Parvus (Aleksandr Helphand): Der Weltmarkt und die Agrarkrisis (November 1895-März 1896)1 [„Die Neue Zeit“, XIV. Jahrgang 1895-96, 1. Band, 1.: Nr. 7, S. 197f., 2.: Nr. 7, S. 199-202, 3.: Nr. 9, S. 276-283, 4.: Nr. 11, S. 335-341, 5.: Nr. 11, S. 341f., 6.: Nr. 17, S. 514-526 und Nr. 18, S. 554-560, 7.: Nr. 20, S. 621-631 und Nr. 21, S. 654-663, 8.: Nr. 24, 747-751, 9.: Nr. 24, 751-758 und Nr. 25, S. 781-788, 10.: Nr. 26, S. 818-827] 1. Zur Einleitung Der Einfluss des Weltmarkts auf die Produktion innerhalb der einzelnen Nationen ist bereits zum Gemeinplatz geworden. Dennoch ist dieser Einfluss noch sehr wenig erforscht. Die gewöhnliche Auffassung begnügt sich hier mit der einfachen Konstatierung der einzelnen Erscheinungen. Man weiß, der europäische Getreidebau leidet unter der Entwicklung des Getreideweltmarkts, man weiß, dass die europäische Schafzucht zurückgeht in Folge der Entwicklung des australischen Wollexports, dass die Lage der europäischen Baumwollindustrie wesentlich bestimmt wird durch den Ausfall der amerikanischen und ostindischen Baumwollernten, und Ähnliches mehr. Das sind aber nur die augenfälligen Zusammenhänge, die sich schon aus der Analogie mit der inneren Entwicklung des nationalen Markts aufdrängen. Der Weltmarkt erscheint hier nur als erweitertes Absatzgebiet und Produktionsfeld und nicht in seinen kapitalistischen Eigenschaften, als spezifisch kapitalistischer Markt. Die Konkurrenz, die hier ins Auge gefasst wird, ergibt sich schon aus der Entwicklung der Verkehrsmittel und verrät in nichts, dass es sich dabei um Entwicklungserscheinungen der kapitalistischen Weltproduktion handelt. Es gibt aber andere Zusammenhänge. Der Weltmarkt kann, und selbst in seinen Einzelerscheinungen, nur begriffen werden, wenn man ihn als Ganzes fasst, in der ungeheuren Mannigfaltigkeit seiner Beziehungen, Verbindungen und Verhältnisse, die aber zusammen nur der Ausdruck sind der kapitalistischen Produktion. Es ist eine große revolutionäre Eigenschaft des Kapitalismus, dass er die lokalen, natürlichen und technischen Abgrenzungen der Produktion ökonomisch überwindet und so erst eine gesellschaftliche Produktion in großem Maßstabe schafft. Dieses Ergebnis wird erzielt nicht bloß durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung, nicht bloß durch die Verkehrsmittel und nicht bloß durch die Warenproduktion, sondern außerdem und dies alles durchdringend und bestimmend durch die Reproduktion und Akkumulation des Kapitals. Die erweiterte Reproduktion des Kapitals, die Notwendigkeit, den Produktionsprozess stets in erweitertem Umfange zu erneuern ist es, die das Absatzgebiet und das Produktionsfeld fortgesetzt ausdehnt, die Produktion identifiziert, die alten Produktionsarten zerstört oder kapitalistisch umgestaltet, die entferntesten Länder in den Produktionsbereich des Kapitals zieht. Die nationalen Produktionen werden miteinander verbunden, aber nur, um dann ihren nationalen Charakter zu verlieren. An Stelle des Internationalismus tritt der Kosmopolitismus. Die nationalen Produktionen verlieren ihre Selbständigkeit. Sie werden zu untergeordneten, zusammenhängenden, einander wechselseitig bedingenden Teilen eines Produktionsganzen, das in keiner Nation liegt, und das ist eben der Weltmarkt. Je mehr die Entwicklung in dieser Richtung fortschreitet, desto weniger ist man im Stande, die Schicksale der nationalen Produktion vom nationalen Standpunkte, selbst unter dem Korrektiv der internationalen Konkurrenz, zu beleuchten, sondern man wird genötigt sein, sie aus der Entwicklung des Weltmarkts abzuleiten. Wir sind auch jetzt schon so weit, dass die ernste Erforschung jener ökonomischen Erscheinung von größerer Tragweite mit Notwendigkeit auf den Weltmarkt, als den Knotenpunkt der Produktionsbeziehungen zurückführt. Vieles, was soeben erst klar erschien, zeigt sich dann als ein vertracktes, kompliziertes Ding. Man sagt zum Beispiel, der niedrige Getreidepreis sei bedingt durch den großen Zufluss amerikanischen Getreides nach Europa. Es genügt zu fragen: Aber wodurch wird diese Zufuhr bedingt und wo liegen die Grenzen der normalen gegenüber der übermäßigen Zufuhr? — und man wird in eine Masse von Zusammenhängen eingeführt, die unentwirrbar ist, so lange man nicht die im Weltmarkt sich vollziehende große Verallgemeinerung und Vereinheitlichung der kapitalistischen Produktion begreift. Dann aber zeigt es sich, dass dieser Zusammenhang zwischen Getreidepreis und Getreidezufuhr ein sehr oberflächlicher ist, dass man mit fast dem gleichen Recht das Umgekehrte sagen könnte, nämlich, dass die große amerikanische Zufuhr durch die niedrigen europäischen Preise bedingt sei, dass aber vor allem, obwohl zweifellos der landwirtschaftliche Produktionscharakter Europas und Amerikas bestimmend sei für die Getreidepreise, dennoch diese und die Bewegungen des Getreidemarkts noch von einer Menge anderer Umstände abhängen, kurz, dass die landwirtschaftliche Produktionsentwicklung der einzelnen Länder nur im Zusammenhange der kapitalistischen Weltproduktion zu begreifen sei. Die Produktion wird zur Weltproduktion. Die ökonomischen Zustände der einzelnen Länder werden immer mehr durch Zusammenhänge bestimmt, die außerhalb ihrer politischen Machtsphäre liegen. Die Staatspolitik wird zum Spielball des Weltmarkts. Die Bourgeoisie zeigt sich immer weniger im Stande, ihre eigenen Schicksale zu meistern, und um ihre nationalen politischen Richtungen zu begreifen, wird es notwendig, die Lage des Weltmarkts zu studieren. Es soll nun der Versuch gemacht werden, die jetzige ökonomische und politische Situation in Europa und besonders in Deutschland auf Grund der tatsächlichen Entwicklung des Weltmarkts zu beleuchten. Es werden dadurch auch die landwirtschaftlichen Zustände und die damit zusammenhängenden politischen Bewegungen von einem Gesichtspunkte aus aufgeklärt, der bis jetzt außer Acht gelassen wurde. Selbstverständlich kann es sich hier nicht darum handeln, im Rahmen einer Wochenschrift eine vollkommene und umfassende wissenschaftliche Darlegung dieser äußerst komplizierten Verhältnisse zu geben. Wir werden uns damit begnügen, die allgemeinen Zusammenhänge anzudeuten. 2. England und Europa Jede Untersuchung des Weltmarkts wird noch immer England im Vordergrund haben. Erstens weil dessen Weltmarktverkehr noch immer quantitativ der hervorragendste. Zweitens, weil England, Dank seinem Kolonialbesitz, seiner mächtigen Flotte und seiner kolossalen Baumwollindustrie, den asiatischen und australischen Handelsverkehr, also den Handel mit den Ländern des stillen Ozeans beherrscht. Noch Anfangs der siebziger Jahre hatte es auch die Herrschaft über den Atlantischen Ozean, so dass der gesamte überseeische Markt in seiner Macht war. Das ist jetzt noch mehr der Fall. Noch wichtiger ist die Bedeutung Englands für die Entwicklung des Weltmarkts. Denn jede neu aufkommende nationale Industrie hatte sich vor allem mit England auseinanderzusetzen. Bis tief in die fünfziger Jahre hinein beherrschte England den Weltmarkt. Sein einziger ernster Konkurrent war Frankreich. Allein Frankreichs Industrie trug einen besonderen Charakter. Dominierend war hier die Seidenmanufaktur, die in England nie zu einer gleich großen Entwicklung gelangte. Außerdem hatte Frankreich schon damals seine spezialen Industrien. Direkt wettbewerbend mit England trat es nur in der Wollmanufaktur auf. Doch erreichte die französische Ausfuhr von Wollefabrikaten kaum zwei Drittel der englischen, die übrigen Länder standen aber noch weit hinter Frankreich zurück, so dass Großbritanniens Ausfuhr 50 bis 60 Prozent der gesamten Weltmarkts-Zufuhr von Wollwaren absorbierte. Absolut beherrschend, ohne jede nennenswerte Konkurrenz, war England in der Baumwoll- und in der Maschinenindustrie. Das allgemeine Verhältnis war dieses: England bezog industrielle Rohstoffe aus den Kolonien und aus den Vereinigten Staaten und bezahlte teils mit Fabrikaten, teils in Gold und Silber. In Europa und wiederum in den Vereinigten Staaten tauschte es Lebensmittel, fast durchweg landwirtschaftliche Produkte, dann Halbfabrikate wie Häute, Metalle gegen Fabrikate ein. So war England die große Weltfabrik, und die meisten anderen Länder standen zu ihm, wenn nicht politisch, so doch ökonomisch im Verhältnis der kapitalistischen Kolonie. In allen anderen Ländern, ausgenommen England, dessen kapitalistische Industrie, weil sie als erste auf dem Plane erschien, den Weltmarkt frei fand, zum Teil erst erzeugte, musste also jede sich entwickelnde nationale kapitalistische Produktion mit einer Rebellion gegen England beginnen. Es ist bekannt, welche Rolle dabei die Schutzzölle spielten. Doch nicht darauf kommt es für uns an, sondern auf die produktiven Zusammenhänge, die durch die fortschreitende Entwicklung der kapitalistischen Produktion in Europa zwischen dem Kontinent und England geschaffen wurden. Für jede neu auftretende kapitalistische Industrie ist die erste Frage die des Absatzes. Es scheint mir selbstverständlich zu sein, dass eine derartige Industrie ihren Markt in Ländern suchen und finden wird, in denen eine ihr gegenüber rückständige Produktionsart herrscht. So war es ja auch mit der englischen Industrie, die ihren Markt auf dem produktiv rückständigen Kontinent und in den Kolonien fand. Allein das wurde eben anders für die europäischen Industriestaaten, die nach England auf den Weltmarkt kamen. (Unsere Untersuchung wird später zeigen, wie durch Nordamerika, Ostindien, Japan und zum Teil Russland, ein neues drittes Stadium der Entwicklung eintritt.) Die überseeischen Kolonien waren die einzigen Länder, denen sie ökonomisch überlegen waren, aber in diesen herrschte England. Wohin also die Waren absetzen? Zunächst bot sich der innere Markt dar. Dieser, den England selbst geschaffen durch Vernichtung oder doch Zurückdrängung der entsprechenden Handwerke und primitiven Hausindustrien und durch Erweckung des Bedürfnisses für seine Fabrikate, hatte noch die Annehmlichkeit, durch Zölle geschützt werden zu können. Jedoch der nationale Markt allein genügt für die kapitalistische Produktion nicht. Der auswärtige aber wurde geöffnet gerade in den industriellen Ländern, und allen voran England. Diese Rolle der industriellen Länder als Absatzgebiet für die neu auftauchenden nationalen Industrien war so wichtig, dass z.B. in Deutschland zur Zeit seiner ersten großen Produktionsentwicklung, Anfangs der siebziger Jahre, die englische Einfuhr nicht abnahm (wie in Österreich), sondern stieg. Deutschlands Industrie brauchte also zunächst keineswegs die englische vom inneren Markt zu verdrängen, um sich entwickeln zu können. Wie kommt es aber, dass die verspäteten europäischen Industrien mit den ihnen vorangehenden in Ländern, die ihnen produktiv untergeordnet sind, nicht konkurrieren konnten, wohl aber in diesen Ländern einer alten eingebürgerten Industrie selbst einen Absatz fanden? Die Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs ist nicht schwer. Die Länder mit rückständiger Produktionsweise waren für Europa, wie erwähnt, die überseeischen Gebiete. Der Handelsverkehr mit ihnen erfordert vor allem eine große Handelsflotte. Diese aber setzt, sintemalen es sich nicht mehr um Ausraubung großer Kolonialgebiete handelt, bereits einen ziemlichen Grad der industriellen Entwicklung voraus. Die Hauptsache aber ist, dass je rückständiger die gesellschaftliche Produktionsweise, desto beschränkter, quantitativ und qualitativ, der Warenbedarf. Meistens bezieht sich dieser nur auf ein paar Artikel, die zur Produktionsspezialität des mit diesen Ländern in der nächsten Verbindung stehenden Industrielandes werden. Das Hauptgewicht in dem Handelsverkehr liegt hier deshalb in der Einfuhr und nicht in der Ausfuhr. Erst mit ihrer fortschreitenden kapitalistischen Umgestaltung wird das anders. Dagegen lagen den jungen europäischen Industrien die alten kapitalistischen Länder schon deshalb als Absatzgebiet am nächsten, weil sie bereits in einer ausgedehnten Handelsverbindung mit ihnen standen. Ja, es waren vielfach englisches oder französisches Kapital, englische oder französische Ingenieure und Maschinen, die von auswärts ihrem Heimatlande Konkurrenz machten. Dazu kommt, dass der Bedarf dieser Länder ein viel reicherer ist und deshalb eine größere Spezialisierung und Ausnützung der besonderen natürlichen oder ökonomischen Produktionsvorteile zulässt. Endlich kommt für England noch in Betracht, dass dort, gerade infolge der frühen Entwicklung einer Produktion für den Weltmarkt, die Produktion für den eigenen Landesbedarf relativ zurückstand. Man hat dabei nicht bloß den großen Gegensatz zwischen der landwirtschaftlichen und industriellen Entwicklung ins Auge zu fassen, sondern, teils damit zusammenhängend, die Produktion einer Anzahl von Massengebrauchs- und auch Luxusartikel. Das waren die Verhältnisse des Weltmarkts, unter denen die Industrien des europäischen Festlandes, vor allem jene Deutschlands, sich entwickelten.2 Das war in sehr bedeutendem Maße bestimmend für den Charakter, den die deutsche Produktionsentwicklung annahm. Über diesen selbst weiter unten. Um unsere allgemeinen Erörterungen zu bekräftigen, genügt Folgendes: Es betrug 1893 die Ausfuhr nach dem übrigen Europa in Teilen des Gesamtausfuhr: in Deutschland 76 Prozent, in Frankreich 74 Prozent. Dagegen machte der Export Großbritanniens nach dem übrigen Europa, ebenfalls in Teilen der Gesamtausfuhr ausgedrückt, folgende Bewegung durch:
Währenddem England drei Fünftel seines Absatzes außer Europa führt, geben Deutschland und Frankreich im Gegenteil drei Viertel ihres Warenexports nach Europa ab. England wird in der Bewegung des europäischen Warenmarkts von den übrigen Staaten wenigstens relativ immer mehr zurückgedrängt. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass der erste industrielle Aufschwung Deutschlands von einer Steigerung der englischen Warenzufuhr begleitet war. Das hielt nicht lange an, und die Krise von 1873 war die große Auseinandersetzung vor allem zwischen Deutschland und England. Nicht der „Schwindel“ erzeugte die siebziger Krise, sondern die Überproduktion. Was von Haus aus Schwindel war, gab nicht den Ausschlag, das Andere wurde aber in dem Moment Schwindel, wo die Überproduktion eintrat. Diese hatte sich aber für Österreich, in dem die Krise zuerst ausbrach, bereits 1872 angekündigt durch den Rückgang der Ausfuhr um etwa 17 Prozent, um mehr als ein Sechstel. Jedenfalls war die siebziger Krise insofern entscheidend, als durch die allgemeine Depression des Markts die Frage gestellt wurde: Wer weicht zurück und wer behauptet den Platz? Die Entscheidung zeigen die Zahlen der Ausfuhr. Es betrug die Ausfuhr in Millionen Pfund Sterling:
Man sieht, die Ausfuhr Englands ist unter der Krise unausgesetzt stark zurückgegangen, während die Ausfuhr Deutschlands unausgesetzt stieg — trotz der Krise. Dadurch hat es sich seine Stellung auf dem Weltmarkt erobert. Die Handelsbeziehungen Englands zu Deutschland und Frankreich haben sich seit den siebziger Jahren total verändert. Es betrug in Millionen Pfund Sterling:
Im Verkehr mit beiden Ländern hat die Einfuhr von diesen nach England zugenommen und die Ausfuhr von England nach ihnen abgenommen. Nunmehr empfängt England 20 bis 25 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhr. Eine Industrie, die für Europa und in erster Linie für England produziert, muss einen anderen Charakter tragen als eine Industrie, deren Absatzgebiet in den Kolonien liegt. Die Untersuchung der deutschen Industrie ihrer Art nach wird diesen Unterschied deutlicher zeigen. 3. Die Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkte Wir haben in Heft 7 der „Neuen Zeit“ die allgemeinen Zusammenhänge des Weltmarkts skizziert, unter denen die Entwicklung der später als die englische auftretenden nationalen Industrien Europas, deren reinster Typus die deutsche Industrie ist, sich vollzogen hat. Wir verweisen auf den Unterschied zwischen dem industriellen Absatzgebiet des europäischen Festlands und dem Englands und folgerten daraus, dass dem Unterschied des Absatzes Verschiedenheiten nachzuweisen. Den Mittelpunkt unserer jetzigen Untersuchung bildet deshalb Deutschland. Eins fällt sofort auf: die geringe Entwicklung der an die Landwirtschaft anknüpfenden Industriezweige in England gegenüber dem Kontinent. Die Spiritusbrennerei als Exportbetrieb und die Rübenzuckerfabrikation haben ihren Sitz in Deutschland und Frankreich, in Österreich und Russland. Anfang der siebziger Jahre schrieb Friedrich Engels: „Kartoffelsprit ist für Preußen das, was Eisen und Baumwollwaren für England sind, der Artikel, der es auf dem Weltmarkt repräsentiert.“3 Seitdem hat sich allerdings die Lage stark verändert. Der deutsche Spiritus ist vom Weltmarkt total zurückgedrängt worden (im Jahre 1884 wurden ausgeführt für 32,6 Millionen Mark, im Jahre 1893 für 4,7 Millionen!), und auch der an seine Stelle getretene Rübenzucker wird bereits bedrängt. Immerhin ist noch der Zucker der bedeutendste Ausfuhrartikel Deutschlands, der, im Werte von ca. 200 Millionen Mark, allein 5-7 Prozent der Gesamtausfuhr ausmacht. Aber viel wichtiger ist die Rolle der Zuckerfabrikation und der Spiritusbrennerei in der Entwicklung der deutschen Industrie. Beim Spiritus lagen die Verhältnisse ziemlich einfach. War es vorteilhaft, Korn auszuführen, und dass dies der Fall sei, dafür sorgte die industrielle Entwicklung Englands, so war es auch vorteilhaft, Kornbranntwein zu exportieren, dann aber Kartoffelspiritus erst recht. Komplizierter war die Entwicklung der Zuckerindustrie, und diese ist typisch dafür, wie überhaupt der Kampf gegen Englands industrielle Übermacht vor sich ging. England importierte zunächst Rohrzucker. Es besaß im Lande Raffinerien, die ihn zu Konsumzucker verarbeiteten. Es hatte dabei noch bis in die fünfziger Jahre eine relativ bedeutende Ausfuhr von rohem und raffiniertem Zucker. Der Kampf des Rübenzuckers mit dem Rohrzucker war zunächst eine Konkurrenz der Rohstoffe, von der die französischen und englischen Raffinerien den Vorteil hatten. In je größerem Maße aber der Rübenzucker den Rohrzucker vom europäischen Markte verdrängte, desto mehr wuchs die Konkurrenz von Rübenzuckerproduzenten untereinander. Zweierlei ergab sich daraus zu gleicher Zeit: erstens, die englische und französische Zuckerraffinerie wurde immer mehr abhängig vom europäischen (also auch französischen) Rübenbau, zweitens, das Sinken der Rohrzuckerpreise zwang dazu, statt des rohen raffinierten Zucker auf den Markt zu bringen. Das Resultat war die Vernichtung der englischen Zuckerraffinerie, die sich auf keinen heimischen Rübenbau stützen konnte. Diese Entwicklung wird von der englischen Handelsstatistik vorzüglich wieder[ge]spiegelt. Die Bewegung ging so regelmäßig vor sich, dass es genügt, durch einzelne Angaben ihre verschiedenen Stadien zu kennzeichnen. 1856 bildete noch der Rohrzucker 72 Prozent der gesamten Zuckereinfuhr Englands; zu gleicher Zeit bildete der raffinierte Zucker bloß 2½ Prozent der Einfuhr. 1865 wurde bereits zu gleichen Teilen Rohrzucker und roher Rübenzucker eingeführt, Raffinade machte 7 Prozent der Ausfuhr aus. 1870 geht der Rohrzucker auf kaum 32 Prozent der Zuckereinfuhr. 1880 bildete der raffinierte Zucker 15 Prozent der Einfuhr, 1885 21 Prozent und im Jahre 1894 beinahe die Hälfte des englischen Zuckerimports! So entwickelte sich in Deutschland aus der Ausfuhr eines Rohstoffs, der einer fremdländischen Industrie zu Gute kam, kraft der immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion, eine nationale Fabrikation, die schließlich zur Herrschaft auf dem Weltmarkt gelangte. Abgesehen von den besonderen Umständen, die die Entwicklung der Zuckerfabrikation und der Branntweinbrennerei in den einzelnen Ländern begünstigten (auf die Rolle, die bei der letzteren in Preußen und Russland die Bauernablösung spielte, hat seinerzeit Fr. Engels verwiesen), scheint es Gesetz zu sein für die industrielle Entwicklung in den Staaten des europäischen Festlandes, dass sie durch den Zucker und den Schnaps hindurch müssen. Der Grund davon ist vor allem der, dass diese Produktionszweige direkt an die Landwirtschaft anknüpfen. Dann aber sind ihre Produkte Massenkonsumgegenstände in klassischer Form, die auch im Inlande selbst ein breites Absatzgebiet finden, und es sind in erster Linie europäische Verbrauchsgegenstände. So haben auch tatsächlich Frankreich, Deutschland, Österreich, Russland diese Entwicklung durchgemacht. Da die allgemeine Bewegung der kapitalistischen Produktion sich von keiner europäischen Macht vorschrieben lässt, so kann ihr selbstverständlich auch kein Halt geboten werden gerade in dem Moment, der etwa für den ostpreußischen Junker am vorteilhaftesten ist. Sie schreitet weiter und bringt neue Beziehungen zu Stande. Diese gehen uns aber vorläufig noch nichts an. Ist die deutsche Spiritusindustrie in den letzten Jahren auch auf den inländischen Markt beschränkt worden, so werden vom produzierten Zucker noch immer 50 bis 60 Prozent ausgeführt, wovon der weitaus größte Teil nach England abgeht. Welche Bedeutung diese Entwicklung für die deutsche Landwirtschaft hatte, darüber an anderer Stelle. Stellen wir nun einen allgemeinen Vergleich an zwischen der industriellen Gestaltung Deutschlands und Englands. Da möge zunächst folgende, nach der deutschen Berufszählung von 1882, der englischen von 1881 zusammengestellte Übersicht zur Orientierung dienen. Von 1000 Erwerbstätigen der nachstehend bezeichneten Berufsgruppen gehörten den einzelnen dieser Berufsgruppen an:
Die Tabelle zeigt deutlich eine Dreiteilung: I. Industriezweige, in denen England dem Deutschen Reich überlegen ist, II. Industriezweige, in denen das Übergewicht auf Seiten Deutschlands ist, III. Produktionszweige, die gleichmäßig in Deutschland und England vertreten sind. Diese Dreiteilung entspricht einer wichtigen allgemeinen Gruppierung der kapitalistischen Industrie. Die von uns unter III. aufgeführten Industriezweige hängen eng zusammen mit der Entwicklung der Städte. Beim Baugewerbe liegt das auf der Hand. Auch die Industrie der Reinigung (Badeanstalten, Wäscherei etc.) ist rein städtisch. Das sind Produktionen für den inländischen Markt. Zweifellos bedankt die Bekleidungsindustrie ebenfalls ihre Entwicklung den großen Massenansammlungen und dem verfeinerten Lebensbedarf der Städte. Auch diese Industrie wird stets in der Hauptsache auf den inländischen Konsum angewiesen sein, doch sind ihre Produkte auch exportfähig und bilden dadurch die Verbindung mit der Gruppe II, die später zu erörtern ist. Gruppe I enthält die Maschinen- und Textilindustrie nebst ihrem produktiven Anhang. Das ist die Produktion für den produktiven kapitalistischen Bedarf und für den Kolonialmarkt. Zu dem produktiven Bedarf ist ja auch der Bedarf der Textilstoffe zu rechnen, die die Grundlage der weit ausgedehnten Bekleidungsindustrie bilden. Hier hat, wie unsere Tabelle zeigt, England das große Übergewicht. Der Unterschied kommt aber, besonders für die Textilindustrie, in dieser Zusammenstellung nur sehr unvollkommen zur Geltung, da sie nur die Zahl der Erwerbstätigen angibt, ohne Unterscheidung der Groß- und Kleinbetriebe. Da in Deutschland das Handwerk und die Hausindustrie noch sehr stark vertreten sind, so verschiebt sich das Resultat zu Gunsten Deutschlands. Die große Gewerbegruppe der Textilindustrie bietet aber auch nach ihrer inneren Zusammensetzung Unterschiede zwischen England und Deutschland. Es betrugen die Verhältniszahlen der Erwerbstätigen:
Währenddem die Textilindustrie in England sich auf die Baumwollindustrie und die Wollmanufaktur konzentriert, zeigt sie in Deutschland eine viel gleichmäßigere Verteilung. Auffallend ist das relativ starke Hervortreten der Seidenindustrie, der Strumpfwirkerei und der Spitzenfabrikation in Deutschland. Das sind eben Industriezweige, die in erster Linie auf den europäischen Bedarf berechnet sind. Zum Teil handelt es sich auch um Spezialitäten, worauf wir schon früher verwiesen haben. Eine gesonderte Betrachtung der Baumwoll- und Wollindustrie zeigt, dass in Deutschland die Weberei relativ stärker vertreten ist. Das ist das Ergebnis der englischen Garnausfuhr. Wieder ein Beispiel, wie England sich selbst Konkurrenten großzog. Im Allgemeinen zeigt uns die spezialisierte Betrachtung der Textilindustrie, dass sie in Deutschland mehr zersplittert und, soweit sie hier stärker vertreten, im Gegensatz zu ihrem allgemeinen Charakter auf die Produktion von Gegenständen des persönlichen Gebrauchs in Europa berechnet ist. Soviel über die Gruppe I. Der Bergbau (Steinkohlen!) bildet die Verbindung mit der Gruppe III und die Eisenverarbeitung mit Gruppe II. Die Gruppe II, das Spezifikum der deutschen Industrie, ist gemischt. Die Hauptstelle nimmt in ihr die Industrie der Nahrungs- und Genussmittel ein. Das ist in der Hauptsache eine Produktion für den heimischen Bedarf. Doch sind hier auch die Exportindustrien: Spiritusbrennerei und Zuckerfabrikation, enthalten, die wir Eingangs erörtert haben. Die Industrie der Steine und Erden bildet die Verbindung dieser Gruppe und der Gruppe III, aber sie enthält außerdem die für den Export bedeutenden Produktionszweige: Glas und Glasverarbeitung (Spiegel) und die Porzellanmanufaktur. Die allgemeine Charakteristik dieser bunten Gruppe ist: Fabrikation von Gegenständen des feineren Lebensbedarfs und von Hilfsstoffen der europäischen Industrie (Farbstoffe). Wird Gruppe I als Produktion für den produktiven kapitalistischen Bedarf charakterisiert, so Gruppe II als Produktion für den Bedarf der europäischen städtischen Haushaltung. So zeigt es sich, dass die scheinbar zufällige Gestaltung der deutschen Industrie ihrer Art nach in Wirklichkeit bedingt war durch die Stellung Deutschlands innerhalb der Entwicklung des Weltmarkts. Diese Stellung haben wir im vorigen Artikel charakterisiert. Der durch das Absatzgebiet bedingte Charakter der Industrie kommt dann selbstverständlich in der qualitativen Zusammensetzung der Ausfuhr zum Ausdruck. Währenddem die englische Ausfuhr zu 44 Prozent aus Textilfabrikaten besteht, bilden diese in der deutschen Ausfuhr bloß 21 Prozent. Die Baumwollfabrikate bilden in England 30 Prozent der Ausfuhr, in Deutschland 5 Prozent. Der Wert der deutschen Ausfuhr (nicht bloß der Mehrausfuhr) an Baumwollfabrikaten steht noch ziemlich hinter dem Wert seiner Einfuhr von roher Baumwolle zurück, ein Beweis, dass der Absatz für diesen Produktionszweig noch weitaus ein inländischer ist. Umgekehrt beträgt in England der Wert der ausgeführten Baumwollfabrikate das Doppelte des Wertes der eingeführten Baumwolle. Wohl aber hat Deutschland eine relativ und absolut viel bedeutendere Ausfuhr an Strumpfwaren, Spitzen und Stickerei, Posamentierwaren. Der relative Ausfall der deutschen Ausfuhr an Textilfabrikaten gegenüber England wird bei weitem wettgemacht durch die Ausfuhr aus dem Gebiete unserer Gruppe II, die wir im Einzelnen nicht auseinanderzusetzen brauchen. Gruppe II liefert mehr als 40 Prozent der Gesamtausfuhr Deutschlands. Sie ist also für Deutschland, was Gruppe I für England: sie „repräsentiert“ es auf dem Weltmarkt. Wir waren bis jetzt bemüht. An dem Beispiele Deutschlands das Typische der Stellung einer festländisch-europäischen Industrie innerhalb des Weltmarkts hervorzuheben. (Wir werden später sehen, wie damit die Entwicklung der europäischen Landwirtschaft zusammenhängt.) Es ist jedoch klar, dass es in den Handelsbeziehungen Deutschlands mit einzelnen Ländern Variationen geben muss. Es lassen sich aber diese Verschiedenheiten in drei typische Gestaltungen zusammenfassen, für die wir als Vertreter wählen: den Handelsverkehr Deutschlands mit England, mit Frankreich, mit den Vereinigten Staaten. Diese Erörterung soll das Bild von der Stellung Deutschlands auf dem Weltmarkte vervollständigen. Die Jahresnachweise über den auswärtigen Handel Deutschlands liefern uns in diesem Falle trefflich vorbereitetes Material. Der Handelsverkehr Deutschlands mit Großbritannien. Hier genügt es im Wesentlichen, die vom statistischen Büro für das Jahr 1893 gegebene allgemeine Charakteristik anzuführen: „Sowohl in der Einfuhr als auch in der Ausfuhr nimmt Großbritannien im auswärtigen Handel des deutschen Zollgebiets die erste Stelle ein. Letzteres bezieht von Großbritannien einen erheblichen Teil der Rohstoffe und Halbfabrikate, deren es für viele seiner Erwerbszweige bedarf. … In dieser Hinsicht sind hauptsächlich die Textil-, Metall- und Lederindustrie, sowie die chemische Industrie nebst der Industrie der Fette und Öle hervorzuheben. … Ein Teil der Rohprodukte, welche Großbritannien dem Zollgebiet liefert, entstammt überseeischen Ländern, ein anderer wird in Großbritannien selbst gewonnen. Zu den Letzteren gehören in erster Reihe Steinkohlen und Kupfer. Industrieprodukte kommen bei der Einfuhr von Großbritannien in das Zollgebiet, abgesehen von den Halbfabrikaten Baumwoll- und Wollgarn, erst in zweiter Linie in Betracht. Die Ausfuhr des Zollgebiets nach Großbritannien erstreckt sich besonders auf Fabrikate, während Rohprodukte und Halbfabrikate eine nur untergeordnete Rolle spielen.“ Die hervorragenden Ausfuhrartikel Deutschlands nach Großbritannien sind folgende: Zucker, Halbseidenwaren, Kleider- und Putzwaren, feine Lederwaren, Tuch- und Zeugwaren (wollene, unbedruckte), Farbendruckbilder, Kupferstiche, dichte Baumwollgewebe (gefärbt und bedruckt), Klaviere usw. Dieses spezifizierte Verzeichnis entspricht vollkommen unseren früheren Angaben über den allgemeinen Charakter der deutschen Ausfuhr. Es hat sich also scheinbar das Verhältnis zwischen Deutschland und England umgekehrt. Früher bezog Deutschland Fabrikate aus England und jetzt bezieht sie England aus Deutschland. Aber Deutschland bezahlte seinerseits die Einfuhr mit Lebensmitteln und erst in zweiter Linie mit Rohstoffen, England aber zahlt mit Rohstoffen bzw. Halbfabrikaten. Der erste Verkehr war ein abschließender, denn die Lebensmittel gingen in den englischen persönlichen Konsum ein, die Fabrikate in den deutschen — der zweite aber ist es durchaus nicht. Denn die Rohstoffe, die Deutschland von England bezieht, dienen nur dazu, die Produktion, nicht das Leben zu erneuern. Sie müssen, nimmt man diesen Verkehr für sich, dazu dienen, die Produktion zu erweitern, wenn die deutsche Fabrikatesausfuhr ihrem Wert nach vollständig gedeckt werden soll, denn Fabrikate sind der Natur der Dinge nach teurer als Rohstoffe. Je mehr der Verkehr Deutschlands mit England sich nach dieser Richtung hin ausdehnt, desto mehr muss sind, caeteris paribus [wenn alles andere gleich bleibt], seine Industrie erweitern, desto stärker sein Bedürfnis nach einer Fabrikatesausfuhr, desto schärfer im Lande der Gegensatz zwischen Industrie und Landwirtschaft, desto größer das Erfordernis nach Einfuhr von Lebensmitteln und desto größer die Notwendigkeit, in Handelsbeziehungen zu einem Lande zu treten, von dem man Lebensmittel gegen Fabrikate eintauschen könnte. Wie der aufgefundene Knochen dem Paläontologen die Gesamtheit des Gerippes angibt, so zeigt dem Ökonomen das aus dem Zusammenhang des Weltmarkts herausgerissene Handelsverkehr zweier Nationen, welcher Art der komplementäre Teil sein muss — und so organisch zusammenhängend ist der Weltmarkt. Andererseits, je mehr die Ausfuhr Deutschlands zur Fabrikatesausfuhr wird, die heimische Produktion den inländischen Markt deckt, desto mehr sieht sich England genötigt, diese Ausfuhr mit Rohstoffen zu decken. Es tauscht, wie früher, in den Kolonien Rohstoffe gegen Fabrikate ein, aber statt sie zu Hause zu verarbeiten und die gewonnenen Fabrikate in Deutschland gegen Lebensmittel einzutauschen, schickt es diese Rohstoffe nach Deutschland und bekommt dafür Fabrikate zurück. Da aber der zurückfließende Wertstrom von Fabrikaten größer ist als die Rohstoffabfuhr, so sieht es sich veranlasst, diese fortwährend zu steigern. Dann aber zeigt es sich schließlich außer Stande, die eingeführten Fabrikate selbst zu verbrauchen. Und dann muss es diese Fabrikate zum Teil wieder ausführen. Das konstatiert das deutsche statistische Büro: „Die vom Zollgebiete nach Großbritannien gelieferten Fabrikate werden vielfach wieder von dort nach überseeischen Ländern ausgeführt.“ Es ist diese Entwicklung keineswegs bloß Änderung des Handelsverkehrs. Zwischen Deutschland und Ostindien steht nicht bloß der englische Kaufmann, sondern es steht der Bedarf Englands nach Rohstoffen und Fabrikaten, kurz die englische Industrie. Es handelt sich um das Ineinander- und Dazwischengreifen der Umschlagszyklen der nationalen Kapitale und ihr Aufgehen in die Zirkulation eines einzigen gesellschaftlichen Kapitals, das keine nationalen und politischen Schranken kennt. Der Handelsverkehr zwischen Deutschland und Frankreich zeigt uns das Verhältnis zweier gleichartigen nationalen Industrien. Die Spiritusbrennerei und Zuckerfabrikation haben ja Deutschland und Frankreich miteinander gemeinsam. Diese heben sich nunmehr im Handelsverkehr gegenseitig auf. Gemeinsam für Deutschland und Frankreich ist auch eine Anzahl anderer Fabrikationen. Deshalb sind Einfuhr und Ausfuhr der allgemeinen Art noch sehr oft identisch. So werden z.B. wollene Tuch- und Zeugwaren ein- und ausgeführt, desgleichen Handschuhleder, Florettseide, Schafwolle, feine Lederwaren und Ähnliches mehr. Der Handelsverkehr ist deshalb sehr zersplittert. Keine großen Warengruppen. Bei einem Gesamtwert der französischen Wareneinfuhr nach Deutschland von 241 Millionen Mark im Jahre 1893 war der Wert des wichtigsten Einfuhrartikels, des Weins, 16 Millionen Mark, zu gleicher Zeit war bei einer deutschen Ausfuhr nach Frankreich von 203 Millionen der Wert des hauptsächlichen Ausfuhrartikels, Koks,4 12 Millionen Mark. Der Verkehr besteht aus einer Fülle kleiner Warenposten, die dem Wert nach einander beinahe gleich sind. Volle 35 Warenarten werden in Summen von 1 bis 2 Millionen Mark eingeführt. Der nationale Unterschied der Industrien ist beinahe ausgelöscht. Die Handelsbewegung ähnelt dem Inlandsverkehr. Dass sie es nicht vollkommen wird, hindern die Zollschranken. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind jenes komplementäre Glied im auswärtigen Handel des Deutschen Reichs, auf das wir schon bei der Erörterung seiner Handelsbeziehungen zu England hingewiesen haben. Auch hier können wir uns mit der in der deutschen amtlichen Statistik gegebenen allgemeinen Charakterisierung begnügen. „In dem Handel der Vereinigten Staaten von Amerika mit dem deutschen Zollgebiet sind für die Einfuhr hauptsächlich Baumwolle, Getreide, Petroleum, unbearbeitete Tabakblätter, Kupfer, sodann Produkte der Viehzucht, wie Fleisch, Schmalz von Schweinen. Dagegen empfangen die Vereinigten Staaten von Amerika aus dem deutschen Zollgebiet die verschiedenartigsten Industrieprodukte, vornehmlich aber Fabrikate der Textilindustrie, als Strumpfladen, ferner halbseidene Waren und Zeugwaren, ferner Zucker, sowie Handschuhe und andere Produkte der Lederindustrie.“ Es ist der kapitalistische Kolonialverkehr. Nur dient als Kolonie nicht ein barbarisches, sondern ein kulturelles Land. Deshalb begegnen wir hier bei der deutschen Ausfuhr denselben Gegenständen wie für den europäischen Bedarf. Die Ausfuhr Deutschlands nach den Vereinigten Staaten macht 11 Prozent, also zusammen mit der Ausfuhr nach Europa 87 Prozent seiner Gesamtausfuhr aus. Indem das Verhältnis Deutschlands zu Europa und den Vereinigten Staaten dargestellt worden ist, ist seine gesamte Stellung auf dem Weltmarkt charakterisiert worden. Die Ansätze neuer Bildungen können an dieser Stelle nicht berücksichtigt werden. Desgleichen konnte Nordamerika nur als Absatzgebiet und nicht in seiner allgemeinen industriellen und landwirtschaftlichen Entwicklung in Betracht gezogen werden. Soviel über Deutschlands Industrie und Handel. Dass sie typisch sind für das europäische Festland, zeigte ja zum Teil soeben die Betrachtung des Handelsverkehrs Deutschlands mit Frankreich. Zur Vervollständigung ein kurzer Überblick über den auswärtigen Handel Frankreichs. Wie in Deutschland, bildet auch hier die Ausfuhr von Textilfabrikaten nur 20 Prozent der Gesamtausfuhr. Daneben führt Frankreich bedeutende Quantitäten Rohseide und roher Wolle aus. Nun nehmen einen breiten Platz die Genussmittel ein: Zucker, Spiritus etc., aber auch Wein. Der Rest wird ausgeführt durch die übrigen Vertreter der bekannten Gruppe II unserer Übersicht: Papier- und Lederwaren, Glaswaren, Porzellan, für Frankreich besonders kennzeichnend: Juwelen und kleine Luxusgegenstände. Man sieht, auch hier entspricht die qualitative Zusammensetzung der Ausfuhr dem besonderen Charakter des europäischen Absatzgebiets. Es ist klar, dass die Industrien des europäischen Festlandes, die für den heimischen und den allgemeinen europäischen Markt produzieren, andere handelspolitische Interessen erzeugen müssen als die Industrie Englands, die für den Kolonialmarkt produziert. Tatsächlich kommt auch der Unterschied der Industrie scharf zur Geltung in dem Unterschied der Handelspolitik. Währenddem die Handelspolitik Englands darauf hinausging, sich auswärtige Märkte zu erschließen, bezweckt die Handelspolitik der europäischen Staaten vor allem, den heimischen Markt abzuschließen. Im europäischen Zollschutz kommt der Zusammenhang der kapitalistischen Produktion zum Ausdruck, deshalb auch der Zusammenhang zwischen Industrie und Landwirtschaft, dies alles aber, dem Anspruch der kapitalistischen Produktion entsprechend, als Gegensatz und Widerspruch. 4. Städte und Eisenbahnen Während die Eisenbahnen in ihrem ganzen Wesen ihren modernen Ursprung zur Schau tragen, haben die Städte eine Jahrhunderte lange Geschichte hinter sich. Dennoch haben die Städte nunmehr einen ausgeprägt kapitalistischen Charakter und unterscheiden sich wesentlich von den Städten der vorangegangenen Gesellschaftsformen. Nicht nur darauf kommt es an, dass, wie Professor K. Bücher in seiner interessanten Schrift über die inneren Wanderungen es mit Recht hervorgehoben hat, die modernen Städte viel mehr differenziert sind. Das Interessanteste ist der Typus der kapitalistischen Großstadt. Das ist die Großstadt, die Hunderttausende auf Hunderttausende von Einwohnern häuft, alle erdenklichen Berufsarten in sich vereinigt, eine Unzahl neuer Berufsarten schafft, die ausgedehntesten wirtschaftlichen Verbindungen weit über die Grenzen des Inlandes hinaus eingeht, als selbständige wirtschaftliche Organisation innerhalb der Weltproduktion erscheint, ihre eigenartige Stadtwirtschaft, ihre eigenartige Finanzpolitik treibt, unausgesetzt, schrankenlos sich ausdehnen zu können scheint, nur im Grade des Wachstums, nicht im Wachstum selbst durch die allgemeine wirtschaftliche Lage beeinflusst, dabei aber der Grundlage der gesellschaftlichen Existenz, der Erzeugung von Nahrungsmitten, entbehrt, im Gegenteil durch die stete Aufsaugung der landwirtschaftlichen Bevölkerung die Klasse der Produzenten dieser Lebensmittel im Lande selbst relativ vermindert. Diese kapitalistische Großstadt, eine der wichtigsten und wunderlichsten Erscheinungen der kapitalistischen Produktion, ist bis jetzt so gut wie unerforscht geblieben. Man weiß wissenschaftlich mehr über die deutschen Städte des Mittelalters als über die deutschen Städte der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Und doch verfügt man dort nur über abgerissene Fetzen von Material, während hier ein fast kaum zu bewältigendes statistisches und deskriptives Material unter den Händen liegt. Nur Eins bildet den Unterschied: um die kapitalistische Städteentwicklung zu begreifen, muss man die kapitalistische Produktion begreifen, — für das Altertum braucht man freilich diese Kenntnis nicht. Auch genügt es hier nicht, im Staub der Archive noch so viele Aktenstöße zu durchwühlen, und es ist ein toter Körper, der auf den wissenschaftlichen Seziertisch gelegt werden kann, — sondern in das Gewühl der Wirklichkeit muss hineingegriffen und an dem stets wandelbaren Leben selbst muss erkannt werden, was dieses Leben ist. Man verzeihe uns diese Abschweifung. Es ist die Klage eines Publizisten, der, um praktische Fragen zu lösen, sich genötigt sieht, Forschungsgebiete zu streifen, die von Rechtswegen von Anderen so weit wissenschaftlich präpariert werden dürften, dass der Politiker nur noch nach den allgemeinen Ergebnissen zu greifen brauchte. Unsere Charakteristik des industriellen Marktes hätte eine empfindliche Lücke, würden wir die Rolle der Städte und Eisenbahnen bei der Schilderung des inneren Marktes unberücksichtigt lassen. Und nur in diesem Zusammenhang sollen sie behandelt werden. Wir beginnen mit den Eisenbahnen. Es mag befrieden, dass wir sie hauptsächlich vom Standpunkte des inländischen Verkehrs betrachten. Allein ihre ausgesprochene Aufgabe ist tatsächlich die: im Inlande den Verkehr der Städte untereinander und zwischen den Städten und der Landbevölkerung zu vermitteln. Für den Personenverkehr braucht dies nicht erst besonders nachgewiesen zu werden. Über den Güterverkehr geben folgende Nachweise Aufklärung. Von dem gesamten Güterverkehr der Eisenbahnen Deutschlands, das waren 162 Millionen Tonnen im Jahre 1891, entfielen auf den Inlandverkehr 137 Millionen Tonnen, von diesem Inlandsverkehr der Eisenbahnen ist freilich noch die Zufuhr nach den Häfen, um über die See nach fremden Ländern ausgeführt zu werden, sowie die überseeische Einfuhr abzurechnen. Es erreicht aber der gesamte Verkehr der deutschen Eisenbahnen mit den Häfen nicht 20 Millionen Tonnen (1894 circa 18 Millionen). In den 137 Millionen Tonnen des Inlandsverkehrs der Eisenbahnen bildeten folgende drei Gruppen von Gebrauchsgegenständen die Hauptbestandteile:
Es handelt sich bei diesen Warengruppen zweifellos in erster Linie um den städtischen Bedarf. Aber auch von dem übrigen Verkehr an Nahrungsmitteln und an industriellen Rohstoffen wird wohl der Löwenanteil den Städten zufallen. Dieses Verhältnis ist in einem Land wie Deutschland doch sehr begreiflich. Die Landbevölkerung ist hier das gedrückte, hungernde Bauerntum, das elend haust, sich schlecht kleidet, seine Bedürfnisse überhaupt auf ein Minimum beschränkt. Aber es hat auch noch eine andere Erklärung. Man hat stets den billigen Eisenbahntransport gepriesen. Man dachte dabei stets an den Massentransport. Dieser Massentransport ist aber erst durch die Eisenbahnen geschaffen. Ohne ihn wäre der Eisenbahntransport aus leicht erkenntlichen Gründen sehr kostspielig. Der Massenversand fordert aber große Handelszentren. So strömt alles nach den Städten und von den Städten. Es wachsen die Städte und der städtische Bedarf. Es wächst die städtische Industrie und es wächst der Eisenbahnverkehr. Die Städte erzeugen Eisenahnen und die Eisenbahnen erzeugen Städte. Selbstverständlich haben wir es weder auf der einen noch auf der anderen Seite mit der einzigen Entstehungsursache zu tun. Aber man schleife die Städte zu Boden und die Eisenbahnen sind ruiniert (selbstverständlich ist die Rede nur von kapitalistischen Zusammenhängen), — man beseitige die Eisenbahnen, und die Städte können nicht mehr bestehen. Für Berlin gewährt folgende Tabelle einen Einblick in den Zusammenhang:
Nicht immer freilich bedingt die Verbindung einer Stadt mit einer Eisenbahn einen Bevölkerungsfluss nach dieser Stadt. Eine vor Jahren in den Monatsheften zur Statistik des Deutschen Reichs veröffentlichte, allerdings sehr lückenhafte Untersuchung zeigt sogar für kleinere Städte eine Verminderung des relativen Zuwachses, selbst eine Einbuße durch Auswanderung unmittelbar nach Eröffnung der Eisenbahn.5 Hier vollzog sich, vermittelt durch die Eisenbahn, der Rückgang des Wachstums der kleineren Städte zu Gunsten der Konzentration der Bevölkerung in den Großstädten. Die neueren österreichischen Arbeiten über Bevölkerungsstatistik haben diesen Prozess der Zurückdrängung der Kleinstädte durch die großen Städte in einem noch grelleren Lichte gezeigt. Die Eisenbahnen begünstigen nicht die Entwicklung der Städte überhaupt, sondern vor allem die Entwicklung der Großstädte. Je mehr das der Fall, desto mehr konzentriert sich der Warenverkehr nach den Großstädten, in denen schließlich das Schwergewicht der gesamten inländischen Produktion liegt. Die Eisenbahnen erscheinen als feinmaschiges Netz von Saugarmen, mittels deren die Großstädte Menschen und Waren aus dem ganzen Lande nach sich zusammenziehen. Dann aber hängt die Entwicklung der Produktion mit der Entwicklung der Großstädte eng zusammen. Was sind aber diese Großstädte? Wie existieren sie? Um auf diese Fragen Antwort zu geben müssen wir zunächst einen Blick werfen in die städtische Berufsstatistik. Die amtliche Bearbeitung der Berufszählung von 1882 gibt eine besondere Statistik der Großstädte (Städte mit über 100.000 Einwohnern). Danach betrug der Prozentsatz der Erwerbstätigen:
Man sieht, der Mangel an landwirtschaftlicher Produktion in den Städten wird nicht durch die Industrie ersetzt. Die deutschen Großstädte sind keine Fabrikstädte, sondern eher wären sie als Handelsstädte zu bezeichnen, da Rubrik C hier relativ fast dreimal so stark vertreten ist als im Reich (auch wenn man die Gastwirtschaft abrechnet, so bleibt das Verhältnis gleich). Allein für sich reicht die Handelstätigkeit bei Weitem nicht aus, um die deutschen Großstädte wirtschaftlich zu charakterisieren. Folgender allgemeine Unterschied springt in die Augen; Während im Reiche 72 Prozent der Erwerbstätigen in Landwirtschaft und Industrie, also mit der Produktion von Gebrauchsgegenständen beschäftigt sind, sind es in den Großstädten bloß 43 Prozent.9 Mag nun die Tätigkeit der anderen Erwerbenden gesellschaftlich noch so nützlich sein, sie basiert darauf, dass ihnen die Gebrauchsgegenstände von anderen produziert werden. Sie treten wirtschaftlich als Konsumenten auf und nicht als Produzenten. Insofern diese 47 Prozent der Erwerbstätigen der großstädtischen Bevölkerung in Betracht kommen, wird also der Warenverkehr der Großstädte mit dem Lande ein einseitiger sein: Empfang von Waren, ohne Zurückgabe von Waren. Bietet nun die produktive Tätigkeit der übrigen 43 Prozent genügend Ersatz für diese Einseitigkeit? Das wollen wir jetzt prüfen. Die Gesamtzahl der industriellen Erwerbstätigen der Großstädte betrug 744.534. Darunter gibt es aber eine große Anzahl von Berufsarten, die ihrem ganzen Wesen nach ausschließlich dem Bedarf dieser Großstädte selbst dienen. Da ist das Baugewerbe mit seinen Hilfsgewerben, dann Tätigkeiten, die durch die Existenz jeder Großstadt bedingt sind — die Stadtwirtschaft: Gasanstalten, Wasserversorgung etc., dann Berufe, die sich der Befriedigung des unmittelbaren Lebensbedarf widmen, wie Bäckerei, Metzgerei etc., hierher gehören auch die Apotheker, schließlich Produktionsarten, deren Betätigung räumlich von den Käufern des Produkts meistens untrennbar ist, wie die Fotografie. Diese Berufsarten kommen selbstverständlich für den Warenexport der Großstädte nach dem Lande nicht oder nur sehr einig in Betracht. Rechnet man die in ihnen Tätigen zusammen so erhält man die große Zahl von 233.176 Personen, das sind 13,7 Prozent der Erwerbstätigen. Es zahlen also für den Warenverkehr nach Außen nur noch 29,5 Prozent der Erwerbstätigen mit. Aber auch diese 30 Prozent produzieren keineswegs hauptsächlich für auswärts. Im Gegenteil, es gibt darunter Gewerbearten, die nicht einmal dem großstädtischen Bedarf selbst genügen. Um einen weiteren Vergleich zu ermöglichen, haben wir deshalb berechnet, wie viel Einwohner durchschnittlich in den Großstädten und im Reich auf jeden der in den einzelnen Industriegruppen Erwerbstätigen entfallen.
Je geringer die Zahl der Einwohner, die auf einen Erwerbstätigen entfällt, desto stärker ist die betreffende Industriegruppe vertreten. Unsere Tabelle zeigt, dass in den Großstädten der Bergbau, die Industrie der Steine und Erden, die Textilindustrie verhältnismäßig schwächer als im Reich überhaupt vertreten sind, folglich ist hier eher eine Warenzufuhr als eine Warenausfuhr zu erwarten. Für Berlin lässt sich das auch tatsächlich aus der Statistik der Güterbewegung auf den Eisenbahnen nachweisen. Die Eisenverarbeitung ist gleichmäßig verteilt. Die Industrie der Nahrungsmittel und Genussmittel ist zwar in den Großstädten zahlreicher, aber das ist wohl bedingt durch den größeren Warenbedarf der Großstädte an diesen Produkten. Schon nicht mehr in demselben Maße gilt das für die Industrie der Bekleidung und Reinigung.10 Dann erst folgen die auf den Versand berechneten Industriezweige der Großstädte. Die großstädtischen Exportindustrien beschäftigen zusammen 251.000 Personen, das sind 14,4 Prozent der Gesamtzahl der Erwerbstätigen. Es ist demnach sehr hoch gerechnet, wenn wir annehmen, dass von Gesamtzahl der Erwerbstätigen der Großstädte 10 Prozent damit beschäftigt sind, Waren für den Umtausch der vom Lande empfangenen Gebrauchsgegenstände zu produzieren. Das gesamte wirtschaftliche Bild der deutschen Großstädte stellt sich nunmehr so dar: 56 Prozent der Erwerbstätigen produzieren nichts, 34 Prozent produzieren Industriewaren für diese 56 Prozent und für sich, 10 Prozent liefern Waren, um landwirtschaftliche Produkte und die noch mangelnden Industrieerzeugnisse vom Lande einzutauschen. Im Lande selbst aber braucht man von je 100 Erwerbstätigen 40 allein um den Bedarf an landwirtschaftlichen Produkten zu decken. Wozu also die Arbeit von vier Zehntel der Erwerbstätigen notwendig ist und noch darüber hinaus, das soll mit dem Arbeitsprodukt eines Zehntels der Erwerbstätigen der Großstädte ausgetauscht werden. Offenbar ist das als Massenerscheinung undenkbar. Dann aber müssen die Großstädte mehr Waren vom Lande beziehen, als an das Land abgeben, und die Differenz mit Geld bezahlen. Wir besitzen keine Wertstatistik des inländischen Warenverkehrs, Nach dem Vorausgeschickten dient aber auch die Gewichtsstatistik als ausreichende Illustration. So hat 1894 Berlin im Eisenbahnverkehr 4,4 Millionen Tonnen Güter empfangen und nur 800.000 Tonnen versendet; Breslau hat 2,5 Millionen Tonnen empfangen und 500.000 Tonnen abgeschickt. Das wirft wieder ein Streiflicht auf die Rolle der Eisenbahnen: sie dienen nicht bloß als Vermittler eines gegenseitigen Verkehrs, sondern als Zufuhrmittel an die Städte. Woher nehmen aber die Großstädte das Geld, um den fehlenden Warenbedarf einzulaufen? Das zeigt uns wiederum ihre Berufsgliederung. Zunächst bringt der unverhältnismäßig stark vertretene Handel einen Teil des außerhalb der Städte erzeugten Mehrwerts in Geldform in die Städte hinein. Im Handel ist auch der durch die Banken vermittelte Kreditverkehr in dem Maße enthalten als er für die betreffenden Anstalten einen Profit abwirft. Die zweite Geldquelle sind die Beamtengehälter, die in Gestalt von Steuern erhoben werden. Die dritte Quelle ist der Tribut, den sich die Rentiers für ihr Kapital zahlen lassen. Diese Geldeinnahmen erscheinen aber nur insofern als vermehrte Kaufkraft der Städte gegenüber dem Lande, als sie nicht einer Verteilung der in den Städten produzierten Mehrwerte entspringen, sondern den Städten von außerhalb, oder, solange man beim inländischen Verkehr bleibt, vom Lande zufließen. So ist es das vom Lande bezogene Geld, mit dem die Großstädte ihren überschüssigen Warenbedarf vom Land einkaufen. Nach der sächsischen Einkommensstatistik bestehen 14 Prozent des städtischen Einkommens aus Renten, in den Dörfern nur 9 Prozent. Aber diese Zahlen zeigen das wirkliche Verhältnis noch nicht an. Denn die sächsische Statistik führt auch in den Städten das Einkommen aus Grundbesitz als besondere Einkommensquelle an, dieses ist aber in den Städten ein abgeleitetes Einkommen, das als Mietzins von den übrigen Einkommensarten abgeleitet wird, und zwar am wenigsten von Renteneinkommen, so wächst selbstverständlich der Prozentsatz des Renteneinkommens. Das Renteneinkommen zerfällt aber seinerseits in zwei große Gruppen: Staatsschulden und Hypotheken. Beide dienen dazu, das gesamte Land den Großstädten tributpflichtig zu machen. So erscheinen die Großstädte als Sammelbecken der Konsumtion und des Geldes. Der Mehrwert fließt hier zusammen, um zum Teil als Revenue vermehrt, zum Teil vermittelst der Kreditinstitute der Produktion wiedergegeben zu werden. Und darum ist hier auch der Sitz der Börse. Mittelst der Börse aber werden Verbindungen eingegangen, die viel weiter hinausreichen, als das inländische Eisenbahnnetz. Nunmehr gelangt Mehrwert aus den entferntesten Ländern nach der Großstadt, wird hier verhandelt, hier in Revenue und Kapital gespalten, um zwei verschiedene Zirkulationen zu beginnen. Die Großstadt wirft die nationalen Eierschalen ab und wird zum Knotenpunkt des Weltmarktes. Als Geschäftsführerin des kosmopolitischen Kapitals erscheint sie nun dem Inland gegenüber. Keine nationalen Schranken der Produktion mehr: auf einen Druck des Telegrafenknopfes erscheinen Geld, Produktionsmittel, Rohstoffe, Arbeiter aus den entferntesten Ländern. Und wie die Produktion zur Weltproduktion, so wird die Großstadt zur Weltstadt. Es kann aber nicht jede Stadt zum Zentralpunkt des Weltmarkts werden, und auf dem Wege zu dieser höchsten Verklärung des Warenverkehrs und der Kapitalakkumulation werden verschiedene Entwicklungsphasen und Entwicklungsformen durchgemacht. Im Allgemeinen lassen sich drei Erscheinungsformen der kapitalistischen Städte unterscheiden, die aber auch als ebenso viele Entwicklungsformen der einen Stadt auftreten können. I. Die Handels- und Gewerbestadt, die fremdländische Waren und Produkte der heimischen Gewerbetätigkeit der Landbevölkerung vermittelt. Voraussetzung ist eine große Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten. Ihr reinster Typus ist in Amerika zu studieren. II. Die Fabrikstadt, die meistens einen bestimmten Industriezweig in sich konzentriert. Sie setzt meistens einen kolonialen Absatz voraus. Jedenfalls erfordert sie diesen, um mehr zu sein als eine vereinzelte Erscheinung. Diese Art hat sich am vollendetsten in England entwickelt. III. Die Großstadt als Konsumtions- und Geldakkumulationszentrum. Die kapitalistische Entwicklung Deutschlands, dem weder eine alles beherrschende landwirtschaftliche Ausfuhr noch ein koloniales Absatzgebiet zu Gebote stand, bildete diese Städteform relativ früh aus. War diese Entwicklung auch begünstigt durch die spezifischen Eigenschaften des preußisch-deutschen Beamten- und Garnisonsstaat, so dient sie ihm andererseits als Stütze. Die deutschen Großstädte üben eine ungemein revolutionäre Wirkung auf die deutsche Landwirtschaft. Durch die kapitalistischen Verbindungen, die sie mit ihr eingehen, zerstören sie ihre Naturalwirtschaft. Sie bilden das erste Absatzgebiet für die an die Landwirtschaft anknüpfenden Industriezweige Sie liefern aber auch das Kapital, um diese Industriezweige zu entwickeln. Schließlich verknüpfen sie mittels des Warenverkehrs und mittels des Kreditverkehrs das Schicksal der Landwirtschaft aufs engste mit ihrem eigenen Schicksal. Die Zeiten sind vorbei, wo die Landwirtschaft die wirtschaftliche Grundlage des Staats bildete. Die Städte können jetzt auch ohne einheimische Landwirtschaft existieren. Aber ohne Städte keine Landwirtschaft. Man kann nicht aus der Entwicklung der Landwirtschaft die Entwicklung der Städte ableiten, wohl aber begreift man die Entwicklung der Landwirtschaft nicht mehr, wenn man nicht die Entwicklung der Städte in Betracht zieht. Mit der Charakteristik der Städte und Eisenbahnen schließen wir vorläufig die Betrachtung der industriellen Verhältnisse, um uns der Landwirtschaft zuzuwenden. 5. Agrarische Widersprüche Die landwirtschaftlichen Verhältnisse bieten in diesem Moment eine Menge einander widersprechender Erscheinungen. Wir wollen auf einige dieser Widersprüche kurz hinweisen, bevor wir eine positive Darlegung der landwirtschaftlichen Entwicklung geben. 1. Man klagt über den Druck, den die ausländische Getreidekonkurrenz auf dem Markt ausübt. Als solche Konkurrenten kamen bis auf die letzte Zeit vor allem in Betracht: Russland und die Vereinigten Staaten. Tatsächlich war auch ihre Konkurrenz so stark, dass sie aller Zollschranken spottete. Und doch haben wir soeben gesehen, wie Russland sich in eine Hungersnot hineinwirtschaftete. Und die Vereinigten Staaten, der mächtigste Konkurrent in der Weizenzufuhr, haben ihre Weizenanbaufläche in den letzten 15 Jahren, trotzdem die Bevölkerung dieses Landes um 25 Prozent gewachsen und der relative Produktionsertrag gleich geblieben ist, nicht ausgedehnt, im Gegenteil, sie ist in den letzten Jahren zurückgegangen. 2. Die Weltmarktproduktion an Brotfrüchten, sowie im Besonderen die Produktion Europas und der für den europäischen Markt in Betracht kommenden Länder zusammengenommen zeigt seit Jahren in absoluten Zahlen keine Steigerung, sie geht vielmehr im Verhältnis zur Bevölkerung zurück, auch sind die Produktionskosten weder in den Vereinigten Staaten noch in Europa gesunken (seit 1885 sind auch die Frachtsätze in den Vereinigten Staaten gleich geblieben), und dennoch sinken die Getreidepreise. 3. Nimmt man größere Perioden, so zeigt sich für Deutschland, dass, obwohl die Getreidepreise sinken, der Getreidekonsum zurückgeht. 4. Obwohl die Getreidepreise sinken und der Konsum pro Kopf der Bevölkerung zurückgeht, steigt in Deutschland der inländische Getreideverkehr. Diese agrarischen Widersprüche lösen sich von selbst, wenn an die landwirtschaftliche Entwicklung in Zusammenhang bringt mit der allgemeinen kapitalistischen Produktionsentwicklung. Der landwirtschaftliche Warenverkehr für sich, ohne Zusammenhang mit der Industrie und mit der kapitalistischen Weltproduktion überhaupt, ist ebenso wenig zu ergreifen wie die Blutzirkulation ohne Kenntnis der Herztätigkeit und des Atmungsprozesses. 6. Industrie und Landwirtschaft Es gilt vor allem die allgemeinen Zusammenhänge zwischen der industriellen Entwicklung und der Entwicklung der kapitalistischen Landwirtschaft klarzulegen. Dies bietet, nachdem der dritte Band des „Kapital“ von Karl Marx erschienen ist, keine großen Schwierigkeiten mehr. a. Einfluss der industriellen Entwicklung auf die Getreidepreise. Die Getreidepreise können steigen bei gleich bleibender Anbaufläche, gleich bleibender Bevölkerung und selbst gleich bleibender Getreideproduktion — einzig in Folge der Entwicklung der Industrie. Wir wollen diesen Satz zunächst an einem abstrakten Beispiel erläutern. Wir setzen voraus eine vollständige Entwicklung der kapitalistischen Produktion in Industrie und Landwirtschaft. In diesem Zustand gibt es auch auf dem Lande nur Lohnarbeiter und Kapitalisten respektive Grundbesitzer. Wir setzen weiter voraus, dass die Arbeiter nur in Geld entlohnt werden. Das ist nicht der leichteste Fall, sondern im Gegenteil derjenige, welcher der Beweisführung die meisten Schwierigkeiten bietet. Nehmen wir an, dass in diesem Lande, damit es keiner landwirtschaftlichen Zufuhr bedürfe, die gesellschaftliche Produktion so verteilt ist, dass eine Million Arbeiter in der Landwirtschaft und eine Million in der Industrie beschäftigt sind. Diese eine Million landwirtschaftlicher Arbeiter produzieren dann die Lebensmittel, die zum Unterhalt der ganzen Gesellschaft notwendig sind. Der leichteren Übersicht wegen nehmen wir statt Lebensmittel das hauptsächliche Nahrungsmittel, das Getreide. Unterstellen wir dann noch, dass die Anbaufläche eine Million Hektar beträgt — die Zahl ist ja gleichgültig. In diesem Lande wird es nun einen bestimmten Getreidepreis geben, der nach dem allgemeinen Wertgesetz und den Gesetzen der Grundrente gebildet wird. Denken wir uns aber, dass in Folge der Entwicklung des Weltmarkts in der Industrie dieses Landes sich ein stärkerer Bedarf an Arbeitern herausstellt. Dann wird, wenn der blühende Zustand der Industrie anhält, ein Teil der Arbeiter der Landwirtschaft entzogen werden müssen. Die Reservearmee ändert nichts an der Sache. Denn, erstens, ein bestimmter Stand der Arbeitslosen muss stets vorhanden sein. Er ergibt sich aus den inneren produktiven Zusammenhängen der Industrie wie Saisonarbeit, große, schnell auszuführende Bestellungen etc. Sodann, je mehr die Reservearmee absorbiert wird, desto mehr wächst der Arbeitslohn (wodurch der Beweis erbracht ist, dass ein relativer Mangel an Arbeitern besteht). Mit dem Wachstum des Arbeitslohnes in der Industrie muss sich aber ein Zufluss landwirtschaftlicher Arbeiter nach den Fabriken herausstellen, selbst wenn man von dem gewöhnlichen Unterschied im Arbeitslohn zwischen Landwirtschaft und Industrie absieht. Schließlich ist es ja die Tendenz der kapitalistischen Industrie, sich grenzenlos zu entwickeln. Wenn daher eine kapitalistisch überflüssige Reservearmee sich aufstaut, so ist das ein Beweis der ungenügenden Entwicklung des Weltmarkts. Aus diesem wäre also die Erklärung zu holen, währenddem es sich vorläufig nur noch um die allgemeinen Zusammenhänge zwischen Industrie und Landwirtschaft handelt. Nebenbei sei noch bemerkt, dass die Auswanderung das kapitalistische Regulativ der Reservearmee bildet. Gesetzt, die industrielle Arbeiterschaft vermehre sich auf 1.200.000, so bleiben in der Landwirtschaft nur noch 800.000. Wenn die Produktivkraft der Arbeit dieselbe bleibt, so können diese 800.000 nicht mehr die frühere Bodenfläche von einer Million Hektar bearbeiten. Die kapitalistischen Pächter und Grundbesitzer werden dann über den „Zug nach der Stadt“, Arbeitermangel und hohe Arbeitslöhne klagen (die jetzigen Klagen der preußischen Junker haben einen anderen Grund, der später erörtert werden wird), und im Lande wird sich ein Mangel an Getreide herausstellen. (Man behalte im Auge, dass wir eine rein kapitalistische Produktion voraussetzen, bei der die gesamte Bauernschaft bereits längst expropriiert und proletarisiert ist.) Dem Getreidemangel könnte durch Zufuhr abgeholfen werden. Allein das setzt bereits eine Steigerung des Getreidepreises voraus, sonst ist nicht abzusehen, warum diese Zufuhr nicht früher stattgefunden hat. Der Grad der Steigerung der Getreidepreise konnte wohl durch fremde Zufuhr beeinflusst werden. Wir dürfen aber von der auswärtigen Getreidezufuhr vollständig absehen: denn entweder befindet sich das Ausland auf einer anderen Stufe der kapitalistischen Entwicklung, und dann wird durch diese Verbindung unsere Voraussetzung einer rein kapitalistischen Produktion gestört, oder es steht auf der gleichen Entwicklungsstufe, hat aber eine andere Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit aus Industrie und Landwirtschaft, und dann würde sich die Notwendigkeit herausstellen, unser Beispiel umzurechnen, wodurch dem Wesen nach nichts geändert worden wäre, oder schließlich ist dieses andere Land unserem Musterland wirtschaftlich ähnlich und dann wird durch die Handelsverbindung erst recht nichts geändert. Um Missverständnissen vorzubeugen, möge noch erwähnt werden, dass damit keineswegs die Behauptung aufgestellt werden soll, dass der Getreidepreis sich nur im Inlande bildet. Es handelt sich nicht um die Preisbildung überhaupt, sondern um einen bestimmten Fall der Steigerung des Getreidepreises, wie er Eingangs näher charakterisiert worden ist. Und dieser Fall wird, wir wiederholen es, an einem abstrakten Beispiel erörtert.11 Es wird also nur übrig bleiben: entweder die Landeskultur so zu intensivieren, dass nunmehr 800.000 Hektar so viel Getreide liefern wie früher eine Million, oder die Produktivkraft der Arbeit, etwa durch Einführung neuer Maschinen, so zu steigern, dass 800.000 Arbeiter eine Million Hektar Land bearbeiten können, oder eine Kombination von beiden, was selbstverständlich ist. Wenn uns die Produktion des fehlenden Getreides, auch nur zum Teil, mit größerer Kapitalauslage respektive mehr Produktionskosten verbunden ist als jene waren, die soeben den Getreidepreis regulierten, so wird der Getreidepreis steigen. Ob die gesteigerten Kapitalauslagen in Maschinen, Dungmitteln oder Bodenmeliorationen gemacht werden, ob neue Verfahren eingeführt oder alte dort angewendet werden, wo es bis jetzt nicht der Fall war, ändert qualitativ nichts an der Sache. Quantitativ, d.h. für die Höhe des Preisunterschieds, ist unter Umständen das eine, unter Umständen auch das andere maßgebend. Es kann auch der Fall eintreten, dass in Folge der durchgeführten Verbesserungen der Landeskultur, weil dadurch die Nachfrage nach industriellen Produkten gesteigert wird, ein weiteres Steigen der Getreidepreise sich herausbildet, bis das Gleichgewicht zwischen Landwirtschaft und Industrie hergestellt ist. In der politischen Ökonomie wie in der Natur gibt es nur Wechselwirkungen. Wir haben also hier zunächst einen abstrakten Fall der Steigerung des Getreidepreises, obwohl 1) die Bevölkerung gleich bleibt, 2) die Getreideproduktion gleich bleibt, 3) die Anbaufläche gleich bleibt oder sich sogar verringert. Um unser abstraktes Beispiel der Wirklichkeit zu nähern, schieben wir zunächst ein Zwischenglied ein und nehmen an, dass die landwirtschaftlichen Arbeiter zum Teil in natura entlohnt werden. In unserem ersten Fall ging das gesamte Getreide zu Markte. Angebot und Nachfrage wurden gebildet: auf der einen Seite durch die Menge des produzierten Getreides, auf der anderen durch die Gesamtzahl der konsumierenden Bevölkerung (auf dem kapitalistischen Markte kommt selbstverständlich nicht bloß der Bedarf, sondern auch die Kaufkraft in Betracht). Bei der eingetretenen Veränderung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit ging immer noch der gesamte Ernteertrag zu Markte, nur war er anfangs kleiner als bis dahin. Anders in unserem zweiten Fall. Die zu Markt gelangende Getreidemenge ist hier die gesamte Ernte, abzüglich des von den Produzenten in natura verbrauchten Teils. Die Marktnachfrage dagegen ist nur der Bedarf der industriellen Bevölkerung. Rechnet man den Ertrag pro Hektar zu einer Tonne, so stand im ersten Fall ein Angebot von einer Million Tonnen einer Nachfrage von zwei Millionen Personen gegenüber, wenn wir nur die Arbeiterklasse als Getreidekonsumenten in Rechnung bringen, was der Einfachheit halber geschieht. Im zweiten Fall aber steht einem Angebot von 500.000 Tonnen eine Nachfrage von einer Million Personen gegenüber. Wie man sieht, sind nur die Quantitäten anders, während das Verhältnis beide Male das Gleiche bleibt, nämlich 1:2.12 Der Wert des Getreides wird dadurch nicht beeinflusst, ob die Landarbeiter in Geld oder in Lebensmitteln bezahlt werden. Das zeigt sich darin, dass der Pächter oder Grundbesitzer, wenn er den Produktionspreis des Getreides berechnet, entweder die den Arbeitern abgelieferte Getreidemenge von der Ernte abrechnen oder ihren Geldwert dem Lohn hinzurechnen muss. Aber bei der Bildung des Marktpreises kommt die den Arbeitern in natura abgegebene Getreidemenge ebenso wenig in Betracht, wie das zurückgehaltene Saatkorn oder die an das Vieh verfütterten Quantitäten. Sie üben einen passiven Einfluss auf die Bildung von Angebot und Nachfrage, indem sie beide um ihren Betrag vermindern. Aber in dem Moment, wo Nachfrage und Angebot einander auf dem Markte gegenübertreten, scheiden diese in natura verbrauchten Quantitäten aus dem Spiel. Man wird gleich sehen, welche Wirkung das hat. In unserem zweiten Fall ist das Verhältnis des Marktangebots an Getreide zur Marktnachfrage, wie schon erwähnt, dasselbe wie im ersten Fall = 1:2. Nun lassen wir auch hier die Änderung in den Produktionsverhältnissen eintreten wie dort: die industrielle Arbeiterschaft soll sich auf 1.200.000 vermehren, die agrikole auf 800.000 zurückgehen. Wie wird jetzt die Marktlage sich gestalten? 800.000 Arbeiter auf 800.000 Hektar produzieren zunächst nur 800.000 Tonnen Getreide. Davon erhalten die landwirtschaftlichen Arbeiter als Naturallohn, wenn der Lohnsatz gleich bleibt, 400.000 Tonnen. Es gelangen zum Markt 400.000 Tonnen, denen die gewachsene Nachfrage der industriellen Bevölkerung von 1.200.000 Köpfen gegenübersteht. Das Verhältnis von Marktangebot zur Marktnachfrage, letztere repräsentiert durch die Zahl der Nachfragenden, ist jetzt 4:12 oder 1:3. Versuchen wir die bei den betrachteten Änderungen der Produktionsverhältnisse eingetretenen Änderungen des Marktverhältnisses in vergleichbare Zahlen zu bringen, so erhalten wir folgende Übersicht:
Währenddem im ersten Fall, bei Geldlohn, das Verhältnis auf dem Markte von 2:4 auf 2:5 sich ändert, ändert es sich im zweiten Fall, bei Naturallohn, auf 2:6, d.h. bei Naturallohn ändert sich, in Folge der Verschiebung in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Arbeit, das Marktverhältnis mehr zu Gunsten des Angebots, als bei Geldlohn. Es ist klar, warum. Bei Geldlohn vermindert sich nur das Angebot auf dem Markte, während die Nachfrage auf dem Markte, weil sie durch die gewachsene Gesamtheit der Bevölkerung vertreten wird, unverändert bleibt — bei Naturallohn aber vermindert sich nicht nur das Angebot, sondern zugleich steigt die Nachfrage auf dem Markte, weil sie durch die gewachsene industrielle Bevölkerung vertreten wird. Man sieht, dass in diesem Fall, dessen verschiedene Modifikationen wir bei Seite lassen, unter dem Einfluss der industriellen Entwicklung eine Steigerung des Getreidepreises noch eher eintreten würde. Nehmen wir jetzt an, dass die der Landwirtschaft fehlende Arbeiterzahl von außerhalb ersetzt wird — auf welche Weise ist uns diesmal gleichgültig. Dann wird, wenn die Anbaufläche respektive die Intensität der Landeskultur gleich bleiben, ein Marktanteil von 500.000 Tonnen einer Marktnachfrage von 1.200.000 Personen gegenüberstehen. Das Angebot bleibt unverändert, aber die Nachfrage ist gestiegen. Zu gleicher Zeit tritt eine Vermehrung der Bevölkerung ein, aber diese Vermehrung ist nicht die Ursache der Steigerung des Getreidepreises, sondern im Gegenteil, sie ist durch diese Steigerung bedingt worden. Ein wichtiges Moment unterscheidet diesen Fall von den vorangehenden: man braucht hier keine Steigerung des Arbeitslohnes in Betracht zu ziehen, um die Steigerung des Getreidepreises zu erklären. Die Löhne der Landarbeiter können sogar sinken, wenn die eingewanderten Arbeiter geringere Ansprüche machen, und dieses Sinken der landwirtschaftlichen Arbeitslöhne kann zu einem Sinken der Arbeitslöhne in der Industrie führen, wenn unter dem Lohndruck ein Teil der Landarbeiter den Fabriken zuströmt. In ähnlicher Weise vollzog sich auch die tatsächliche Entwicklung. Es bleibt uns noch das letzte Zwischenglied: das Bauerntum. Dieses kommt in zweierlei Beziehung in Betracht. Erstens als Quelle des Arbeiterzuflusses. Insoweit ist ja das Verhältnis bereits erörtert. Ein Unterschied besteht nur darin, dass bei Ergänzung der landwirtschaftlichen Lohnarbeiter aus dem Bauerntum keine Vermehrung der Bevölkerung eintritt. Zweitens kommt der Bauer in Betracht als selbständiger landwirtschaftlicher Produzent. Zu letzterem Punkt ist Folgendes zu bemerken: Das Bauerntum ist nicht gleichartig. Es muss aus der Gesamtmasse vor allem das amerikanische Farmertum ausgeschieden werden. Dieses hat eine Entwicklung durchgemacht und produziert unter den Bedingungen einer kapitalistischen Kolonie. Es ist deshalb in einem anderen Zusammenhang zu erörtern. Der Bauer des europäischen Festlandes, dem das Gesetz der kapitalistischen Grundrente in der Gestalt des Bodenpreises entgegentritt, produziert deshalb unter den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen, wie der kapitalistische Grundbesitzer. Sofern er Knechte hält und Tagelöhner, wird er durch den Arbeiterabfluss nach der Fabrik ebenso getroffen wie dieser. Außer den allgemeinen kapitalistischen Mitteln, die Getreidezufuhr zu erweitern, steht ihm nur eines besonders zur Verfügung: die Beschränkung des eigenen Bedarfs. Dazu wird er aber durch den steigenden Getreidepreis am wenigsten veranlasst, im Gegenteil, als Verkäufer zieht er daraus seinen Vorteil wie jeder Andere. Darum kommt die Konkurrenz des europäischen Bauerntums erst dann scharf zur Geltung, wenn die Getreidepreise sinken. Der Einfluss der industriellen Entwicklung auf den Getreidepreis hebt das allgemeine Gesetz der Bildung des Getreidepreises und der Grundrente nicht auf. Nach diesem Gesetz sind die Produktionskosten des Getreides unter den schlechtesten natürlichen Bedingungen, wenn diese Produktion zur Deckung des Bedarfs notwendig ist, für die Bildung des Getreidepreises maßgebend. Innerhalb der durch den Bedarf gesteckten Grenzen nur kommt also das allgemeine Preisbildungs- und Rentengesetz zur Geltung. Auf dem kapitalistischen Markte gilt aber nur der Warenbedarf. Das ist allgemein, und die Agrikulturprodukte machen hier keine Ausnahme. Die Bestimmungsgründe des kapitalistischen Marktbedarfs an Getreide sind also mit bestimmend für die Bildung des Getreidepreises, weil sie mitbestimmend sind für die Festsetzung der untersten Grenze des Getreideanbaues. Diese Bestimmungsgründe, wie überhaupt die Bestimmungsgründe von Nachfrage und Angebot gehören in die Lehre von der Konkurrenz, die, weil sie außerhalb des Plans des „Kapital“ fiel, von K. Marx nicht besonders entwickelt wurde.13 Das soeben angedeutete allgemeine Gesetz der Marktpreisbildung aber und dessen Wirkung bei der Bildung des Getreidepreises und der Grundrente wird von ihm scharf und klar in verschiedenen Zusammenhängen hervorgehoben. Hier die für die Landwirtschaft am meisten kennzeichnende Stelle: „…die Rente, und damit der Wert des Bodens, um nur von der eigentlichen Ackerbaurente zu sprechen, entwickelt sich mit dem Markte für das Bodenprodukt und daher mit dem Wachstum der nicht agrikolen Bevölkerung; mit ihrem Bedürfnis und ihrer Nachfrage teils für Nahrungsmittel, teils für Rohstoffe. Es liegt in der Natur der kapitalistischen Produktionsweise, dass sie die ackerbauende Bevölkerung fortwährend vermindert im Verhältnis zur nicht ackerbauenden, weil in der Industrie (im engeren Sinn) das Wachstum des konstanten Kapitals, im Verhältnis zum variablen, verbunden ist mit dem absoluten Wachstum, obgleich der relativen Abnahme, des variablen Kapitals; während in der Agrikultur das variable Kapital absolut abnimmt, das zur Exploitation eines bestimmten Bodenstücks erfordert ist, also nur wachsen kann, soweit neuer Boden bebaut wird, dies aber wieder voraussetzt noch größeres Wachstum der nicht agrikolen Bevölkerung.“14 Dieser Zusammenhang zwischen der industriellen Entwicklung und der Steigerung der Getreidepreise, der in seiner allgemeinen Wirkung auf ein ganzes Land erst studiert werden muss, um erkannt zu werden, fällt sofort in die Augen, wenn es sich um eine Einzelwirkung auf beschränkten Gebiete handelt. So ist es bekannt, dass jede Großstadt auf einen bestimmten Umkreis der Lebensmittel verteuert. Die Entwicklung der Transportmittel und der überseeischen Zufuhr verwischt selbstverständlich diese Wirkung. Wie groß diese Wirkung vorher war, zeigt folgende Tabelle, die Arthur Young in seiner Reisebeschreibung England (1763) mitteilt:
Dass dieser Gegensatz noch jetzt nicht ausgelöscht ist, zeigt folgender Vergleich der Preise für Berlin und die Provinz Brandenburg (pro Kilogramm in Pfennigen für 1894):
Wie bei den Städten,15 so kommt dieses Verhältnis auch beim Vergleich verschiedener Gebiete desselben Landes untereinander zum Ausdruck. Rodbertus bringt in seinem dritten „sozialen Brief“, zu anderen Zwecken, eine Übersicht der Getreidepreise in den einzelnen preußischen Provinzen für 1816-1837, die diese Preisunterschiede schön beleuchtet. Wir bringen diese Tabelle hier an und fügen die entsprechenden Zahlen für 1894 hinzu.
Man sieht, trotz der gewaltigen produktiven Entwicklung und der Entwicklung des Verkehrs, die das Land während dieser drei Vierteljahrhunderte durchgemacht hat, sind es nach wie vor die industriereichen Provinzen: Sachsen, Westfalen, Rheinland, die die höchsten Getreidepreise aufweisen. Der Vergleich größerer Gebiete, z.B. ganzer Länder unter einander ist nur mit größter Vorsicht vorzunehmen, weil hier bei der Preisbildung zahlreiche andere Verschiedenheiten mitwirken. Am ehesten lässt sich die verschiedene Höhe der Preise agrikoler Produkte solcher großen Gebiete dann als Wirkung der industriellen Entwicklung betrachten, wenn der industrielle Unterschied zwischen ihnen am größten ist. So, wenn man etwa Sibirien mit Großbritannien vergleicht.16 In der Entwicklung eines ganzen Landes lässt sich die Steigerung des Preises landwirtschaftlicher Produkte und besonders des Getreides als Wirkung der industriellen Entwicklung aus folgenden Gründen statistisch schwer nachweisen: 1) Weil die Getreidepreise von Jahr zu Jahr und selbst für größere Zeiträume in hohem Grade vom Ausfall der Ernte beeinflusst werden. 2) Weil die auswärtige Getreidezufuhr die Bildung der inländischen Getreidepreise stört. 3) Weil dabei die Wirkung der allgemeinen Gesetze der Preisbildung und der Geldzirkulation auszuscheiden wäre. 4) Weil eine Steigerung des Getreidepreises, wie sich aus den vorangehenden Erörterungen ergibt, erst dann eintritt, wenn die Erzeugung des fehlenden Getreides relativ mehr Produktionskosten erfordert; das braucht aber keineswegs stets der Fall zu sein. Es gibt jedoch Zeitabschnitte, in denen die Wirkung der industriellen Entwicklung auf die Steigerung des Getreidepreises so scharf zur Geltung kommt, dass diese Steigerung sich durch andere Gründe nicht erklären lässt. Das war in England im Ausgang des achtzehnten und anfangs des neunzehnten Jahrhunderts der Fall, zur Zeit also, als die großen Erfindungen stattfanden und die kapitalistische Industrie ihre erste Entwicklungsphase durchmachte. Bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts hatte England eine bedeutende Ausfuhr von Getreide. Ein englischer Schriftsteller ruft nach 1739 klagend aus: „Was sollte aus dem Grundbesitzer werden, wenn nicht der Absatz im Ausland wäre?“ Die Wendung, d.h. die Umwandlung Englands in ein Getreide importierendes Land, trat so schroff ein, dass die Erklärung dieses Verhältnisses durch einfaches Wachstum der Bevölkerung von vornherein als unzulänglich sich erweist. Noch 1763 und 1764 hatte England eine Weizenausfuhr von 820.000 Quarter und in den Jahren 1767 und 1768 hatte es bereits eine Einfuhr von 830.000 Quarter. Dabei wurde sein Jahreskonsum um diese Zeit auf bloß 4.000.000 Quarter17 geschätzt. Diese rapide Umwandlung ist begünstigt worden durch eingetretene Missernten. Aber von nun an ist England für alle Zeiten ein Getreide einführendes Land geblieben, und das lässt sich durch den Zufall der Missernte nicht mehr erklären. Die Anbaufläche und die Intensität der Kultur nahmen in ungeahntem Umfange zu, dennoch blieben der Getreideimport ein eiserner Bestandteil der englischen Landwirtschaft — ein Beweis, dass er nicht durch absoluten, sondern durch den relativen Getreidemangel hervorgerufen wurde, d.h. durch den Preisunterschied gegenüber dem Auslande. Folgender Art war die durchgemachte Preisbewegung: Es betrug der durchschnittliche Weizenpreis:
Man sieht, die Periode der industriellen Entwicklung zeigt einen gewaltigen Preisunterschied gegenüber den vorangehenden Jahren und nimmt eine Ausnahmestellung im ganzen Jahrhundert ein. 1793 begann der Krieg mit Frankreich, der bis 1813 dauerte. Wie dieser Krieg auf die Entwicklung der englischen Industrie wirkte, ist hier nicht zu erörtern. Es genügt, darauf zu verweisen, dass, wenn auch der Handelsverkehr mit Europa zeitweise sehr empfindlich litt, England doch zu gleicher Zeit die absolute Herrschaft auf der See hatte und den Verkehr mit den tropischen Ländern stark entwickelte. Im Allgemeinen war das anerkanntermaßen eine Periode der aufsteigenden industriellen Entwicklung. Was aber diesen Zeitraum für uns besonders interessant macht, ist, dass während dieser Zeit die Getreidezufuhr nach England gehemmt wurde. Dies geschah zum Teil, weil der französische Bedarf an fremdländischem Getreide in Folge der Revolutionswirren und der nachfolgenden Kriege stark gestiegen war, sodann weil in Folge des allgemeinen Kriegszustandes die Exportfähigkeit Europas für Getreide überhaupt abnahm, schließlich seit Ende 1807 in Folge der bekannten Napoleonischen Kontinentalsperre. Da der überseeische Getreideverkehr damals noch sehr wenig entwickelt war und der Handel mit Nordamerika noch überhaupt an den Folgen des englisch-amerikanischen Krieges sehr litt, der Getreidebezug vom europäischen Festlande seinerseits mit stets wachsenden Kosten verbunden war, so haben wir einen äußerst günstigen Fall vor uns, den Einfluss der Industrie auf die Getreidepreise zu studieren. Im Durchschnitt betrug zwischen 1793 bis 1813 der Weizenpreis 86 Schilling 4 Pence — eine enorme Steigerung selbst gegenüber der vorangehenden Periode. Dieser Zeitraum von 21 Jahren zeigt selbstverständlich viele Schwankungen. Die Getreideteuerung musste, aus begreiflichen Gründen, dann am empfindlichsten sein, als mit der allgemeinen Preissteigerung sich die Wirkung einer ungünstigen Ernte vereinigte. In solche Jahrgänge fallen auch die parlamentarischen Versuche, der Teuerung abzuhelfen. Zuerst 1795. Das Parlament bestimmte Einfuhrprämien für Getreide, um der Teuerung entgegenzuwirken, währenddem in früheren Zeiten zu dem gleichen Zweck das gerade entgegengesetzte Mittel angewandt zu werden pflegte, nämlich Ausfuhrverbote. Diese Ansetzung von Einfuhrprämien wurde während unserer Periode mehrfach wiederholt. 1797 zeigt einen gesunkenen Getreidepreis. Dieses Sinken dauerte 1798 fort, aber immerhin beträgt der Weizenpreis 54 Schilling. 1799 steigt der Weizenpreis, desgleichen 1800, und 1801 erreicht er die Höhe von 128 Schilling 6 Pence. Das Jahr 1802 bringt die Möglichkeit einer freieren Getreidezufuhr und in Folge dessen geht der Weizenpreis wesentlich zurück. „Der Tod des Kaisers Paul und der Friede mit Dänemark nach der Schlacht von Kopenhagen öffneten den Ostseeverkehr wieder; und unter dem Einfluss der Prämie und der hohen Preise fanden große Getreidezufuhren statt, die im Laufe des Jahres anderthalb Millionen Qu. Weizen, 114.000 Qu. Gerste und 600.000 Qu. Hafer betrugen. Am 30. Juni standen die Weizenpreise auf 129 Schilling 8 Pence, Gerste 69 Schilling 7 Pence, Hafer 37 Schilling 2 Pence, und nach einer mäßig reichlichen Ernte am Schlusse des Jahres auf respektive 75 Schilling 6 Pence, 44 Schilling und 23 Schilling 4 Pence. Die Unterzeichnung der Friedenspräliminarien mit Frankreich … diente zu einer Vermehrung der Zuflussquellen und Verminderung der Einfuhrkosten. Gegen den März des vorangegangenen Jahres waren die Preise um 50 Prozent niedriger.“ 1803 hält die sinkende Tendenz an. Dennoch beträgt selbst in diesem Jahre der Weizenpreis 60 Schilling, also 6 Schilling mehr als im Jahre 1798, 11 Jahre mehr als der von uns berechnete Durchschnittspreis der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Steigerung der Weizenpreise in Folge der industriellen Entwicklung ging also gleichsam terassenweise vor sich, so dass jedes Mal ein höheres Plateau erobert wurde, auf dem sich dann die Schwankungen des Preises unter der Wirkung anderer Ursachen abspielten. Nicht nur die Durchschnittspreise jedes nachfolgenden Zeitabschnitts sind höher, sondern auch die Minimalpreise.18 Nur zwei Jahre dauerte die relative Preisniedergang und 1804 beginnt wieder eine aufsteigende Bewegung. Nur 1807 zeigt eine kleine Abschwächung von 88 auf 78 Schilling pro Quarter. Im November dieses Jahres wird die große Blockade Englands eröffnet. Es ist kennzeichnend, dass trotz der ungeheuren Erschwerung des Verkehrs die Getreidezufuhr dennoch nicht nachließ. So wurden im Jahre 1810 wieder anderthalb Millionen Quarter Weizen eingeführt. Das war eine Periode großer Preissteigerung, und die hohen Preise deckten die Spesen der Zufuhr. Aber das Jahr 1811 zeigt ausnahmsweise einen relativen Preisniedergang, und das ist deshalb bemerkenswert, weil in diese Zeit eine Handelskrisis fällt. Die Kontinentalsperre hat, wie schon erwähnt, die industrielle Entwicklung Englands nicht verhindert. Zum Teil weil der Handelsverkehr mit den tropischen Ländern sich mächtig ausdehnte, zum anderen, weil besonders in der ersten Jahren Mittel und Wege gefunden wurden, die Sperre zu durchbrechen. Folgende Zahlen gewähren einen Einblick in die industrielle Entwicklung. Es betrug die Einfuhr nach England:
Man sieht, 1811 gab den Rückschlag der aufsteigenden Bewegung. Die tropischen Märkte waren mit englischen Waren überfüllt, so dass Rücksendungen eintraten, und in den deutschen Häfen wurde die Blockade schärfer gehandhabt. (Einzelnes bei Tooke und Newmarch.) Der Weizenpreis ging im Jahresdurchschnitt 1811 gegenüber 1810 von 112 Schilling auf 108 zurück; er betrug im August 1810 — 116 Schilling und fiel ununterbrochen bis auf 87 Schilling 2 Pence im Juni des Jahres 1811. Er stieg dann weiter, wie die Jahre 1813/1814 das Aufhören des Kriegszustands, die Beseitigung der Handelssperre, die Eröffnung der freien Getreidezufuhr und die große Handelskrisis mit sich brachten. Der Weizenpreis fiel von 120 Schilling im Jahre 1813 auf 85 Schilling im Jahre 1814. Folgendes ist die allgemeine Übersicht über dieses halbe Jahrhundert (1765-1813) steigende Getreidepreise:
Das war das goldene Zeitalter der englischen Landwirtschaft. Die rasche industrielle Entwicklung steigerte die Getreidepreise, noch mehr als diese stieg die Grundrente, mehr als die Grundrente der Pachtzins und mit ihm der Bodenpreis. Die Anbaufläche wurde erweitert, die Kultur intensiviert und der Großbetrieb griff rasch um sich. Den Grundbesitzern fielen enorme Reichtümer in den Schoß, und die Pächter machten ausgezeichnete Geschäfte. Nie gab es nachher eine ähnliche Entwicklung der Landwirtschaft. Sie steht ebenso einzig da wie die industrielle Entwicklung Englands jener Zeit. Wer aber diese ganze Herrlichkeit auf den Schultern zu tragen hatte, war die Arbeiterklasse. Ihre kargen Löhne wurden trotz der enormen Brotteuerung kaum erhöht. Welche Zustände das erzeugte, darüber nachzulesen bei K. Marx und Friedr. Engels. Selbst kühle Geschäftsleute wie Th. Tooke müssen zugeben, dass die Not der Arbeiter damals am stärksten war, und die Arbeiter nahe daran waren, vor Hunger umzukommen. Da aber die Löhne sich doch etwas erhöhten, meint Tooke: „so waren die Fälle eines Umkommens vor Not nur ganz vereinzelt.“ Um der Hungersnot der Arbeiterklasse abzuhelfen, legten damals die Mitglieder des Parlaments das hochherzige Gelübde ab, den Brotkonsum in ihren Familien um ein Drittel zu vermindern, d.h. ihn durch Fleisch und teuere Gemüse zu ersetzen! Außerdem wurde eine Steuer auf Puder festgesetzt, um den Verbrauch von Weizenmehl zu vermindern. Die Mode, sich die Haare mit Puder zu bestreuen, soll deshalb in Verfall gekommen sein. So streute man Sand in die Augen des hungernden Volkes! Auf diese Weise erzeugte die industrielle Entwicklung Englands steigende Getreidepreise, bereicherte die Grundbesitzer, ruinierte die Arbeiterklasse und verwandelte England aus einem Getreide ausführenden in ein Getreide einführendes Land. Unsere theoretische Ableitung, dass es die Tendenz der industriellen Entwicklung ist, die Preise der landwirtschaftlichen Produkte zu steigern, glauben wir nun auf Grund der tatsächlichen Entwicklung nachgewiesen zu haben. Wir haben dabei eine etwaige Erhöhung des relativen Konsums, d.h. des Verbrauchs pro Kopf der Bevölkerung, nicht in Betracht gezogen. Im Gegenteil, die Beweisführung ging geradezu darauf hinaus, bei gleich bleibendem Konsum die Preissteigerung nachzuweisen. Wir haben an dem Beispiele Englands gesehen, dass diese preissteigernde Tendenz stark genug sein kann, um selbst bei sinkendem relativem Verbrauch zum Ausdruck zu kommen. Es ist aber keineswegs allgemeines Gesetz der industriellen Entwicklung, dass sie den relativen Getreidekonsum vermindert Es gibt Periode, wo auch die relative Verbrauch steigt. A. de Foville (La France économique, 1889) stellt folgende Berechnung auf:
Wenn zu der steigernden Wirkung der industriellen Entwicklung noch eine relative Vermehrung des Verbrauchs sich gesellt, so müssen die Preise offenbar desto eher steigen. Andererseits muss eine relative Verminderung des Konsums der Steigerung entgegenwirken. Es ist klar, dass die gekennzeichnete Wirkung der industriellen Entwicklung auf die Preise agrikoler Produkte auch dann ihre Geltung behält, wenn sie in der Preisbewegung nicht zum Ausdruck kommt. Wenn die Getreidepreise fallen, trotz der anhaltenden industriellen Blüte, so ist anzunehmen, dass sie noch mehr gesunken wären, wenn der industrielle Charakter der Periode ein anderer gewesen. Keine Bewegung kann als das Ergebnis nur einer Kraft betrachtet werden, die in ihrer Richtung wirkt, sondern jede Bewegung ist das Resultat mehrerer Wirkungen, die zum Teil einander aufheben — nimmt man nur eine Wirkung weg, so ändert sich sofort die Bewegung. b. Der Einfluss der industriellen Entwicklung auf die Grundrente, den Pachtzins und den Bodenpreis Der Zusammenhang zwischen Grundrente, Pachtzins und Bodenpreis ist von Karl Marx im dritten Band des „Kapital“ erschöpfend und außerordentlich klar dargelegt worden. Wir begnügen uns damit, in aller Kürze das Notwendigste in dem durch unser Thema gegebenen Zusammenhang zu rekapitulieren. Der Getreidepreis braucht nicht zu steigen, damit sich Grundrente herausbilde. Die Grundrente kann sich herausbilden auch bei stationärem und selbst sinkendem Getreidepreis. Wenn die Erweiterung der Getreideproduktion eines Landes in der Weise vor sich geht, dass immer besserer Boden in Bebauung genommen wird, so wird Folgendes eintreten: Wenn der schlechteste von früher auch weiter in Bebauung bleibt, so wird der Getreidepreis konstant bleiben. Zwischen dem neuen besseren Boden und den früheren schlechteren Arten wird aber Grundrente entstehen, weil die Produktionskosten auf dem neuen Boden geringere sein werden. Wenn besserer Boden in solchen Mengen in Bebauung genommen wird, dass der schlechteste Boden ausscheidet, so wird der Getreidepreis fallen. Aber Grundrente wird doch entstehen, weil der neu in Bebauung genommene Boden immerhin besserer Qualität ist als die älteren Bodenarten. In Wirklichkeit wird je nach den Umständen Boden verschiedener Art in Bebauung genommen: zum Teil vielleicht Bodenarten, die schlechter sind als die früheren, zum anderen Bodenarten bester Qualität oder einer solchen, die irgend in der Mitte liegt. Je nach der Kombination wird auch die Wirkung sein. Der Getreidepreis wird unter den verschiedenen Entwicklungen bald steigen, bald fallen. Aber jedes Mal, wenn neue Bodenarten in Bebauung genommen werden, entsteht Grundrente: sei es, dass die alten Bodenarten gegenüber den neuen ein Grundrente abwerfen, oder die neuen gegenüber den alten. Statt die Anbaufläche zu erweitern, kann auch die Kultur auf derselben Bodenfläche intensiviert werden, um größere Erträge zu erzielen. Auch hier ist ein steigender Getreidepreis keineswegs notwendige Voraussetzung. Der Getreidepreis wird nur steigen, wenn, um den Bedarf zu decken, an irgend einem Teile des Landes mehr Produktionskosten werden aufgewendet werden müssen, um die Mengeneinheit (Zentner, Hektoliter, Scheffel etc.) Getreide zu produzieren. Sonst wird der Getreidepreis gleich bleiben oder fallen. Die Grundrente wird aber immerhin entstehen, wenn ein Unterschied zwischen den Produktionskosten auf verschiedenen Bodenarten sich herausbilden wird. Wir haben gesehen, dass mit der Erweiterung der Marktnachfrage nach Getreide in Folge der industriellen Entwicklung die Notwendigkeit sich herausstellt: Entweder auf einer verringerten Bodenfläche das frühere Getreidequantum zu erlangen oder die frühere Bodenfläche mit einer geringeren Arbeiterzahl zu bearbeiten oder, wenn Ersatz für die angehenden agrikolen Arbeiter geschaffen wird, auf der gleichen Bodenfläche mehr Getreide zu gewinnen bzw. die Anbaufläche auszudehnen. Dies kann aber muss nicht von einer Steigerung der Getreidepreise begleitet sein. Aber in allen diesen Fällen wird neue Grundrente sich bilden. Unbestimmt bleibt jedoch noch immer, wie das Verhältnis der verschiedenen Grundrenten der verschiedenen Bodenqualitäten zu einander sich gestalten und wie groß die Grundrentensumme des ganzen Landes (Marx nannte es: das Rental) sein wird. Eine andere Frage ist es, wie sich die Grundrente eines bestimmten Grundstücks von bestimmter Qualität unter diesen Einflüssen gestalten wird. Wenn die Bodenqualität dieses Grundstücks in allen Teilen gleich ist, so wird die Grundrente, wenn man sie im Verhältnis zur Mengeneinheit des Produkts, zum Beispiel pro Zentner Getreide berechnet — oder auch, wenn die Berechnung nach der Bodenfläche (Hektar) aufgestellt wird, jedoch im Verhältnis zu dem angewandten Kapital (Das nennt Marx: die Rentrate) — so wird die Grundrente, vorausgesetzt, dass die Vermehrung des Getreideertrags dieses Grundstücks nicht relativ weniger Produktionskosten und Kapital erfordert, allerdings nur dann steigen, wenn der Getreidepreis steigt. Dieses Resultat erhält man aber nur bei der angegebenen Berechnungsweise. Rechnet man jedoch die Grundrente einfach pro Hektar ohne Zusammenhang mit dem angewandten Kapital — was gewöhnlich geschieht und auch rationell ist —, so hängt auch hier die Steigerung der Grundrente nicht nur vom Getreidepreis ab, sondern auch vom Ertrag, von der produzierten Getreidemenge. Dieses Moment ist sehr wichtig und muss deshalb näher erörtert werden. Nehmen wir ein Grundstück von 100 Hektar angebautes Land an. Der Getreidebetrag sei 600 Kilogramm vom Hektar. Zusammen also 600 Meterzentner. Die Produktionskosten betragen 6.000 Mark. Das angewandte Kapital sei = 60.000 Mark. Bei einer Profitrate von 5 Prozent muss der Boden einen Profit von 3.000 Mark abwerfen. 6.000 Mark Produktionskosten + 3.000 Mark Profit macht zusammen 9.000 Mark. Wenn der Getreidepreis 20 Mark pro Zentner ausmacht, so wird der Gesamtheit des Getreides von diesem Grundstück 12.000 Mark sein, und 3.000 Mark als Grundente verbleiben. Das macht pro Hektar eine Grundrente von 30 Mark. Pro Meterzentner berechnet beträgt die Grundrente 5 Mark. Und das Verhältnis der Grundrente zum angewandten Kapital, die Rentrate, ist 3.000 zu 60.000, oder pro Hektar wie 30 zu 600, also 5 Prozent. Nehmen wir nun an, es gelingt, durch eine Verdoppelung der Produktionskosten bei entsprechender Vermehrung des Kapitals den Bodenertrag dieses Grundstücks zu verdoppeln. Wir haben also Produktionskosten 12.000 Mark, Kapital 120.000 Mark, Profit bei 5 Prozent 6.000 Mark, Ertrag 1.200 Meterzentner. Dann ist der Produktionspreis (Produktionskosten nebst Profit) des Getreides pro Zentner, genau so viel wie früher. Aber die gesamte Grundrente des Grundstücks wird jetzt betragen 5 Mark multipliziert mit 1.200 = 6.000 Mark. Das macht pro Hektar 60 Mark, statt 30, d.h. die Grundrente, berechnet pro Bodenfläche, hat sich verdoppelt, trotz stabilem Getreidepreis. Dagegen ist die Rentrate diesmal 6.000:120.000, wiederum 5 Prozent — sie blieb unverändert. Je nachdem mehr oder weniger Produktionsosten und Kapital angewendet werden müssen, um den Ertrag zu vermehren, und nach dem Verhältnis der Produktionskosten zum Kapital werden zahlreiche Variationen eintreten. Diese Variationen ändern das allgemeine Gesetz nicht, das sich so zusammenfassen lässt: Jede Steigerung die Getreideertrags steigert die Grundrente, berechnet pro Bodenfläche,21 ausgenommen den einzigen Fall, wenn die Steigerung des Ertrags mit einer solchen Steigerung der Produktionskosten verbunden ist, dass dieser Mehraufwand nebst der auf ihn zu berechnenden Durchschnittsprofitrate den gesamten Preisunterschied der neu gewonnenen Getreidequalität, der sich herausgebildet hätte, absorbiert.22 Nimmt man die Gesamtsumme der verschiedenen Grundrenten eines ganzen Landes (das Rental), so hängt die Entwicklung dieser Gesamtsumme der Gesamtgrundrente des Landes, nicht bloß von den Gesetzen der Bildung und der Steigerung der Grundrente ab, sondern auch davon, wie die bebaute Fläche dieses Landes quantitativ aus verschiedenen Bodenarten zusammengesetzt ist. Wenn diese Anbaufläche etwa zu einem Zehntel aus Boden schlechter Art besteht, der keine Grundrente abwirft (wir sehen von der absoluten Rente und von der Rente auf schlechtestem Boden gänzlich ab, um die Darlegung zu vereinfachen) und zu neun Zehntel aus rentablem Boden, so wird die Summe der Grundrenten offenbar eine andere sein als wenn das Verhältnis ein umgekehrtes wäre, und nur ein Zehntel des Bodens Grundrente abwürfe. Mag die Grundrente pro Hektar dieselbe bleiben, so bringen doch 9 Hektar neunmal so viel ein als 1 Hektar. Dieser Unterschied wird sich selbstverständlich in gleicher Weise auch bei der Bewegung der Grundrente geltend machen. Wenn also ein Grundbesitzer über einen Güterkomplex verschiedener Bodenarten verfügt — was fast durchweg der Fall ist — so wird die Gesamtrente, die er von seinem Grundbesitz bezieht, mag sie auch durchschnittlich pro Hektar berechnet werden — aber im allgemeinen Durchschnitt — nicht bloß von der Höhe der Grundrente auf den verschiedenen Bodenarten abhängen, sondern noch von der quantitativen Zusammensetzung seines Grundbesitzes aus den einzelnen Bodenarten. Für den einzelnen Grundbesitzer ist es deshalb stets vorteilhaft, innerhalb seines Grundbesitzes die Anbaufläche auf besserem Boden zu erweitern, weil dieser ihm eine größere Rente abwirft und dadurch das Rental des Grundstücks wächst. Für die Grundbesitzerklasse als Ganzes aber wird meistens das Gegenteil, d.h. das Fortschreiten zum Anbau schlechteren Bodens, vorteilhafter sein, weil dann der Getreidepreis steigt und dadurch ein Aufrücken sämtlicher Grundrenten bedingt wird. So wirkt das Interesse der einzelnen Grundbesitzer ihrem eigenen Interesse als Klasse entgegen. Andererseits ist für die Lage der Grundeigentümer eines Landes nicht nur die Höhe der Grundrente maßgebend, sondern auch die quantitative Differenzierung des Bodens in Bezug auf seine Fruchtbarkeit. Darum steigen ihre Einkünfte am meisten dann, wenn zwar immer schlechterer Boden in Bebauung genommen wird, aber zu gleicher Zeit der schlechteste Boden relativ am wenigsten an der Erweiterung der Produktion teilnimmt. Nicht also die Höhe der Getreidepreise und nicht die Höhe der Grundrenten, sondern die Größe des Rentals, das, sei es als Gesamtgrundrente des Landes oder als Pachtzins für einen bestimmte Güterkomplex all dies Wirkungen in sich vereinigt, die Größe des Rentals ist es, die den Mittelpunkt der Grundbesitzerinteressen bildet. Dieses Rental steigt: durch Steigerung der Getreidepreise; durch Steigerung der Grundrente; durch Fortschreiten zu einer günstigen Zusammensetzung der Anbaufläche aus Boden verschiedener Qualität. Es braucht nicht erst nachgewiesen zu werden, dass auf alle diese Faktoren die industrielle Entwicklung durch die Steigerung der Marktnachfrage nach Getreide eine fördernde Wirkung hat. Auch wenn unter ihrem Einfluss die Getreidepreise, weil Anderes entgegenwirkt, nicht steigen, so gibt es durch noch mehrere Ursachen, welche die Grundrente steigern, und wieder mehrere, welche das Rental vergrößern. Ja, gerade jene Ursachen, die die Grundrente und das Rental steigern, sind es mitunter, die das Steigern der Getreidepreise verhindern. Wenn aber alle Momente in gleicher Richtung zusammenwirken, dann steigt das Rental erst recht. Und mit ihm steigt der Pachtzins, wenn man ihn im Durchschnitt des Landes berechnet, oder im Durchschnitt eines Güterkomplexes. Nur wenn man diese Zusammenhänge ins Auge fasst, wird die enorme Steigerung des Pachtzinses und mit ihm des Bodenwerts, begreiflich, die bis in die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts stattgefunden hat, eine Steigerung, die die Steigerung der Getreidepreise weit hinter sich lässt, ihr auch stellenweise direkt widerspricht Conrad bringt in seinem „Handwörterbuch der Staatswissenschaften“ eine interessante Tabelle der Steigerung des Pachtzinses auf den preußischen Domänenvorwerken seit 1849. Wir stellen daneben eine Übersicht der Bewegung der Roggenpreise für denselben Zeitraum nach fünfjährigen Perioden (1846-50, 1866-70, 1876-80, 1886-90) und über das Wachstum der Bevölkerung des jetzigen Reichsgebiets (1850 : 1870 : 1880 : 1890) Wir gelangen dann zur folgenden allgemeinen Übersicht:
Man sieht die ungeheure Steigerung des Pachtzinses steht in gar keinem Verhältnis zu der Bewegung der Roggenpreise und zum Wachstum der Bevölkerung. Wie hier, so müssen ähnlich die Verhältnisse beim gesamten kapitalistischen Grundbesitz Preußens sich entwickelt haben. Das bedeutet eine kolossale Bereicherung der Grundbesitzerklasse, einerlei, ob sie ihr Land verpachtet oder selbst bewirtschaftet, und eine enorme Steigerung des Bodenwerts. Wer hat aber dieses Resultat zu Stande gebracht? In erster Linie die Entwicklung der Industrie. Wir müssen noch einige besondere Gründe erwähnen, die unter Umständen eine Steigerung des |