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Politische Briefe Nr. 11 Aufruf

NR. 11

[nach: Spartakusbriefe, Berlin 1958, S. 83-85]

AUFRUF!1

Die Welt speit Blut!

Die Masse der Toten, die der Würger Krieg in Ost und West gefällt hat, ist heute bereits auf mehr als eine Million gestiegen, die der Verwundeten auf das Dreifache. Vergeblich sucht der Geist die Fülle des Elends zu begreifen, das in solchen Zahlen umschrieben wird; vergeblich, sich die Leiden der unglücklichen Millionen zu vergegenwärtigen, deren heimatlichen Boden der Kriegsgott zerstampft, unwägbares Streben nach Glück vernichtend. Dass der Krieg den friedlichen Bürger schone, ist zu Wasser wie zu Lande zur lachhaften Phrase geworden. Wie ein edler Kelch in der Hand eines Trunkenen, so ist unter seiner rohen Faust das Völkerrecht in tausend Scherben zersprungen, und aus dem Brodem von Blut und Asche steigt immer dichter die Wolke des Hasses, welche das Gewissen der zur sozialistischen Solidarität aufstrebenden Menschheit umnebelt.

Die Verantwortlichen wissen, dass selbst der materielle Schaden durch keine noch so glänzende Siegesbeute zu ersetzen ist. Für Ostpreußen allein wurden die Schäden der Invasion bereits Anfang Januar auf 400 Millionen Mark geschätzt; für Belgien auf 5,32 Milliarden Francs. Die gesamten Kriegskosten Europas beliefen sich bereits damals auf 70 bis 80 Milliarden. Jeder weitere Kriegstag vergrößert die Rechnung, die der Friede, das heißt die schaffende Arbeit des Volkes, liquidieren soll. Der Krieg saugt nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft aus.

Solches fügt nicht blinde Wut sinnloser Elemente, sondern der Mensch dem Menschen zu.

Und zu welchem Ziele?

Mag anfangs die Parole der Landesverteidigung gutgläubig ausgegeben sein – die Imperialisten hüben wie drüben sprachen gleich unverhohlen aus, worum es gehe. Heute zeigt der Krieg sein wahres Gesicht, die Regierungen proklamieren die Vernichtung der feindlichen Koalition. Ihnen graut vor dem bewaffneten Frieden, der nur eine Pause zu einem neuen Waffengange bedeuten würde. Darum soll der Gegner zerschmettert werden, um sich nie wieder zu erheben. Man will sich gegenseitig an die Wurzeln der Existenz. So schallt's aus Russland gegen Österreich, so hinüber und herüber von diesseits und jenseits der Vogesen und des Kanals.

Was muss das Ende sein, wenn die entfesselte Furie ohne Widerstand sich ausrast? Entweder die Tyrannenherrschaft des Siegers – oder, und das ist das Wahrscheinlichere, das wechselseitige Verbluten der Gegner. In jedem Falle ist die ökonomische und demokratisch-sozialistische Entwicklung Europas auf Jahrzehnte gehemmt.

Das Bürgertum muss in dieser Lage die Parole der Verzweiflung ausgeben, die sich als Seelengröße aufspielt, die Parole: „Durchhalten!" Das Proletariat aber würde auf seine Zukunft, auf seine geschichtliche Rolle verzichten, wollte es dem Klang der Kriegstrompete weiter besinnungslos folgen wie die betörten Kinder dem Rattenfänger von Hameln.

Das kann und darf nicht sein!

Der Sozialdemokratie erwuchs die Aufgabe, die Massen zur Friedensaktion zu sammeln. Dazu hat sie sich wiederholt verpflichtet. So beschloss der Stuttgarter Kongress 1907 und der von Basel bestätigte es feierlich. Und unsere Reichstagsfraktion erklärte am 4. August wie am 2. Dezember:

Wir fordern, dass dem Kriege, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht. "

Wir fragen: Wo ist die Regierung, die bürgerliche Klasse, die dies Programm der Grenzsicherung ehrlich unterschreiben könnte, hinter die also eine sozialdemokratische Partei treten darf?

Man sagt, Friedenspropaganda würde als ein Zeichen der Schwäche ausgelegt werden. Demgegenüber muss es heißen: Falsche Auslegungen scheitern an den harten Tatsachen. Und Tatsache ist die militärisch günstige Lage Deutschlands, das seine Grenzen gesichert hat und den Krieg in Feindesland führt. Gerade darum können wir zuerst das Wort „Frieden" aussprechen.

Und wir haben die Gewissheit, dass unser Ruf nicht ohne Antwort verhallt. Wir begrüßen in Frankreich die wachsende Besinnung. Wir grüßen die Genossen Nicod und Monatte und Jouhaux als Führer der anschwellenden Opposition, die dem gleichen Ziel zustrebt. Wir grüßen die Unabhängige Arbeiterpartei Englands und die russischen Genossen, die sehnsüchtig auf das Erwachen der deutschen Sozialdemokratie warten.

Auch in Frankreich denkt kein Sozialist an Eroberungen. Das hat eben der Minister Genosse Sembat programmatisch erklärt. In diesem entscheidenden Punkt ist die Internationale einig. Und wenn Sembat und Guesde vorgeben, den deutschen Imperialismus und Militarismus zerschmettern zu müssen – dies Argument fällt in dem Augenblick zu Boden, wo wir entschlossen sind, die Fahne des Friedens zu erheben, nicht eines militaristischen Friedens mit dem Ziele von Grenzregulierungen, noch eines Friedens mit dem Ziele imperialistischer Eroberungen, sondern eines Friedens auf der Grundlage der Bedingungen, wie sie der Kopenhagener Kongress und der Basler Kongress beide Male einstimmig unter Billigung auch der deutschen Delegation formuliert hat.

Seine Hauptgrundsätze sind: keine Annexionen, politische und wirtschaftliche Selbständigkeit jeder Nation, Abrüstung, obligatorisches Schiedsgericht.

Fort darum mit fatalistischem Kleinmut und gegenseitiger Verketzerung und Verdächtigung! Schon haben namhafte Genossen bei uns gesprochen. Hinter die preußische Landtagsfraktion müssen jetzt die Massen treten und mit ihrem Ruf nach Frieden die Kriegsposaunen übertönen. Die Stimmung der Massen in Berlin hat sich bereits zu einer Reihe von Friedensresolutionen verdichtet.

Wir fordern zunächst:

Bekanntgabe der Bedingungen, unter denen die Regierungen zum Frieden geneigt sind. (Genosse Milhaud und der englische Arbeiterführer Jowett haben bereits dieselbe Forderung erhoben.)

Die freie Aussprache über Zeitpunkt und Bedingung des Friedens in Presse und Versammlung.

Zusammenarbeit mit den auf demselben Boden stehenden Genossen des Auslandes zum Zwecke gemeinsamen Vorgehens.

Genossen! Zeigen wir, dass wir fest und unerschütterlich auf dem Boden des internationalen Sozialismus stehen. Getreu den Beschlüssen der internationalen Kongresse und unserer Parteitage fordern wir, die wir den Krieg nicht verhindern konnten, nunmehr mit allen Mitteln auf einen baldigen Friedensschluss hinzuwirken. Stählen wir uns den Willen zum Frieden! Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!

Weithin in alle Welt, über alle Grenzen erschalle unser Ruf: Frieden!

1 Verfasst von Fritz Ausländer.

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