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Leo Trotzki 19171127 Aufruf des Rates der Volkskommissare an die Regierungen und die Völker der mit Russland alliierten Länder

Leo Trotzki: Aufruf des Rates der Volkskommissare an die Regierungen

und die Völker der mit Russland alliierten Länder

[A. L. Popow, „Die Oktoberrevolution", Verlag „Die neue Epoche", Petrograd 1918, S. 254. Eigene Übersetzung nach Л. Троцкий. Сочинения. Том 3, часть 2. Москва-Ленинград, 1925]

Als Reaktion auf unseren Vorschlag für einen sofortigen Waffenstillstand an allen Fronten mit dem Ziel eines demokratischen Friedens ohne Annexionen und Kontributionen mit der Garantie des Rechts auf nationale Selbstbestimmung antwortete der deutsche Oberbefehlshaber, Friedensverhandlungen führen. Der Oberbefehlshaber der Armee der Republik, Fähnrich Krylenko, schlug vor, den Beginn der Waffenstillstandsverhandlungen auf fünf Tage bis zum 18. November (1. Dezember) zu verschieben, um die alliierten Regierungen einzuladen, ihre Einstellung zur Sache der Friedensgespräche zu bestimmen. Militärische Aktionen an der russischen Front werden im gegenseitigen Einvernehmen ausgesetzt. Unnötig zu sagen, dass es keine Truppenbewegungen während dieser fünf Tage geben sollte, weder von der einen noch von der anderen Seite.

Der entscheidende Schritt ist gemacht. Die siegreiche Arbeiter- und Bauernrevolution in Russland wirft die Friedensfrage direkt auf. Die Zeit des Schwankens, des Zögerns, der Kanzleivereinbarungen ist vorbei. Jetzt sind alle Parteien aller kriegführenden Länder aufgerufen, die Frage kategorisch zu beantworten: Stimmen sie mit uns überein, am 18. November (1. Dezember) über einen sofortigen Waffenstillstand und einen allgemeinen Frieden zu verhandeln? Ja oder Nein! Von der Beantwortung dieser Frage hängt es ab, ob die Werktätigen der Betriebe und Felder einer neuen Winterkampagne mit all ihren Schrecken und Katastrophen entkommen werden oder ob Europa weiterhin bluten wird.

Wir, der Rat der Volkskommissare, wenden uns an die Regierungen unserer Alliierten – Frankreich, Großbritannien, Italien, die Vereinigten Staaten, Belgien, Serbien, Rumänien, Japan und China. Wir fragen sie im Angesicht des eigenen Volkes, im Angesicht der ganzen Welt: Sind sie bereit, sich am 1. Dezember zu Friedensgesprächen zu treffen?

Wir, der Rat der Volkskommissare, appellieren an die alliierten Völker und vor allem an ihre werktätigen Massen, ob sie bereit sind, dieses Gemetzel ohne Sinn und Zweck weiter in die Länge zu ziehen, blindlings bis zum Tod aller europäischen Kultur. Wir fordern, dass die Arbeiterparteien der alliierten Länder sofort eine Antwort auf die Frage geben: Wollen sie die Eröffnung der Friedensgespräche am 1. Dezember?

Die Frage stellt sich scharf. Soldaten, Proletarier, Werktätige, Bauern, wollt ihr einen entscheidenden Schritt mit uns zum Völkerfrieden machen?

Wir, der Rat der Volkskommissare, appellieren an die arbeitenden Massen Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei, Bulgariens. Der von uns vorgeschlagene Frieden sollte eine ehrliche Vereinbarung sein, die jedem Volk die Freiheit der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung sichert. Ein solcher Frieden kann nur unter der Bedingung eines direkten und mutigen Kampfes der revolutionären Massen gegen alle imperialistischen Pläne und Zielstrebungen geschlossen werden.

Die Arbeiter- und Bauernrevolution hat bereits ihr Friedensprogramm vorgestellt. Wir haben die Geheimverträge des Zaren und der Bourgeoisie mit den Alliierten veröffentlicht und diese Verträge für das russische Volk für nichtig erklärt. Wir laden alle Völker dazu ein, auf der Grundlage von Abkommen und Zusammenarbeit einen neuen Vertrag öffentlich zu schließen.

Auf unseren Vorschlag reagierten offizielle und offiziöse Vertreter der herrschenden Klassen der alliierten Länder, indem sie sich weigerten, die Regierung der Sowjets anzuerkennen und mit ihr in Friedensverhandlungen zu treten. Die Regierung einer siegreichen Revolution braucht nicht die Anerkennung der kapitalistischen Berufsdiplomatie. Aber wir fragen das Volk: Drückt die reaktionäre Diplomatie eure Gedanken und Bestrebungen aus? Stimmen die Völker der Diplomatie zu, die durch die russische Revolution eröffnete große Chance des Friedens zu verpassen? Die Antwort auf diese Fragen sollte sofort gegeben werden, und die Antwort besteht nicht in Worten, sondern in Taten. Die russische Armee und das russische Volk können und wollen nicht länger warten. Am 1. Dezember beginnen wir die Friedensgespräche. Wenn die alliierten Völker ihre Vertreter nicht entsenden, werden wir allein mit den Deutschen verhandeln. Wir wollen einen allgemeinen Frieden. Aber wenn die Bourgeoisie der alliierten Länder uns zwingt, einen Separatfrieden zu schließen, so liegt die Verantwortung vollauf bei ihnen.

Soldaten, Arbeiter und Bauern Frankreichs, Englands, Italiens, der Vereinigten Staaten, Belgiens, Serbiens! Am 1. Dezember werden Friedensgespräche eröffnet. Wir warten auf eure Vertreter. Handelt! Verliert keine Stunde! Nieder mit der Winterkampagne, nieder mit dem Krieg!

Hoch der Frieden und die Brüderlichkeit der Völker!

Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten L. Trotzki:

Vorsitzender des Rates der Volkskommissare W. Uljanow (N. Lenin).

14. November 1917

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