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Leo Trotzki 19380308 Anachronismen

Leo Trotzki: Anachronismen

[Eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit den englischen und französischen Übersetzungen]

Die Moskauer Gerichtsfälschung ist voller Anachronismen. Im Sinowjew-Kamenew-Prozess (August 1936) traten die Trotzkisten 1932 mit der Gestapo in Verbindung, als die Gestapo noch nicht existierte. Leo Sedow traf sich im November 1932 mit dem Angeklagten Golzman im Hotel Bristol, das 1917 zerstört wurde. Es gibt viele solche Beispiele, aber die ungeheuerlichsten Anachronismen sind das hervorstechende Merkmal des gegenwärtigen Prozesses.

Der aus dem Gefängnis gekommene Zeuge Manzew erklärte, dass 1920 ein Anschlag auf Stalins Waggon am Bahnhof von Charkow unternommen wurde, wenige Tage nachdem ich durch Charkow gefahren war; und ich hätte Manzew später empfohlen, sich nicht mit dieser Angelegenheit zu befassen, da „unsere Genossen" darunter leiden könnten. Um zumindest einen Teil des Unsinns zu entschlüsseln, der in diesem Zeugnis enthalten ist, ist es notwendig, es durchzunummerieren:

1) „Unsere Genossen" muss offensichtlich „Trotzkisten" bedeuten. Aber 1920 gab es keine Trotzkisten. Die Linke Opposition entstand erst 1923. Ein Jahr später kam das Wort „Trotzkisten" auf.

2) Manzew, ein enger Mitarbeiter Dzierżyńskis, des Leiters der Tscheka, gehörte nie zu den Trotzkisten und am wenigsten zu einer Zeit, als der Trotzkismus nicht existierte.

3) Die Militärpolitik, die ich durchführte, fand die volle Unterstützung von Lenin und der Mehrheit des Politbüros. Stalin führte hinter die Kulissen eine Intrige gegen diese Politik, indem er Woroschilow, den derzeitigen Volkskommissar für Verteidigung, Schtschadenko, den derzeitigen Stellvertreter Woroschilows, und andere unterstützte, die sich gegen die Schaffung einer zentralisierten Armee aussprachen und reine Partisaneneinheiten verteidigten. Woroschilow befehligte an der Wolga eine der vierundzwanzig Armeen. Stalin war in dieser Armee ein Mitglied des Militärsowjets. Ich setzte Woroschilow ab und berief Stalin ab. Später wurde Stalin an die Südfront berufen und erneut abberufen. Ich hatte keinen Grund, auf Terror zurückzugreifen. Ein einfacher Befehl genügte.

4) Eine Person, die auch nur mit der geringsten Vorstellungskraft ausgestattet ist, wird leicht verstehen, dass, wenn 1920 ich, in dessen Händen faktisch unbegrenzte Macht konzentriert war, mit Stalin an der Front hätte physisch Schluss machen wollen, es unwahrscheinlich ist, dass sich der Fall auf ein wirkungsloses Attentat beschränkt hätte, von dem die Welt 18 Jahre später erfuhr.

5) Während des Bürgerkriegs musste ich oft auf harte Maßnahmen zurückgreifen. Ich habe es immer offen und mit meiner Unterschrift gemacht. Stalin intrigierte hinter den Kulissen. Lenin gab mir im Juli 1919 auf eigene Initiative ein Formular, das folgende Zeilen enthielt:

In Kenntnis des strengen Charakters der Befehle des Gen. Trotzki bin ich vollkommen überzeugt von der Richtigkeit, der Zweckmäßigkeit, der Notwendigkeit dieser Befehle, so dass ich sie voll und ganz unterstütze.

W. Uljanow (Lenin).”

Es war ein moralischer Freibrief. Lenin unterschrieb im Voraus jeden Befehl oder jede Aktion an der Front. Ich habe dieses Formular nie benutzt; aber er blieb in meinen Archiven als Beweis für der unerschütterliches moralisches Vertrauen seitens Lenins, der im Allgemeinen nicht in die Reihen der vertrauensseligen Menschen gehörte.

Mit einer solchen Wechselbeziehung kann man sich 1920 einen Anschlag Stalins auf mich vorstellen, aber in keiner Weise einen Anschlag meinerseits auf Stalin. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass es eine der Aufgaben des gegenwärtigen Prozesses ist, die Geschichte der letzten 20 Jahre zu revidieren und Stalin in der Vergangenheit eine Position zurückzugeben, die er nie innehatte.

8. März 1938, 9 Uhr Coyoacán

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