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Richard v. Kühlmann u.a. 19180303 Friedensvertrag zwischen Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei einerseits und Russland andererseits

Richard v. Kühlmann u.a.: Friedensvertrag zwischen Deutschland,

Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei einerseits

und Russland andererseits1

3. März 1918

Nach: Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluss des Rapallovertrages. Berlin 1967, S. 455-461]

Da Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei einerseits und Russland andererseits übereingekommen sind, den Kriegszustand zu beenden und die Friedensverhandlungen möglichst rasch zum Ziele zu führen, wurden zu Bevollmächtigten ernannt:

von der Kaiserlich Deutschen Regierung;

der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Kaiserlicher Wirklicher Geheimer Rat, Herr Richard von Kühlmann,

der Kaiserliche Gesandte und bevollmächtigte Minister, Herr Dr. von Rosenberg,

der Königlich Preußische Generalmajor Hoffmann,

Chef des Generalstabs des Oberbefehlshabers Ost,

der Kapitän zur See Horn,

von der k. u. k. gemeinsamen österreichisch-ungarischen Regierung: der Minister des Kais. und Könl. Hauses und des Äußern, Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät Geheimer Rat, Ottokar Graf Czernin von und zu Chudenitz,

der Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät Geheimer Rat, Herr Kajetan Merey von Kapos–Mere,

der General der Infanterie, Seiner k. u. k. Apostolischen Majestät Geheimer Rat, Herr Maximilian Csicserics von Bacsany,

von der Königlich Bulgarischen Regierung:

der Königliche Außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister in Wien, Andrea Toscheff,

der Oberst im Generalstab, Königlich Bulgarischer Militärbevollmächtigter bei Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser und Flügeladjutant Seiner Majestät des Königs der Bulgaren, Peter Gantschew,

der Königlich Bulgarische Erste Legationssekretär Dr. Theodor Anastassoff,

von der Kaiserlich Osmanischen Regierung:

Seine Hoheit Ibrahim Hakki Pascha, ehemaliger Großwesir, Mitglied des Ottomanischen Senats, bevollmächtigter Botschafter Seiner Majestät des Sultans in Berlin,

Seine Exzellenz, General der Kavallerie, Generaladjutant Seiner Majestät des Sultans und Militärbevollmächtigter Seiner Majestät des Sultans bei Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser, Zeki Pascha,

von der Russischen Föderativen Sowjetrepublik:

Grigorij Jakowlewitsch Sokolnikow Mitglied des Zentralexekutivausschusses der Räte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten,

Lew Michailowitsch Karachan, Mitglied des Zentralexekutivausschusses der Räte der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten,

Georgij Wassiliewitsch Tschitscherin, Gehilfe des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten,

Grigorij Iwanowitsch Petrowski, Volkskommissar für innere Angelegenheiten.

Die Bevollmächtigten sind in Brest-Litowsk zu den Friedensverhandlungen zusammengetreten und haben sich nach Vorlegung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten über folgende Bestimmungen geeinigt:

Artikel I

Deutschland, Österreich-Ungarn, Bulgarien und die Türkei einerseits und Russland andererseits erklären, dass der Kriegszustand zwischen ihnen beendet ist. Sie sind entschlossen, fortan in Frieden und Freundschaft miteinander zu leben.

Artikel II

Die vertragschließenden Teile werden jede Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die Staats- und Heereseinrichtungen des anderen Teils unterlassen. Die Verpflichtung gilt, soweit sie Russland obliegt, auch für die von den Mächten des Vierbundes besetzten Gebiete.

Artikel III

Die Gebiete, die westlich der zwischen den vertragschließenden Teilen vereinbarten Linie liegen und zu Russland gehört haben, werden der russischen Staatshoheit nicht mehr unterstehen; die vereinbarte Linie ergibt sich aus der diesem Friedensvertrag als wesentlicher Bestandteil beigefügten Karte (Anlage 1). Die genaue Festlegung der Linie wird durch eine deutsch-russische Kommission erfolgen.

Den in Rede stehenden Gebieten werden aus der ehemaligen Zugehörigkeit zu Russland keinerlei Verpflichtungen gegenüber Russland erwachsen.

Russland verzichtet auf jede Einmischung in die inneren Verhältnisse dieser Gebiete. Deutschland und Österreich-Ungarn beabsichtigen, das künftige Schicksal dieser Gebiete im Benehmen mit deren Bevölkerung zu bestimmen.

Artikel IV

Deutschland ist bereit, sobald der allgemeine Frieden geschlossen und die russische Demobilmachung vollkommen durchgeführt ist, das Gebiet östlich der im Artikel III Absatz 1 bezeichneten Linie zu räumen, soweit nicht Artikel VI anders bestimmt.

Russland wird alles in seinen Kräften Stehende tun, um die alsbaldige Räumung der ostanatolischen Provinzen und ihre ordnungsmäßige Rückgabe an die Türkei sicherzustellen.

Die Bezirke Erdehan, Kars und Batum werden gleichfalls ohne Verzug von den russischen Truppen geräumt. Russland wird sich in die Neuordnung der staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse dieser Bezirke nicht einmischen, sondern überlässt es der Bevölkerung dieser Bezirke, die Neuordnung im Einvernehmen mit den Nachbarstaaten, namentlich der Türkei, durchzuführen.

Artikel V

Russland wird die völlige Demobilmachung seines Heeres einschließlich der von der jetzigen Regierung neugebildeten Heeresteile unverzüglich durchführen.

Ferner wird Russland seine Kriegsschiffe entweder in russische Häfen überführen und dort bis zum allgemeinen Friedensschluss belassen oder sofort desarmieren. Kriegsschiffe der mit den Mächten des Vierbundes im Kriegszustand verbleibenden Staaten werden, soweit sie sich im russischen Machtbereich befinden, wie russische Kriegsschiffe behandelt werden.

Das Sperrgebiet im Eismeer bleibt bis zum allgemeinen Friedensschluss bestehen. In der Ostsee und, soweit die russische Macht reicht, im Schwarzen Meere wird sofort mit der Wegräumung der Minen begonnen. Die Handelsschifffahrt in diesen Seegebieten ist frei und wird sofort wieder aufgenommen. Zur Festlegung der näheren Bestimmungen, namentlich zur Bekanntgabe der gefahrlosen Wege für die Handelsschiffe, werden gemischte Kommissionen eingesetzt. Die Schifffahrtswege sind dauernd von treibenden Minen freizuhalten.

Artikel VI

Russland verpflichtet sich, sofort Frieden mit der Ukrainischen Volksrepublik zu schließen und den Friedensvertrag zwischen diesem Staate und den Mächten des Vierbundes anzuerkennen. Das ukrainische Gebiet wird unverzüglich von den russischen Truppen und der russischen Roten Garde geräumt. Russland stellt jede Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die öffentlichen Einrichtungen der Ukrainischen Volksrepublik ein.

Estland und Livland werden gleichfalls ohne Verzug von den russischen Truppen und der russischen Roten Garde geräumt. Die Ostgrenze von Estland läuft im Allgemeinen den Narwa-Fluss entlang. Die Ostgrenze von Livland verläuft im allgemeinen durch den Peipus-See und Pskowschen See bis zu dessen Südwestecke, dann über den Lubanschen See in Richtung Livenhof an der Düna. Estland und Livland werden von einer deutschen Polizeimacht besetzt, bis dort die Sicherheit durch eigene Landeseinrichtungen gewährleistet und die staatliche Ordnung hergestellt ist. Russland wird alle verhafteten oder verschleppten Bewohner Estlands und Livlands sofort freilassen und gewährleistet die sichere Rücksendung aller verschleppten Estländer und Livländer.

Auch Finnland und die Aalandsinseln werden alsbald von den russischen Truppen und der russischen Roten Garde, die finnischen Häfen von der russischen Flotte und den russischen Seestreitkräften geräumt. Solange das Eis die Überführung der Kriegsschiffe in russische Häfen ausschließt, werden auf den Kriegsschiffen nur schwache Kommandos Zurückbleiben. Russland stellt jede Agitation oder Propaganda gegen die Regierung oder die öffentlichen Einrichtungen Finnlands ein.

Die auf den Aalandsinseln angelegten Befestigungen sind sobald als möglich zu entfernen. Über die dauernde Nichtbefestigung dieser Inseln sowie über ihre sonstige Behandlung in militärischer und schifffahrtstechnischer Hinsicht ist ein besonderes Abkommen zwischen Deutschland, Finnland, Russland und Schweden zu treffen; es besteht Einverständnis darüber, dass hierzu auf Wunsch Deutschlands auch andere Anliegerstaaten der Ostsee hinzuzuziehen sein würden.

Artikel VII

Von der Tatsache ausgehend, dass Persien und Afghanistan freie und unabhängige Staaten sind, verpflichten sich die vertragschließenden Teile, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit und die territoriale Unversehrtheit dieser Staaten zu achten.

Artikel VIII

Die beiderseitigen Kriegsgefangenen werden in ihre Heimat entlassen. Die Regelung der hiermit zusammenhängenden Fragen erfolgt durch die im Artikel XII vorgesehenen Einzelverträge.

Artikel IX

Die vertragschließenden Teile verzichten gegenseitig auf den Ersatz ihrer Kriegskosten, d. h. der staatlichen Aufwendungen für die Kriegführung, sowie auf den Ersatz der Kriegsschäden, d. h. derjenigen Schäden, die ihnen und ihren Angehörigen in den Kriegsgebieten durch militärische Maßnahmen mit Einschluss aller in Feindesland vorgenommenen Requisitionen entstanden sind.

Artikel X

Die diplomatischen und konsularischen Beziehungen zwischen den vertragschließenden Teilen werden sofort nach der Ratifikation des Friedensvertrages wieder aufgenommen. Wegen Zulassung der beiderseitigen Konsuln bleiben besondere Vereinbarungen vorbehalten.

Artikel XI

Für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Mächten des Vierbundes und Russland sind die in den Anlagen 2 bis 5 enthaltenen Bestimmungen maßgebend, und zwar Anlage 2 für die deutsch-russischen, Anlage 3 für die österreichisch-ungarischen-russischen, Anlage 4 für die bulgarisch-russischen, Anlage 5 für die türkisch russischen Beziehungen.

Artikel XII

Die Herstellung der öffentlichen und privaten Rechtsbeziehungen, der Austausch der Kriegsgefangenen und der Zivilinternierten, die Amnestiefrage sowie die Frage der Behandlung der in die Gewalt des Gegners geratenen Handelsschiffe werden in Einzelverträgen mit Russland geregelt, welche einen wesentlichen Bestandteil des gegenwärtigen Friedensvertrages bilden und, soweit tunlich, gleichzeitig mit diesem in Kraft treten.

Artikel XIII

Bai der Auslegung dieses Vertrages sind für die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland der deutsche und der russische Text, für die Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Russland der deutsche, der ungarische und der russische Text, für die Beziehungen zwischen Bulgarien und Russland der bulgarische und der russische Text und für die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland der türkische und der russische Text maßgebend.

Artikel XIV

Der gegenwärtige Friedensvertrag wird ratifiziert werden. Die Ratifikationsurkunden sollen tunlichst bald in Berlin ausgetauscht werden. Die russische Regierung verpflichtet sich, den Austausch der Ratifikationsurkunden auf Wunsch einer der Mächte des Vierbundes innerhalb von zwei Wochen vorzunehmen.2 Der Friedensvertrag tritt, soweit nicht seine Artikel, seine Anlagen oder die Zusatzverträge anders bestimmen, mit seiner Ratifikation in Kraft.

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag eigenhändig unterzeichnet.

Ausgefertigt in fünffacher Urschrift in Brest-Litowsk am 3. März 1918.

R. v. Kühlmann, Bukarest, 7. März 1918

v. Rosenberg

Hoffmann

Horn

Czernin, Bukarest, 7. März 1918

Merey

A. Toscheff

Oberst P. Gantschew

Dr. Theodor Anastassoff

I. Hakki

Zeki

G. Sokolnikow L. Karachan G. Tschitscherin G. Petrowskij

1 Der Friedensvertrag wird mit allen Anlagen, Unteranlagen, dem Schlussprotokoll und dem Zusatzvertrag Russlands mit Deutschland mit Ausnahme der Zusatzverträge Russlands mit Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei sowie der „Unteranlage 2 zur Anlage 2“ und der „Unteranlage 2 zur Anlage 3“ (Zolltarife) veröffentlicht.

2 Der Friedensvertrag wurde am 15. März 1918 durch den IV. Gesamtrussischen Sowjetkongress ratifiziert. Siehe Dok. 190. Der Deutsche Reichstag stimmte dem Vertrag am 22. März zu und Wilhelm II. ratifizierte ihn am 26. März 1918.

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