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Leo Trotzki 19290727 Ein klägliches Dokument

Leo Trotzki: Ein klägliches Dokument

[Nach Die Aktion, 19. Jahrgang, Heft 5-8 (Ende September 1929), Spalte 138-147]

Die reumütige Erklärung der Preobraschenski, Radek und Smilga vom 10. Juli ist ein so außerordentliches Dokument politischer und moralischer Wandlung, dass die Opposition die Entschlossenheit seiner Autoren, sich in ihrer natürlichen Gestalt zu zeigen, nur begrüßen kann. Für Nichtinformierte, das heißt, für die große Masse der Mitglieder der Partei und der Komintern, die man absichtlich künstlich in Dunkelheit hält, kann der Brief des „Trio" noch eine gewisse Sensation darstellen. Was die Opposition betrifft, so wussten und wissen alle ihre Mitglieder, dass Preobraschenski, Radek und Smilga schon längst tote Seelen darstellten. Bereits vor dem VI. Kongress der Komintern hat das Trio eine eigene Tätigkeit innerhalb der Opposition ausgeübt, indem es zu ihrer inneren Säuberung, d. h. zu der Befreiung von schwankenden und zufälligen Elementen, beitrug.

Dass sich solche Elemente, die das Trio unterstützen, von der Opposition lossagten, erscheint jetzt natürlich als ein Trumpf in den Händen des Apparates. Die Verteidigung des Apparates, die Schwätzer und Straßengaffer sprechen jetzt vom „Zerfall der trotzkistischen Opposition". Und Jaroslawski schreibt über die „Dämmerung" des Trotzkismus. Vor drei, ja schon vor vier Jahren wurde der Tod des Trotzkismus konstatiert. Danach kam seine Zertrümmerung. Und dann nach dem unsterblichen Ausdruck von Molotow – der „Sarg" und der „Deckel" des Trotzkismus. Jetzt beginnt wieder seine Dämmerung und sein Zerfall. Und das nach dem Tode, nach dem Sarg, nach dem Deckel! Ein altes Sprichwort behauptet: Totgesagte leben lange. Dieser Volksglaube wird hier wahr. Nun, wie steht es mit den Dutzenden und Hunderten, die sich lossagten? Es wäre, seltsam, wenn es sie nicht geben würde. Vor etwa anderthalb Jahren betrug, nach der Statistik des Jaroslawski, die Zahl der ausgeschlossenen Oppositionellen 12.000. In einer Rede nach dem Juliplenum im vorigen Jahre machte Stalin etwa folgende Angaben: zehntausend Trotzkisten sind ausgeschlossen; nehmen wir an, die doppelte Zahl ist in der Partei geblieben. Danach haben die Ausschlüsse nicht für einen Tag aufgehört. Insgesamt gibt es, darf man annehmen, nicht weniger als 15 bis 20 Tausend aus der WKP ausgeschlossene Oppositionelle. Darunter nicht wenige zufällig in die Opposition geratene junge und unreife Elemente. Auch nicht wenige Alte, die sich leer gelaufen hatten. In der Verbannung leben die Oppositionellen unter den furchtbarsten Bedingungen völliger Isolierung. Ihre Familien werden des Feuers und des Wassers beraubt. Geistige Abgerissenheit, politische Isolierung und der materielle Druck können natürlicherweise nicht ohne zersetzenden Einfluss bleiben. Und nun wird ihnen noch die fertige Formel der Demoralisierung seitens des „autoritativen" Trios hingehalten. Ist es da verwunderlich, dass es ihm gelungen ist, einige Hundert Unterschriften zu sammeln? – Und selbst wenn es einige Tausend wären? Gerade so vollzieht sich eine revolutionäre Auslese und eine politische Schulung,

Wir sehen unter dem Brief des Trios weder die Unterschrift von Rakowski, noch von Beloborodow, Sosnowski, Muralow, Kasparowa, Boguslawski, Rafail und vielen anderen, weniger bekannten Genossen, die in Wirklichkeit die Führer der Opposition waren. Es sind selbstverständlich weitere individuelle Abgänge möglich. Es ist ein weiteres Hinzukommen von Hunderten und Tausenden Unterschriften möglich. Das alles wird den Kampf der Opposition zwar vorübergehend aufhalten, aber es wird ihn nicht beseitigen. Wir haben schon längst erklärt, dass wir eine Politik auf weite Sicht führen, jetzt hoffnungsvoller denn je. Das Trio hat schon lange einen äußeren Anlass gesucht, um sich von der Vergangenheit loszusagen und möglichst unter Wahrung eines Scheins von Anstand in die sinowjewsche Lage zu kommen. Als Brücke für den Rückzug von der Position des Marxismus dient jetzt dem Trio der neue Wirtschafts-Fünfjahresplan der UdSSR. Die Kapitulanten beginnen damit, dass „die konkreten Zahlen des Fünfjahresplanes" das Programm des sozialistischen Aufbaus wiedergeben. Das bildet den Ausgangspunkt des Buß-Briefes, seinen einzigen Gedanken, im wesentlichen sein einziges Argument.

Sechs Jahre führten wir einen unversöhnlichen Kampf gegen die zentristische Fraktion Stalins in allen grundlegenden Fragen der proletarischen Weltrevolution: Sozialismus in einem Lande; Unabhängigkeit der Klassenpartei des Proletariats oder Arbeiter- und Bauernpartei; Politik des „Blocks der vier Klassen"; Einheitsfront entweder mit den Streikenden oder mit den Streikbrechern; Gefahr des Thermidors und ihr Zusammenhang mit dem Verlauf der internationalen Arbeiterbewegung und der Linie der Kominternführung usw. usw. Jetzt wird das alles bei Seite geschoben und durch die „konkreten Zahlen des Fünfjahresplans" ersetzt.

Dass der neue Fünfjahresplan einen Versuch darstellt, die Kritik der Opposition in Zahlen auszudrücken, um sie dadurch zu schwächen, ist ganz unbestreitbar. In dieser Hinsicht ist der Fünfjahresplan ebenso ein Zickzack in die Richtung der Opposition, wie die Resolution über die Parteidemokratie, Aber man muss schon ganz und gar eine politische Null sein, um dadurch zu einem Hundertstel oder auch nur Tausendstel die Frage als gelöst zu betrachten, weil als Gegengewicht zum alten Fünfjahresplan, der dem „Trotzkismus" und dem „Überindustrialismus" entgegengestellt wurde, jetzt von den gleichen Bürokraten ein neuer Fünfjahresplan verfasst worden ist, der auf den verurteilten Prinzipien des „Überindustrialismus" aufgebaut und – bis zur neuen Verfügung – gegen die Rechten gerichtet ist.

Wir waren bis jetzt der Meinung, dass alle diese Fünfjahrespläne nur insofern Gewicht und Wert hätten, als sie in den richtigen Methoden der Leitung der Wirtschaft und vor allem der politischen Leitung der Partei und der Komintern verwurzelt wären. Deshalb sind für einen Marxisten die prinzipielle Einstellung der Partei und die Methoden der Parteipolitik entscheidend und nicht „konkrete Zahlen des Fünfjahresplans", deren Schicksal noch völlig in der Ferne liegt.

Aber nehmen wir einen Augenblick an, dass der Fünfjahresplan tatsächlich der Ausdruck der sogenannten Generallinie sei; dass er morgen nicht abgeändert, sondern tatsächlich durchgeführt werden wird. Das würde bedeuten, dass die Opposition unter Abschüttelung der Kapitulanten im Resultat der Parteileitung einen richtigeren Wirtschaftsplan aufgezwungen hat. Auf den Seiten 30 bis 31 unsere Plattform, die illegal gedruckt wurde ,ist eine Kritik des ersten Fünfjahresplans gegeben, der die Originallinie Stalin-Bucharin darstellt. Um das Verständnis für das ABC der Frage, d.h. für die entscheidende Rolle des Tempos der Industrialisierung, zu erreichen, war der tapfere Kampf der Opposition nötig, mit seinen illegalen Versammlungen, Druckereien, Demonstrationen aus Anlass der Verhaftungen, der Prügeleien und der Verbannung von Bolschewiki-Leninisten. Die „konkreten Zahlen" des neuen Stalinschen Fünfjahresplans sind ein Nebenprodukt dieses Kampfes. Wenn Radek, Smilga und Preobraschenski sich von ihrer Vergangenheit lossagen, wenn sie ihre Unterschriften von jener Plattform zurückziehen, die den neuen Zickzack des stalinschen Fünfjahresplans verursacht hat, so geschieht es nur deshalb, weil sie politisch verwüstet sind. „Der VI. Parteikongress hatte recht", schreiben die Büßer, „als er die Plattform verurteilte." Die gelehrten Ökonomisten und Politiker bemühen sich aus aller Kraft, die Wurzeln zu untergraben, aus denen der Fünfjahresplan erwachsen ist. Das ist nicht neu. Schon Krylow erzählt in einer Fabel von jenem Ökonomisten (oder war es ein Naturforscher?), der die konkreten Eicheln des laufenden Jahres lobte („ich werde doch von ihnen fett",) aber die Wurzeln und den Baumstamm als nicht zur Sache gehörig beurteilte – ja sie sogar als ein Hindernis auf dem Wege des sozialistischen Aufbaues betrachtete. Aber bei Krylow hatte es sich wenigstens um Eicheln gehandelt, während es sich im Fünfjahresplan vorläufig bestenfalls um eine statistische Schale handelt.

Und wenn morgen ein Ruck nach rechts erfolgt? Wer wird ihm Widerstand leisten? „Die Partei?" Sehr unkonkret. Die Partei hat in ihrer Gesamtheit schweigend einen zweimaligen Linienwechsel geduldet, der ihr jedes mal durch die Leitung vorgeschrieben wurde. Oder wenn man will – die Partei leistete Widerstand – durch die Opposition. Wer würde den Widerstand formulieren und ihn führen, wenn es den Kapitulanten gelänge, die Opposition zu zersetzen? Womit salzen, wenn das Salz seine Kraft verloren hat? Morgen wird das Salz noch nötiger sein, als es gestern war.

Gemeinsam mit Stalin und Jaroslawski „verurteilt" das Trio das Erscheinen meiner Artikel in der bürgerlichen Presse. Ich habe vor der ganzen Welt, vor den Feinden und Freunden, gesagt, dass die Stalinisten lügen, wenn sie es wagen, die Opposition der Konterrevolution zu bezichtigen. Ich habe gesagt, dass die Opposition bis zum letzten Blutstropfen die Oktoberrevolution verteidigen wird. Das weiß jetzt die ganze Welt und zieht daraus ihre Schlüsse, Die Jaroslawski erklären aus diesem Anlasse, ich gehe zusammen mit Chamberlain. Die Radeks, die von Stufe zu Stufe hinab sinken, fallen mit kläglichen Stimmen in Jaroslawskis Geheul ein. Die Tatsachen jedoch ergeben die unbestechlichste Kontrolle. Sämtliche bürgerlichen Regierungen Europas haben mir das Visum verweigert. Nicht nur Chamberlain, auch MacDonald. Die Sowjetdiplomaten, die die Interessen der Stalinschen Fraktion beschützen, gehen einen Block ein mit den kapitalistischen Diplomaten und deren Polizei, um mir den Zutritt in irgend ein europäisches Land zu erschweren. Dies ist eine politische Realität von tieferer Bedeutung als die zweifelhaften Zahlen. Der Block Stalins, seine Einheitsfront mit Stresemann, mit der deutschen Polizei, mit Hermann Müller, mit Hilferding, mit den norwegischen Konservativen, mit den französischen bürgerlichen Republikanern, mit MacDonald und Thomas, mit der englischen Konterspionage, – diese Einheitsfront gegen mich, und in meiner Person gegen die Opposition ist eine unbestreitbare Realität, ein symbolischer Ausdruck der politischen Gruppierungen in der Weltarena. Wer angesichts dieser Tatsache in Bezug auf die bürgerliche Presse Jaroslawski unterstützt, verdient Verachtung, nichts anderes. Die Zentralfrage bilden nicht die Zahlen des bürokratischen Fünfjahresplans an sich; denn das Regime der Partei ist keine isoliert dastehende Frage: es bezeichnet und befestigt die politische Parteilinie. Es gesundet oder degeneriert, je nachdem, ob die politische Linie der Partei der Klassenbasis und der objektiven historischen Situation entspricht oder nicht. In diesem Sinne ist das Parteiregime für einen Marxisten eine unentbehrliche Nachprüfung der politischen Linie, die man jetzt die „Generallinie" nennt, um zu beweisen, dass es nicht um die Partei, sondern um den Generalsekretär geht. Wie verhält sich nun das Trio zum heutigen Parteiregime? Es ist mit ihm höchst zufrieden. Es „unterstützt den Kampf gegen den Bürokratismus im Staats- und Parteiapparat". Es unterstützt die Selbstkritik im Gegensatz zu den Forderungen „einer abstrakten Freiheit der Kritik, die Trotzki vertritt". Es verwirft die Forderung der „Legalisierung der Fraktionen" und die Parole der geheime Abstimmung, die „die Türen öffnet den thermidorianischen Mächten". Das alles haben wir von Jaroslawski und Molotow vor drei, vier, fünf und sechs Jahren bereits gehört,, Das Trio hat kein einziges neues Wort hinzufügt. Renegaten zeichnen sich stets durch ein kurzes Gedächtnis aus oder sie verlassen sich auf ein kurzes Gedächtnis bei den anderen, Revolutionäre dagegen rechnen mit einem guten Gedächtnis, denn man kann mit einem gewissen Recht sagen, dass eine revolutionäre Partei das Gedächtnis der Arbeiterklasse ist. Zu lehren: den gestrigen Tag nicht zu vergessen, um den morgigen voraussehen zu können ist unsere erste und wichtigste Aufgabe,

Es ist nicht schwer, nachzuweisen, dass die Kapitulanten, die auf die Partei schwören, sie verachten, Das Trio tritt, wie wir gehört haben, für die Selbstkritik im Gegensatz zur abstrakten Freiheit der Kritik ein. Darf man aber in der Partei die Handlungen des Zentralkomitees einer Kritik unterwerfen? Darf man es, oder nicht? Ist es eine abstrakte oder eine konkrete Frage? Das Trio möge nicht die Ausflüchte versuchen, es hänge von dem Charakter der Kritik ab. Das wissen wir ebenso gut wie sie. Grenzen für eine innerparteiliche Kritik, mögen sie enger oder weiter gezogen sein, gibt es, muss es geben, kann eine Partei der revolutionären Tat nicht entbehren. Aber keine Ausflüchte. Wir sprechen nicht davon. Wir sprechen davon, dass es in den Verfügungen von 1928 über die Selbstkritik einen geheimen Paragraphen gibt, der die Kritik am Zentralkomitee oder genauer gesagt, an der Spitze der stalinschen Fraktion überhaupt ausschließt. Die Stalinisten sind der Ansicht, dass die Autorität des Zentralkomitees einer anderthalb Millionen starken Partei mit überwiegend politischem Rohmaterial, außerhalb jeder Kritik zu stehen habe! Andererseits pflanzten sie eben zu diesem Zweck das Rohmaterial an. Wir, Oppositionelle, vertreten die Ansicht, dass damit die „Generallinie" in die Linie des Generalsekretärs verwandelt wird. Die Partei besteht nur zu diesem Zwecke, sie zu unterstützen, wie etwa jetzt das Trio die Jaroslawski und Molotow in deren Kampf gegen den Bürokratismus unterstützt.

Die Opposition hat die Parole der geheimen Abstimmung in der Partei ausgegeben. Das Trio behauptet, die Forderung „öffnet die Türen den thermidorianischen Mächten". Aber dies bedeutet doch nichts anderes, als dass das Trio das Vorhandensein solcher starken thermidorianischen Mächte innerhalb der Partei voraussetzt, die man fürchten müsse! Kann es eine erbarmungslosere Verurteilung nicht nur des Parteiregimes, sondern der Partei selbst geben? Welchen revolutionären Wert hat, vom Standpunkte des Trios, die Partei, wenn die Unterstützung der Generallinie nicht durch den guten Willen der Mitglieder gesichert wird, sondern durch ein Regime des Terrors, der gegen die thermidorianischen Kräfte innerhalb der Partei gerichtet ist? Ist es nicht selbstverständlich, dass eine geheime Abstimmung, die diese Kräfte in der Partei offenbaren würde, für die revolutionäre Gesundung der Partei von rettender Bedeutung wäre?

Wie kommt es, dass das unselige Trio die Ungeheuerlichkeit ihrer Argumente gar nicht merkt? Sehr einfach: die politische Verwandlung geht stets mit der politischen Verdummung Hand in Hand,

Das Trio verwirft die „abstrakte" Freiheit der Kritik zugunsten der Selbstkritik von Jaroslawski. Schön. Nun, und der Wrangeloffizier – ist der etwas Abstraktes oder Konkretes? Gerade darum, weil Preobraschenski, Smilga und Radek vor drei Jahren mit uns Sündern forderten: den Kampf gegen den Kulak, die Beschleunigung der Industrialisierung und die Verbesserung des Parteiregimes, gerade deshalb hat man sie beschuldigt der „konkreten" Verbindung mit den Konterrevolutionären, vertreten durch den Wrangeloffizier, der sich aber bei einer Nachprüfung als ein konkreter Agent der GPU erwies. Wie ist das gegenseitige Verhältnis zwischen dem Wrangelschen Offizier und dem Regime der Selbstkritik, das jetzt das Trio unterstützt? Was sagt es zu den Versuchen Stalins, durch Provokateure der Opposition militärische Verschwörungspläne und terroristische Attentate unterzuschieben? Oder ist das zu „abstrakt"?

Das Trio lehrt: „Die Forderung der Legalisierung von Fraktionen innerhalb der Partei, die Trotzki erhebt, ist nicht bolschewistisch". Außerordentlich offenherzig! Als handele es sich um Legalisierungen im Allgemeinen, um Fraktionen im Allgemeinen und innerhalb der Partei im Allgemeinen. Was soll man mit gewesenen Marxisten beginnen, die in Kindheit verfallen? Auf dem zehnten Parteitag der regierenden Partei der Bolschewiki, unter den schwierigsten Bedingungen der ökonomischen Schwenkung, wurden Fraktionen verboten. Aber eben in der regierenden Partei, und eben in einer bestimmten Epoche und eben unter Berücksichtigung dessen, dass ein hinreichend freies innerparteiliches Regime, unter einmütiger Anstrengung aller verantwortlichen Parteielemente, es erlauben würde, die fraktionellen Bestrebungen, die in gewissen Grenzen mit dem Leben und der Entwicklung der Partei unvermeidlich verbunden sind, auf ein Minimum zu reduzieren. Was aber haben die kläglichen Epigonen getan? Sie haben das Verbot der Fraktionen zu etwas Absolutem gestempelt, es auf alle Parteien der Komintern ausgedehnt, d. h. auch auf jene, die kaum die ersten Schritte machen, sie haben die Leitung der Komintern vor die Alternative gestellt: vor einem jeden Jaroslawski, vor einem jeden Gussew auf dem Bauche zu liegen, oder – außerhalb der Partei zu sein. Und das Resultat? Das unterdrückte geistige Leben drängt nach außen und erzeugt bedrohliche Verfallserscheinungen innerhalb der Komintern. Alle führenden Elemente des ersten Jahrfünfts sind aus der Komintern ausgeschlossen. Das ist die grundlegende Tatsache, wichtiger und überzeugender, als das närrische Nachplappern der Phrasen Jaroslawskis über „Selbstkritik". Die Teilnehmer der vier ersten Kongresse der Komintern, das heißt ihre Mitbegründer, ihre Pioniere, die Mitkämpfer Lenins, sind aus allen Parteien der Komintern ausgeschlossen. Zu welchem Zwecke? Zum Kampf gegen den „Trotzkismus". Zur Verwirklichung des „Leninismus". Darüber schweigen die beredten Kapitulanten sich aus. Die Komintern besteht zur Zeit völlig aus sich bekämpfenden Fraktionen. Dass das Trio sie nicht „legalisieren" will, hat recht wenig Bedeutung, umso weniger, als das Trio selbst noch keine Zeit gehabt hat, sich zu legalisieren, sondern dieses erst anstrebt, und zu diesem Zwecke seine horizontale Lage angenommen hat. Man braucht nicht daran zu zweifeln, dass die Fraktion des Trios (jede Abteilung der Kapitulanten bildet eine eigene Fraktion) auch nach der Wiederaufnahme in die Partei verfaulend auf bessere Tage warten und mit der Sinowjew-Fraktion, die bereits ein solideres Stadium der Fäulnis erreicht hat, Verhandlungen führen wird. Das wird selbstverständlich die einen wie die anderen nicht abhalten, die „Generallinie" mit allen ihren unerwarteten Eventualitäten zu unterstützen.

Die Forderung der Legalisierung von Fraktionen ist nicht bolschewistisch". Der XV. Parteitag der WKP wie auch der VI. Kongress der Komintern hatten recht. So belehrt uns das Trio. Herrlich. Nun, der Vorsitzende des XV. Parteitags war Rykow und der Leiter des VI. Kongresses war Bucharin. Und beide gehörten damals zu einer Fraktion. Ist das konkret oder abstrakt? Rykow ist das Haupt der Sowjetregierung. Bucharin war bis zum gestrigen Tage das Haupt der Komintern. Es sollte scheinen, dies ist konkret. Beide gehören sie zu einer Fraktion, die ihre Sektionen fast in jedem Lande der Welt hat. Hat sich die WKP über Rykow und Tomski geäußert? Nein, auf dem XV, Parteitag war von ihnen nicht die Rede. Hat der VI. Kongress Bucharin eine Verurteilung ausgesprochen? Nein, er hat ihm Ovationen bereitet. Wie ist denn das zu verstehen? Sehr einfach: das ist eben die konkrete Selbstkritik im Gegensatz zur abstrakten Freiheit der Kritik.

Das Trio verkündet: „Wir unterstützen die Politik der Komintern, die einen unversöhnlichen Kampf gegen die Sozialdemokratie führt". Wie neu, wie tief ist das, und hauptsächlich wie konkret! Und was ist von einem solchen Kampf gegen die Sozialdemokratie zu sagen, bei dem die Sozialdemokratie zahlenmäßig wächst und ihre Positionen festigt und die kommunistischen Parteien an Boden verlieren und in neue und neue Fraktionen zerfallen? Jetzt fehlt nur noch, dass das Trio uns stotternd mit einem Hinweis auf unseren Pessimismus antwortet. Kapitulanten erfinden bekanntlich im allgemeinen kein Pulver. Sie entleihen sich aus der Tabakdose Jaroslawskis Schnupftabak und geben's für Pulver aus. Die ungetrübtesten Optimisten sind, wie schon längst festgestellt wurde, jene, die, nachdem sie eine horizontale Lage eingenommen haben, d. h. die Nase in die Erde stecken, mit Engelsstimmen den Generallinien überhaupt Lobgesänge singen. Aber das Leben prüft die Linien, insbesondere auch mittels Parlamentswahlen. Die wichtigste Prüfung wurde erst vor kurzem in England vorgenommen. In einem Lande mit einem schwer kranken Kapitalismus, mit der Wunde chronischer Arbeitslosigkeit, in einem Lande, das die größten sozialen Erschütterungen und den größten Verrat der Reformisten erlebt hat, sammelte die Kommunistische Partei 50.000 Stimmen gegen siebeneinhalb Millionen sozialdemokratischer Stimmen. Das ist das übersichtlichste Ergebnis der Politik der Komintern in den sechs Jahren nach Lenin!

Die gesamte Politik der Komintern ist jetzt auf der „Philosophie" der „dritten Periode" aufgebaut, die der VI. Kongress proklamierte, ohne irgendwelche theoretische Vorbereitung durch die Presse. Es gibt keine Dummheiten und Verbrechen gegen den Marxismus die durch die sakramentale Formel „dritte Periode" nicht gedeckt werden könnten. Was ist ihr Sinn? Zuerst bekamen wir die Offenbarung aus dem Munde Bucharins. Selbst der gehorsamste VI. Kongress widersetzte sich, weil er nicht begriff. Bucharin schwor, dass die Delegation der WKP die dritte Periode einmütig festgestellt hätte. Der Kongress unterwarf sich. Worunter? Bucharin machte folgende Schlussfolgerung: bis jetzt hat die Stabilisierung des Kapitalismus einen konjunkturmäßigen Charakter getragen, jetzt wird sie einen organischen Charakter erhalten; in Zusammenhang damit habe sich die revolutionäre Situation in eine unbestimmte Zukunft verschoben. Aber schon in seinem ersten Bericht über den Kongress erklärt der berühmte Kenner des Marxismus und der internationalen Politik, der sich unter dem bescheidenen Pseudonym Molotow verbirgt, im Gegensatz zu der Bucharinschen Schematik, dass es eine dritte Periode gäbe – wie soll es sie nicht geben! – aber ganz wo anders:die dritte Periode bedeutet die äußerste Verschärfung aller Gegensätze und das Herannahen einer revolutionären Situation. Obwohl der VI. Kongress eher nach Bucharin gelebt hat, lebt die Komintern nach dem Kongress nach Molotow. Das ist die Macht der Dialektik! Ich schickte dem VI. Kongress den Brief: „Was nun?" In diesem Brief warnte ich vor der geistlosen Scharlatanerie um den Begriff revolutionäre Situation. Ich betonte, dass wir infolge der verhängnisvollen Fehler der vergangenen Periode durch eine neue Periode des Aufstiege der Sozialdemokratie hindurchgehen müssten Daraus folgerte für die Komintern, dass nach allen versäumten oder beschmutzten revolutionären Situationen wieder eine Periode der Vorbereitung eingetreten sei, d. h. des Kampfes um die Wiedereroberung des verlorengegangenen Einflusses um seine Erweiterung und Sicherung. Die Augen zu schließen und zu schreien „die Situation wird immer revolutionärer", wie es der unglückliche Thälmann auf dem VI. Kongress tat, bedeutet, die Partei zu verwirren und die ehrliche revolutionäre proletarische Jugend in Abenteuer stürzen. Diese Voraussicht hat sich am 1. Mai in Berlin wortwörtlich erfüllt. Aber Radek, Preobraschenski und Smilga haben doch nach den unvermeidlichen Schwankungen und Ausweichungen zusammen mit der übrigen Opposition meinen Appell an den VI. Kongress unterschrieben! Wer hat nun in dieser grundlegenden Frage Recht behalten: der VI. Kongress oder die Opposition? Die Resultate der englischen Wahlen und die Früchte der Thälmannschen Linie in Deutschland sind politische Faktoren von tausendfach wichtigerer Bedeutung, als der zweite Fünfjahresplan (bis zur dritten Auflage), Da haben wir politische Tatsachen von Weltbedeutung, dort vorläufig nur bürokratisches Manövrieren mit der Statistik. Die Büßer aber schweigen darüber, wie sie auch über den schändlich abenteuerlichen Aufruf des Westeuropäischen Büros der Komintern vom 8. Mai sich ausschweigen. Dieser Aufruf resultiert voll und ganz aus der Philosophie der dritten Periode: nach Molotow, nicht nach Bucharin.

Wie es sich für alle selbstgefälligen Bankrotteure gehört, hat das Trio es natürlich nicht unterlassen können, die permanente Revolution vorzuschieben. Von diesem Pulver gibt es in der Schnupftabakdose Jaroslawskis unerschöpfliche Vorräte. In Bezug auf die tragischste Erfahrung in der neuesten Geschichte der Niederlage des Opportunismus – auf die chinesische Revolution – begnügt sich das Kapitulanten-Trio mit einem billigen Schwur, es habe mit der Theorie der permanenten Revolution nichts gemein. Es wäre richtiger zu sagen, dass diese Herren mit dem Marxismus in den grundlegenden Problemen der Weltrevolution nichts gemein haben. Radek und Smilga verteidigten hartnäckig die Ansicht, die chinesische kommunistische Partei müsse sich den bürgerlichen Kuomintang unterwerfen, und dabei nicht etwa nur vor dem Umsturz Tschiang Kai-scheks, sondern auch nach dem Umsturz. Preobraschenski murmelte, wie stets in Fragen der Politik, etwas Unverständliches. Eine bemerkenswerte Tatsache: alle jene, die in den Reihen der Opposition die Versklavung der kommunistischen Partei unter der Kuomintang verteidigt hatten, haben sich als Kapitulanten erwiesen. Auf keinem von den Oppositionellen, die ihrer Fahne treu geblieben sind, lastet dieser Fleck. Dieser offenbare Schandfleck. Fünfundsiebzig Jahre nach dem Erscheinen des Kommunistischen Manifestes, fünfundzwanzig Jahre nach der Gründung der Partei der Bolschewiki, haben diese unglückseligen „Marxisten" es als zulässig erachtet, das Verbleiben der Kommunisten in dem Käfig der Kuomintang zu verteidigen! Als Antwort auf meine Anklage hat Radek schon damals, ganz wie jetzt in seinem Bußbrief, mit der „Isolierung" des Proletariats von der Bauernschaft geschreckt, falls die Kommunistische Partei aus der Kuomintang austreten würde. Kurz vorher nannte Radek die Kantoner Regierung eine Arbeiter- und Bauernregierung, und half damit Stalin, die Versklavung des Proletariats unter die Bourgeoisie zu maskieren. Womit diese schändlichen Taten,, die Folgen der Blindheit, des Stumpfsinns und des Verrats am Marxismus verhüllen? Womit? Mit der permanenten Revolution! die Schnupftabakdose Jaroslawskis steht zur Verfügung.

Radek, der schon seit Februar 1928 einen Anlass zur Kapitulation suchte, schloss sich langsam der Resolution des Februarplenums des EKKI von 1928 über die chinesische Frage an. Diese Resolution erklärte die Trotzkisten als Liquidatoren, weil sie Niederlagen als Niederlagen bezeichneten und nicht gewillt waren, die siegreiche chinesische Konterrevolution als ein höheres Stadium der chinesischen Revolution zu bezeichnen. Diese Februarresolution nahm den Kurs auf bewaffneten Aufstand und auf Sowjets. Für einen Menschen, der auch nur ein wenig politische Erfahrung hat, von revolutionärer Erfahrung gestützt, bildet diese Resolution ein Muster ekelhaftesten, verantwortungslosesten Abenteuertums. Radek schloss sich ihr an. Smilga schwieg tiefsinnig, denn was ging ihm schon die chinesische Revolution an, wo er bereits begann, den konkreten Geruch der Zahlen des Fünfjahresplans zu wittern. Preobraschenski ging an die Sache nicht weniger weise als Radek heran, nur vom anderen Ende. Die chinesische Revolution sei niedergeschlagen, schrieb er, und zwar für lange Zeit. Eine neue Revolution werde nicht so bald kommen. Verlohnt es sich, wegen China mit den Zentristen zu hadern? Zu diesem Thema verschickte Preobraschenski lange Episteln. Als ich sie in Alma Ata las, empfand ich ein Gefühl der Scham. Was haben diese Menschen in der Schule von Lenin gelernt? fragte ich mich immer wieder. Die Voraussetzungen Preobraschenskis waren den Voraussetzungen Radeks direkt entgegengesetzt, doch die Schlussfolgerungen waren die gleichen: beide hatten sie große Lust, auf dem Umweg über Menschinski von Jaroslawski brüderlich umarmt zu werden. O, selbstverständlich zum Besten der Revolution. Das sind keine Karrieristen, bewahre, das sind keine Karrieristen, – das sind einfach hilflose, geistig verwüstete Menschen. Der abenteuerlichen Resolution des Februarplenums des EKKI (1928) habe ich damals die Mobilisierung der chinesischen Arbeiter unter der Parole der Demokratie und unter der Parole der chinesischen Konstituierenden Versammlung entgegengestellt. Da überschlug sich das Unglückstrio in Ultra-Radikalismus: das war billig und verpflichtete zu nichts, Parolen der Demokratie? Keinesfalls. „Das ist ein grober Fehler von Trotzki". Nur chinesische Sowjets und kein Prozent weniger. Es ist schwer, etwas Sinnloseres auszudenken, als diese, mit Verlaub zu sagen, Position. Die Parole der Sowjets für die Epoche der bürgerlichen Reaktion ist ein Firlefanz, d. h. eine Verhöhnung der Sowjets. Aber selbst in der Epoche der Revolution, d. h. in der Epoche des direkten Aufbaus der Sowjets, haben wir die Parolen der Demokratie nicht aufgegeben. Wir haben diese Parolen solange aufrecht erhalten, bis die realen Sowjets, die schon die Macht erobert hatten, vor den Augen der Masse mit den realen Institutionen der Demokratie zusammengestoßen waren. In der Sprache Lenins (und nicht des Spießers Stalins und seiner Papageien) bedeutet das: das demokratische Stadium in der Entwicklung eines Landes nicht zu überspringen.

Außerhalb des demokratischen Programms – Konstituierende Versammlung; Achtstundentag; Konfiskation des Bodens; nationale Unabhängigkeit Chinas, das Selbstbestimmungsrecht seiner Völker usw. – außerhalb dieses demokratischen Programms ist die kommunistische Partei Chinas an Händen und Füßen gebunden und gezwungen, das Feld passiv vor der chinesischen Sozialdemokratie zu räumen, die mit Hilfe von Stalin, Radek und Co. ihren Platz einzunehmen in der Lage ist. Also: im Schlepptau der Opposition hatte Radek das Wichtigste an der chinesischen Revolution verschlafen: denn er verteidigte die Unterwerfung der kommunistischen Partei unter die bürgerliche Kuomintang. Radek hat die chinesische Konterrevolution verschlafen, indem er nach dem Kanton-Abenteuer den Kurs auf den bewaffneten Aufstand nahm. Radek überspringt heute die Periode der Konterrevolution und des Kampfes um die Demokratie und wehrt sich gegen die Aufgaben der Übergangsperiode durch die abstrakteste Idee der Sowjets außerhalb von Zeit und Raum. Dafür aber schwört Radek, er habe nichts gemein mit der permanenten Revolution. Das ist erfreulich Das ist tröstlich. Radek begreift aber die bewegenden Kräfte der Revolution nicht; er begreift nicht die sich ablösenden Perioden; er begreift die Rolle und die Bedeutung der proletarischen Partei nicht; er begreift das Verhältnis zwischen den Parolen der Demokratie und des Kampfes um die Macht nicht; aber dafür, o, dafür rührt er keinen Schnaps an, und wenn er in schwierigen Tagen Trost sucht, so keinesfalls beim Alkohol der permanenten Revolution, sondern bei den harmlosen Prisen aus der Schnupftabaksdose des Jaroslawski.

Doch nein, diese Prisen sind gar nicht so harmlos. Im Gegenteil, sie sind sehr gefährlich. Sie tragen die höchste Bedrohung der kommenden chinesischen Revolution in sich. Die antimarxistische Theorie Stalin-Radek enthält die veränderte, aber nicht verbesserte Wiederholung des Kuomintang-Experiments für China, für Indien, für alle anderen Länder des Ostens.

Auf Grund der gesamten Erfahrung der russischen und chinesischen Revolution, auf Grund der Lehre von Marx und Lenin, im Lichte dieser Revolution durchdacht, behauptet die Opposition:

Eine neue chinesische Revolution kann das bestehende Regime stürzen und die Macht den Volksmassen übertragen nur in der Form der Diktatur des Proletariats,

Die demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft" im Gegensatz zu der Diktatur des Proletariats, das die Bauernschaft führt und das Programm der Demokratie verwirklicht ist eine Fiktion, ein Selbstbetrug, oder noch schlimmeres: die Epoche des Kerenski oder der Kuomintang.

Zwischen dem Regime Kerenskis und Tschiang Kai-scheks einerseits und der Diktatur des Proletariats andererseits gibt es kein mittleres, revolutionäres Übergangsregime, und kann es ein solches nicht geben, und wer eine solche Formel proklamiert, betrügt die Arbeiter des Ostens schändlicherweise und bereitet neue Katastrophen vor. Die Opposition sagt den Arbeiter des Ostens: durch den innerparteilichen Mechanismus verheert, helfen die Kapitulanten Stalin, den Samen des Zentrismus zu säen, eure Augen zu blenden, eure Ohren zuzustopfen, eure Köpfe zu benebeln. Einerseits macht man euch ohnmächtig vor dem Regime der nacktesten bürgerlichen Diktatur, indem man euch verbietet, den Kampf für die Demokratie zu entfalten. Andererseits schildert man euch die Perspektive irgend einer rettenden unproletarischen Diktatur und unterstützt damit neue Verwandlungen der Kuomintang, d. h der weiteren Niederschlagung der Arbeiter- und Bauernrevolution.

Solche Prediger sind Verräter. Lernt, ihnen zu misstrauen, Arbeiter des Ostens lernt, sie zu verachten, lernt, sie aus euren Reihen zu jagen! …

In diesen Tagen erklärte ich den Vertretern der bürgerlichen Presse auf ihre Frage, dass, falls der Sowjetrepublik in Zusammenhang mit dem russisch-chinesischen Konflikt, ein Krieg aufgezwungen werden sollte, jeder Oppositionelle im Kampfe für die Sowjetrepublik seine Pflicht tun würde. Das ist zu selbstverständlich, um dabei jetzt zu verweilen. Aber das wäre nur die eine Hälfte der Pflicht. Die andere, und nicht die unwichtigere, besteht darin, der Partei die Wahrheit zu sagen. Die Provokation Tschiang Kai-scheks ist nur die Quittung für die Dienste, die ihm Stalin bei der Niederschlagung der chinesischen Revolution geleistet hat. Wir haben hunderte Mal wörtlich gewarnt: nachdem Stalin dem Tschiang Kai-schek in den Sattel geholfen haben wird, wird Tschiang Kai-schek bei der ersten Gelegenheit seinem Helfer mit dem Steigbügel ins Gesicht schlagen. Und gerade das ist geschehen. Es bleibt euch nur übrig, den Empfang zu quittieren. Die Kapitulanten sagen sich nicht nur von der Plattform los, sie fälschen sie nebenbei, um den anderen die Kapitulation zu erleichtern. So fälschen die Kapitulanten in der Frage über die Lage der Arbeiter bewusst Auszüge aus der Plattform nach den offiziellen Formeln um, Wo es doch noch gar nicht so lange her ist, dass Preobraschenski in der Verbannung mit Recht nachwies, die Lage des Landes und damit die Lage der werktätigen Massen würde heute unvergleichlich besser sein, wenn die Wirtschaftspolitik der Opposition seit 1923 durchgeführt worden wäre. Dieses bezieht sich nicht nur auf die Arbeiter, sondern auch auf die überwiegende Mehrzahl der Bauernschaft,

Der Weg zum weiteren Aufstieg der Wirtschaft liegt heute auf der Linie der ernsten, sichtbaren und spürbaren Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Arbeiter, nicht aber der nackten bürokratischen Sentenzen über die gesteigerte Produktivität der Arbeit, Die Kapitulanten – besonders Radek – haben in der Vergangenheit stets auf diesen Punkt der Plattform der Opposition ganz besonderen Wert gelegt. Jetzt sagen sie sich sogar von dem ABC der Opposition los, damit sie umso sicherer in den stalinistischen Analphabetismus verfallen können.

Von einer besonders schamlosen Heuchelei ist des Trios Verurteilung „der Schaffung eines Zentrums der Bolschewiki-Leninisten für die UdSSR", was nach seinen Worten „einen Schritt weiter zur Bildung einer neuen Partei" bedeute. Die Unanständigkeit dieser Beschuldigung besteht darin, dass die drei Ankläger Jahre lang selbst Mitglieder dieses Zentrums der Bolschewiki-Leninisten gewesen sind. Wenn sie von der Schaffung eines solchen Zentrums sprechen, so begehen sie einfach einen Betrug. Die Rede ist nicht von der Schaffung eines solchen Zentrums, sondern von seiner offenen Proklamierung. Gewiss ist auch dieser Schritt kein zufälliger. Solange der Kampf sich innerhalb der Partei abspielte, und so lange eine Hoffnung bestand, der Kampf würde sich ohne Spaltung beilegen lassen, hatte das Fraktionszentrum keine Veranlassung gehabt, sich öffentlich zu proklamieren. Jetzt aber ist die Fraktion außerhalb der Partei gestellt worden, und zwar nicht nur in der WKP, sondern in der gesamten Komintern. Da die Opposition ihre Aufgaben und Pflichten ernst nimmt, so kann sie für deren Durchführung nur auf dem Wege einer Organisation kämpfen, d. h. indem sie eine ernste, geschlossene, tatkräftige Fraktion schafft. Das Trio spricht von einer zweiten Partei, ohne zu merken dass man nach dieser Terminologie jetzt nicht von zwei sondern von drei Parteien sprechen muss, denn eine Partei bilden auch der Vorsitzende des Sowjets der Volkskommissare, Rykow, der gestrige Leiter der Komintern, Bucharin und der gestrige Leiter der Gewerkschaften, Tomski. Alle diese kurzen Sprüche eignen sich für Säuglinge und für kindisch gewordene Greise. Die Frage wird mit der Nummerierung der Parteien nicht erschöpft. Es geht um das historische Erbe des Bolschewismus. Unter dem Regime, vor dem das Trio auf dem Bauche kriecht, wird es in der Zukunft nicht wenige Krisen und Parteispaltungen geben. Der proletarische Grundkern wird sich aber um unser Banner zusammenschließen. Wie die Bürokraten die Parteien nummerieren werden, ist eine ganz nebensächliche Frage. Der künftige Historiker wird feststellen: das Werk von Marx und Lenin hat die Opposition fortgesetzt.

Das gottesfürchtige Trio verkündet feierlich, die Hauptgefahr in der Komintern sei die „rechte Gefahr". Jetzt hat der Kampf gegen diese Gefahr bekanntlich einen etatmäßigen Charakter. Die Thälmann, die Semard usw. tragen durch ihre ganze Politik zur Formierung und Stärkung der rechten Fraktionen bei, die nur Tore zu der Sozialdemokratie darstellen. Dass die Zentristen jetzt auf ihre Art gegen die Rechten kämpfen, ist eine Tatsache, die wir vorausgesagt hatten. Schon Ende 26 und Anfang 27, als Radek und Smilga – gerade diese zwei – schroffer als alle anderen die Richtung auf zwei Parteien nahmen, habe ich sie wiederholt gewarnt: der rechte Schwanz wird dem zentristischen Kopf noch einen Schlag versetzen und eine Spaltung des regierenden Blockes verursachen. Die Tatsachen haben unsere Prognose bestätigt. Jetzt desertieren die ungeduldigen linken Zentristen aus den Reihen der Opposition. Sie werden den Stalinisten viel mehr Schaden zufügen, als sie jemals uns genützt haben. Der Weg sei ihnen leicht.

Wir bleiben, was wir waren. Jeder Schlag, den wir gegen die Zentristen richten, trifft mit doppelter Kraft die Rechten. Im neuen Stalinschen Fünfjahresplan sehen wir nur die Bestätigung der Richtigkeit der Grundsätze und des Scharfblicks der Opposition. Durch die konkreten Zahlen der Kanzleien hindurch vermögen wir dem morgigen Tag ins Gesicht zu sehen. Die Zentristen hatten sich nur unter unserer Peitsche nach links bewegt. Umso weniger Veranlassung gibt es, die Peitsche aus der Hand zu legen. Im Gegenteil: es heißt jetzt mit drei Peitschen zu arbeiten. Wie wir früher die Spaltung der Rechten und der Zentristen vorausgesehen haben, so sehen wir jetzt die unvermeidliche Differenzierung unter den Zentristen voraus. Nach ihren Siegen ist die Fraktion Stalins in eine Epoche größter Prüfungen, Erschütterungen und Krisen geraten. Wir werden in alter Weise die Hand am Pulse der Parteientwicklung halten. Auf die Gefahr von rechts werden wir verweisen, nicht erst nachdem die bürokratischen Schwachköpfe sie entdeckt haben werden, lange vorher. Wir werden jeden Schritt der Zentristen nach links unterstützen, ohne dabei um ein Jota den Kampf gegen den Zentrismus als die Hauptgefahr in der Partei zu mildern. Unsere Treue für die Oktoberevolution bleibt unerschütterlich. Das ist aber die Treue von Kämpfern, nicht von Schmarotzern.

Konstantinopel, den 27. Juli 1929.

L. Trotzki

(Nach dem Manuskript übersetzt von Alexandra Ramm.)

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