Krüger 19320416 Die Forderung des Tages

Krüger: Die Forderung des Tages

[Nach Permanente Revolution, Zeitschrift der Linken Opposition der KPD (Bolschewiki-Leninisten) (Sektion der Internationalen Linken Opposition) 2. Jahrgang Nr. 8 (Mitte April 1932), S. 3 f.]

«Wenn die Kommunistische Partei die Partei der revolu­tionären Hoffnungen ist, so ist der Faschismus als Massen­bewegung die Partei der konterrevolutionären Verzweiflung.» So charakterisierte Genosse Trotzki im September 1930 («Die Wendung der Komintern und die Lage in Deutsch­land») das Wesen des revolutionären und faschistischen Lagers. Damals standen wir erst am Anfang einer Entwicklung, die auch heute noch nicht ihren Gipfelpunkt erreicht hat. Die wirtschaftliche Lage verschärft sich nach jeder Seite hin immer mehr, und mit der Verschärfung der Krise steigen die revolutionären Hoffnungen, aber auch die konterrevo­lutionäre Verzweiflung breiter Schichten der Bevölkerung. In welchem Tempo sich beide Richtungen entwickeln, und welches Ausmaß sie bereits erreicht haben, das zeigen uns die Ergebnisse der Präsidentenwahlen. Sie zeigen uns mit erschreckender Deutlichkeit, bis wie nahe an den Abgrund die Stalin-Thälmann-Politik die Kommunistische Partei, und mit ihr auch die deutsche Arbeiterklasse, ge­führt hat. Die Entwicklung tritt in ihr kritisches Stadium ein. Vor uns stehen noch die Preußenwahlen. An ihrer im Präsidentenwahlkampf erreichten Stärke gemessen, eröffnet sich den Faschisten im ausschlaggebenden Teile Deutschlands die parlamentarische Möglichkeit, in die Regierung zu gelangen. Damit stehen einwälzende politische Ereignisse vor uns, die um so größere Bedeutung für das Proletariat haben, als sie sich in einem Moment weiterer Steigerung der Wirtschafts­krise und äußerster Kriegsgefahr abspielen.

Das Ergebnis der Präsidentenwahl ist eine Stärkung der Reaktion. Sie ist im vollsten Sinne des Wortes ein Ausdruck der Verzweiflung breitesten Schichten des Kleinbürgertums, zugleich aber auch ein Beweis, dass die Millionenmassen der deutschen Arbeiterschaft noch keinen revolutionären Ausweg aus dieser Krise sehen. Die Furcht vor der Arbeitslosigkeit lähmt den Willen zur Revolution. Die Politik der Partei vermochte nicht, revolutionäre Hoffnungen zu wecken, sie erwies sich zu außerparlamentarischen Aktionen unfähig. In jeder Nummer der «PR» zeigen wir konkret die Ursachen der Niederlagen der KPD auf.

Aber: Was nun? Welche Möglichkeiten gibt es, in vor­gerückter Stunde die Dinge zum Besseren zu wenden? Wie können wir in kürzester Frist (und wir müssen es) der Ver­zweiflungsstimmung auch breitester Schichten Betriebsarbeiter und Erwerbsloser Herr werden und sie mit revolutionärer Hoffnung und revolutionärem Willen erfüllen?

Das kann nur durch eine Aktion größten und kühnsten Ausmaßes erreicht werden, die von den Betriebsarbeitern die lähmende Furcht vor der Arbeitslosigkeit nimmt indem sie den sechs Millionen Erwerbslosen den Weg in die Betriebe zurück weist und damit zugleich die außerparlamentarische Aktionsfähigkeit der KP wieder herstellt, das Schwergewicht des Kampfes dorthin verlegend, wo er auch entschieden wer­den wird: in die Betriebe, auf die Straße.

Es steht außer Zweifel, dass heute das Problem der Er­werbslosigkeit das politisch entscheidende ist. Hitler be­nützt es für seine soziale Demagogie und fängt damit Mil­lionen erschreckter, verzweifelter Kleinbürger. Die Sozial­demokratie veranstaltet einen Krisenkongress der Gewerk­schaften. um neue Illusionen bei den Erwerbslosen mit einem Arbeitsbeschaffungsprogramm zu erwecken, von dem ihr eigenes prominentes Mitglied, Ernst Heilmann, schreibt: «Kein Zweifel, die Inflationisten halten ihren Einzug in unseren eigenen Reihen. Es muss verhängnisvoll wirken, wenn Sozialdemokraten von größter Autorität ein Arbeitsbeschaffungsprogramm vertreten, von dem man nur sagen kann:

Gottfried Feder ist früher aufgestanden… Entweder sind wir eine Nation von Gaunern, und Rosstäuschern, dann legen wir alle zehn Jahre eine grandiose Enteignungsaktion auf,

wobei wir uns von den Bolschewiken noch recht unvorteilhaft unterscheiden, die das nur einmal und dann radikal gemacht haben, oder wir schlagen die Inflationisten. wo wir sie treffen.» («Das freie Wort». Heft 8.) Ernst Heilmann. mehr übel berüchtigt, als autoritär, ist gerade deshalb ein glaubwürdiger Zeuge, für die Absicht und Wirkung des oben genannten sozialdemokratischen Arbeitsbeschaffungsprogramms. Als erfahrene Politiker wissen sie aber, worauf es ankommt: Arbeit muss ihr Schwindelprogramm versprechen, das, würde es durchgeführt (und abgesehen von dem auch von Heilmann gekennzeichneten Charakter desselben), nur einen kleinen Bruchteil der Erwerbslosenarmee zugute käme. Darauf würden aber die Arbeitslosen erst später stoßen, inzwischen hätte das «Arbeitsbeschaffungs»-programm seinen Zweck für die Preußenwahlen erfüllt: die Erwerbslosenstimmen der SPD zu sichern. Der Krisenkongress der Gewerkschaften ist nichts weiter als ein typisch sozialdemokratisches Wahlmanöver, wie wir sie schon so oft erlebt haben. Welche Politik stellt dem die Partei gegenüber. Sie konkurriert – auf parlamentarischem Gebiet. Die in der «RF» veröffentlichten Arbeitsbeschaffungsforderungen der Berliner Erwerbslosen stellen in ihrer Gesamtheit parlamentarische Forderungen dar. So richtig, wichtig und notwendig sie sind auch auf diesem Gebiet, können sie höchstens nur einen Teil der Gesamtpolitik der Partei zu der Erwerbslosenfrage ausmachen. Das Unglück der heutigen Führung besteht eben darin, dass sie das Erwerbslosenproblem nur als Erwerbslosenproblem betrachtet und hier, wie bei allen Fragen, sich als unfähig erweist, die Teilaufgabe mit der Gesamtaufgabe, das Tagesziel mit dem historischen zu verbinden. Mit dem armseligen Requisit der stalinschen Rüstkammer «bewaffnet», befindet sich die Partei auch dem Schwindelprogramm der SPD gegenüber im Nachteil. Mit Leichtigkeit können die SPD- und Gewerkschaftsbonzen darauf hinweisen, dass sie nicht «lizitieren» von Stadt und Gemeinde fordern, sondern sie, die selber «kein Geld» haben, werden mit den tiefsten Brusttönen der Überzeugung darauf hinweisen, dass sie Arbeitsmöglichkeiten schaffen wollen, Schatzscheine ausgeben, Zwangsanleihen (!!) sogar auflegen wollen, um das nötige Geld zu beschaffen, usw., usw. Dieser Argumentation gegenüber kann das Kommunistische Arbeitsbeschaffungs-Programm vor den erbitterten, verelendeten und verzweifel­ten Erwerbslosen nicht bestehen. Zu oft wurden schon solche Programme aufgestellt, um noch eine tiefere Wirkung ausüben zu können.

Um den Millionen Erwerbslosen es zu ermöglichen, das Schwindelprogramm der SPD und die soziale Demagogie der Nazis zu durchschauen, muss die Partei ihr eigenes, proleta­risch-positives Programm aufstellen. Die erste Losung muss lauten:

Arbeit für alle Arbeitslosen!

Entgegen den vagen Versprechungen der Faschisten und der sozialdemokratischen Quacksalber am Kapitalismus haben wir Kommunisten die Möglichkeit, diese Losung schon heute, nicht erst morgen, zu verwirklichen. Monatlich werden von Sowjetrussland in Deutschland für Dutzende von Millionen Industrieaufträge vergeben. Es genügt aber nicht, darauf nur in der «RF» hinzuweisen und auszurechnen, wie viel zehntausende Arbeiter durch diese Aufträge bereits Lohn und Brot haben. Mehr ist nötig! Es muss gezeigt werden, dass noch Millionen Beschäftigung finden könnten. Seit 1930 erhebt die Linke Opposition mit Gen. Trotzki die Forderung an die Parteiführung: «Man muss die Arbeiter, und in erster Linie die Arbeitslosen, schon heute unter der Parole einer breiten wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Sowjetre­publik mobilisieren. Der Gosplan (Behörde zur Ausarbeitung des Staatsplanes) muss unter Teilnahme der deutschen Kom­munisten und Gewerkschafter einen Plan der wirtschaft­lichen Zusammenarbeit ausarbeiten, der von der jetzigen Arbeitslosigkeit ausgehend zu einer allseitigen Mitarbeit führen und alle Hauptzweige der Wirtschaft umfassen muss.» Wir erheben diese Forderung auch heute, denn die zweite Losung muss lauten:

Breiteste, planmäßige wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Sowjetrussland!

Die Partei muss die Freien Gewerkschaften vor der ganzen Arbeiteröffentlichkeit vor die Frage stellen, ob sie bereit sind, gemeinsam mit uns und der USSR einen solchen Plan der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und seine Bedingungen auszuarbeiten und durchzuführen.

Eine Aktion der Partei in diesem Sinne würde mit einem Schlage die politische Situation verändern. Sie würde dem Proletariat einen Ausweg aus der Krise zeigen, die Erwerbs­losen mit revolutionärer Hoffnung erfüllen und von den Be­triebsarbeitern die Furcht vor der Arbeitslosigkeit nehmen. Sie würde der Partei wieder Eingang und Einfluss in den Betrieben verschaffen. ..

Gewiss der Durchführung einer solchen Aktion wurden sich gewaltige Hindernisse in den Weg stellen. Von allen Seiten wird man versuchen, einen derartigen Plan zu hinter­treiben und zu sabotieren. Überwunden kann diese Sabotage nur werden durch die allgemeine Aktivität der Massen selbst. So sehr den deutschen Kapitalisten die russischen Aufträge in diesen mageren Zeiten willkommen sind, so sehr fürchten sie planmäßiges Zusammenarbeiten unter Mitwirkung der Arbeiterschaft. Um ihre Sabotage und die ihrer Helfershelfer zu brechen ist es nötig, dass die Betriebsarbeiter und Er­werbslosen selber auf den Plan treten. Deshalb müsste die dritte Losung lauten:

Arbeiterkontrolle der Produktion,

und ihr Ziel eben gemeinsam mit den oben stehenden Forderungen die Wiedereinreihung der Erwerbslosen in den Produktionsprozess sein. Schon heute muss diese Parole in die breiten Massen getragen und propagiert werden Ein solches Arbeitsbeschaffungsprogramm, zusammen mit der Wahlkampagne, schafft die günstigsten Voraussetzungen da­für. Die bevorstehenden Entlassungen, Betriebsstilllegungen, neuerlichen Lohnkürzungen lockern den proletarischen Bo­den für eine derartige Aktion der KPD. Selbst der sozialdemokratische Krisenkongress leistet unbeabsichtigte Vorarbeit für uns: er öffnet auch dem verbissensten sozialdemo­kratischen Arbeiter das Ohr für die Forderung des Tages und erleichtert es uns, an ihn heranzukommen, mit ihm die Einheitsfront zu schließen. Diese Aktion würde nicht nur die Kommunistische Partei als einzige revolutionäre Ver­treterin der proletarischen Interessen erscheinen lassen, son­dern auch sich selbst alle Bedingungen zur Schaffung der außerparlamentarischen Aktionsfähigkeit der Partei tragen, die schnellstens zu erreichen es heute gilt. Diese Forderungen haben vor allen anderen Programmen und Plänen den Vor­zug der Realität, der greifbaren Wirklichkeit, die jedem Ar­beiter einleuchten muss, der an die Aufträge denkt, die Sowjetrussland schon heute nach Deutschland vergibt.

Millionen Arbeiter gilt es zu erfassen und könnten für diese Parolen der KPD gewonnen werden. Es hängt nur von der Kühnheit und Entschlossenheit der Partei ab, diesen Weg zu gehen, um auch breiteste Massen von der faschisti­schen letzten «Hoffnung» der Verzweiflung: Adolf Hitler, zur Erkenntnis des revolutionären Auswegs: Sowjetrussland, pro­letarische Revolution, zu bringen.

Allerdings ist dazu eine völlige Wendung der Politik der Partei nötig. Sie wird nur unter dem Druck des Parteimitglieder vollzogen werden. Und wenn wir oben die Forderung der Stunde an die Partei formulierten, so erwächst daraus jedem der Sache der Revolution ergebenen Parteigenossen die Pflicht, jetzt ungesäumt und unbeirrt seine Stimme in der Partei für die Vorschläge der Linken Opposition zu er­heben und zu verhindern, dass auch diesmal die Kritik der Arbeiter-Kommunisten von der Führung unterdrückt und das Dogma von der Unfehlbarkeit des ZK aufrecht erhalten wird. Das Erbe Lenins – und gerade die Losung der Arbeiterkontrolle ist ein Pfeiler der Leninschen Strategie, in der re­volutionären Situation – muss für die Partei wieder fruchtbar gemacht werden. Der Linken Opposition, die das Erbe Lenins vertritt, muss die Partei wieder geöffnet werden. Die Losung der Produktionskontrolle, konkret gestellt, gestattet nicht nur die Sammlung der Massen um die Partei zur Ergreifung der Macht, sondern auch die Entlarvung der erfolglosen, phrasenhaften und unmarxistischen Politik der Bürokratie.

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