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Leo Trotzki 19380707 Antworten auf die Fragen von Herrn Ola Apenes

Leo Trotzki: Antworten auf die Fragen von Herrn Ola Apenes

[eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der englischen Übersetzung]

Sie wollen eine Stellungnahme von mir für die Zeitung Aftenposten aus Anlass des Interviews von Herrn Lombardo Toledano während seines Aufenthalts in Oslo und des Telegramm, das am 10. Juni in Aftenposten aus Moskau über den bevorstehenden Prozess der sowjetischen Diplomaten veröffentlicht wurde.

Ihre Zeitung behandelt mich mit offener Feindseligkeit, die sie in der gröbsten Form zum Ausdruck bringt. Ich glaube, dass ich die Feindseligkeit Ihrer Zeitung verdient habe. Ich kann Ihre Fragen nur unter der Bedingung beantworten, dass meine Antwort vollständig und gänzlich abgedruckt wird, einschließlich auch dieser Einleitung. Was die Kommentare Ihrer Zeitung betrifft, so sind sie mir gleichgültig.

Ich beginne mit dem Prozess der Diplomaten. Ich weiß nicht, ob dieser Prozess wirklich inszeniert wird, bei dem Jakubowitsch laut Ihrer Zeitung die Hauptrolle spielen wird. Wenn das stimmt, dann wird die Rolle Jakubowitschs nicht von seiner Person bestimmt, die politisch drittrangig ist, sondern von den Bedingungen der politischen Geographie: Er war Gesandter in Norwegen, wo ich eineinhalb Jahre verbrachte. Von den genannten möglichen Angeklagten kannte ich seinerzeit gut den ehemaligen Botschafter in Berlin und Tokio Jurenjew, den ehemalige Botschafter in Warschau und Generalkonsul in Barcelona Antonow-Owsejenko, den ehemalige Leiter der militärischen Abteilung des Kommissariats für auswärtige Angelegenheiten, General Gekker. Aber ich kannte Jakubowitsch überhaupt nicht. Es ist natürlich möglich, dass ich ihn einmal in Moskau bei einer offiziellen Sitzung traf. Aber ich erinnere mich überhaupt nicht daran. Auf jeden Fall konnten sich zur Zeit meines Aufenthaltes in Norwegen weder mir noch Jakubowitsch die Idee eines Verkehrs oder einer Verbindung zwischen uns in den Sinn kommen. Mein verstorbener Anwalt Puntervold erzählte mir während meiner Inhaftierung in Hurum „aus zuverlässigen Quellen“, dass Jakubowitsch sich im norwegischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten extrem aggressiv benahm und mit der Faust auf den Tisch schlug und zuerst meine Inhaftierung und dann meine Auslieferung aus Norwegen forderte. Das erste erreichte er, das zweite wurde ihm abgeschlagen. Das ist alles, was ich – aus zweiter Hand – über die Aktivitäten von Jakubowitsch in Norwegen weiß.

Es ist durchaus möglich, dass Jakubowitsch nur für einen einzigen Zweck hineingezogen wird: den Fehler mit dem berühmten Flugzeug Pjatakows zu korrigieren, das auf dem Flugplatz Kjeller landete. Pjatakows Aussage, absolut fantastisch und extrem schlampig angefertigt, wurde seinerzeit von der norwegischen Presse widerlegt. Die sowjetische Justiz hat sich von diesem Schlag noch nicht erholt. Es ist möglich, dass Jakubowitsch die Pflicht hat, der Menschheit eine neue Version der Reise zu präsentieren. Jakubowitsch kann sagen, dass Pjatakow sich in der Geographie irrte oder dass er absichtlich die tatsächlichen Bedingungen des Fluges verschwieg, um einen Komplizen, vielleicht eben diesen Jakubowitsch, zu retten. Wir werden ein neues Schema der Ereignisse erhalten, in dem es natürlich neue Lücken geben wird. Doch nach dem Tod Jakubowitschs wird die Moskauer Justiz diese Lücken füllen. All dies sind natürlich nur meine Vermutungen. Aber ich halte sie für sehr wahrscheinlich, wenn der Prozess der Diplomaten wirklich stattfindet.

Das Interview, das Lombardo Toledano am 25. Mai mit Arbeiterbladet geführt hat, kompromittiert die Zeitung und ihren Informanten gleichermaßen. In seinem Interview sagt Lombardo Toledano, wie in den meisten seiner anderen Auftritte, kein wahres Wort. Er verzerrt Tatsachen nicht nur zum Zwecke der politischen Verleumdung, sondern auch uneigennützig, offensichtlich aus einem organischen Bedürfnis.

Laut Toledano hat mich Diego Rivera nach Mexiko „eingeladen", damit ich.... Reklame um Riveras Namen mache. Charakterisieren diese Worte nicht die gesamte Geistesgröße und die Moral von Toledano selbst?

Auf die Frage, ob ich Freunde in Mexiko habe, antwortete Toledano: „Er hatte vielleicht fünf Freunde, als er ankam. Jetzt nur noch zwei: Diego Rivera und seine Frau.“ Dies hinderte denselben Toledano nicht, bei einer öffentlichen Kundgebung in Mexiko auch zu erklären, dass ich einen Generalstreik gegen die Regierung von General Cárdenas vorbereite. In welchem der beiden Fälle hat Herr Toledano gelogen? Darauf muss ich antworten: Wie üblich hat er in beiden Fällen gelogen.

Toledano erlaubte sich, das „Gericht" zu verspotten, das in Coyoacan meine „Freunde" veranstalteten. Er gibt auch fantastische Details darüber, wie die Herrin des Hauses, Frida Rivera, Richter und Zeugen mit Tee bewirtete (offenbar zum Zwecke der Bestechung). In all dem steckt kein Wort der Wahrheit. Es gab keinen Prozess in Coyoacan. Eine Untersuchungskommission kam für eine Woche hierher, um mich als Zeugen anzuhören. Die wortgetreuen Mitschriften der Sitzungen der Untersuchungskommission wurden in Form des Buches „The Case of Leon Trotsky“ [Der Fall Leo Trotzki] auf 500 Seiten veröffentlicht. Eine einfache Bekanntschaft mit diesem Buch enthüllt die Lügen von Herrn Lombardo Toledano von Anfang bis Ende.

Soeben kam aus der Druckerei der vollständige Wortlaut des Urteils der Internationalen Untersuchungskommission unter dem Titel „Not guilty“ [„Nicht schuldig"]. Zunächst die Zusammensetzung der Richter:

John Dewey, Vorsitzender der Kommission, ein berühmter amerikanischer Philosoph, emeritierter Professor der Columbia University, eine internationale Autorität in Fragen der Pädagogik;

John Chamberlain, ein amerikanischer Schriftsteller, der lange Zeit Literaturkritiker der New York Times war, Dozent an der Columbia University in Fragen des Journalismus;

Edward Ross, Haupt der amerikanischen Soziologen, emeritierter Professor der University of Wisconsin;

Benjamin Stolberg, ein bekannter amerikanischer Publizist zur Frage der Arbeiterbewegung;

Carlo Tresca, Anführer des amerikanischen Anarchosyndikalismus, Herausgeber der Zeitschrift „Il Martello", Leiter mehrerer Streiks;

Suzanne Follette, Sekretärin der Kommission, eine bekannte Schriftstellerin, Redakteurin radikaler Zeitschriften;

Alfred Rosmer, eine herausragende Gestalt der französischen Arbeiterbewegung, Mitglied des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale 1920-1921, Chefredakteur von L'Humanité 1923-1924;

Otto Rühle, ein alter Führer des linken Flügels der deutschen Sozialdemokratie, ein Mitstreiter von Karl Liebknecht, Autor einer Biographie von Karl Marx;

Wendelin Thomas, ehemaliger Führer des Aufstandes der deutschen Matrosen am 7. November 1918, später kommunistischer Reichstagsabgeordneter (1920-1924);

Francisco Zamora, ehemaliges Mitglied des Exekutivkomitees der mexikanischen Konföderation der Arbeit, Professor für politische Ökonomie, ein hervorragender Publizist der marxistischen Strömung.

In der Eigenschaft als juristischer Berater der Kommission figurierte John Finerty, ein bekannter liberaler Anwalt in den Vereinigten Staaten

Alle Mitglieder der Kommission haben eine lange und verdienstvolle Vergangenheit in verschiedenen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, der Wissenschaft und der politischen Tätigkeit. Sie alle verteidigten die Oktoberrevolution in ihrer Zeit gegen die Verleumdung der Reaktion. Viele von ihnen nahmen an Kampagnen aus Anlass der Sensationsprozesse von Sacco-Vanzetti, Tom Mooney, und anderer teil. Abgesehen von A. Rosmer, der zu bestimmten Zeiten politisch mit Leo Trotzki verbunden war, waren und sind alle anderen Mitglieder der Kommission, sowohl ihre liberale Mehrheit als auch ihre marxistische Minderheit, Gegner des sogenannten „Trotzkismus". Nicht einen von ihnen habe ich jemals vor dem Beginn der Untersuchung getroffen.

Die Kommission arbeitete mehr als acht Monate lang sehr hart, befragte direkt und mittels einer Pariser Unterkommission zahlreiche Zeugen, studierte Hunderte von Dokumenten und formulierte ihre endgültige Schlussfolgerung in einem Urteil von 422 Seiten eng gedrucktem Text.

Jeder Anklagepunkt gegen Trotzki und Sedow, jedes „Geständnis" des Angeklagten, jedes Zeugnis von Zeugen, wird in separaten Paragrafen ausführlich und vollständig analysiert. Der Urteilstext enthält 247 solcher Paragrafen.

Es gibt natürlich keine Möglichkeit, in dieser Erklärung den Inhalt des Buches zu erschöpfen, das für immer ein Denkmal von Ideenehrlichkeit, rechtlicher und politischer Einsicht und unermüdlichem Fleiß bleiben wird. Alle Fakten, Daten, Beweise, Argumente, die auf den Seiten der offiziellen Wortprotokolle des Moskauer Gerichts, in kritischen und polemischen Arbeiten von Freunden der GPU und ihrer Gegner verstreut sind, wurden hier einer sorgfältigen Analyse unterzogen. Alle Zweifel werden beseitigt, es werden nur unerschütterliche Fakten festgestellt, aus denen unerschütterliche Schlüsse gezogen werden. Sie sind bereits bekannt.

Paragraph 246 lautet: „Auf der Grundlage aller hier geprüften Daten und aller festgestellten Schlussfolgerungen stellen wir fest, dass die Prozesse im August 1936 und Januar 1937 gerichtliche Fälschungen waren."

Der 247. und letzte Paragraph lautet: „Auf der Grundlage aller hier untersuchten Daten und aller festgestellten Schlussfolgerungen stellen wir fest, dass Leo Trotzki und Leo Sedow unschuldig sind."

Dieses Buch werden weder Lombardo Toledano noch andere Agenten Stalins an der Zirkulation in der öffentlichen Meinung der Welt hindern.1 An ihren unzerstörbaren Argumenten werden sich die Freunde und Anwälte der GPU die Zähne ausbrechen. Das Urteil ist gefällt und eine Berufung gibt es nicht. Auf der Stirn Stalins ist der Stempel eingebrannt: Organisator der größten gerichtlichen Fälschung der Weltgeschichte!

★ ★ ★

L. L. Sedow, der alle seine Kraft in die Enthüllung der Wahrheit über die Moskauer Prozesse steckte, hat das Erscheinen dieses historischen Buches nicht mehr erlebt. Er hatte in jedem Fall die Genugtuung, sich mit dem kurzen Text des am 20. September letzten Jahres veröffentlichten Urteils vertraut zu machen. Jetzt wird endlich die Wahrheit über die Ankläger Sedows enthüllt. Es bleibt, die Wahrheit über seine Mörder zu enthüllen. Wir werden unsere Hände nicht ruhen lassen2, bis wir diese Arbeit beendet haben!3

L. D. Trotzki

7. Juli 1938

1 In der englischen Übersetzung: „Keine Kraft wird in der Lage sein, dieses Buch aus den Strömungen der Weltöffentlichkeit zu entfernen.“

2 In der englischen Übersetzung statt „unsere Hände nicht ruhen lassen“: „nicht rasten“

3Die englische Übersetzung endet mit dem Absatz: „Weder Lombardo Toledano noch irgendein anderer von Stalins Agenten wird die Weltöffentlichkeit davon abhalten können, von diesem Buch beeinflusst zu sein.

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