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Leo Trotzki 19290225 Deportation

Leo Trotzki: Deportation

[Nach New Yorker Volkszeitung, 1. März 1929, S. 1 und 11]

Dort erschienen mit den Überschriften

Im schlimmsten Schneesturm von Turkestan nach der Türkei

Leo Trotzki und Familie warteten zwölf Tage in der Wildnis auf Bescheid.

Erinnerungen an die Internierung in Kanada.

und der Einführung „Dies ist der zweite Artikel einer Serie von vier Artikeln, in denen Leo Trotzki, aus der UdSSR deportiert, die Situation in der Sowjet-Union und die Gründe seiner Ausweisung nach Konstantinopel schildert. Die Artikel sind aus dem Russischen übersetzt.]

KONSTANTINOPEL, 26. Febr. Als ich aufgefordert wurde, alle politische Aktivität aufzugeben, da antwortete ich, dass solche Forderung nur von den verächtlichsten Beamten kommen und nur von einem Renegaten erfüllt werden könnte. Ich bezweifle, ob die Stalinisten selbst eine andere Antwort erwartet haben. Ein Monat verging ohne Zwischenfall. Unsere Beziehungen mit der Außenwelt waren vollständig abgeschnitten, selbst die illegalen Beziehungen zu den politischen Freunden, denen es trotz der Wachsamkeit der Regierung gelang, mich bis zum Ende von 1928 in Almaata vollkommen mit den Ereignissen in Moskau und in anderen Zentren auf dem Laufenden zu halten.

Im Januar erhielt ich nur Moskauer Zeitungen, und je mehr sie über Regierungsmaßnahmen gegen den Rechten Flügel redeten, desto mehr waren wir uns bewusst, dass wir eine Offensive gegen den Linken Flügel zu erwarten haben. Das ist Stalins Methode.

Der Ausweisungsbefehl.

Der Agent der OGPU, Wolinsky, aus Moskau geschickt, war diese ganze Zeit in Almaata geblieben und erwartete Instruktionen. Am 20. Januar kam er zu mir, begleitet von mehreren bewaffneten Polizisten, die sofort alle Eingänge und Ausgänge des Hauses besetzten und mir den folgenden Auszug von einem OGPU-Erlass, vom 18. Januar datiert, überreichten:

Da Bürger Trotzki Leo Dawidowitsch Verstößen gegen Artikel 58 des Kriminal-Gesetzbuches gegen konterrevolutionäre Aktivität schuldig ist, indem er eine illegale Partei bildete, die kürzlich an der Schürung von Anti-Sowjet-Revolten beteiligt war und einen bewaffneten Kampf gegen die Sowjet-Macht vorbereitet, darum wird hiermit verfügt dass Bürger Trotzki Leo Dawidowitsch vom Territorium der Union der Sozialistischen Sowjet- Republiken ausgewiesen wird."

Als man von mir verlangte, dass ich eine Quittung für dieses Dokument unterzeichne, schrieb ich:

Die Entscheidung der OGPU, verbrecherisch im Inhalt und illegal in der Form, wurde mir am 20. Januar 1929 zugestellt. Trotzki."

Spräche gegen Sowjets.

Ich nannte es verbrecherisch, weil die Behauptungen über meine Vorbereitungen zum bewaffneten Widerstand vorbedacht unwahr waren. Schon der Gebrauch dieser Form, die für Stalin notwendig war, um die Ausweisung zu rechtfertigen, bedeutet den niederträchtigsten Anschlag, der gegen Sowjetmacht möglich ist. Denn wenn es wahr wäre, dass die Opposition, zu welcher alle Führer der Oktober-Revolution gehören, alle Schöpfer der Sowjet-Republik und der Roten Armee, jetzt den militärischen Sturz der Sowjetmacht vorbereiten, dann würde diese Tatsache die katastrophische Situation des Landes demonstrieren. In dem Falle könnte der gerechtest-denkende Bourgeois sagen: „Wir sollten uns nicht mit der Aufnahme wirtschaftlicher Beziehungen zu den Sowjets beeilen, wir können das Resultat des jetzt in Vorbereitung befindlichen bewaffneten Kampfes abwarten."

Glücklicherweise ist die Formel der OGPU nur eine freche Polizei-Erfindung. Die Taktik der Opposition hat nichts zu tun mit dem bewaffneten Widerstand. Wir sind vollkommen überzeugt von der Lebenskraft und der Elastizität des Sowjet-Regimes. Unsere Taktik ist die der inneren Reform. Ich benutze diese Gelegenheit, um es der Welt kund zu tun, in der Hoffnung, soweit wie möglich die Interessen der Sowjet-Republik gegen die böse Wirkung des von Stalin diktierten OGPU.-Formel zu schützen.

Chamberlains Auffassung

So groß auch die inneren Schwierigkeiten heute sein mögen, steht doch denen, die auf einen baldigen Zusammenbruch des Regimes hoffen, eine bittere Enttäuschung bevor, denn diese Schwierigkeiten sind nicht das Resultat objektiver Umstände, sondern sind einfach auf eine sterile Politik des Zögerns zurückzuführen.

Austen Chamberlain, soviel ist klar, hat keine derartigen Illusionen. Wenn man Zeitungen glauben kann und besonders der amerikanischen Wochenschrift ,The Nation', so hat Austen erklärt, dass die Beziehungen zu den Sowjets an dem Tage durchaus praktisch werden würden, an welchem man „Trotzki gegen die Mauer stellt". Die Sprache macht der Energie des konservativen Ministers Ehre, der, wenn er über die amerikanische Flotte redet, weit mehr eine Vegetarier-Sprache gebraucht.

Habe ich auch keinen diplomatischen Status, so nehme ich mir doch die Freiheit, dem britischen Minister des Äußern im Allgemeinen, wie auch in meinem eigenen Interesse anzuraten, nicht zu buchstäblich auf dem Urteil zu bestehen. Stalin hat, als er mich deportierte, eine Bereitschaft zu erkennen gegeben, Chamberlains Wünschen entgegenzukommen. Wenn ich nicht weiter gegangen bin. so geschah das nicht aus Mangel an Willen, gefällig zu sein. Das ist kein Grund, den Britisch-Sowjet-Handel darunter leiden zu lassen. Ich dürfte auch erwähnen, dass internationale Beziehungen auf Reziprozität basiert sind, aber das ist ein unangenehmes Thema, und ich will es lieber fallen lassen.

Bestimmungsort unbekannt.

In der Bestätigung des OGPU-Befehls betonte ich seine Kriminalität und Illegalität. Ich meinte damit, dass man wohl einem Bürger die Wahl geben könne, das Land zu verlassen oder sich der Strafe auszusetzen, man ihn aber nicht ohne seine Zustimmung deportieren könne. Als ich mich erkundigt: „Wohin und wie will man mich deportieren?" erhielt ich zur Antwort, dass ein Spezial-OGPU-Agent, der zu mir im europäischen Russland kommen würde, mir die Antwort darauf geben würde.

Der nächste Tag wurde damit verwandt, meine Koffer mit Kleidern, Manuskripten und Büchern zu packen. Meine beiden Jagdhunde waren durch die Anwesenheit so vieler Fremder in meiner ruhigen Wohnung ernstlich verstört. Doch muss ich sagen, dass die Haltung des OGPU keineswegs feindselig war.

Mitten im Schneesturm.

In der Dämmerung des 22. nahmen meine Frau, mein Sohn und ich mit unserer Eskorte einen Autobus, der über die Landstraße von hartgefrorenem Schnee den Weg nach dem Kurda-Gebirgspass nahm. Dort wütete ein furchtbarer Schneesturm. Ein starker Traktor, der uns über die Kurde-Berge bringen sollte, sank ebenso, wie mehrere Automobile tief im Schnee ein. Sieben Mann und mehrere Pferde kamen in dem Schneesturm um. Wir mussten die Autos aufgeben und zu den Schlitten Zuflucht nehmen, und wir brauchten sieben Stunden, um 20 Meilen zurückzulegen. Auf dem Wege sah ich mit Baumaterial für die neue Turkestan-Sibirische Eisenbahn beladene Schlitten, große Trommeln Petroleum etc., alles halb im Schnee vergraben. Die Männer hatten mit ihren Pferden in benachbarten Hütten Schutz gesucht.

Als wir über den Pass hinüber waren, benutzten wir wieder Automobile, und in Pechweke Peke nahmen wir einen Zug.

Weigerung kam unerwartet.

Die dort eingetroffenen Moskauer Zeitungen zeigten, dass die öffentliche Meinung auf die Deportierung von Mitgliedern der Opposition vorbereitet wurde. In Aktjubinske informierte man uns telegraphisch, dass Konstantinopel unser Bestimmungsort wäre. Ich verlangte die Möglichkeit, zwei in Moskau wohnende Mitglieder meiner Familie zu sprechen. Sie wurden denn auch nach Rjagsk beschickt und ebenso überwacht, wie wir selbst. Bulanow, der neue befehlshabende OGPU-Agent, versuchte, mich von den Vorteilen Konstantinopels gegenüber Almaata als Exil zu überzeugen. Ich weigerte mich aber kategorisch, dorthin zu gehen.

Bulanow telegraphierte nach Moskau, wo man alles vorausgesehen hatte, nur nicht die Möglichkeit, dass ich mich weigern möchte, Russland freiwillig zu verlassen. Unser Spezialzug wurde auf eine andere Linie dirigiert, und er hielt bald auf einer kleinen ruhigen Station, wo wir lange Zeit blieben. Tag auf Tag verging. Leere Lebensmittel-Kannen sammelten sich im Zuge an. Krähen und Raben kamen in Scharen, um sich gütlich zu tun. Hasen gab es nicht, weil alle infolge einer furchtbaren Epidemie im Winter gestorben waren. Die Lokomotive fuhr täglich mit einem Waggon zur nächsten Station, um Lebensmittel herbeizuschaffen. Unsere Gesellschaft wurde von der Grippe heimgesucht und verbrachte den Tag mit Husten und Warten.

Ich las nochmals Anatole France und die russische Geschichte von Klutschewsky.

Moskau debattierte über unsern Fall. Die Lokomotive musste andauernd langsam hin- und herfahren, um das Einfrieren zu vermeiden. Nacht auf Nacht folgte, und ferne Radio-Stationen suchten im Äther nach Nachrichten über unsern Aufenthalt. Wir spielten Schach und hörten ihre Fragen nicht, aber selbst wenn wir sie gehört hätten, könnten wir nur erwidern: „Wir wurden des Nachts hierher gebracht und wir wissen nicht, wo wir uns befinden. Irgendwo in der Gegend von Kursk."

Weitere Pioniere verhaftet.

So vergingen zwölf Tage und zwölf Nächte. Inzwischen erfuhr ich von der Verhaftung von weiteren hunderten unserer Freunde, unter anderem die als Trotzki-Zentrum bekannte Gruppe. Einige der erwähnten Namen waren Kawtaradse, früherer Präsident des Volkskommissariats von Georgien; Mdiwani, früherer Vertreter der Sowjets in Paris; Woronski, einer der besten Schriftsteller der Partei; Drobris, eine der heldenmütigsten Gestalten in der ukrainischen Revolution, und viele andere. Alle waren aktiv bei der Gründung der Partei und Teilnehmer an der Oktober-Revolution.

Am 8, Februar teilte Bulanow mit: „Trotz der besten Bemühungen der Moskauer Regierung weigert sich Deutschland entschieden, Sie herein zu lassen. Daher habe ich Befehl, Sie nach Konstantinopel zu geleiten." Ich erwiderte, dass ich nicht freiwillig gehen würde und dies an der türkischen Grenze erklären werde. Bulanow antwortete: „Das wird nichts an unserer Entscheidung ändern, dass Sie nach der Türkei gehen".

Mit Kemal unter einer Decke.

Soll ich das so verstehen, dass Ihr mit der türkischen Polizei unter einer Decke arbeitet, um mich gegen meinen Willen nach der Türkei zu bringen?" frage ich.

Darüber wissen wir nichts," war die Antwort. „Wir folgen nur Befehlen".

Nachdem wir so zwölf Tage still gestanden hatten, setzte sich unser Zug wieder in Bewegung. Er wurde etwas verlängert, weil unsere Eskorte jetzt verstärkt wurde. Mir war nicht gestattet, meinen Wagen zu verlassen, nachdem wir von Pischpeka ausgefahren waren. Mit Volldampf fuhren wir in südlicher Richtung. Nur in kleinen Stationen wurde gehalten, um Wasser und Heizung einzunehmen. Diese äußerten Vorsichtsmaßnahmen waren auf die Demonstration auf dem Moskauer Bahnhof zurück zu führen, als ich im Januar 1928 zuerst deportiert wurde.

Damals verhinderte die Menge die Abfahrt des Zuges, sodass ich erst am nächsten Tage heimlich fortgeschickt werden konnte.

Nachts in Odessa.

Die Zeitungen brachten Nachrichten von einer neuen großen Kampagne gegen die Trotzkisten. Zwischen den Zeilen konnten wir die scharfen Gegensätze unter den Mitgliedern der Regierung über meine Deponierung lesen. Stalins Fraktion hatte Eile. Sie hatte nicht nur politische, sondern physische Schwierigkeiten zu überbrücken. Der Dampfer „Kalinin", der Befehl hatte, mich an Bord zu nehmen, war in Odessa, aber eingefroren. Eisbrecher konnten ihn nicht frei bekommen, obwohl Moskau auf die größte Eile bestand. Endlich wurde der Dampfer „Iljitsch" fertig gemacht. Der Zug erreichte Odessa in der Nacht des 10. Februar. Ich sah bekannte Gesichter vom Fenster aus, denn ich verbrachte sieben Jahre meiner Kindheit hier. Der Waggon hielt neben der Werft. Es war eine bitterkalte, schwarze Nacht, aber ich konnte sehen, dass die Werft von OGPU und Truppen dicht besetzt war.

Als Gefangener in Amerika...

Hier musste. ich die beiden Mitglieder meiner Familie zurücklassen, die 14 Tage lang meine Abgeschlossenheit geteilt hatten. Ich sah das Schiff vom Zugfenster. Ich musste an ein anderes Schiff denken, das mich einst nach einem unfreiwilligen Bestimmungsort gebracht hatte. Es war im März 1917 in Halifax, als britische Matrosen unter den Augen der Passagiere mich von dem norwegischen Dampfer „Christiansfjord" holten, obwohl alle meine Papiere und Visas für Christiania und Petrograd in Ordnung waren.

Meine Familie war damals dieselbe, aber zwölf Jahre jünger. Mein ältester Sohn, damals 11 Jahre alt, schlug einen britischen Matrosen mit der Faust, ehe ich ihn daran hindern konnte. Anstatt so nach Petrograd zu fahren, wurde ich einen Monat lang in einem Konzentrations-Camp im Amhurst festgehalten.

Ohne Kargo oder sonstige Passagiere fuhr der „Iljitsch" um 1 Uhr morgens von Odessa aus. Sechzig Meilen weit fuhr ihm ein Eisbrecher vorauf. Der sich legende Sturm gab uns noch ein paar ordentliche Schläge und am 12. Februar gelangten wir in den Bosporus. Ich übergab dem türkischen Kommissar, der im Voraus von unserer Ankunft informiert war, die Erklärung, dass ich gegen meinen Willen hierher gebracht wurde. Die Erklärung blieb ohne Wirkung. Nach zwanzig Tagen und 4000 Meilen Reise waren wir in Konstantinopel. (Der 3. Artikel folgt morgen.)

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