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Leo Trotzki 19180607 Organisation der Roten Armee

Leo Trotzki: Organisation der Roten Armee

Rede, gehalten auf dem 1. Allrussischen Kongress der Militärkommissare am 7. Juni 1918.

[nach Leo Trotzki: Die Geburt der Roten Armee. Wien 1924, S. 57-61]

Genossen, wir sind hier auf einem Kongress von außerordentlicher Wichtigkeit. Die Parteien, die auf dieser Tagung vertreten sind, haben eine große revolutionäre Vergangenheit hinter sich. Dennoch lernen, und müssen wir jetzt im gegenwärtigen Moment lernen, unsere eigene revolutionäre sozialistische Armee aufzubauen, die im Gegensatz zu jenen, bereits demobilisierten Regimentern steht, welche sich nur dank dem Willen der Machthaber mit ihrer Zwangsdisziplin hielten. Unsere Aufgabe ist es, eine Armee zu schaffen, die auf dem Prinzip des kameradschaftlichen Vertrauens und der revolutionären Arbeitsordnung aufgebaut ist.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass dies eine ungewöhnlich große, komplizierte und schwierige Sache ist. Nebenbei bemerkt, die bürgerliche Presse schreibt viel davon, dass wir jetzt endlich eingesehen hätten, dass zum Schutz des Landes eine bewaffnete Macht erforderlich sei. Dies ist natürlich Unsinn; wir erkannten schon früher, noch vor der Oktoberrevolution, dass, solange ein Klassenkampf zwischen den Ausbeutern und dem werktätigen Volke besteht, jeder revolutionäre Staat gewappnet sein muss gegen den Angriff der Imperialisten. Die russische Revolution, der an Kraft nichts gleichkommt, konnte natürlich die alte Zarenarmee nicht beibehalten, in der die schlimme Klassendisziplin fest verwurzelt war, die Disziplin, die ein Zwangsverhältnis zwischen Soldaten und Kommandeur erzeugte.

So erhob sich vor uns in erster Linie die Aufgabe, die Klassenunterdrückung im Innern der Armee auszurotten, die Klassenfesseln und die alte Zwangsdisziplin zu sprengen und eine geläuterte Heereskraft des revolutionären Stabes zu schaffen in Gestalt einer Arbeiter- und Bauernarmee, die im Interesse des Proletariats und der armen Bauernschaft wirkte. Wir machten die Erfahrung, dass die übriggebliebenen Teile der alten Armee nach der Revolution nicht imstande waren, den anrückenden Kräften der Gegenrevolution aktiven Widerstand entgegenzustellen. Wir wissen, dass in aller Eile improvisierte Truppen aus dem besten Teil der Arbeiter und Bauern geschaffen worden sind, wir erinnern uns wohl, wie diese heldenhaften Truppen mit Erfolg die verräterischen Bewegungen unterdrückten, die von allen möglichen reaktionären Leuten ins Leben gerufen wurden, Wir wissen, wie diese Freiwilligen-Regimenter siegreich gegen die Henker der Revolution im Lande selbst kämpften. Als es aber zum Kampfe gegen die äußeren konterrevolutionären Banden kam, erwiesen sich unsere Truppen als unzureichend in Anbetracht ihrer schwachen technischen Vorbereitung und der ausgezeichneten Organisation der Truppen des Gegners.

Wenn wir das berücksichtigen, sehen wir, dass vor uns als Frage über Sein oder Nichtsein der Revolution sich die Frage der sofortigen Schaffung einer entsprechend starken Armee erhebt, die durchaus dem revolutionären Geist und dem Programm der Arbeiter und Bauern entspricht.

Gewiss, wenn wir diese komplizierte Aufgabe von höchster Wichtigkeit für den Staat in Angriff nehmen, stoßen wir auf große Schwierigkeiten. In erster Linie seien die Schwierigkeiten auf dem Gebiet des Transportwesens und der Beförderung der Lebensmittelfrachten genannt, Schwierigkeiten, die durch den Bürgerkrieg hervorgerufen worden sind. Der Bürgerkrieg ist unsere direkte Pflicht, sobald es sich um die Niederhaltung der konterrevolutionären Banden handelt. Aber die Tatsache seiner Existenz selbst vermehrt die Schwierigkeiten der raschen Bildung einer revolutionären Armee.

Die Organisierung der Armee wird außerdem durch ein Hindernis rein psychologischer Natur gehemmt: die ganze vorhergehende Kriegsperiode hat die Arbeitsdisziplin stark gelockert; im Volke selbst hat sich ein unerwünschtes Element von deklassierten Arbeitern und Bauern herausgebildet.

Ich mache dies weder den revolutionären Arbeitern noch der werktätigen Bauernschaft zum Vorwurf. Wir alle wissen, dass die Revolution von einem in der Geschichte bis dahin nicht gekannten Heroismus gekrönt war, den die werktätigen Massen Russlands offenbarten, aber es sei nicht verhehlt, dass in vielen Fällen die revolutionäre Bewegung einstweilen die Fähigkeit zur systematischen und planmäßigen Arbeit geschwächt hat.

Der elementare Anarchismus, Gaunerei und Zügellosigkeit – das sind Erscheinungen, gegen die mit aller Kraft zu kämpfen ist, gegen die sich der beste Teil der klassenbewussten Arbeiter und Bauern wenden muss.

Zu den Grundaufgaben, die den Militärkommissaren zugefallen sind, gehört es, den werktätigen Massen das Bewusstsein der Notwendigkeit der revolutionären Ordnung und Zucht einzuflößen. Dieses Bewusstsein muss auf dem Wege der Propaganda jedem Einzelnen und allen zusammen beigebracht werden.

Außer all diesen Erscheinungen, die die Sache der planmäßigen Organisation der Armee hemmen, begegnen wir Hindernissen rein materieller Natur. Wir haben den alten Apparat der Armeeverwaltung zerstört; es besteht die Notwendigkeit, einen neuen Apparat zu schaffen. Infolge dieses Übergangsstadiums haben wir einstweilen in dieser Hinsicht nicht die nötige Ordnung. Die Militärgüter unseres Staates sind chaotisch über das ganze Land zerstreut, sie sind noch nicht gebucht worden; wir kennen nicht genau die Anzahl der Patronen, Gewehre, der schweren und leichten Geschütze, Aeroplane oder Panzerautos. Die Ordnung fehlt, der alte Apparat der Rechnungslegung ist zerschlagen, der neue ist erst noch im Werden.

Das Netz der lokalen Militärkommissariate, die im ganzen Lande gebildet werden, wird eng mit den Sowjetorganisationen verknüpft. Durch Verwirklichung dieses Systems werden wir jenes Zentrum schaffen, um das herum sich planmäßig die Sache des Aufbaus der Roten Armee gestalten wird.

Es ist jedermann bekannt, dass bis jetzt in der Provinz ein Chaos herrschte, das seinerseits eine erschreckende Unordnung im Zentrum zur Folge hatte. Wir wissen, dass viele der Militärkommissare ihre Unzufriedenheit mit der Zentralregierung und speziell mit dem Volkskommissariat für das Heereswesen äußerten. Es kam vor, dass die angeforderten Summen für die Unterhaltung der Armee nicht rechtzeitig abgeschickt wurden. Wir empfingen sehr oft Eildepeschen mit der Anforderung von Geldern, aber den Telegrammen wurden die Budgets nicht beigefügt. Mitunter wurden wir dadurch in eine äußerst peinliche Lage versetzt; wir konnten nur Vorschüsse geben; durch all das kam eine Unordnung zustande, die dadurch hervorgerufen wurde, dass an Ort und Stelle ein tüchtiges Organisationsorgan fehlte.

Wir unternahmen Schritte, um in aller Eile in der Provinz Zellen der Kommissariate ins Leben zu rufen, zu denen zwei Vertreter der lokalen Sowjets und ein militärischer Fachmann gehörten.

Ein solches lokales Kollegium, ein solches lokales Militärkommissariat wird die Organisation sein, die hier oder dort die planmäßige Formierung und Verpflegung der Armee sichern kann. Alle wissen, dass eine Armee, die auf dem Prinzip der Freiwilligkeit aufgebaut wäre, von der Sowjetregierung lediglich als provisorische Erscheinung betrachtet würde.

Wie ich bereits sagte, gehörte zu unserem Programm stets die Losung: Verteidigung mit allen Kräften unseres revolutionären Arbeiterlandes, des Herdes des Sozialismus. Die Anwerbung von Freiwilligen ist bloß ein vorübergehender Kompromiss, den man in der kritischen Periode des völligen Zerfalls der alten Armee und der Zuspitzung des Bürgerkrieges akzeptieren musste. Wir nahmen für die Rote Armee Freiwillige, in der Hoffnung, dass wir die besten Kräfte der werktätigen Massen für sie gewinnen würden. Sind unsere Hoffnungen gerechtfertigt worden? Man muss sagen, dass sie nur zu einem Drittel gerechtfertigt worden sind. Gewiss, in der Roten Armee gibt es sehr viele heroische, selbstlose Kämpfer, aber es gibt auch untaugliche Elemente – Rowdies, Tunichtgute, Auswürfe der Gesellschaft.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass, wenn wir der ganzen Arbeiterklasse ohne Ausnahme das Militärhandwerk beibringen, dieses numerisch verhältnismäßig geringfügige Element für unsere Armee keine ernsthafte Gefahr darstellen wird; aber jetzt, wo wir noch so wenig Truppen haben, bildet es einen unerwünschten Splitter im Leibe unserer revolutionären Regimenter.

Es liegt den Militärkommissaren die Pflicht ob, unermüdlich tätig zu sein, um das Klassenbewusstsein in der Armee zu heben und schonungslos die unerwünschten Elemente auszurotten.

Damit die Zwangsmobilisierung zum Schutze der Sowjetrepublik verwirklicht werden kann, müssen nicht nur die Waffen, nicht nur die Gewehre, sondern auch die Menschen registriert werden. Es gilt, für die Schaffung der Armee die jüngeren Jahrgänge heranzuziehen, nämlich die Jugend, die noch nicht im Kriege war und die stets revolutionären Elan und Enthusiasmus hat. Es muss festgestellt werden, wie viele Militärdienstpflichtige wir haben, die Statistik der verfügbaren Kräfte muss genau geregelt und eine besondere sowjetische Buchführung geschaffen werden. Diese komplizierte Aufgabe liegt jetzt den Gemeinde-, Bezirks- und Gouvernementskommissariaten und Kreisen ob. Aber hierbei wird die Frage des Kommandopersonals aktuell; die Erfahrung hat gelehrt, dass der Mangel an technischen Kräften für die erfolgreiche Formierung der revolutionären Truppen ein Hindernis ist, da die Revolution aus ihrer Mitte noch keine werktätigen Massen ausgesondert hat, die im Kriegshandwerk erfahren wären. Diese Erscheinung bildet den wunden Punkt aller Revolutionen, darüber belehrt uns die Geschichte aller früheren Aufstände.

Wenn sich unter den Arbeitern eine genügende Menge militärischer Fachleute gefunden hätte, so wäre die Frage sehr einfach zu lösen, aber leider haben wir außerordentlich wenig Personen mit militärischer Vorbildung.

Die Pflichten der Vertreter des Kommandopersonals können in zwei Teile geteilt werden; einen rein technischen und einen moralisch-politischen Teil. Wenn diese beiden Eigenschaften sich in einer und derselben Person vereinigen, so ergibt sich der Idealtypus des Führers und Kommandeurs unserer Armee. Aber leider kommen derartige Erscheinungen außerordentlich selten vor. Ich bin überzeugt, dass niemand von Euch behaupten wird, dass unsere Armee ohne Kommandeure und Fachleute auskommen kann. Dies schmälert die Rolle des Kommissars keineswegs, Der Kommissar ist der direkte Vertreter der Sowjetregierung in der Armee, der Verfechter der Interessen der Arbeiterklasse. Wenn er sich in die militärischen Operationen nicht einmischt, so deshalb, weil er hinter jedem militärischen Leiter steht, seine Handlungen verfolgt und jeden seiner Schritte kontrolliert.

Der Kommissar ist ein Politiker. Der militärische Leiter bürgt mit seinem Kopfe für seine ganze Tätigkeit, für den Ausgang der militärischen Operationen usw. Hat der Kommissar festgestellt, dass der Revolution von dem militärischen Leiter Gefahr droht, so hat der Kommissar das Recht, den Konterrevolutionär erbarmungslos abzuurteilen, ja ihn zu erschießen.

Damit wir die Möglichkeit haben, in Bälde unsere eigenen Offiziere aus der Bauernschaft und der Arbeiterschaft als Kämpfer für den Sozialismus auszubilden, hat man an vielen Orten die Schaffung von Instrukteurschulen in Angriff genommen, in denen die Vertreter des werktätigen Volkes im Kriegshandwerk ausgebildet werden sollen.

Es gibt noch eine Aufgabe, die von unserer Armee bewältigt werden muss. Diese Aufgabe besteht in der Bekämpfung des Schleichhandels und der reichen Schieber, die den Armen das Getreide vorenthalten.

Die bestorganisierlen Truppen müssen in die getreidereichen Gegenden geworfen werden, wo energische Schritte zur Bekämpfung des Schleichhandels unternommen werden müssen auf dem Wege der Agitation oder sogar durch Anwendung harter Maßnahmen.

Wir stehen im Großen und Ganzen vor gewaltigen Aufgaben. Aber ich glaube, dass wir die Hände nicht in den Schoß legen werden, trotzdem unter uns Sowjetarbeitern mitunter Skeptiker und Miesmacher vorkommen.

Wenn diese Leute sich der Verzweiflung hingeben, so mögen sie abseits bleiben, wir werden beharrlich unsere Titanenarbeit weiterführen. Man darf nicht vergessen, dass das werktätige Volk Jahrhunderte hindurch qualvoll unterdrückt wurde; damit es das Joch der Sklaverei abstreife, braucht es viele Jahre und muss aus der Erfahrung, aus seinen eigenen Irrtümern und Fehlern lernen, die wir oft begehen, die aber immer seltener und seltener vorkommen.

Auf diesem Kongress werden wir unsere gegenseitigen Erfahrungen austauschen, wir werden manches voneinander lernen, und ich bin überzeugt, dass Ihr heimkehren werdet, um Eure schöpferische Arbeit im Interesse der Arbeiterrevolution fortzusetzen. Im Namen des Volkskommissariats für das Heereswesen und des Sowjets der Volkskommissare begrüße ich Euch und schließe meine Ansprache mit dem Ruf:

Es lebe die Sowjetrepublik! Es lebe die Rote Armee der Arbeiter und Bauern!

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