Karl Radek: Die Weltlage und die russische Revolution [Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 7, 27. Okt. 1917, S. 2-7] 1. Feinde ringsum Nach der Niederlage an der Südfront, die Eroberung von Riga und Jakobstadt, die Eroberung Ösels. Revolutionäre russische Kriegsschiffe werden von deutschen Torpedos in Grund und Boden gebohrt. „Dadurch wird ja hoffentlich der miserable Eindruck, den die Enthüllungen Michaelis und Capelles im Ausland gemacht haben, einigermaßen wieder ausgeglichen" – schreibt aufatmend die Chemnitzer Volksstimme, ein führendes Organ der weiland sozialdemokratischen Partei, der Partei, in deren Namen August Bebel im Jahre 1905 erklärt hat, das deutsche Proletariat würde jedem Versuch seiner Regierung, die russische Revolution zu erdrosseln, die Spitze bieten. Die Provisorische Regierung bereitet sich auf den Umzug nach Moskau vor. Mögen dabei irrige Hoffnungen mitspielen, dass man in Moskau nicht nur von der deutschen Gefahr, sondern auch von dem Druck der Arbeitermassen sich freier fühlen würde, eins ist sicher: jeder Schlag, den jetzt an der Ostfront die deutschen Truppen führen, ist ein Schlag gegen die russische Revolution, jeder Sieg über die russische Flotte ein Sieg über die treusten Vorkämpfer der russischen Revolution, ein Sieg über die Kräfte, die daran waren, einen inneren Umschwung in Russland herbeizuführen, die Sache des Friedens in die Hände des Volkes zu legen, alles zu tun, um das Proletariat Europas zum Kampfe gegen den Krieg aufzurütteln. Die deutsche Regierung tut, was nach ihrer Auffassung den Interessen des deutschen Imperialismus entspricht. Die westliche Orientierung, d. h. der Wille zu einem Kompromiss mit England ist trotz aller Abweichungen und Gegenströmungen der vorherrschende in der deutschen Diplomatie geblieben und er entspricht der Kriegslage. England hat in seinen Händen die deutschen Kolonien, es hat Mesopotamien erobert, es beherrscht das Weltmeer. Mittel, seine Herrschaft zu brechen, hat man bisher nicht gefunden. Und wenn es bisher den Truppen des weltbeherrschenden Britannien nicht gelungen ist, die deutsche Front im Westen zu durchbrechen, so gelang es auch Deutschland nicht, Frankreich eine Niederlage beizubringen, die es von der Seite Englands abdrängen könnte. Deutschland erstrebte einen Sonderfrieden mit Russland, um entweder dadurch England zu Friedensverhandlungen zu veranlassen, oder die Möglichkeit zu bekommen, Truppen von der Ostfront auf die Westfront zu werfen. Dieser Plan misslang und musste misslingen. Eine Kadettenregierung – und das waren im Grunde alle bisherigen provisorischen Regierungen – kann keinen Sonderfrieden mit Deutschland wegen ihren Abhängigkeit von dem Ententekapital schließen und eine Regierung der proletarischen und kleinbürgerlichen Demokratie wird ihn nicht schließen können, weil sie die Bedingungen, unter denen Deutschland zu einem Sonderfrieden mit Russland bereit wäre, nicht akzeptieren könnte. Deutschland sucht also seinen Plan der Freimachung von Kräften, die es an der Westfront braucht auf dem Wege der Niederzwingung Russlands zu erreichen. Gelingt ihm der Plan, dann bekommt es nicht nur eine Hand zu neuen Schlägen frei, sondern auch den Weg zu einem Kompromiss mit England. Die Eroberung Polens, Litauens und der Ostseeprovinzen kann natürlich die Aus-der-Hand-Lassung Belgiens, des Revolvers gegen England, die Ermöglichung des Baus der Kap-Kairo-Bahn durch Verzicht auf Ostafrika, die Verbindung Ägyptens mit Indien durch das Gebiet eines „befreiten" Arabiens und Mesopotamiens nicht aufwiegen. Ein solcher „Verständigungsfrieden" wird den vollen Sieg des britischen Imperialismus bedeuten, aber jedenfalls wird auch die deutsche Regierung irgend etwas nach Hause bringen. Kann man nicht das bekommen, was man wollte, so nimmt man was man kann. Die östliche Orientierung, der Versuch, Russland zu einer gemeinsamen Politik gegen England zu gewinnen, ist zwar der einzige Weg, auf dem der deutsche Imperialismus sich gegen seinen historischen Rivalen behaupten kann, aber wie im proletarischen, so wird auch im weltpolitischen Kampfe nicht selten nicht der Weg der besten gedanklichen Konstruktion gewählt, sondern der, der möglich ist: kann man sich nicht selbständig einrichten, so nimmt man mit der Rolle eines Juniorpartners in einem großen Geschäft vorlieb. Dieser durch die Kriegslage den Vertretern des deutschen Imperialismus suggerierte Gedanke ist schon so stark, dass er in der deutschen sozialpatriotischen Publizistik schon Verbreitung findet. „Heute fällt die Entscheidung über Friedensschluss oder Kriegsfortsetzung nicht mehr in Petrograd, sonders in London – schrieb vor kurzem Ernst Heilmann, ein deutscher sozialpatriotischer Publizist, der nicht nur gut informiert ist, sondern dank seiner Mentalität wie ein Barometer jede Schwankung in der Atmosphäre anzeigt. Und welche Schlussfolgerungen zieht der Leiter der „Internationalen Korrespondenz"? „Den Verständigungsfrieden schließen können daher heute nur England und Deutschland, die beiden noch völlig ungebrochenen Riesenkämpfer… Er müsste deshalb den Engländern eine volle Befriedigung ihrer besonderen Wünsche geben, damit sie dann gleichgültig gegenüber dem Schicksal ihrer Verbündeten, gegen Elsass-Lothringen, Polen, Riga, Triest. Valona werden, d. h. England müsste den Indischen Ozean als englisches Meer gesichert erhalten und die Landverbindung Kap-Kairo–Kalkutta gewinnen. Das deutsche Kaiserreich Westafrika und die Bildung einer Anzahl mit Deutschland lose verknüpfter Kleinstaaten an unserer Ostfront – Polen, Litauen Kurland – würde dem englischen Plan kaum zuwiderlaufen." Es handelt sich hier gar nicht um die Kritik dieser Ausführungen, sondern um ihre symptomatische Bedeutung. Nach unserer Überzeugung zeigen sie den wirklichen Kurs, den die deutsche Politik eingeschlagen hat, an. Und die Entente? Sie erklärt pathetisch, sie habe die Sonderfriedensvorschläge der deutschen Regierung sittenhaft abgelehnt. Wir glauben es ihr aufs Wort, falls wirklich welche Vorschläge gemacht worden sind. England hofft noch auf einen endgültigen Sieg über Deutschland und will deshalb einstweilen an einen Frieden gegen Russland nicht denken; Frankreichs bankrotte Staatslenker aber, die nicht mehr ein und aus wissen, können auf Elsass-Lothringen nicht verzichten und werden deshalb solange den Krieg führen, bis das französische Volk sie nicht verjagt, oder nicht verröchelt. Aber kommt es einst zu Friedensverhandlungen, ohne dass sich die Kriegslage merklich verändert hat, so werden sie alle nicht nur territorial, sondern ökonomisch den Frieden auf Kosten Russlands schließen. Der Schwache zahlt die Kosten der „Verständigung". Einstweilen gießt die ganze Ententepresse Kübel Unrat auf die russische Revolution aus; einstweilen fordert die französische Presse – sieht die Artikel Clemenceaus, der Depesche de Toulouse, des Petit Parisien! – die Heranziehung an die Ostfront der Japaner, damit sie nicht nur den Deutschen Widerstand leisten, sondern auch helfen die Bolschewiki zu zähmen. Für jede geringe finanzielle Hilfeleistung fordert die Entente Riesenprofite, gebraucht jede Lieferung von Schuhen oder Kleidungsstücken zu politischer Erpressung. In der entscheidenden geheimen Sitzung des Vorparlamentes bestand der Haupttrumpf Zeretellis für die Koalition mit den Kadetten in dem Hinweis darauf, dass die Entente der sozialistischen Regierung keine Hilfe angedeihen lassen würde. Im Kornilowzuge befanden sich englische technische Truppen, die Gesandtschaften der Entente breiten über die Teilnehmer der Verschwörung die schützende Hand aus. „Wir nahen dem Gipfel des Berges, dem Siege! Russland ist hinuntergestürzt, erklärte unlängst Herr Lloyd George, aber es hängst an einem Seil." „Nun es wird Herrn Lloyd George und das ganze Ententekapital wenig kümmern, wenn sie Russland zum Siegesgipfel tot am Seile herauf schleppen Dann kann man sein Fell desto besser teilen. 2. Der Bankrott der internationalen Politik der Sowjet Die auswärtige Politik der führenden Parteien der Sowjets, der Menschewiki und Sozialisten-Revolutionäre war eine Kopie der Politik der Scheidemänner. Sie wollten in einer Hand das Schwert führen, mit der anderen die Friedenspalme schwingen. Sie versprachen dem russischen Proletariat, auf die Ententeregierungen einen entsprechenden Druck auszuüben, um so die Friedensverhandlungen zu beschleunigen. Das Resultat? Ein früherer russischer Diplomat, Baron Rosen, der frühere Gesandte in Tokio und Washington, schreibt in einem Brief an die Gorkische „Nowaja Schisn": „Die von uns zugelassene Verschiebung der Besprechungen mit unseren Verbündeten, die zweideutige Haltung unserer Diplomatie der von ihr angenommenen Formel gegenüber (Friede ohne Annexionen und Kontributionen und auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker) brachten und bringen den wirklichen Interessen Russlands ungeheuren und unverbesserlichen Schaden. Die Bedeutung Russlands fällt mit jedem weiterem Tage des Krieges in demselbem Maße, wie der Staatsbankrott, der volle ökonomische Zerfall des Landes, ja die Zerstörung des Staates durch die steigende „Welle der Anarchie mit schnellen Schritten nahen". Das ist ein Urteil eines konservativen Politikers, der zwar einen Frieden der Völker für eine vollkommene Utopie hält, aber sieht, dass die russische Diplomatie nichts unternimmt, um auch den kapitalistischen Kompromissfrieden zu fördern. Aber was brauchen wir das Zeugnis des Diplomaten Rosen. Die „Iswestija" das Organ des Vollzugsschusses der Sowjets bringen in ihrer Nummer vom 3 Oktober einen Artikel über die auswärtige Politik Russlands während der Revolution, der eigentlich verdiente, ungekürzt abgedruckt zu werden. Wir müssen uns aber mit einigen Auszügen begnügen. „Während der Tätigkeit der ersten provisorischen Regierung, d. h. als Miljukow ihr angehörte, bestand die Tätigkeit des Ministers des Äußern in dem Versuch, die offen bekundeten revolutionären Losungen zu entkräften. Zur Zeit der ersten Koalition bis zum Rücktritt Zeretellis stand das Ministerium des Äußern fest auf dem Boden dei Deklaration (Friede ohne Annexionen usw.), obwohl es praktisch nichts zu ihrer Verwirklichung unternahm. In der dritten Periode stand die russische Diplomatie nicht so fest auf dem Standpunkt, wie sich das im Zwischenfall Nabokow und die Stockholm-Konferenz gezeigt hatte. Jetzt geht die Entwicklung weiter in derselben Richtung … Wir hören aus dem Munde des Ministers des Äußern Worte, die nicht anders verstanden werden können, als ein vollkommener Bruch mit allem dem, was erklärt wurde mit Unterschrift unter anderen auch des Ministers des Äußeren. Der allgemeine Eindruck, das allgemeine Ergebnis kann folgenderweise formuliert werden: im März und April händigte die russische Revolution dem Ministerium des Äußern ihr Programm zur Kenntnisnahme und Ausführung, aber das Ministerium hat es weder innerlich angenommen noch energisch durchgeführt; wir hörten mehr von Versuchen, den Boden dieses Programms zu verlassen, als ihn zu verteidigen." Nach diesen allgemeinen Ausführungen suchen die Iswestija konkret zu zeigen, wie das alte diplomatische Personal des zarischen Russlands im Amte blieb und wie es nach alten Methoden der zarischen Diplomatie weder mit dem russischen Volke noch mit dem der Verbündeten in irgend welche Fühlung trat. „Ein halbes Jahr der Revolution ist vorüber. Viel Zeit ist verloren worden. Die auswärtige Lage Russlands wird immer schwieriger. Nicht nur die Weiterführung des Krieges, sondern selbst der Friedensschluss droht sich zur Katastrophe auszuwachsen. Kann man noch länger dulden, dass unsere auswärtige Politik auch weiterhin ohne jeden Einfluss der Nation geführt wird?" so enden die Iswestija ihren Artikel. Und das Djelo Naroda, das Organ des Zentralkomitees der Soz.-Revoiutionäre, erklärt im Anschluss an diesen Artikel, Tereschtschenko habe sich „als Gefangener der zweitklassigen Diplomaten des alten Regimes erwiesen. „Der Versuch die russische auswärtige Politik auf ein neues Geleis zu stellen, misslang ihm vollkommen und nach zwei, drei Schritten, die den Stempel des Dilettantismus trugen, fiel er ganz unter den Einfluss und die Leitung seiner nächsten Mitarbeiter. Deswegen nützte er gar nicht die erste Periode aus, bis zur Julioffensive, in der unser internationales Prestige nicht erschüttert war – weder durch die Niederlage in der Front noch durch die Spaltung der Demokratie – um das Interesse Russlands zu vertreten." Genug der Zitate. Wie oberflächlich auch die Analyse der auswärtigen Politik Russlands in den Organen ihrer bisher leitenden Parteien ist, sie enthält das vollkommene Eingeständnis eines vollen Bankrotts. Die Führer der kleinbürgerlichen Demokratie, die bisher die Politik der Sowjets leiteten, die von der Arbeiterklasse die Unterstützung der Regierung forderten, erklären jetzt der Arbeiterschaft und der Welt treuherzig, dass die Regierung, in der doch ihre Vertreter saßen, auch nicht mit dem Finger gerührt habe, um das Friedensprogramm der Sowjets zu verwirklichen, ja es auch um einen Schritt der Verwirklichung näher zu bringen. Sie weisen auf Tereschtschenko hin als den Schuldigen. Aber ganz davon abgesehen, dass diese Null die auswärtige Politik der russischen Revolution mit Zustimmung der Sozialpatrioten leitete und leitet, so ist es natürlich direkt komisch eine Person zum Sündenbock für den Zusammenbruch eines Systems zu machen, hinter dem die ganze kleinbürgerliche Demokratie stand. Das System aber bestand darin: wie die kleinbürgerliche Demokratie im Inneren sich an das Kapital anklammerte, die Rettung der Revolution in der Koalition mit dem Kapital sah, so wagte sie nicht einmal an den Druck auf die Verbündeten zu denken. Sagte doch ausdrücklich Zeretelli, man müsse bei jedem Schritt daran denken, dass er nicht zum Bruch mit den Alliierten führe. Als die Alliierten das merkten, verflog ihre Angst, vor dem Einfluss der Revolution auf ihre eigenen Volksmassen. Die Revolution die es nicht wagte, weder im Innern noch nach außen als eine Rebellion gegen das Kapital aufzutreten, konnte natürlich die Volksmassen im Auslande gegen ihre Regierungen nicht mobilisieren Die russische Revolution blieb isoliert und wurde zur Puppe in de Händen des Ententekapitals. Jetzt versteht das Djelo Naroda gut, dass die von der Entente abgerungene Offensive dem Prestige der russischen Revolution einen Todesstoß versetzte. Eine Revolution, die ihre Söhne mit Gewalt zum Kampf gegen ihre Brüder, und für die Interessen des Kapitals treibt, die die Todesstrafe gegen die Soldaten einführt, die Artillerie gegen Arbeiter mobilisiert, sie kann keine Lohe bilden, nach der sich hoffend die Augen der Volksmassen aller Länder richten. Nachdem die russische Revolution als Sturmbock der Entente eine Niederlage erlitten hat, wurde sie zum Jagdwild des deutschen Imperialismus. Hindenburg könnte Kerenski eine Prämie bezahlen, weil erst die Offensive Kerenskis ihm erlaubte ohne jedes Risiko die Arbeiterbataillone Deutschlands gegen die russische Revolution zu mobilisieren. Nur das Kompromittieren der russischen Revolution in den Augen der Volksmassen hat es ermöglicht, dass nicht nur die Sozialpatrioten Deutschlands, sondern die Unabhängige Sozialdemokratie es nicht wagen von der parlamentarischen Tribüne dem deutschen Arbeitervolke zuzurufen: du hilfst die russische Revolution niederzumetzeln. Nun nachdem die auswärtige Politik der russischen Sozialpatrioten den vollkommensten Bankrott praktisch erlitten hat, ziehen sie jetzt die Fahne ein, unter der die russische Revolution auf die Weltbühne trat. „Und so fordern wir Euch auf: werft das Joch eurer absolutistischen Ordnung ebenso ab, wie das russische Volk die Selbstherrschaft des Zaren von sich abgeschüttelt hat. Weigert euch, als Mittel der Eroberung und der Gewalt in den Händen von Königen, Junkern und Bankmännern zu dienen, und mit vereinigten Kräften werden wir dem furchtbaren Gemetzel ein Ende setzen, das die Menschheit mit Schmach bedeckt u die großen Tage der Geburt der russischen Freiheit verdüstert." – dieser Aufruf zur europäischen Revolution stellte die erste internationale Urkunde der russischen Revolution dar. Der Ruf Friede ohne Annexionen, Kontributionen auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes der Völker ist eine Phrase, oder er bedeutet die europäische Revolution, sagten die Bolschewiki vom ersten Tage an. Nachdem die Sozialpatrioten ihn zur Phrase praktisch gemacht haben, liquidieren sie ihn auch theoretisch, formell. Sie nützen die kurze Zeit, wo sie noch in Namen des Zentralausschusses der Sowjets sprechen können, bevor ihnen der Kongress der Sowjets dieses Recht nehmen wird, sie senden Skobelew nach Paris zur Konferenz der Entente, und da sie, die Sklaven der Entente, zu ihrer Konferenz nicht zu dem Zwecke gehen, um die Massen zu wecken, sondern um „diplomatisch" zu wirken, so geben m ihm auf den Weg ein Friedensprogramm, das die volle Preisgabe des Friedens- und – wenn nötig – des Kriegsprogramms der Revolution bedeutet, Herr Skobelew soll bei den Ententeregierungen sich dafür einsetzen, dass die Ententeregierungen sich bereit finden, zu einem imperialistischen Kompromissfrieden. Der Friedensvorschlag der bankrotten Sowjetführer gebt stillschweigend nicht nur an allen alten Errungenschaften des britischen Imperialismus, an Irland, Indien, Ägypten vorbei, sondern berührt mit keinen Worte Mesopotamien, die wichtigste Eroberung Englands in diesem Kriege. Dafür ist es – in ausgleichender Gerechtigkeit – besorgt um den deutschen kolonialen Besitz, dessen Zurückgabe es fordert. Wir werden auf dieser „Programm" näher eingehen, wenn es uns im russischen Original vorliegen wird. Einstweilen genügt es seinen Charakter festzustellen: im Namen der russischen Revolution, die die Auflehnung den Arbeitermassen aller Länder proklamiert hat, wird ein imperialistisches Kompromissprogramm verkündet, das die Regierungen durchführen sollen. Wer den Kopf eingebüßt hat, soll nicht den Verlust der Haare beklagen, sagt ein russisches Sprichwort. Nachdem die russische kleinbürgerliche Demokratie zum Werkzeug der Konterrevolution im Innern wurde, wie kann sie nach Außen als Werkzeug der Revolution auftreten? Die russischen Sozialpatrioten stellten sich jetzt offen und bestimmt auf eine Linie mit seiner Heiligkeit dem römischen Papst, mit den Exzellenzen des klein staatlichen Sozialpatriotismus, dem königlichen Minister Branting und Stauning, dem Berater der holländischen Königin, Troelstra, ja sogar mit den Herolden des Verständigungsfriedens aus der Wilhelmstraße und dem Ballplatz. Sie mögen nur uns belachen wegen unseres Programms des revolutionären Völkerfriedens. Ihr Programm ist utopisch. Das zeigt doch die Aufnahme der Papstnote durch die Entente. Real ist in ihm nur der Verzicht auf das revolutionäre Erstgeburtsrecht der Revolution. 3. Die Schicksalsstunde der russischen Revolution Der deutsche Imperialismus ist an der Arbeit, der russischen Revolution einen Stoß ins Herz zu versetzen. Die russische Bourgeoisie arbeitet daran seit dem ersten Tag der Revolution. Die Entente schaut der Todesgefahr, in der sich die russische Revolution befindet, mit geteilten Gefühlen zu. Sie ist betrübt durch das Ausscheiden eines Kriegsverbündeten, der dem Kapital der Entente mit dem Blut seiner Söhne die Zinsen für die Anleihen zahlte, aber gleichzeitig freut sie sich über die Niederlagen der verhassten Revolution. Der Verleumdungsfeldzug der Ententepresse gegen die russische Revolution bereitet den Boden für einen gemeinsamen Kreuzzug der heiligen kapitalistischen Allianz gegen sie. Die russische Revolution ist eine Auflehnung der proletarischen Massen gegen die kapitalistische „Ordnung" Europas. Könnte sie sie vernichten, sie würde es eher heute als morgen tun. Drum geziemt es ihr nicht zu flennen, gegen die auf ihr Haupt fallenden Schläge zu „protestieren", was auch unnütze Zeitvergeudung ist. Sich zu wehren, die Leidenschaft der Volksmassen zu entfachen, die Feuerflammen des proletarischen Klassenkampfes in den Himmel steigen zu lassen, als Rufe um Hilfe an die proletarischen Massen der Welt: eilt, die Gefahr ist groß! – dazu fordern wir sie auf. Es ist möglich das die Hilfe nicht zeitig genug kommt. Dann werden auf dem Grabmal der russischen Revolution die alten Worte zu lesen sein: „O Freund! eile nach Sparta und sage, dass wir seinen Gesetzen getreu, hier verscharrt liegen." Es ist möglich, dass der Krieg bei der Regungslosigkeit der Volksmassen Europas der russischen Revolution den Tod bringt. Es ist möglich das der Friede des kapitalistischen Kompromisses ihren Henkern die Hände gegen sie frei machen wird. Aber weder der Krieg an und für sich, ist ihr Tod, noch der Friede an und für sich ist ihr Retter. Der Krieg kann ihr zur Entfaltung ungeheurer Kräfte helfen, wenn er das Proletariat Europas zum Kampfe erweckt. „Kommt der Friede als Machwerk, als Ergebnis einer Verständigung der kapitalistischen Regierungen und nicht als das Werk der europäischen Erhebung des Proletariats zustande, dann wird er der russischen Bourgeoisie, den Ententemächten und namentlich Deutschland die Hände frei machen, damit alle am anderem Tage über das russische Proletariat herfallen und den gemeinsamen Feind der „Ordnung" in Europa m Blutströmen ersticken" – schrieb im August „Spartakus'' in einem Artikel, zu dem wir noch zurückkehren werden und der beweist, dass die deutsche entschiedene Linke auch in dem sich um den Spartakus gruppierendem Teile sich vollkommen klar ist über das, was die Stunde geschlagen hat. Wird das europäische Proletariat darüber klar sein, dann wird der Heldenkampf des russischen den Befreiungskampf des Weltproletariats einleiten. Wenn nicht, dann wird die russische Revolution verbluten und verröcheln. |
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