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Leo Trotzki 19340419 Zu Rakowskis Kapitulation

Leo Trotzki: Zu Rakowskis Kapitulation

[Nach Unser Wort. Wochenzeitung der Internationalen Kommunisten Deutschlands, 2. Jahrgang 1934, Nr. 19, 5. Maiwoche 1934 (Nr. 35), S. 4]

Die Agentur Tass veröffentlicht, übrigens zum zweiten Male im Laufe dieses Monats, die Kapitulation Rakowskis vor Stalin.

Man teilt uns aus einer absolut glaubwürdigen Quelle mit, dass sich die Dinge wie folgt abgespielt haben: zu Beginn des Jahres 1928 wurde der ehemalige Vorsitzende des Rats der Volkskommissare der Ukraine und Botschafter der Sowjet-Union in Paris nach Barnaul in Zentralasien verbannt, und blieb dort mehr als 5 Jahre. Die GPU umgab ihn mit einem von Tag zu Tag sich enger schließenden Ring. Während der beiden letzten Jahre hatte seine Frau, die seine Verbannung teilte, sogar nicht einmal die Möglichkeit des Briefwechsels mit ihrem Sohn, einem in Paris arbeitenden jungen Wissenschaftler.

Ende 1932 machte der alte Revolutionär einen kühnen Fluchtversuch, und trotz beispielloser Überwachung gelang es ihm, die Grenze zu erreichen, wo er von Sowjet-Wachen verletzt wurde.

Damals schrieb die Weltpresse von der Krankheit und sogar dem Tod Rakowskis. In Wirklichkeit wurde der Verletzte ins Krankenhaus gebracht, wo er, neben einer aufmerksamen Behandlung, einem furchtbaren moralischen Druck ausgesetzt wurde.

Rakowski wich nicht.

Und kaum von seiner Verwundung geheilt, wurde er wieder nach Barnaul geschickt, und unter verdoppelter Kontrolle gehalten … Jede Perspektive war endgültig versperrt. Erschüttert vom Misserfolg seines letzten Versuchs, krank, moralisch zerbrochen, hat dieser Mann von 61 Jahren das Dokument der Kapitulation unterschrieben. Solange Rakowski in Barnaul war, haben seine ausländischen Freunde aus dem sog. „trotzkistischen“ Lager diese Tatsachen nicht verbreiten wollen, um dem Verbannten nicht zu schaden.

Heute, nachdem die Kapitulation vollzogen ist haben dieselben Kreise es für notwendig befunden, die wahre Bedeutung der Kapitulation Rakowski bekannt zu geben.

Vielleicht werden morgen Dementis von den Sowjet-Behörden Rakowski selber in den Mund gelegt haben. Das wäre nicht das erste Beispiel für ähnliche Praktiken Stalins. Aber derartige Manöver werden niemanden, täuschen können.

Paris, 19. April 1934

[Die vorliegenden Zeiten geben eine moralisch-psychologische Begründung der Kapitulation Rakowskis. In der tat musste er erst nach fünfjähriger Verbannung „auf der Flucht angeschossen“ werden, um politisch und moralisch zu zerbrechen, und den von der GPU präsentierten Wisch zu unterschreiben. Die Sinowjews und Kamenews bringen das Kunststück fertig, in dieser Zeit drei Mal zu kapitulieren. Bei ihnen nämlich ist nichts vorhanden, was erst „zerbrochen“ werden muss. Gar nicht zu reden von den Neumännern und Remmeles, für die eine Gehaltskürzung reicht … Aber wir haben die Tatsache der Kapitulation – so bitter sie auch sein mag – nicht von einer psychologischen Warte aus zu begründen und zu werten, sondern von einer politischen. Und vom politischen Standpunkt aus ist die Kapitulationserklärung Rakowskis genau so erbärmlich und verurteilenswert wie jedes dieser unzähligen Dokumente, mit denen Stalin nun schon seit Jahren Triumphe feiert. Rakowski hat aufgehört, ein Revolutionär zu sein. Wie alle Kapitulanten, bleibt er als politischer Leichnam zurück. Triumph für Stalin? Beklagenswerter „Marxismus“, klägliches Regime, das nur von politischen Leichnamen leben kann!]

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