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Leo Trotzki 19330720 Man kann nicht länger mit Stalin, Manuilski, Losowski und Co. in ein und derselben „Internationale" bleiben

Leo Trotzki: Man kann nicht länger mit Stalin, Manuilski, Losowski und Co. in ein und derselben „Internationale" bleiben

(Gespräch)

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der deutschen Sektion der Internationalen Linken Opposition, Jahrgang 1, Nr. 13 (Mitte Oktober 1933), S. 2]

A. Es ist Zeit, mit der Moskauer Karikatur einer Internationale zu brechen. Man kann nicht länger auch nur den Schatten einer politischen Verantwortung für die Stalinisten tragen. Wir sind sehr vorsichtig und sehr geduldig gewesen hinsichtlich der Komintern. Doch alles hat seine Grenzen: Nachdem Hitler vor den Augen der ganzen Welt von Wels einerseits und Stalin andererseits in den Sattel gehoben worden ist, nachdem die Komintern trotz der Katastrophe ihre Politik für einwandfrei erklärt hat, wird kein vernünftig denkender Mensch sich Hoffnung machen, dass diese Clique „reformiert" werden könne.

B. – Die Clique natürlich nicht, aber die Komintern als Ganzes?

A. – Man soll sich nicht von allgemeinen Phrasen an der Nase herumführen lassen. Die „Komintern als Ganzes" ist eine Abstraktion, um nicht zu sagen ein leerer Begriff. Das Kommando befindet sich in den Händen der Stalinclique. Schon über fünf Jahre gibt es keinen Weltkongress. Wer hat das Statut mit Füßen getreten? Die Clique. Mit welchem Recht? Mit dem Recht der Usurpation. Und nicht eine Sektion, nicht eine Ortsorganisation, nicht eine Zeitung wagt zu mucksen über die Notwendigkeit eines internationalen Kongresses. Faktisch also liegt das Schicksal der „Komintern als Ganzes" in den Händen der verantwortungslosen Clique.

B. – Das ist unzweifelhaft. Aber lag nicht die Sache auch vor einem Jahr, als wir die Losung der Reform der Komintern noch nicht zurückgezogen hatten, schon genau so?

A. – Nein. Die Sache lag anders. Vor einem Jahr war die Lage in Deutschland noch zu retten. Wir taten alles, was wir konnten, um die Logik der Situation aufzudecken. Wäre die Komintern eine lebensfähige Organisation, so hätte ihre Führung die Stimme der Ereignisse vernehmen müssen – eine machtvollere Stimme kann man sich gar nicht vorstellen. Und wenn die Komintern auch diesmal taub blieb, so ist sie eben eine Leiche. Auch in anderer Beziehung ging ein entscheidender Wechsel vor sich. Im vergangenen Jahr gab es noch die deutsche Kompartei. Im Wirbel der großen Ereignisse musste sie doch mit den Arbeitermassen rechnen. Man konnte – bis zur Stunde der Probe – mit einem gewissen Recht hoffen, dass die Entwicklung des Massenkampfes nicht nur das ZK Thälmanns, sondern auch das Präsidium Stalin-Manuilskis herumdrehen würde. Das ist nicht eingetreten. Von der deutschen Kompartei blieb lediglich der immer mehr geschwächte und den Massen immer mehr entfremdete Apparat übrig. Die Sache ging so weit, dass das ZK den illegalen Ortsorganisationen verbietet, eigene Artikel und Aufrufe zu drucken; den Ortsgruppen liegt nur ob, die Offenbarungen Manuilskis und Heckerts nachzudrucken. Jede Regung des Denkens bildet für diese Leute eine Todesgefahr. Hitlers Sieg ist für sie in der Tat keine „Niederlage" – er hat sie von jeglicher Kontrolle von unten befreit … Doch nachdem die stärkste Partei der Komintern von der Bühne abgetreten ist, sind absolut keine Wege, Kanäle und Hebel zur Einwirkung auf die kommandierende Clique der Komintern übrig geblieben.

B. – Kann man von der deutschen Kompartei sagen, dass sie die stärkste Partei der Komintern gewesen sei? Sie haben wohl die KPdSU vergessen?

A. – Nein, das habe ich nicht. Doch selbst wenn man anerkennen wolle, dass die KPdSU eine Partei sei (in Wirklichkeit liegen im administrativen Rahmen der KPdSU, der je nach dem Willen der Clique ausgewechselt wird, mehrere Parteien in heftigem Kampf miteinander), so ist die KPdSU jedenfalls keine aktive Sektion der Komintern. Die Sowjetarbeiter haben keine Ahnung, was in der proletarischen Bewegung des Westens geschieht, man teilt ihnen überhaupt nichts mit, oder noch schlimmer, man täuscht sie böswillig. Im Politbüro selbst in der heutigen Zusammensetzung sitzt nicht ein Mensch, der mit dem Leben und Kampf des Weltproletariats vertraut wäre, von der Theorie des Marxismus ganz zu schweigen. Schließlich besitzt die KPdSU keine Möglichkeit, ihre Meinung in internationalen Fragen zu äußern. Der Partei sind Kongresse, Versammlungen, Diskussionen und Presse weggenommen. Nicht eine Sowjetzeitung hat es gewagt, auch nur die Frage zu stellen, ob die Politik in Deutschland richtig gewesen ist. Niemand wagt überhaupt Fragen zu stellen, alle müssen schweigend die Antworten abwarten, Und so kam man an Hitler …

Die Losung der „Reform" der Komintern war für uns niemals eine hohle Phrase. Wir rechneten mit der Reform als mit einer Realität. Die Entwicklung ging den schlimmeren Weg. Gerade deshalb sind wir gezwungen auszusprechen, dass die Politik der Reform bis auf den letzten Rest erschöpft ist.

B. – Wir wollen doch nicht etwa der zentristischen Bürokratie das Banner der Komintern überlassen?

A. – Man muss sich nicht von zweideutigen Formeln ins Bockshorn jagen lassen. Was ist unter Banner zu verstehen? Das Programm doch? Das auf dem VI. Kongress angenommene Programm haben wir aber längst abgelehnt als eine bösartige Mischung von Opportunismus und Abenteurertum. Mehrere Jahre haben wir, gestützt auf die Lehren der Ereignisse, damit gerechnet, das Programm der KI ändern zu können. Heute ist diese Möglichkeit zusammen mit der Möglichkeit der „Reform" entschwunden. Dem kläglichen, eklektischen „Programm" der Komintern müssen wir unser marxistisches Programm entgegenstellen.

B. – Und die ersten vier Weltkongresse der Komintern?

A. – Selbstverständlich lassen wir nicht von ihnen ab. Umso mehr, als die Stalinisten auf sie schon längst verzichtet haben und sie uns überlassen. Das Programm werden wir auf dem von den ersten vier Weltkongressen gelegten Fundament errichten; das ist ein untadeliges, marxistisches Fundament, das ist unser Fundament. Die Lehren des letzten Jahrzehnts sind in die Sprache des Marxismus übersetzt worden nur von der Linken Opposition. Unsere internationale Konferenz hat aus diesen Lehren die Bilanz gezogen in Form von elf Punkten. In dieser Bilanz gibt es jedoch eine Lücke. Die Vorkonferenz tagte am Vorabend der Abschlussprüfung, der die Komintern von der Geschichte unterzogen wurde. Der völlige und endgültige Durchfall der Komintern ist in den Beschlüssen der Vorkonferenz nicht verzeichnet. Das wird die Konferenz tun müssen. Alle übrigen Beschlüsse der Vorkonferenz bleiben vollauf in Kraft. Die grundsätzlichen Dokumente der ersten vier Weltkongresse plus den „Elf Punkten" der Linken Opposition – das sind die Grundbestandteile des Programms einer wirklich kommunistischen Internationale.

B. – Die Gegner werden dennoch sagen, dass wir auf das Banner Lenins verzichten.

A. – Die Gegner schreien das schon lange und um so lauter, je mehr sie die Gebote des Bolschewismus in den Schmutz treten. Wir aber sagen den Arbeitern der ganzen Welt, dass wir die Verteidigung des Banners Marx' und Lenins, die Fortsetzung und Weiterentwicklung ihres Werks übernehmen im unversöhnlichen Kampfe nicht nur mit den reformistischen Verrätern – das versteht sich von selbst –, sondern auch mit den zentristischen Verfälschern des Bolschewismus, den Usurpatoren des Leninschen Banners, den Organisatoren von Niederlagen und Kapitulationen, den Verderbern der proletarischen Vorhut: mit den Stalinisten.

B. – Und was ist mit der KPdSU? Und was ist mit der UdSSR? Werden die Gegner nicht sagen, dass wir die Sache des Arbeiterstaates für verloren halten und sogar den bewaffneten Aufstand gegen die Sowjetregierung vorbereiten?

A. – Natürlich werden sie das sagen. So reden sie schon lange. Was können sie auch anderes sagen zur Rechtfertigung ihrer niederträchtigen Ausrottung der Bolschewiki-Leninisten? Doch richten wir uns nicht nach den Verleumdungen der Gegner, sondern nach dem realen Verlauf des Klassenkampfes. Die Oktoberrevolution hat mit der Bolschewistischen Partei an der Spitze den Arbeiterstaat geschaffen. Die Bolschewistische Partei gibt es heute nicht mehr. Doch der grundlegende soziale Inhalt der Oktoberrevolution ist noch lebendig. Die bürokratische Diktatur erleichtert, trotz aller unter ihr (gegen sie) errungenen technischen Fortschritte, außerordentlich die Möglichkeit einer kapitalistischen Restauration. Doch bis zur Restauration ist die Sache zum Glück noch nicht gediehen. Bei günstigen inneren und besonders internationalen Bedingungen kann man auf dem sozialen Fundament der Sowjetunion ohne neue Revolution das Gebäude des Arbeiterstaates wiedererrichten. Lange rechneten wir damit, dass es uns gelingen würde, die KPdSU selbst zu reformieren und durch ihre Vermittlung das Sowjetregime wiederherzustellen. Doch die offizielle „Partei" sieht heute einer Partei weniger ähnlich als vor zwei Jahren und sogar noch vor einem Jahr. Parteikongresse haben seit mehr als drei Jahren nicht stattgefunden und niemand spricht davon. Die Stalinclique schustert und flickt an ihrer „Partei" herum, als ob es sich um ein Strafbataillon handelte. Säuberung und Ausschluss waren früher darauf gerichtet, die Partei zu desorganisieren, zu terrorisieren, der Möglichkeit des Denkens und Handelns zu berauben; heute haben die Repressalien den Zweck, die Partei an der Wiederaufrichtung zu hindern. Indessen ist, damit der Sowjetstaat nicht umkomme, eine proletarische Partei nötig. Elemente dafür gibt es viele, doch herausholen und zusammenschließen kann man sie nur im Kampf mit der Stalinbürokratie. Heute von der „Reform" der KPdSU sprechen, hieße rückwärts und nicht vorwärts zu schauen und das eigene Gewissen mit bedeutungslos gewordenen Formeln zu beschwichtigen. Die bolschewistische Partei in der UdSSR muss man wieder aufbauen.

B. – Ist das nicht der Weg des Bürgerkrieges?

A. – Bürgerkrieg führte die Stalinbürokratie gegen die Linke Opposition auch in der Periode, als wir ganz aufrichtig und überzeugt für die Reform der KPdSU einstanden. Verhaftungen, Verbannungen, Erschießungen – was ist das, wenn nicht Bürgerkrieg, zumindest im Keim? Im Kampf gegen die Linke Opposition war die Stalinbürokratie das Werkzeug der konterrevolutionären Kräfte und isolierte sich dadurch von den Massen. Heute steht der Bürgerkrieg an einer anderen Front auf der Tagesordnung: zwischen der vorstoßenden Konterrevolution und der sich verteidigenden Stalinbürokratie. Im Kampf gegen die Konterrevolution werden die Bolschewiki-Leninisten selbstverständlich der linke Flügel der Sowjetfront sein. Der Kampfblock mit den Stalinisten wird sich hier aus der ganzen Lage ergeben. Man muss nur nicht meinen, dass die Stalinbürokratie in diesem Kampf einheitlich sein werde. In der entscheidenden Minute wird sie zerspalten, und ihre Bestandteile werden sich in den beiden feindlichen Lagern anfinden.

B. – Der Bürgerkrieg ist folglich unvermeidlich?

A. – Er ist schon jetzt im Gange. Bei Beibehaltung des heutigen Kurses kann er sich nur verschärfen. Bei weiterer Ohnmacht der Komintern, Lähmung der internationalen proletarischen Vorhut und dem unter diesen Bedingungen unvermeidlichen Anwachsen des Weltfaschismus wäre der Sieg der Konterrevolution in der UdSSR unvermeidlich. Selbstverständlich werden die Bolschewiki-Leninisten ihre Arbeit unter allen und jeden Bedingungen fortsetzen. Doch den Arbeiterstaat retten kann man nicht anders als durch die internationale revolutionäre Bewegung. Die objektiven Bedingungen der Erneuerung und des Wiederaufschwungs sind in der ganzen menschlichen Geschichte nie so günstig gewesen wie heutzutage. Was fehlt, ist die revolutionäre Partei. Die Stalinclique kann nicht herrschen, ohne, wie in der UdSSR und in der ganzen Welt, die Partei zu zertrümmern. Sich aus dem Zauberkreis losreißen kann man nur durch den Bruch mit der Stalinbürokratie. Man muss die Partei auf neuem Grund unter einem sauberen Banner aufbauen.

B. – Wie sollen denn die revolutionären Parteien der kapitalistischen Länder auf die Stalinbürokratie in der UdSSR einwirken können?

A. – Alles hängt von der realen Stärke ab. Wir haben gesehen, wie die Stalinbürokratie kroch vor der Kuomintang, vor den britischen Trade-Unionisten, wir sehen, wie sie heute kriecht sogar vor kleinbürgerlichen Pazifisten. Starke revolutionäre Parteien, die wirklich fähig sind zum Kampf gegen den Imperialismus und somit zur Verteidigung der UdSSR, werden die Stalinbürokratie zwingen, mit ihnen zu rechnen. Viel wichtiger ist, dass diese Organisationen in den Augen der Sowjetarbeiter eine gewaltige Autorität erringen und so schließlich günstige Voraussetzungen für die Wiederauferstehung der echten bolschewistischen Partei schaffen werden. Nur auf diesem Wege zeigt sich eine Möglichkeit der Reform des Sowjetstaates ohne neue proletarische Revolution.

B. – Also: wir verzichten auf die Losung der Reform der KPdSU und bauen eine neue Partei als Werkzeug zur Reform der Sowjetunion?

A. – Ganz richtig.

B. – Aber haben wir die Kräfte für diese grandiose Aufgabe?

A. – Die Frage ist nicht richtig gestellt. Vor allem muss man klar und mutig die geschichtliche Aufgabe formulieren und dann die Kräfte zu ihrer Lösung sammeln. Gewiss, wir sind heute noch schwach. Doch heißt das durchaus nicht, dass die Geschichte uns einen Rabatt einräumen wird. Eine der psychologischen Quellen des Opportunismus ist die Furcht vor großen Aufgaben, d.h. der Unglaube an die revolutionären Möglichkeiten. Doch die großen Aufgaben fallen nicht vom Himmel, sie erwachsen im Verlauf des Klassenkampfes. In eben denselben Bedingungen muss man die Kraft für die Lösung der großen Aufgaben suchen.

B. – Aber die Überschätzung der eigenen Kräfte führt nicht selten zum Abenteurertum?

A. – Richtig. Es wäre reinstes Abenteurertum, wenn wir unsere heutige Organisation zur Kommunistische Internationale „ausrufen" oder uns unter diesem Namen mechanisch mit den verschiedenartigsten anderen oppositionellen Organisationen vereinigen würden. Man kann die neue Internationale nicht „ausrufen", sie aufzubauen steht erst noch bevor. Doch kann und muss man schon heute die Notwendigkeit des Aufbaus der neuen Internationale ausrufen.

Ferdinand Lassalle, dem weder Opportunismus noch Abenteurertum fremd waren, hat dennoch ausgezeichnet das Haupterfordernis der revolutionären Politik ausgedrückt: Jede große Tat beginnt mit dem Aussprechen dessen, was ist. Bevor man praktisch die Fragen löst, wie die neue Internationale aufzubauen ist, welche Methoden anzuwenden und welche Fristen zu bestimmen sind, muss man offen aussprechen, was ist: die Komintern ist für die Revolution tot.

B. – Darüber kann es Ihrer Meinung nach keine Zweifel mehr geben?

A. – Nicht die Spur. Der ganze Verlauf des Kampfes gegen den Nationalsozialismus, der Ausgang dieses Kampfes und die Lehren dieses Ausgangs bezeugen gleicherweise nicht nur die völlige revolutionäre Unzulänglichkeit der Komintern, sondern auch ihre organische Unfähigkeit, zu lernen, sich zu bessern, d.h. sich zu „reformieren". Die deutsche Lehre wäre nicht so niederschmetternd und unbestreitbar, wäre sie nicht Krönung der Geschichte eines Jahrzehnts zentristischer Irrfahrten, Verderben bringender Fehler, immer fürchterlicherer Niederlagen, immer fruchtloserer Opfer und Verluste und zugleich vollständiger theoretischer Verödung, bürokratischer Entartung, von Papageientum, Demoralisierung, Täuschung der Massen, ununterbrochenen Fälschungen, der Verjagung von Revolutionären, Häufung der Beamten, Söldner und direkten Lakaien. Die heutige Komintern ist ein kostspieliger Apparat zur Lähmung der proletarischen Vorhut. Nur das! Zu anderem ist er nicht imstande.

Dort, wo die Bedingungen der bürgerlichen Demokratie einen gewissen Spielraum eröffnen, simulieren die Stalinisten dank Apparat und Kasse politische Aktivität. Münzenberg ist heute zur Symbolgestalt der Komintern geworden. Doch was ist Münzenberg? Das ist ein Oustric auf der „proletarischen" Arena. Zu nichts verpflichtende und leere Losungen, ein wenig Bolschewismus, ein wenig Liberalismus, eine Zeitungsbörse, literarische Salons, wo die Freundschaft zur Sowjetunion ihren festen Preis hat, theatralische Feindschaft gegen die Reformisten, die sich leicht in Freundschaft zu ihnen verwandelt (Barbusse!), und das wichtigste, eine gut gefüllte, von den Arbeitermassen unabhängige Kasse – das ist die Münzenbergerei. Politisch von der Gnade der bürgerlichen Demokratie lebend, verlangen die Stalinisten von ihr noch zum Überfluss, dass sie die Bolschewiki-Leninisten zerschmettere! Kann man tiefer sinken? … Aber sowie nur die Bourgeoisie ernstlich die faschistische oder einfach die Polizeifaust hebt, zieht der Stalinismus den Schwanz ein und verschwindet ruhig ins Leere. Nichts, nichts als Unheil kann die in den letzten Zügen liegende Komintern dem Weltproletariat noch bringen.

B. – Dass die Komintern als zentraler Apparat zum Hemmschuh der revolutionären Bewegung geworden sei, dem kann man nur zustimmen, ebenso dem1, dass die Reform des von den Massen unabhängigen Apparats gänzlich ausgeschlossen ist. Doch wie steht es mit den nationalen Sektionen? Sie befinden sich doch nicht alle in dem gleichen Stadium der Entartung und des Verfalls?

A. – Nach der deutschen Katastrophe sahen wir, wie in Österreich und in Bulgarien die stalinistischen Parteien sich, ohne dass die Massen sich dem widersetzten, liquidiert wurden. Steht in einigen Ländern die Sache besser als in anderen, so ist der Unterschied gewiss nicht sehr groß. Aber selbst angenommen, dass diese oder jene Sektion der Komintern von der Linken Opposition erobert würde – am Tage darauf, wenn nicht schon am Tage vorher, wird sie aus der Komintern ausgeschlossen werden und sich eine neue Internationale suchen müssen (etwas Derartiges hat sich in Chile zugetragen). Solche Fälle traten auch bei der Entstehung der III. Internationale auf: so verwandelte sich die französische sozialdemokratische Partei offiziell in die kommunistische. Doch hat das nicht die allgemeine Richtung unserer Politik hinsichtlich der II. Internationale geändert.

B. – Meinen Sie nicht, dass Tausende mit uns sympathisierender „Stalinisten" sich erschrocken von uns abwenden werden, wenn sie erfahren, dass wir endgültig mit der Komintern brechen?

A. – Möglich. Sogar ganz wahrscheinlich. Doch umso entschlossener werden sie sich uns auf der nächsten Etappe anschließen. Man soll andererseits nicht vergessen, dass es in jedem Lande Tausende von Revolutionären gibt, die die offizielle Partei verlassen haben oder aus ihr ausgeschlossen sind, und sich uns hauptsächlich deshalb nicht anschlossen, weil wir in ihren Augen nur eine Fraktion neben der Partei sind, von der sie enttäuscht wurden. Eine noch größere Anzahl Arbeiter löst sich schon heute vom Reformismus los und sucht eine revolutionäre Führung. Schließlich steht in der Zeit des Verfaulens der Sozialdemokratie und des Zusammenbruchs des Stalinismus eine junge Arbeitergeneration auf, die ein unbeflecktes Banner braucht. Die Bolschewiki-Leninisten können und müssen die Kristallisationsachse all dieser zahlreichen Elemente bilden. Dann wird alles, was in der stalinistischen Internationale lebendig ist, die letzten Zweifel abschütteln und sich uns anschließen.

B. – Fürchten Sie nicht, dass die neue Orientierung auf Widerstand bei uns selbst stoßen wird?

A. – In der ersten Zeit ist das gar nicht zu vermeiden. In vielen Ländern ist die Linke Opposition durch ihre ganze Arbeit hauptsächlich, wenn nicht ausschließlich, mit der offiziellen Partei verbunden, wenig in die Gewerkschaften eingedrungen und fast gar nicht interessiert an dem, was innerhalb der Sozialdemokratie vor sich geht. Mit diesem engen Propagandismus ist es Zeit, Schluss zu machen! Der Wendung muss eine breite und ernste Diskussion vorangehen. Es ist nötig, dass jedes Mitglied unserer Organisation das Problem bis zu Ende durchdenkt. Die Ereignisse werden dabei helfen – jeder Tag wird unwiderlegliche Beweise für die Notwendigkeit der neuen Internationale bringen. Ich zweifle nicht, dass eine gemeinsam und entschlossen durchgeführte Wendung uns eine große geschichtliche Perspektive eröffnen wird.

20. Juli 1933

G. Gurow

1 In „Unser Wort“ steht: „nicht zustimmen, ebensowenig dem“. In der englischen Fassung steht: „it is impossible not to acknowledge, just as it must be agreed“

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