-Mörder in der Schweiz sehr aktive Aktivitäten entwickelte und diese fortsetzen wollte. 3) L. Sedows Tod erfolgte offenbar in der Nacht vom 15/16. So vergingen nur 11 Tage zwischen dem Brief und dem Tod. Mit anderen Worten, die Krankheit hatte einen vollkommen plötzlichen Charakter. 4) Es besteht natürlich kein Grund, die Unparteilichkeit der forensischen Untersuchung anzuzweifeln, unabhängig von ihren Schlussfolgerungen. Ohne ein Experte zu sein, erlaube ich mir jedoch, auf einen wichtigen Umstand hinzuweisen: Wenn man eine Vergiftung in Betracht zieht, muss man sich daran erinnern, dass es sich nicht um gewöhnliche Giftmörder handelt. Der GPU stehen so außergewöhnliche wissenschaftliche und technische Mittel zur Verfügung, dass die Aufgabe der forensischen Untersuchung mehr als schwierig sein kann. 5) Wie konnte die GPU Zugang zu meinem Sohn finden? Auch hier kann ich nur hypothetisch antworten. In der letzten Periode gab es mehrere Fälle des Bruchs von GPU-Agenten mit Moskau. Alle Brechenden suchten natürlich Kontakt zu meinem Sohn, und er ging – mit dem Mut, der ihn in all seinen Handlungen auszeichnete – immer zu solchen Treffen. Gab es in Verbindung mit diesen Brüchen irgendwelche Fallen? Ich kann diese Annahme nur vorschlagen. Überprüfen müssen sie andere. 6) Die französische kommunistische Presse schenkte Leo Sedow große Aufmerksamkeit, natürlich feindselige. Keine der kommunistischen Zeitungen hat jedoch eine einzige Zeile über seinen Tod geschrieben (siehe die Telegramme aus Paris). So war es auch nach der Ermordung von Ignaz Reiss in Lausanne. Diese Art von „Vorsicht" wird besonders bedeutsam, wenn man berücksichtigt, dass in den für Moskau akuten Fragen die französische Presse der Komintern direkte Weisungen von der GPU durch den alten GPU-Agenten Jacques Duclos und andere erhält. Ich behaupte nichts. Ich berichte nur Fakten und stelle Fragen. 18. Februar, 1 Uhr mittags, 1938 Coyoacan L. Trotzki
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