Leo Trotzki: Zum chinesisch-japanischen Krieg (Brief an Diego Rivera.) [Nach Der einzige Weg, Zeitschrift für die Vierte Internationale, Nr. 1 (Dezember 1937), S. 14-16] Lieber Genosse Diego Rivera. Ich habe in den letzten Tagen einige Erzeugnisse der Oehleristen und Eiffelianer (ja, eine solche Richtung gibt es!) über den Bürgerkrieg in Spanien und den chinesisch-japanischen Krieg gelesen. Lenin nannte die Ideen dieser Leute «Kinderkrankheiten». Ein krankes Kind erweckt Sympathie. Aber seither sind 20 Jahre verflossen. Die Kinder haben einen Bart oder schon gar eine Glatze. Aber ihr kindisches Geplapper haben sie nicht aufgegeben. Im Gegenteil, alle Fehler, alle Dummheiten haben sie verdoppelt, verzehnfacht, und noch Niederträchtigkeiten dazugegeben. Sie verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Sie bemächtigen sich einiger Elemente unserer Analyse, blähen sie maßlos auf und stellen sie dem Rest gegenüber. Sie verbessern uns. Zeichnen wir ein menschliches Gesicht, so fügen sie eine Beule hinzu. Ist es eine Frau, so zieren sie sie mit einem dicken Schnurrbart. Zeichnen wir einen Hahn, so bringen sie darunter ein Hühnerei an. Und diese Narrenkurzweil nennen sie Marxismus und Leninismus. Ich will in diesem Brief nur bei der Frage des chinesisch-japanischen Krieges verweilen. In meiner Erklärung an die bürgerliche Presse sagte ich, Pflicht aller Arbeiterorganisationen Chinas sei es, aktiv und in vorderster Linie am gegenwärtigen Krieg gegen Japan teilzunehmen, ohne im geringsten auf ihr Programm und ihre selbständige Aktivität zu verzichten. Aber das ist ja «Sozialpatriotismus»!, schreien die Eiffelianer. Das ist Kapitulation vor Tschiang Kai-schek! Das ist eine Preisgabe des Klassenkampfprinzips! Der Bolschewismus predigte den revolutionären Defätismus im imperialistischen Krieg.Nun seien der Krieg in Spanien und der chinesisch-japanische Krieg imperialistische Kriege. «Unsere Einstellung zum Krieg in China ist die gleiche. Das einzige Heil der Arbeiter und Bauern in China liegt im Kampf als selbständige Kraft gegen beide Heere, gleicherweise gegen das chinesische wie gegen das japanische.» Diese vier, einem Eiffelschen Dokument vom 10. September 1937 entnommenen Zeilen genügen vollauf, um zu sagen: entweder handelt es sich um wahrhafte Verräter oder um komplette Dummköpfe. Aber Dummheit in solchem Ausmaß kommt Verrat gleich. Wir stellten und stellen nie alle Kriege auf die gleiche Stufe. Marx und Engels unterstützten den revolutionären Krieg der Irländer gegen Großbritannien, den der Polen gegen den Zaren, obgleich in diesen beiden nationalen Kriegen die Führer meistens Bürgerliche waren, zuweilen sogar Adelige, jedenfalls katholische Reaktionäre. Als Abd-el-krim sich gegen Frankreich erhob, sprachen Demokraten und Sozialdemokraten mit Verachtung vom Kampf des «wilden Tyrannen» gegen die «Demokratie». Die Partei Leon Blums vertrat diesen Standpunkt. Wir Marxisten und Bolschewiki aber betrachteten den Krieg der Ryfkabylen gegen die imperialistische Herrschaft als einen fortschrittlichen Krieg. Lenin schrieb hunderte von Seiten, um darzulegen, wie überaus notwendig es ist, zwischen imperialistischen Nationen und kolonialen und halbkolonialen Nationen, die die große Mehrheit der Menschheit bilden, zu unterscheiden. Von «revolutionärem Defätismus» überhaupt reden, ohne zwischen Unterdrücker- und unterdrückten Ländern zu unterscheiden, heißt vom Bolschewismus eine elende Karikatur machen und diese Karikatur in den Dienst des Imperialismus stellen. Im Fernen Osten bietet sich uns ein klassisches Beispiel. China ist ein halb koloniales Land, das Japan vor unseren Augen zum Kolonialland macht. Der Kampf von Seiten Japans ist imperialistisch und reaktionär. Der Kampf von Seiten Chinas ist ein Befreiungskampf und fortschrittlich. Aber Tschiang Kai-schek? Wir haben es keineswegs nötig, uns die geringste Illusion über Tschiang Kai-schek, seine Partei und die gesamte herrschende Klasse Chinas zu machen, ebenso wenig wie sich Marx und Engels über die herrschenden Klassen Irlands und Polens Illusionen machten. Tschiang Kai-schek ist der Henker der chinesischen Arbeiter und Bauern. Daran braucht man uns gar nicht zu erinnern. Aber heute ist er trotz bösem Willen genötigt, um der Reste der chinesischen Unabhängigkeit willen gegen den japanischen Imperialismus Krieg zu führen. Morgen kann er wieder verraten. Das ist möglich. Das ist wahrscheinlich. Das ist sogar unvermeidlich. Aber heute führt er Krieg. An diesem Kriege nicht teilnehmen können nur Feiglinge, Schurken oder komplette Dummköpfe. Um die Frage ganz klar zu machen, nehmen wir den Fall eines Streiks. Wir unterstützen nicht alle Streiks. Geht es zum Beispiel darum, durch den Streik aus einer Fabrik schwarze, chinesische oder japanische Arbeiter zu entfernen, so sind wir gegen den Streik. Wenn aber der Streik bezweckt, die Lage der Arbeiter um sei es auch noch so wenig zu verbessern, so sind wir die ersten, die daran teilnehmen, welches auch die Leitung sei. In der großen Mehrheit der Streiks sind die Führer Reformisten, berufsmäßige Verräter, Agenten des Kapitals. Sie widersetzen sich jedem Streik. Aber von Zeit zu Zeit werden sie durch den Druck der Massen oder durch die gesamte objektive Lage auf den Weg des Kampfes gedrängt. Stellen wir uns einmal einen Arbeiter vor, der sich sagte: «Ich will an dem Streik nicht teilnehmen, weil die Führer Agenten des Kapitals sind.» Diesen Doktrinär oder ultralinken Dummkopf gälte es mit seinem wahren Namen zu brandmarken: Streikbrecher. Der Fall des chinesisch-japanischen Krieges ist von diesem Gesichtspunkt ganz analog. Ist Japan ein imperialistisches Land und China das Opfer des Imperialismus, so sind wir auf Seiten Chinas. Der japanische Patriotismus ist die abscheuliche Maske internationaler Räuberei. Der chinesische Patriotismus ist rechtmäßig und fortschrittlich. Beide auf dieselbe Stufe stellen und von «Sozialpatriotismus» reden, kann nur der, der von Lenin nichts gelesen, von der Haltung der Bolschewiki im imperialistischen Krieg nichts verstanden hat, und der die Lehren des Marxismus nur kompromittieren und prostituieren kann. Die Eiffelianer haben gehört, dass die Sozialpatrioten die Internationalisten bezichtigten, Agenten des Feindes zu sein, und erwidern uns: «Ihr tut dasselbe!» Im Krieg zwischen zwei imperialistischen Ländern dreht es sich weder um Demokratie noch um nationale Unabhängigkeit, sondern um die Unterdrückung der zurückgebliebenen nicht-imperialistischen Völker. In einem solchen Krieg befinden sich beide Länder auf derselben historischen Stufe. Die Revolutionäre in beiden Armeen sind Defätisten Aber Japan und China befinden sich nicht auf derselben historischen Stufe. Der Sieg Japans würde die Versklavung Chinas, den Stillstand seiner ökonomischen und sozialen Entwicklung und eine furchtbare Verstärkung des japanischen Imperialismus bedeuten. Chinas Sieg dagegen würde die soziale Revolution in Japan und die freie, d.h. von äußerer Unterdrückung ungehinderte Entwicklung des Klassenkampfes in China bedeuten. Aber kann Tschiang Kai-schek den Sieg sichern? Ich glaube es nicht. Aber er ist es, der den Krieg begann und der ihn heute leitet. Um ihn ersetzen zu können, gilt es entscheidenden Einfluss auf das Proletariat und die Armee zu gewinnen: und um das zu erreichen, muss man nicht in der Luft schweben bleiben, sondern sich auf die Basis dieses Krieges stellen. Es gilt Einfluss und Prestige im militärischen Kampf gegen den Einfall des äußeren Feindes und im politischen Kampf gegen die Schwächen, Mängel und den Verrat im Innern zu gewinnen. Auf einer gewissen Etappe, die wir nicht vorweg bestimmen können, kann und muss sich diese politische Opposition in bewaffneten Kampf verwandeln, denn der Bürgerkrieg wie der Krieg überhaupt ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik. Aber man muss auch wissen, wann und wie die politische Opposition zum bewaffneten Aufstand werden soll. Während der chinesischen Revolution von 1925/27 haben wir die Komintern gegeißelt Doch warum? Das heißt es gut zu verstehen. Die Eiffelianer behaupten, wir hätten unsere Haltung in der chinesischen Frage geändert. Diese Geistesarmen haben eben von unserer Haltung 1925/27 nichts begriffen. Wir haben niemals die Pflicht der kommunistischen Partei geleugnet, am Krieg der Bürger und Kleinbürger des Südens gegen die Generäle des Nordens, Agenten des ausländischen Imperialismus, teilzunehmen. Wir haben nie die Notwendigkeit eines militärischen Blocks der kommunistischen Partei mit der Kuomintang bestritten. Im Gegenteil, wir sind die ersten gewesen, die ihn predigten. Aber wir verlangten, dass die kommunistische Partei, ihre volle organisatorische und politische Unabhängigkeit bewahre, d.h. dass im Bürgerkrieg gegen die inneren Agenten des Imperialismus wie im nationalen Kriege gegen den ausländischen Imperialismus die Arbeitervorhut, ohne die vorderste Linie des militärischen Kampfes zu verlassen, politisch den Sturz der Bourgeoisie vorbereitet. Wir verteidigen dieselbe Politik im heutigen Bürgerkrieg. Wir haben an unserer Haltung nicht ein i-Tüpfelchen geändert. Aber die Oehleristen und Eiffelianer haben nicht ein einziges i-Tüpfelchen unserer Politik begriffen, weder der von 1925/27 noch der von heute. In meiner Erklärung an die bürgerliche Presse zu Beginn des letzten Konflikts zwischen Tokio und Nanking habe ich vor allem die Pflicht der revolutionären Arbeiter betont, aktiv am Kriege gegen den imperialistischen Unterdrücker teilzunehmen. Warum habe ich das getan? Weil es erstens vom marxistischen Standpunkt aus richtig und zweitens vom Standpunkt der Rettung unserer Freunde in China aus notwendig ist. Morgen wird die GPU, die mit der Kuomintang im Bunde steht (wie in Spanien mit Negrin), unsere Freunde als «Defätisten» und Agenten Japans hinstellen. Die besten von ihnen, Tschen Du-hsiu an der Spitze, können national und international kompromittiert und erschossen werden. Es galt mit aller notwendigen Energie zu betonen, dass die Vierte Internationale gegen Japan auf Seiten Chinas steht. Gleichzeitig fügte ich hinzu: ohne Verzicht auf das eigene Programm, noch auf die eigene Selbständigkeit. Die Dummköpfe à la Eiffel versuchen sich über diesen «Vorbehalt» lustig zu machen: «Die Trotzkisten», sagen sie, «wollen Tschiang Kai-schek in der Tat und dem Proletariat mit Worten dienen». Aktiv und bewusst am Kriege teilnehmen, heißt nicht «Tschiang Kai-schek dienen», sondern der Unabhängigkeit eines Koloniallandes, Tschiang Kai-schek zum Trotz. Und das gegen die Kuomintang gerichtete «Wort» ist das Werkzeug zur Erziehung der Massen für Tschiang Kai-scheks Sturz. Bei Teilnahme am militärischen Kampf unter dem Oberbefehl Tschiang Kai-scheks – denn leider ist er es, der im Unabhängigkeitskrieg die Macht hat – politisch dessen Sturz vorbereiten, das ist die einzige revolutionäre Politik. Die Eiffelianer stellen dieser «nationalen und sozialpatriotischen» Politik die Politik des Klassenkampfes gegenüber. Sein ganzes Leben lang hat Lenin diese abstrakte und sterile Gegenüberstellung bekämpft. Das Interesse des Weltproletariats legt diesem die Pflicht auf, den unterdrückten Völkern in ihrem nationalen und patriotischen Kampf gegen den Imperialismus beizustehen. Wer dies bis heute, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Weltkrieg, zwanzig Jahre nach der Oktoberrevolution, nicht begriffen hat, den soll die revolutionäre Vorhut als ihren schlimmsten inneren Feind unbarmherzig von sich weisen. Das eben trifft auf Eiffel und seinesgleichen zu. 23. September 1937 L . Trotzki [Nachschrift der Red. Zu den «seinesgleichen» gehören auch Maslow-Fischer, deren ultralinkes revolutionäres Phrasentum geradezu groteske Blüten treibt. Au:h Maslow klagt heute Trotzki in der Frage des chinesisch-japanischen Krieges des Sozialpatriotismus an und wirft ihm vor, im gleichen Sumpf wie die Stalinisten und Reformisten gelandet zu sein, dem gegenüber er, Maslow, – den unverfälschten Trotzkismus verteidigt! Er predigt revolutionären Defätismus, d.h. er will die Niederlage im republikanischen Spanien, in der Sowjetunion, die für ihn ein imperialistischer Staat ist, und in China. Nichts gelernt und nichts vergessen. Der ultralinke KPD-Radikalismus in veränderter, verschlimmerter Auflage. Nein, tausendmal nein. Wir sind für unbedingten Sieg und Verteidigung in China, im republikanischen Spanien, wie auch in der Sowjetunion, weil es sich auf dieser Seite um fortschrittliche Kriege, um Befreiungskriege handelt. Aber wir erklären, die in diesen Ländern am Ruder befindlichen Regierungen können mit ihrer Politik weder Sieg noch Verteidigung organisieren. Im Gegenteil, sie werden die Massen in die sichere Katastrophe führen – siehe die Tatsachen. Unter den gegenwärtigen geschichtlichen Bedingungen ist die siegreiche Verteidigung nur möglich durch die siegreiche Revolution. Wer den Sieg wirklich will, muss die Revolution und die diese vorbereitende Politik wollen. Die täglich klaffender werdende Schere zwischen dem Siegeswillen der Massen und der Niederlagenpolitik der Regierungen ist der stärkste revolutionäre Schrittmacher. Stalin und die Reformisten beschuldigen uns deswegen des revolutionären Defätismus – Maslow-Fischer und Co. des Reformismus-Stalinismus. Jedem Tierchen sein Pläsierchen. Ganz anders ist die Politik des revolutionären Defätismus, wie wir sie in den imperialistischen Ländern propagieren. Diese Länder führen reaktionäre Kriege mit dem Ziel, fremde Völker auszubeuten und zu unterdrücken. Wir kämpfen für die Niederlage dieser Länder im Krieg, um sie zu verhindern, ihr reaktionäres Ziel zu erreichen, trotzdem ihre Regierungen leider noch immer zu gut verstehen, Siege zu organisieren. Das sind zwei gerade entgegengesetzte Dinge. Indem Maslow in Volksfrontspanien, der UdSSR und China revolutionären Defätismus, d.h. Niederlage predigt, stellt er sich gegen die historischen Interessen dieser Völker, gegen die Interessen der gesamten fortschrittlichen Menschheit und hilft in der Tat Japan, Franco (Italien Deutschland) – sowie Stalin, dessen Anklagen gegen den Trotzkismus er zum Anschein der Richtigkeit verhilft; denn Maslow preist sich dauernd als Mustertrotzkist – und Stalin pflegt ihn gelegentlich gegen die 4. Internationale als solchen zu benützen, indem er Maslows verbrecherische Losungen ganz zu Unrecht dem Trotzkismus unterschiebt.] |
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