Leo Trotzki: Skrypniks Selbstmord [Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition, Jahrgang 1, Nr. 10 (Anfang August 1933), S. 5] Der Selbstmord eines überragenden Stalinisten, eines der Führer der Sowjetukraine, ist ein schweres Faktum in der Chronik der Stalinbürokratie. Skrypnik ist ein alter Bolschewik mit ernster revolutionärer Vergangenheit, aktiver Teilnehmer am Oktoberaufstand als Vorsitzender der Vereinigung der Petrograder Fabrik- und Betriebskomitees im Jahre 1917. Zum Unterschied von vielen anderen „alten Bolschewiken“, besonders den heutigen ukrainischen Führern, zeigte Skrypnik stets Interesse für die Weltarbeiterbewegung und vertrat die ukrainische Kompartei in der Komintern. Aber im Grunde genommen lief er mit in dem gemeinsamen bürokratischen Geschirr, beteiligte sich an der Hetze gegen Rakowski, zu dem er persönlich die größte Achtung bewahrte, bekämpfte eifrig den „Trotzkismus“, verherrlichte den „Führer“ und bewies – einzelne episodische Auftritte ausgenommen – absolut nicht die geringste politische Selbständigkeit. Und nun stelte sich urplötzlich heraus, dass Skrypnik eine von Grund auf falsche Politik betrieben, den bürgerlichen Nationalismus begünstigt und die ukrainische Konterrevolution begünstigt hatte. Der als Oberkommissar in die Ukraine geschickte ZK-Sekretär Postyschew eröffnete gegen Skrypnik eine Hetze, die die Ukrainer durch ihre Unerwartetheit und die Grobheit ihres Tones stutzig machen musste. Dass Skrypnik eine unrichtige Politik geführt hat, daran zweifeln wir nicht: auf nationalem Gebiet kann man weniger als auf irgend einem anderen eine richtige Politik führen mit Hilfe der Bürokratie allein, mit einer erstickten Partei und einem geknebelten Proletariat. Aber Skrypniks „Fehler“ mussten sehr weit gegangen sein, wenn eine solche Hetze notwendig war, die den alten Revolutionär in den Selbstmord trieb. Ganz von selbst stellt sich die Frage: wo war all die Zeit hindurch das ukrainische Politbüro, dessen ständiges Mitglied Skrypnik war? Wieso konnte in der monolithischen Partei, die ununterbrochen von Abweichungen gesäubert wird, inmitten ständiger Erfolge und einer siegreichen Liquidierung der Klassen, ein Mitglied des Politbüros, unbemerkbar für das Politbüro im Ganzen, ohne Widerspruch seitens der Partei und der Presse, viele Jahre hindurch bürgerlichen Nationalismus und somit die Konterrevolution züchten? Und wieso ist die Offenbarung dieser nicht unbedeutenden Tatsache durch den aus Moskau geschickten Revisor über die Partei niedergeprasselt wie ein Gewitter aus heiterem Himmel? Wo doch noch im letzten Jahr der 60. Geburtstag Skrypniks feierlich begangen wurde als ein Festtag für die ganze Partei! Andererseits blebt rätselhaft, warum zum Kampfe gegen den bürgerlichen Nationalismus der Stalinsche Stab es für nötig hielt, als Opfer Skrypnik darzubringen, der sich keiner Sache widersetzt hatte und im Voraus bereit war, die von oben diktierte Politik durchzuführen. Die Bürokratie bestraft die „ihrigen“ im Allgemeinen nicht für die Fehler, so schwer sie auch sein mögen, wenn sie dadurch nicht durch irgendwelche Nebenumstände, die aber für sie sehr wichtig sind, gezwungen ist. So stolperte Andrejew weder über seine Verderben bringende Kollektivierung des Nordkaukasus noch über die Zerrüttung des Eisenbahntransportwesens. Jedoch stolperte Jaroslawski recht heftig darüber, dass in seiner „Geschichte“ einige zwar (ausnahmsweise) richtige, dch dem Dogma der Unfehlbarkeit abträgliche Tatsachen durchgeschlüpft waren. Wir gestatten uns die Überzeugung auszudrücken, dass Skrypniks Fehler nicht um ihrer selbst willen aufgedeckt wurden, sondern nur nebenher, um Skrypnik für irgendein anderes, viel weniger prinzipielles, aber viel schärferes Auftreten zu strafen. So wäre zum Beispiel, wenn Skrypnik sich in Opposition gestellt haben sollte zu Postyschew, der in der Ukraine weilte, um die Verantwortung für die Folgen der stalinistischen Agrarpolitik auf die örtlichen „Ausführenden“ abzuwälzen, dies mehr als ausreichend gewesen, von oben die gesamte Wirksamkeit Skrypniks „durchzuanalysieren“ und von ihr zu enthüllen, was man in der Tätigkeit jedes verantwortlichen Parteiarbeiters finden kann: Bürokratismus, Opportunismus, Begünstigung der Konterrevolution. Wie jedoch die Sache hinter den Kulissen auch gestanden haben mag, politisch fiel Skrypnik als ein Opfer jenes Systems, das er mit zu begründen geholfen hatte. Und der Umstand, dass das stalinistische System derlei Opferungen braucht, zeigt, welch scharfe Gegensätze es sogar in der Spitze selbst zerreißen. Die plötzliche Erleuchtung Sinowjew-Kamenews vom Lichte der Wahrheit, wie der ebenso plötzliche Sturz Skrupniks in die Finsternis der Irrtümer enthüllen in gleichem Maße die Lüge, welche die verantwortungslose bürokratische Diktatur zerreißt. Prinkipo, 15. Juli 1933 L. Trotzki. |
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