Durch Einheitsfront – zu den Sowjets als höchsten Organen der Einheitsfront Wortverneigungen vor den Sowjets sind in «linken» Kreisen ebenso verbreitet, wie das Nichtbegreifen ihrer historischen Funktion. Die Sowjets werden am häufigsten als Organe des Machtkampfes definiert, als Aufstandsorgane, schließlich als Organe der Diktatur. Diese Definitionen sind formal richtig. Doch erschöpfen sie durchaus nicht die historische Funktion der Sowjets. – Sie erklären vor allem nicht, warum für den Machtkampf gerade Sowjets nötig sind. Die Antwort auf diese Frage lautet: wie die Gewerkschaften Elementarform der Einheitsfront im wirtschaftlichen Kampf, so ist der Sowjet die höchste Form, der Einheitsfront unter Bedingungen, wo das Proletariat die Epoche des Machtkampfes betritt. Der Sowjet birgt an und für sich keine Wunderkraft. Er ist lediglich die Klassenvertretung des Proletariats mit all seinen starken und schwachen Seiten. Doch gerade dadurch und nur dadurch schafft der Sowjet die organisatorische Möglichkeit für die Arbeiter verschiedener politischer Richtungen, verschiedener Entwicklungsstufen, ihre Anstrengungen im revolutionären Machtkampf zu vereinigen. In der gegenwärtigen vorrevolutionären Situation müssen die fortgeschrittenen Arbeiter Deutschlands mit besonderer Klarheit die historische Funktion der Sowjets als Einheitsfrontorgane durchdenken. Würde es der Kommunistischen Partei glücken, in der vorbereitenden Periode alle übrigen Parteien aus den Reihen der Arbeiter zu verdrängen, die überwältigende Mehrheit der Arbeiter unter ihrem Banner politisch wie organisatorisch zu vereinigen, bestünde keinerlei Bedarf an Sowjets. Wie aber die historische Erfahrung zeigt, besteht kein Grund zur Annahme, dass es in irgendeinem Laude – in den Ländern mit alter kapitalistischer Kultur noch weniger als in den rückständigen – gelänge, gar vor dem proletarischen Umsturz, eine so unbestrittene und unbedingt herrschende Stellung in den Reihen der Arbeiter einzunehmen. Gerade das heutige Deutschland zeigt uns, dass die Aufgabe des direkten und unmittelbaren Machtkampfes vor dem Proletariat entsteht, lange ehe es vollständig unter dem Banner der Kommunistischen Partei vereinigt ist. Die revolutionäre Situation, nimmt man sie in der politischen Ebene, besteht eben darin, dass alle Gruppierungen und Schichten des Proletariats, zumindest ihre erdrückende Mehrheit, vorn Streben nach Vereinigung ihrer Anstrengungen zum Wechsel des bestehenden Regimes erfasst werden. Das bedeutet indes nicht, dass sie alle begreifen, wie das zu machen ist. und noch weniger, dass sie alle bereit sind, heute schon mit ihren Parteien zu brechen und in die Reihen des Kommunismus überzugehen. Nein, so planmäßig und gesetzmäßig reift das politische Bewusstsein der Klasse nicht: tiefe innere Unterschiede bleiben auch während der revolutionären Epoche bestehen, wo sich alle Prozesse sprunghaft vollziehen. Gleichzeitig aber nimmt das Bedürfnis nach einer überparteilichen, die ganze Klasse umfassenden Organisation besondere Schärfe an. Diesem Bedürfnis die Form zu verleihen – das ist die historische Bestimmung der Sowjets. Das ist ihre große Funktion. Unter den Bedingungen der revolutionären Situation bilden sie den höchsten organisatorischen Ausdruck der proletarischen Einheit. Wer das nicht begriffen hat. hat in der Frage der Sowjets nichts begriffen, Thälmann. Neumann. Remmele können noch soviel Reden halten und Artikel schreiben über das künftige Sowjetdeutschland, durch ihre heutige Politik sabotieren sie das Entstehen der Sowjets in Deutschland. Steht man abseits von den Ereignissen, ohne unmittelbare Eindrücke aus den Massen zu schöpfen, ohne die Möglichkeit zu besitzen, täglich die, Hand an den Puls der Arbeiterklasse zu legen, ist es schwer, jene Übergangsformen zu erraten, die in Deutschland zur Schaffung von Sowjets führen werden. In einem anderen Zusammenhang habe ich die Vermutung ausgesprochen, die Sowjets könnten eine erweiterte Form der Betriebsräte werden: ich habe mich dabei hauptsächlich auf die Erfahrung von 1923 gestützt. Das ist aber natürlich nicht der einzige Weg. Unter dem Druck von Arbeitslosigkeit und Elend einerseits, dem Vordringen der Faschisten andererseits, kann sich das Bedürfnis nach revolutionärer Einheit mit einem Schlage in Form von Sowjets äußern und die Betriebsräte übergehen. Auf welchem Weg indes die Sowjets auch entstehen sollten, sie können nichts anderes sein als organisatorischer Ausdruck der starken und schwachen Seiten des Proletariats, seiner inneren Unterschiede und des allgemeinen Bestrebens ihrer Überwindung, kurz Organe der einheitlichen Klassenfront. Sozialdemokratie und Kommunistische Partei teilen sich in Deutschland in ihrem Einfluss auf die Mehrheit der Arbeiterklasse. Die Sozialdemokratie tut ihr Möglichstes die Arbeiter von sich abzustoßen. Die Kommunistische Parteiführung wirkt mit allen Kräften dem Zustrom der Arbeiter entgegen. Als Resultat ergibt sich die Entstehung einer dritten Partei bei verhältnismäßig langsamer Verschiebung des Kräfteverhältnisses zugunsten der Kommunisten. Doch selbst bei der richtigsten Politik der Kommunistischen Partei würde das Bedürfnis der Arbeiter nach revolutionärer Einigung der Klasse unvergleichlich schneller wachsen, als das Übergewicht der Kommunistischen Partei innerhalb der Klasse. Die Notwendigkeit der Schaffung von Sowjets bliebe somit in vollem Umfang bestehen. Die Schaffung von Sowjets setzt die Übereinkunft der verschiedenen Parteien und Organisationen des Proletariats, beim Betrieb angefangen, voraus, sowohl in Bezug auf die eigentliche Notwendigkeit der Sowjets als auch in Bezug auf Zeitpunkt und Art ihrer Bildung. Das heißt: stellen die Sowjets die höchste Form der Einheitsfront in der revolutionären Epoche dar, so muss ihrer Entstehung in der vorbereitenden Epoche die Einheitsfront vorausgehen. Muss man aufs Neue daran erinnern, dass im Lauf von 6 Monaten des Jahres 1917 die Sowjets in Russland eine versöhnlerische Mehrheit besaßen? Die Bolschewistische Partei beobachtete, ohne auch nur eine Stunde auf ihre revolutionäre Selbständigkeit zu verzichten, gleichzeitig im Rahmen der Sowjettätigkeit die organisatorische Disziplin der Mehrheit gegenüber. Kein Zweifel, dass in Deutschland die Kommunistische Partei bereits am Tage der Aufstellung des ersten Sowjets in ihm einen weitaus bedeutenderen Platz einnehmen wird, als ihn die Bolschewiki in den Märzsowjets von 1917 einnahmen. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass die Kommunisten sehr bald schon in den Sowjets die Mehrheit erlangen würden. Das könnte den Sowjets keineswegs die Bedeutung als Apparate der Einheitsfront nehmen, denn die Minderheit – Sozialdemokraten, Parteilose, katholische Arbeiter usw. – würden in der ersten Zeit immerhin nach Millionen zählen, und beim Versuch, eine solche Minderheit zu überspringen, kann man sich in der revolutionären Situation spielend das Genick brechen. Aber all das ist Zukunftsmusik. Heute bleibt Minderheit die Kommunistische Partei. Davon muss man ausgehen. Das Gesagte bedeutet natürlich nicht, dass der Weg über die Sowjets unbedingt über ein vorheriges Abkommen mit Wels. Hilferding. Breitscheid usw. geht. Hat im Jahre 1918 Hilferding darüber nachgesonnen, wie die Sowjets in die Weimarer Verfassung einzubeziehen sind, ohne dieser zu nahe zu treten, so arbeitet gegenwärtig sein Sinn vermutlich an der Aufgabe, wie in die Weimarer Verfassung die faschistischen Kasernen einzuschließen sind, ohne Schaden für die Sozialdemokratie. An die Schaffung der Sowjets muss man in dem Moment herantreten, wo der allgemeine Zustand des Proletariats die Verwirklichung der Sowjets gestattet, auch gegen den Willen der sozialdemokratischen Spitze. Hierzu heißt es aber, die unteren Schichten der Sozialdemokratie von den Spitzen loszureißen: und das ist nicht zu erreichen, indem man sich den Anschein gibt, als wäre es schon erreicht. Gerade um die Millionen sozialdemokratischer Arbeiter von ihren reaktionären Führern zu trennen, muss man diesen Arbeitern zeigen, dass wir bereit sind, sogar mit diesen «Führern» in die Sowjets zu gehen. Man kann es indes nicht im Voraus für ausgeschlossen halten, dass sich selbst die obersten Schichten der Sozialdemokratie wieder auf die glühende Herdplatte der Sowjets werden stellen müssen, um eine Wiederholung des Manövers von Ebert. Scheidemann. Haase usw. aus dem Jahre 1918-19 zu versuchen: das wird nicht so sehr vom schlechten Willen dieser Herren abhängen als davon, in welchem Maße und unter welchen Bedingungen die Geschichte sie in ihre Zangen nehmen wird. Das Entstehen des ersten großen Lokalsowjets. in dem kommunistische und sozialdemokratische Arbeiter nicht als Einzelpersonen, sondern als Organisationen vertreten wären, würde eine gewaltige Wirkung auf die gesamte deutsche Arbeiterklasse ausüben. Nicht nur die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter, sondern auch die katholischen und liberalen wären außerstande, lange der zentripetalen Kraft zu widerstehen In allen seinen Teilen würde das deutsche Proletariat zur Organisation am meisten befähigt und am meisten geneigt zu den Sowjets streben wie Eisensplitter zum Magnetblock. In den Sowjets gewönne die Kommunistische Partei eine neue, außerordentlich günstige Arena für den Kampf um die Führerrolle in der proletarischen Revolution. Man kann als vollkommen unbestreitbar ansehen, dass die überwältigende Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter und sogar bedeutende Teile des sozialdemokratischen Apparates heute schon in den Sowjetrahmen einbezogen wären, würde die kommunistische Parteileitung den sozialdemokratischen Führern nicht so eifrig behilflich sein, den Druck der Massen zu paralysieren. Wenn die Kommunistische Partei Abkommen mit Betriebsräten, sozialdemokratischen Organisationen, Gewerkschaften usw. auf Grund eines Programms bestimmter praktischer Aufgaben für unzulässig hält, so bedeutet das nichts anderes, als dass sie die Schaffung von Sowjets in Gemeinschaft mit der Sozialdemokratie für unzulässig hält. Da es aber rein kommunistische Sowjets nicht geben kann, sie auch niemandem und zu nichts nutze wären, bedeutet der Verzicht der Kommunistischen Partei auf Abkommen und gemeinsame Aktionen mit den übrigen Parteien der Arbeiterklasse nichts anderes als den Verzicht auf die Schaffung von Sowjets. «Die Rote Fahne» wird wahrscheinlich diese Darlegung mit einer Schimpfsalve beantworten und, wie zwei mal zwei gleich vier, nachweisen, ich sei Brünings auserwählter Agent und heimlicher Bundesgenosse Welsens. Ich bin bereit, für all diese Posten die Verantwortung zu tragen, allein unter einer Bedingung: wenn «Die Rote Fahne» ihrerseits den deutschen Arbeitern erklärt, wie, wann, in welchen Formen in Deutschland Sowjets geschaffen werden können ohne Einheitsfrontpolitik den übrigen Arbeiterorganisationen gegenüber? Gerade für die Beleuchtung der Frage der Sowjets als Einheitsfrontorgane sind jene Betrachtungen äußerst lehrreich, die an dieses Thema eines der kommunistischen Provinzblätter. »Der Klassenkampf» (Halle-Merseburg), knüpft: «Alte Arbeiterorganisationen», ironisiert das Blatt, «so wie sie sind, mit allen ihren Fehlern und Schwächen, sollen in großen antifaschistischen Abwehrkarfellen zusammengefasst werden. Was heißt das? Wir können uns lange theoretische Auseinandersetzungen darüber ersparen, die Geschichte selbst ist in dieser Frage die harte Lehrmeisterin der deutschen Arbeiterklasse gewesen: die verschwommene, breiige Einheitsfront aller Arbeiterorganisationen hat der deutschen Arbeiterklasse die verlorene Revolution von 1918-19 gekostet.» Ein wahrhaftig unübertreffliches Muster oberflächlichen Wortgefasels! Die Einheitsfront war 1918-19 hauptsächlich vermittels der Sowjets zustande gekommen. Mussten die Spartakusleute den Sowjets beitreten oder nicht? Nach dem ausdrücklichen Sinn des erwähnten Zitats hätten sie außerhalb der Sowjets bleiben sollen. Da aber die Spartakusleute die verschwindende Minderheit der Arbeiterklasse darstellten und die sozialdemokratischen Sowjets keineswegs durch eigene zu ersetzen vermochten, hätte die Isolierung von den Sowjets einfach ihre Isolierung von der Revolution bedeutet. Wenn die Einheitsfront «verschwommen und breiig» aussah, lag die Schuld nicht an den Sowjets als Einheitsfrontorganen, sondern am politischen Zustand der Arbeiterklasse selbst: an der Schwäche des Spartakusbundes und an der außerordentlichen Stärke der Sozialdemokratie. Die Einheitsfront kann überhaupt nicht eine starke revolutionäre Partei ersetzen: sie kann ihr nur helfen, stärker zu werden. Das gilt auch vollständig für die Sowjets. Die Furcht des schwachen Spartakusbundes, die seltene Situation zu verpassen, trieb ihn zu ultralinken Schritten und vorzeitigem Auftreten. Wären die Spartakusleute außerhalb der Einheitsfront, d. h. der Sowjets, geblieben, so würden sich diese negativen Züge noch krasser gezeigt haben. Haben sich diese Leute denn ganz und gar nichts von der Erfahrung der deutschen Revolution 1918-19 zu eigen gemacht? Haben sie überhaupt «Die Kinderkrankheit des Radikalismus» gelesen? Wahrhaftig, furchtbare Verwüstungen hat in den Köpfen das stalinsche Regime angerichtet! Nachdem sie die Sowjets der UdSSR bürokratisiert haben, verhalten sich die Epigonen zu ihnen wie zu einem bloßen technischen Werkzeug in den Händen des Parteiapparates. Vergessen ist, dass die Sowjets als Arbeiterparlamente geschaffen wurden und die Massen dadurch an sich zogen, dass sie ihnen die Möglichkeit erschlossen, alle Teile der Arbeiterklasse unabhängig von Parteiunterschieden nebeneinander zu sammeln: vergessen ist, dass gerade darin die ungeheure erzieherische und revolutionäre Gewalt der Sowjets lag. Alles ist vergessen, alles durcheinander geworfen, alles verfälscht. O dreimal vermaledeites Epigonentum! Die Frage des Wechselverhältnisses von Partei und Sowjets ist für die revolutionäre Politik von entscheidender Bedeutung. Ist der heutige Kurs der Kommunistischen Partei faktisch darauf gerichtet, die Sowjets durch die Partei zu ersetzen, so schickt Urbahns, der keine Gelegenheit verpasst, Verwirrung zu stiften, sich an, die Partei durch die Sowjets zu ersetzen. Nach dem Bericht der «SAZ» sagte Urbahns auf einer Berliner Versammlung im Januar als Einwand gegen den Anspruch der Kommunistischen Partei auf die Führung der Arbeiterklasse: «Die Führung wird in den Händen der Räte liegen, die gewählt werden von der Masse selbst, nicht nach Wunsch oder Belieben einer einzelnen Partei! (Stürmischer Beifall.)» Dass die Kommunistische Partei mit ihrem Ultimatismus die Arbeiter reizt, die geneigt sind, jedem Protest gegen die bürokratische Hoffart Beifall zu spenden, ist begreiflich. Dies ändert aber nichts daran, dass Urbahns Stellung auch in dieser Frage nichts gemein hat mit Marxismus. Dass die Arbeiter «selbst» die Sowjets wählen werden, ist unbestreitbar. Doch die ganze Frage liegt daran, wen sie wählen werden. Wir müssen in die Sowjets gehen, gemeinsam mit allen übrigen Organisationen, wie sie sind, mit allen ihren Fehlern und Schwächen». Aber zu glauben, die Sowjets könnten «an und für sich» den Machtkampf des Proletariats leiten, heißt groben Sowjetfetischismus säen. Alles hängt von der Partei ab, die den Sowjet führt. Deshalb sprechen im Gegensatz zu Urbahns die Bolschewiki-Leninisten der Partei durchaus nicht das Recht auf die Führerschaft der Sowjets ab, im Gegenteil, sie sagen: nur auf Grund der Einheitsfront, nur vermittels der Massenorganisationen wird die Kommunistische Partei die Führerstellung in den künftigen Sowjets erobern können und das Proletariat zur Machteroberung führen. |
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