Leo Trotzki: Brief an Henk Sneevliet [Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 1046, International Institute of Social History, Amsterdam] 14. September 1933 Lieber Freund! Ich habe deine beiden Briefe vom 9. und 11. September erhalten mit der Beilage des kleinen Briefes des Genossen Bauer.So wie Dein Schweigen mich beunruhigt hatte, so große Freude bereiten mir Deine Briefe. Sie beweisen, dass unsere politische Annäherungen jetzt festere organisatorische Formen annimmt, und dass wir jetzt Hand in Hand weitermarschieren und kämpfen können.Ich schicke Dir anbei zur Information einen Artikel, der polemisch die Bedeutung der Pariser Konferenz darlegt. Die Polemik ist gegen manche Elemente in der französischen Liga gerichtet, insbesondere gegen die jüdische Gruppe, die unter der Führung von vollständig unbrauchbaren,verknöcherten und verärgerten Spießern steht. Schon vor zwei Jahren bestand ich darauf, dass man sich von diesem Ballast befreie. Hoffentlich kommt es jetzt zustande.Natürlich trägt nicht ihre Kritik an der Pariser Konferenz die Schuld an der unvermeidlichen Scheidung, sondern das ganze Benehmen der Gruppe im Verlauf der letzten zwei Jahre. Nun zu den wichtigeren Dingen. Der Anschluss Deiner Partei an die Linke Opposition ist von großer Bedeutung. Das internationale Sekretariat müssen wir nur nicht nur behalten, sondern festigen. Seine Aktivität erweitern,bis wir wirklich so weit sind, ein Zentrum der neuen Internationale geschaffen zu haben. Unser Viererbündnis ist potenziell von geschichtlicher Wichtigkeit, heute aber haben wir noch kein gemeinsames Zentrum und es wird nicht leicht sein, das Zentrum herauszubilden. Selbst wenn Bauer nach Amsterdam gehen könnte, was kaum möglich ist (darüber unten ausführlicher), so würde sogleich die Frage der SAP entstehen. Walcher wollte überhaupt die Befugnis der Viererkommission so stark wie möglich beschneiden. Die Tendenzen der OSP, wie ich aus dem Beschluss ihres Zentralkomitees ersehe,würden ungefähr in derselben Richtung gehen. Nur nach der Ausarbeitung und der Annahme des Programms, d.h. des Manifestes, wird es hoffentlich gelingen, ein mehr autoritatives Zentrum der vier Organisationen zu schaffen. Vielleicht werden wir auch zu jener Zeit zahlreicher sein. Einstweilen müssen wir das Sekretariat bewahren. Es steht ja in Verbindung mit mehr als zwanzig Sektionen und Gruppen, muss in ihre Tätigkeit leitend eingreifen, manchmal auh Konflikte beheben usw. Damit kann sich keineswegs die Viererkommission, auch wenn sie zustande kommt, beschäftigen. Die Teilnahme eines Vertreters Deiner Organisation am Internationalen Sekretariat halte ich für nicht nur wünschenswert, sondern für absolut notwendig, und zwar für beide Seiten: für das Sekretariat wie für Deine Organisation. Da das Sekretariat vom Plenum ernannt wurde, so entsteht eine kleine juristische Schwierigkeit, wie man die RSP zur Beteiligung berechtigt ohne ein neies Plenum.Ich glaube aber, die einfache Befragung der in Betracht kommenden Organisationen genügt vollständig, Nun, wie stellst Du Dir aber die praktische Zusammenarbeit vor? Wird ein holländischer Genosse immer in Paris wohnen, oder wird er nur von Zeit zu Zeit, sagen wir allmonatlich, nach Paris kommen können? Das muss alles mit dem Sekretariat ausgemacht werden. Ich übersende jedenfalls eine Kopie dieses Briefes an Bauer, damit die Frage organisationsmäßig entschieden werden kann. Von hier aus kann ich nur meine persönliche Meinung zum Ausdruck bringen, bin aber sicher, dass das Sekretariat sich beeilen wird, einen holländischen Genossen in seine Mitte zu bekommen. Bauer ist jetzt der permanente Sekretär, d.h. derjenige, der die Verantwortung für die Erledigung aller laufenden Geschäfte trägt. Die deutsche Zeitung Unser Wort kommt nach Paris, und Bauer wird natürlich leitenes Redaktionsmitglied. Wie kann er bei dieser Sachlage nach Amsterdam gehen, so wünschenswert das auch vom Standpunkt des Viererbündnisses auch sein möge? Jedenfalls schreibt mir Bauer, dass er für eine gewisse Zeit nach Amsterdam geht, aber das allein kann natürlich die Frage des Sekretariats nicht entscheiden. Ich bin mit dir vollständig darin einig, dass das Übertragen des Sekretariats an die OSP bei der jetzigen Lage unmöglich wäre. Das ZK der OSP sieht den konfusen und nichtssagenden Beschuss der Mehrheit der Konferenz als ihr Hauptergebnis an und unterstützt dieses Zéro „einstimmig“. Meine Einschätzung der Konferenz und ihrer Ergebnisse brauche ich hier nicht noch einmal zu wiederholen, denn Du hast darüber ja schon den Gurowbrief, der sich mit der Frage befasst.1 Auch soll das Internationale Sekretariat seine Stellungnahme zur Konferenz in einer prinzipiellen Resolution zusammengefasst haben. Bauer soll Dir den betreffenden Beschluss natürlich schon zugeschickt haben. Ich glaube, wir haben ein dringendes politisches Interesse, unsere Vierererklärung und das künftige Vierersekretariat nicht als Ergänzung des Mehrheitsbeschlusses und des Mehrheitskomitees zu betrachten und betrachten zu lassen. Sondern im Gegenteil, das eine dem anderen so schroff und unabhängig wie möglich gegenüberzustellen. Die SAP und OSP werden zwischen zwei Wegen – dem einen, der zur Vierten Internationale, und den anderen, der durch nichts zu nichts führt – wählen müssen. Das schließt natürlich nicht aus, dass wir uns an praktischen Aktionen zu beteiligen bereit sind, soweit das Mehrheitskomitee fähig ist, praktische Aktionen zu veranstalten. Wir müssen aber von nun an einfache Einheitsfrontaktionen einerseits und die systematische Vorbereitung streng auseinanderzuhalten und eben dadurch die Schwankenden zur Entscheidung zu drängen. Das Mehrheitskomitee ist, wie ich schon dem Genossen Schmidt gesagt habe, nur eine Anstalt zum Schutz der Schwankenden.Ich würde daher raten, auch im Brief an das Londoner Büro reinen Wein einzuschränken, d.h. den Leuten sehr freundlich, aber klar zu sagen, dass wir unseren Weg in der Viererresolution bestimmt haben als den Weg zur neuen Internationale auf revolutionären Prinzipien, dass wir aber immer bereit sind, an jeder kämpferischen proletarischen Aktion uns zu beteiligen, und daher auch bereit sind, in den künftigen Veranstaltungen des Büros mit diesem Ziel teilzunehmen. Das Rundschreiben von Paton über die Pariser Konferenz beweist erst recht, was für einen Schlag es für uns bedeutete, dass die Mehrheit der Pariser Konferenz, die OSP einbegriffen, es abgelehnt hat, unsere Resolution zur Abstimmung zu stellen. Die angeführten Gründe des Nichtvorhandenseins des englischen Textes sind wirklich unwürdig, denn den Text konnte man ja im Laufe einer Stunde vorbereiten, und dazu hat es sich noch um eine Frage gehandelt, die viel wichtiger als das ganze übrige Geschreibsel der norwegischen Partei, der PUPisten usw. ist Paton erwähnt unsere Erklärung (Resolution) gar nicht. Sie existiert für das Büro und dementsprechend auch für die ihm angeschlossenen Parteien nicht; niemand ist somit gezwungen, zu dem Dokument Stellung zu nehmen. In der Kulissenschieberei sind die Leute der Zweieinhalben den Unsrigen stark überlegen, und die Unsrigen werden lernen müssen, ihre Anträge auch technisch einwandfreier vorzubereiten und mit höherem Dampfdruck durchzubringen. Gleichviel – wenn das Dokument für die Zweieinhalben nicht existiert, so existiert es für die revolutionäre Arbeiterbewegung und hoffentlich wird die Geschichte von ihm Kenntnis nehmen. A propos: De Bahnbreker spricht nur von der Unterschrift dreier Organisationen unter der Erklärung. Schmidt hat mir aber erklärt, dass er seine Unterschrift bei Walcher gelassen habe. Walcher hat es bestätigt, und in unserer Zeitung ist die Resolution mit vier Unterschriften erschienen. Es ist sehr wichtig, dieser Resolution größte Popularität zu verschaffen und zum Ausgangspunkt einer energischen Aktion zu machen. Hoffentlich hast du die endgültige und vollständige Redaktion veröffentlicht, nicht so wie die Vérité den unkorrigierten Entwurf? Was den jungen Genossen betrifft,den Du für Dich als Sekretär und Mitarbeiter haben möchtest, so kann ich leider von hier aus nicht viel ausrichten. Ein französischer Genosse kommt kaum in Betracht, der Sprache wegen. Für einen Deutschen ist das Erlernen des Holländischen unvergleichlich leichter, insbesondere für einen Norddeutschen. Darüber kann Bauer viel mehr sagen. Nun für heute genug. Meine herzlichen Grüße an Dich und die Deinen 1Handschriftlich geändert von „die Gurowbriefe, die sich mit der Frage befassen“ |
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