Franz Mehring‎ > ‎Kunst und Kultur‎ > ‎

Franz Mehring 19000621 Zum fünfhundertsten Geburtstage Gutenbergs

Franz Mehring: Zum fünfhundertsten Geburtstage Gutenbergs

21. Juni 1900

[Der Wahre Jakob, 1900, Nr. 363, S. 3269-3275. Nach Gesammelte Schriften, Band 12, S. 184-198]

Bis auf die Zeit, in der wir selbst leben, gibt es in der deutschen Geschichte keine so bewegte und großartige Periode wie die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts. Wie heute die Emanzipation der Arbeiterklasse, so bewirkte damals die Erhebung der Bürgerklasse aus dem feudalen Druck und Zwang des Mittelalters jene dichte Fülle und unversiegliche Triebkraft des Daseins, worin es eine Lust war zu leben. Die großen Nationen, die mit den Anfängen der kapitalistischen Produktionsweise entstanden" schufen den internationalen Weltmarkt, auf dem Deutschland eine herrschende Stellung einnahm. Gewerbe und Handel blühten mächtig empor, und mit ihnen Künste und Wissenschaften. Nicht weniger als neun deutsche Hochschulen entstanden von 1456 bis 1506, und in unvergleichlicher Schönheit prangt heute noch, was uns von den Kunstwerken eines Albrecht Dürer, eines Adam Kraft, eines Peter Vischer und wie vieler anderer erhalten worden ist.

Diese große Zeit Deutschlands schloss noch nicht mit dem fünfzehnten Jahrhundert ab. Wie bekannt, fällt die deutsche Reformation erst in das erste Viertel des sechzehnten Jahrhunderts, von ihren kühnen revolutionären Anfängen an, bis sie in allem Blut und Jammer des großen Bauernkriegs erstickte. Aber im Ausgange des fünfzehnten Jahrhunderts wurden bereits die beiden geographischen Entdeckungen gemacht, die dem Welthandel eine neue Richtung gaben und die deutsche Nation für mehrere Jahrhunderte vom Weltmarkt verdrängten: die Entdeckung Amerikas durch die Spanier und die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien durch die Portugiesen. Von nun an ging es erst langsam, dann immer schneller bergab, in jähem Schicksalswechsel, der in all seiner tragischen Spannung nie das niederschlagende Gefühl zu bannen vermag, wie steil und wie reich an Leidensstationen der Aufstieg des deutschen Volkes zur Höhe einer modernen Kulturnation gewesen ist. Jedoch auch darin ähnelt die zweite Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts unserer Zeit, dass sie wie die erste Morgenröte des Tages erscheint, der heute in siegender Pracht anbricht: welches Zeitalter der deutschen Geschichte sonst stände den befreienden Kämpfen des modernen Proletariats so nahe wie jene herrlichen Jahrzehnte, wo ein deutscher Genius die Kunst des Bücherdrucks erfand und wo deutsche Arbeiter diese Kunst – die schwarze, die deutsche, die allersubtilste, die göttliche, die heilige Kunst, die Kunst der Künste und die Wissenschaft der Wissenschaften, wie sie von den jubelnden Zeitgenossen begrüßt wurde – durch alle Lande und Völker verbreiteten, mit einer Betriebsamkeit und Schnelligkeit, die uns selbst in den Tagen der Dampfbahnen und Dampfmaschinen unbegreiflich erscheinen will.

Der aber diese Kunst erfand und sich damit einen so unvergänglichen Anspruch auf die dauernde Dankbarkeit der gesitteten Menschheit erwarb wie wenige Sterbliche vor oder nach ihm, war Johann Gutenberg aus Mainz. Und nicht zuletzt die moderne Arbeiterklasse, der das gedruckte Wort eine mächtige Waffe geworden ist, wird dieses Mannes dankbar gedenken in dem Jahre, wo sich ein halbes Jahrtausend seit seiner Geburt vollendet.

Zahlreich sind die zeitgenössischen Zeugnisse, die Gutenberg preisen, weil er die Kunst des Buchdrucks erfunden hat, aber dann ist ihm dieser Ruhm jahrhundertelang streitig gemacht und einer großen Zahl anderer, nicht nur deutscher, sondern auch ausländischer Buchdrucker zugewandt worden. In Holland gilt ein gewisser Coster, in Italien ein gewisser Castalid als Erfinder; jenem ist deshalb sogar in Haarlem, diesem in Feltre ein Denkmal gesetzt worden. In Deutschland haben namentlich Fust und Schöffer in Mainz, Mentel in Straßburg, Pfister in Bamberg mit Gutenberg um die Palme gerungen. Die weitläufige Streitliteratur, die darüber entstanden ist, umfasst manches Tausend von Nummern, doch ist nach dem heutigen Stande der Forschung, nach Gewicht und Zahl der berufenen Stimmen, Gutenberg als glänzender Sieger aus dem Wettstreit hervorgegangen.

Man möchte fast sagen: als zu glänzender Sieger, denn manche Vorkämpfer Gutenbergs stellen ihn im Eifer des Gefechts als einen übermenschlichen Genius hin, der, wenn er ein halbes Jahrtausend früher gelebt hätte, auch die schwarze Kunst erfunden haben würde, während wir, wenn er heute erst geboren würde, vielleicht noch ein halbes Jahrhundert darauf zu warten hätten. Man gelangt damit wieder zu den anmutigen Scherzen, in denen sich die ideologische Geschichtsschreibung so oft gefallen hat, zu den geistreichelnden Phantasiespielen etwa darüber, welchen Verlauf die Weltgeschichte wohl genommen haben würde, wenn die alten Griechen das Pulver oder die alten Römer den Letternguss erfunden hätten. Wissenschaftlich betrachtet, ist jedoch jede Erfindung von den Bedürfnissen ihrer Zeit abhängig, was mit anderen Worten nur heißt, dass jede Erfindung ihre lange Vorgeschichte hat.

Erfindungen können der geschichtlichen Entwicklung einen mächtigen Anstoß geben, und wenige haben ihr einen so mächtigen Anstoß gegeben wie die Erfindung des Buchdrucks, aber jede Erfindung wird ihrerseits durch die geschichtliche Entwicklung gereift; das Gesetz der historischen Dialektik verleugnet sich niemals, auch wenn es noch so heftig von superklugen Ideologen geleugnet wird. Und am wenigsten verliert dadurch der Ruhn, der großen Erfinder, die ein großes Bedürfnis ihrer Zeit in einer für alle Folgezeit epochemachenden Weise zu befriedigen gewusst haben. Es ist gar nicht so selten, dass bedeutsame Erfindungen sozusagen vorzeitig und zufällig gemacht worden sind, so die Spinn- und Webemaschine, so die für industrielle Zwecke nutzbare Dampfmaschine, ja auch Gutenbergs Erfindung ist, wenn ein chinesisches Quellenwerk recht hat, schon vierhundert Jahre vor ihm gemacht worden, allein solche zu früh aufgewucherten Keime sterben gleich ab und wachsen nicht zu den mächtigen Bäumen empor, deren Laub noch den spätesten Geschlechtern grünt.

Von diesem einzig richtigen Standpunkt aus fällt dann auch ein erklärendes Licht auf den dichten Kranz von Legenden, der sich um die Erfindung des Buchdrucks geschlungen hat. Man beweist zu viel, wenn man beweisen will, dass nur menschliche Leidenschaft, und meist sehr niedriger Art, Gutenbergs Lorbeer zu zerpflücken gesucht hat. Solche Leidenschaft hat dabei oft genug und mehr als billig mitgespielt, aber schon die fast unbegreiflich schnelle Verbreitung der Erfindung beweist schlagend, wie sehr sie ein überall dringend empfundenes Bedürfnis der Zeit war. Der Warenhandel und die Warenproduktion, die sich am Ausgange des Mittelalters mächtig entwickelten, hatten den geistigen Verkehr der Nationen so unendlich gesteigert, dass er nach der schnellen Massenherstellung literarischer Erzeugnisse hungerte. Es kann nicht an den mannigfachsten Versuchen gefehlt haben, dies Bedürfnis zu befriedigen, und solche Versuche lassen sich in der Tat weit zurückverfolgen. In gewissem Sinne führt es irre, von dem Buchdruck als einer Erfindung Gutenbergs zu sprechen. Die mechanische Vervielfältigung von Schrift und Zeichnung durch den Abdruck war als Holzschnitt schon im Anfange des fünfzehnten Jahrhunderts gebräuchlich. Und von diesem Vorläufer der Buchdruckkunst galt bereits, was ein Zeitgenosse Gutenbergs von ihr selbst gesagt hat und was seitdem so unzählige Male wiederholt worden ist, dass er nämlich „der Freiheit des Menschen ein allergewaltigst zweischneidig Schwert in die Hand gebe, ein Schwert gleich schneidig zum Guten und zum Bösen, zum Kampfe für Tugend und Wahrheit, wie für Sünde und Irrtum": Heiligenbilder und Spielkarten waren die ersten Erzeugnisse des Drucks. Nun war es aber dem Messer der Holzschneider sehr gleichgültig, ob damit irgendeine Figur oder irgendein Wort ausgeschnitten wurde, und so entstanden erst Bilderbücher mit geschnittenem Text und dann auch kleine Schul- und Volksbücher ohne Bild, nur mit Text. Dieser sogenannte Briefdruck bestand noch lange fort, nachdem Gutenberg seine Erfindung gemacht hatte; die Briefdrucker bildeten in Nürnberg, Augsburg, Köln, Mainz, Lübeck und anderen Städten zunftmäßige Genossenschaften, die sich gewöhnlich der Malerinnung anschlossen.

Nachdem man einmal zu den Holztafeldrucken gelangt war, lag es nahe, die Platten in einzelne Buchstaben zu zerschneiden und durch die beliebige Zusammensetzung dieser Buchstaben die Vervielfältigung der Bücher außerordentlich zu erleichtern. Das scheiterte aber an der Unmöglichkeit, mit hölzernen Typen die erforderliche Ebenmäßigkeit der Zeilen herzustellen. Der nächste Schritt war dann, die Lettern in Metall zu schneiden, aber auch damit wurde kein durchschlagender Erfolg erzielt, sowohl weil das Schneiden der Typen aus freier Hand zu viel Zeit erforderte, als auch weil auf diesem Wege die Ungleichheit der Buchstaben zwar verringert, aber keineswegs aufgehoben wurde. Diese Übelstände wurden erst beseitigt durch das Gießen metallener Lettern, womit die Kunst erfunden war, mit einzelnen beweglichen Buchstaben ganze Wörter, Zeilen, Sätze und Seiten zusammenzusetzen und dann durch Abdruck zu vervielfältigen. Als Fortschritt über die Xylographie, den Druck mit geschnittenen Holzplatten, ist die Typographie, der Druck mit beweglichen gegosssenen Lettern, die eigentliche Erfindung Gutenbergs.

Sie erschien sehr einfach, nachdem sie einmal gemacht war. Allein dies Los teilte sie gerade mit den genialsten Erfindungen, und man darf nicht, um Gutenbergs Verdienst zu steigern, die historisch-logische Abfolge verkennen, die von der Xylographie zur Typographie geführt hat. Gutenberg mag persönlich niemals mit hölzernen Lettern zu drucken versucht haben, und sicherlich gehörte ein sehr mühsamer, sehr weiter, alle Hilfsmittel eines ungemein geschmeidigen und kräftigen Geistes beanspruchender Weg dazu, um von dem schöpferischen Gedanken der Typographie bis zu der meisterhaften Ausführung zu gelangen, die dieser Gedanke schon in Gutenbergs ersten Drucken gefunden hat. Allein immer war der Erfinder ein Kind seiner Zeit und beschritt nicht einsam einen einsamen Weg, sondern erreichte nur als Erster ein Ziel, dem noch viele andere mit heißem Bemühen nachtrachteten. In der Legende, die den Ruhmesglanz großer Erfinder zu verdunkeln pflegt, liegt auch ein Stück ausgleichender Gerechtigkeit; sie haben allemal ihre Schrittmacher gehabt, deren Namen ganz oder halb verschollen sind.

Im Einzelnen freilich lässt sich schwer erkennen, wie sich dies Verhältnis bei Gutenberg gestaltet hat. Denn wir wissen wenig von seinem Leben, und auch dies wenige ist in seiner Richtigkeit noch vielfach angefochten.

Henne Gensfleisch, genannt Gutenberg, wurde um das Jahr 1400 in Mainz geboren. Er war der Sohn des Friele Gensfleisch und der Elsa Wyrich, die nach ihrem Wohnsitz, einem Hofe bei der Christophkirche, zum Gutenberg genannt wurde. Obgleich sich der Erfinder der Buchdruckkunst nur in zweiter Linie nach seiner Mutter genannt hat, zum Unterschiede von anderen Zweigen des Geschlechts der Gensfleische, so hat der prophetische Name seiner Mutter im Gedächtnis der Nachwelt den Sieg über den prosaischen Namen seines Vaters davongetragen.

Die Stadt Mainz zählte in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts nur etwa 6000 Einwohner und konnte sich mit den aufblühenden Mittelpunkten des bürgerlichen Verkehrs, wie etwa Nürnberg und Frankfurt a. M. und die leitenden Städte der Hansa waren, keineswegs messen. Man erkennt den Abstand leicht an dem Hauptindustriezweige der Zeit, an der Weberei: gegen 312 Leinen- und Wollenweber in dem benachbarten Frankfurt zählte Mainz deren nur 36. Aber als Stapelplatz des Warenverkehrs auf dem Main und Rhein hatte es doch eine namhafte Bedeutung und noch mehr als kirchliche Metropole des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, als Sitz des Reichserzkanzlers, als Hauptstadt der größten deutschen Kirchenprovinz, die sich von der Mündung der Elbe bis zur Quelle des Rheins erstreckte. Diese überragende Stellung der Stadt auf kirchlichem Gebiet ist nicht ohne Bedeutung für Gutenbergs Erfindung gewesen, obgleich keineswegs im Sinne ultramontaner Schönfärberei. Nicht als geistig fördernde, sondern als ökonomisch ausbeutende Macht hat die mittelalterliche Kirche ihr Scherflein beigetragen zu einer Erfindung, die ihr selbst so verhängnisvoll geworden ist.

Neben der Weberei hatte sich damals besonders jene an die Kunst anstreifende Industrie gehoben, die in dem geistlichen und weltlichen Luxus des späteren Mittelalters ihre Nahrung fand, das Kunsthandwerk der Gold- und Silberarbeiter, der Bildhauer und Bildschnitzer, der Drechsler, Medaillierer, Waffenschmiede etc. Je kostbarer der Stoff war, worin diese Kunsthandwerker arbeiteten, um so mehr konzentrierten sie sich – bei der damaligen, noch ungestörten und wahrhaft ungeheuerlichen Ausbeutung Deutschlands durch die römische Kurie – in den Bischofssitzen und namentlich in dem Hauptsammelbecken Mainz, dessen Erzbischof mächtig genug war, selbst noch mit dem Papste Halbpart zu machen, wie bei dem Ablasshandel, der Luthers Thesen hervorrief. „Wie prächtig sind die Geräte der Kirchen, wie viele Reliquien finden wir da mit Perlen und Gold eingerahmt, wie reich ist der Schmuck der Altäre und Priester", sagt Aeneas Sylvius, der spätere Papst Pius IX., in einer Schrift, worin er beweisen wollte, dass Deutschland reich genug sei, um die päpstlichen Aderlässe ertragen zu können.

Gehörte die Goldschmiedekunst zu den bedeutendsten Gewerben der damaligen Zeit, so erlangte sie ihre höchste Ausbildung in den Bischofssitzen; in Mainz gab es 29 Goldschmiede, während eine so reiche Stadt wie Nürnberg, eine Kunst- und Kulturstätte ersten Ranges, nur 16 besaß. Diese Kunst umfasste Chemie, Mechanik, das ganze Gebiet der graphischen und plastischen Kunst in ihrer Anwendung auf Metalle, sie befasste sich mit Gold und Silber, Perlen, Steinen, Schmelz, mit Blei, Bronze, Kupfer, Messing, selbst mit Holz und Eisen, sie verzweigte sich technisch in Schmieden, Treiben, Schweißen, Löten, Nieten, Gießen, Pressen, Vergolden, Färben, Emaillieren, Drahtflechten, Zeichnen, Gravieren usw., kurzum, sie setzte eine Summe schwerer Arbeit und geübter Handfertigkeit voraus wie kaum ein anderes Kunsthandwerk. Als ein Meister dieser Kunst tritt Gutenberg zuerst ins Licht der Geschichte.

Er hatte seine Geburtsstadt in den zwanziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts verlassen, vertrieben durch einen erfolgreichen Sturm der Zünfte gegen die Ratsgeschlechter, zu denen die Gensfleische gehörten. Ein Sühnevertrag von 1430 nennt „Henchen zu Gudenberg" als „nicht inlendig", nimmt ihn aber in die Sühne auf. Da er darnach schon als erwachsener Mann seine Vaterstadt verlassen hat, so darf man schließen, dass er in ihr seine kunsttechnische Ausbildung erhalten hat; in einer Straßburger Urkunde von 1439 zeigt er sich als erfahrener und vielseitiger Meister des Kunsthandwerks. Er beschäftigt andere Goldschmiede, lehrt sie Steine polieren und tut sich mit ihnen zusammen, um Spiegel für die Wallfahrt nach Aachen zu fabrizieren. Wie Straßburg eine Bischofsstadt gleich Mainz war, so sehen wir auch hier wieder die Goldschmiedekunst im Dienste kirchlicher Interessen: die kleinen Handspiegel der damaligen Zeit gewannen ihren Wert durch ihre Einfassung mit Diamanten, Rubinen, Perlen und geschnittenen Steinen, durch ihre kunstvolle Umrahmung mit Schnitzwerk von Elfenbein, mit geistlichem oder auch sehr weltlichem Bildwerk aus edlen Metallen. Das gemeinsame Unternehmen endete mit einem Prozess, den die Erben eines Teilnehmers, ohne Grund und ohne Erfolg, gegen Gutenberg anstrengten; der Tatbestand ist ohne besonderes Interesse, doch werfen die im vorigen Jahrhundert zufällig wieder aufgefundenen Gerichtsakten einiges Licht auf Gutenbergs Straßburger Aufenthalt und enthalten auch eine Andeutung, aus der geschlossen worden ist, dass Gutenberg schon 1439 die ersten Anfänge eines Druckapparats mit beweglichen gegossenen Lettern fertig gehabt habe. In den Zeugenaussagen wird von einer „unbekannten Kunst" gesprochen, die Gutenberg seine Teilnehmer habe lehren wollen, und dann auch von einer „Presse", die mittelst zweier Wirbelchen vier lose Stücke zusammenhalte und von Gutenberg geheim gehalten worden sei. Doch ist diese Spur augenscheinlich viel zu unsicher, als dass sich daraus für oder wider etwas folgern ließe.

Möglich, ja wahrscheinlich, dass sich Gutenberg schon in Straßburg mit mancherlei Versuchen beschäftigt hat, die dann zu seiner großen Erfindung geführt haben. Es ist nicht anzunehmen, dass die komplizierte Technik, die er schon in seinen ersten Drucken mit einer bewundernswerten Meisterschaft beherrscht, das Gravieren von metallenen Letternstempeln (Patrizen, Punzen), das Einschlagen dieser Stempel in Kupferstäbchen (Matrizen), die Herstellung einer Gussform für diese Matrizen, der Guss der Lettern und ihre Adjustierung, endlich der Schriftsatz und der Abdruck, die Sache weniger Monate oder auch nur Jahre gewesen sei. Außer den Drucken selbst, die diese Folgerung nahelegen, besitzen wir an Zeugnissen über Gutenbergs Leben meist nur Schuldurkunden oder was sonst zum sterblichen Teile seiner unsterblichen Arbeit gehört hat; wir können den genialen Erfinder nicht mehr an seinem Werke beobachten, sondern sehen nur das Gemeine und Kleine, das sich hindernd an sein gewaltiges Schaffen hing. Er scheint eine jener dämonischen Naturen gewesen zu sein, die unverwandt ein großes Ziel verfolgen, gleichgültig gegen alles, was den „praktischen Leuten" die kleinen Seelen erfüllt; wie ein urkundliches Anlehen aus dem Jahre 1442 die letzte sichere Spur seines Aufenthalts in Straßburg ist, so ist ein urkundliches Anlehen aus dem Jahre 1448 die erste sichere Spur seiner Rückkehr nach Mainz.

Diese Mainzer Schuld von 150 Gulden mag bestimmt gewesen sein, die ersten Proben des Druckes mit beweglichen gegossenen Lettern zu ermöglichen; nach ein paar erhaltenen Blättern hat Gutenberg mit dem Drucke kleiner Gebet- und Schulbücher begonnen. Sie fielen so gut aus, dass der Mainzer Bürger Johann Fust sich im Jahre 1449 entschloss, dem Erfinder die für die damalige Zeit große Summe von 800 Gulden in Gold gegen sechs Prozent Jahreszinsen für das „Werk der Bücher" vorzuschießen, das heißt für die Einrichtung einer Druckerei, die bis zur Rückzahlung seines Darlehens dem Fust verpfändet blieb. Zugleich wurde Fust finanzieller Geschäftsteilnehmer Gutenbergs, indem er jährlich 300 Gulden ohne Zins, aber gegen einen Anteil am Gewinn, für Gesindelohn, Hauszins, Pergament, Papier, Druckerschwärze usw. ins Geschäft steckte. So wenigstens stellte sich nach Gutenbergs Behauptung und nach ihrem wahrscheinlichen Zusammenhange die Abmachung dar; wir können darüber allein nach dem Prozess urteilen, den Fust später gegen Gutenberg angestrengt hat, und auch über diesen Prozess ist kein Gerichtsprotokoll vorhanden, sondern wir besitzen nur ein Notariatsinstrument über seinen Schlussakt vom 6. November 1455. Fusts Behauptung, dass et in zwei gleichen Raten ein Gesamtdarlehen von 1600 Gulden gegeben habe, das durch Zinseszins inzwischen auf 2026 Gulden gestiegen sei, leidet an den größten Widersprüchen, und sie wird keineswegs dadurch erhärtet, dass Fust ein obsiegendes Erkenntnis erstritt. Das Gericht war ihm wohl geneigt und drückte gegenüber seiner reichen Familie gern ein Auge zu; es schob ihm den Eid über die ganz unglaubliche Behauptung zu, dass er, der reiche Patrizier, das an Gutenberg vorgeschossene Geld selbst gegen schweren Zins „under Christen und Juden" habe aufnehmen müssen, und da Fust diesen vermutlichen Meineid leistete, so ging er als Sieger aus dem Handel hervor, womit Gutenberg ruiniert war.

Aus der Zeit seiner Geschäftsverbindung mit Fust stammen nun die beiden ersten großen Drucke, die 36zeilige und die 42zeilige Bibel. Dass Fust als Erfinder daran ganz unschuldig war, bleibt selbst dann bestehen, wenn man unbesehen alles als wahr annimmt, was er in seinem Prozessstreit mit Gutenberg behauptet hat; nach seiner eigenen Darstellung kann man noch zweifeln, ob er ehrlich oder gaunerisch an Gutenberg gehandelt hat, nicht aber daran, dass er nur, wie wir heute sagen würden, als Kapitalist an der Erfindung beteiligt gewesen ist. Erschwert wird die historisch-kritische Prüfung der ersten Drucke dadurch, dass weder die 36zeilige, noch die 42zeilige Bibel Datum, Drucker und Druckort nennen; aus technischen Gründen ergibt sich nur, dass die 36zeilige Bibel der 42zeiligen voranging, während nach zuverlässigen zeitgenössischen Nachrichten der Druck der ersten im Jahre 1450 begonnen hat und der Druck der zweiten spätestens im Jahre 1456 vollendet gewesen ist.

Diese ältesten Bibeldrucke sind typographische Nachahmungen der Bibelhandschriften, wie sie bis dahin im Gebrauch gewesen waren: große Folianten, mit zwei Kolumnen auf der Blattseite, in dem gotischen Schriftzug, der sich seit der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts für die lateinischen Bibeln eingebürgert hatte. Alles dies bildete Gutenberg nach, bis auf die gebräuchlichsten Abkürzungen, so dass für den ersten Bibeldruck nicht viel weniger als hundert Stempel geschnitten worden sind. Die 36zeilige Bibel, die in etwa 9 Exemplaren erhalten ist, umfasste zwei mächtige Foliobände; ehrwürdig als erstes Denkmal der Erfindung, ist sie in ihrem Drucke noch mit mancherlei Mängeln behaftet, und namentlich haben die zu großen Typen das Buch gar zu schwerfällig gemacht. Um diesen Übelstand zu beseitigen, entschloss sich Gutenberg, kleinere Typen anzufertigen und eine größere Zahl von Zeilen auf der Kolumne unterzubringen; so entstand die 42zeilige Bibel, die auch im Drucke große Fortschritte aufweist und in etwa 30 Exemplaren auf unsere Zeit gekommen ist. Die größere Zahl der erhaltenen Exemplare deutet darauf hin, dass von ihr eine größere Auflage veranstaltet wurde; aus einer ganzen Reihe von Gründen ist wahrscheinlich, dass die 36zeilige Bibel nur in ganz geringer Auflage gedruckt worden ist, in nicht so sehr viel mehr Exemplaren, als noch vorhanden sind. Im Verhältnis zu dem beträchtlichen Anlagekapital ist mit ihrem Vertriebe schwerlich ein gutes Geschäft gemacht worden, und das mag bei dem Zerwürfnis des Geldmanns Fust mit dem Erfinder Gutenberg wesentlich mitgespielt und ihn veranlasst haben, dem unpraktischen Genie die Erfindung aus der Hand zu reißen, als ihre praktische Bedeutung durch die 42zeilige Bibel eine unanfechtbare Bestätigung erhalten hatte.

Fust verband sich nun mit dem Schönschreiber Peter Schöffer aus Gernsheim, der ihm in seinem Prozesse mit Gutenberg als Eidhelfer gedient hatte, zur Begründung eines bald weltberühmten Druck- und Verlagsgeschäfts. Peter Schöffer war vermutlich ein Gehilfe Gutenbergs gewesen, und man kann ihm nicht so schlechthin, wie seinem Sozius und späteren Schwiegervater Fust, jeden Anteil an der Erfindung des Buchdrucks abstreiten; wenigstens schreiben ihm einzelne glaubwürdige Zeitgenossen große Verbesserungen zu, womit er Gutenbergs Erfindung vervollkommnet habe. Die neue Druckerei von Fust und Schöffer brachte schon im Jahre 1457 den Psalter heraus, der nicht nur als erstes datiertes Druckwerk, sondern auch wegen seiner technischen Vollendung, seiner etlichen hundert Stempel, seiner großen Initialen in Metallschnitt, seines schönen Schriftzugs hohen Ruhm erlangt hat. Die Schlussschrift lautet: „Gegenwärtiger Kodex der Psalmen mit schönen Initialen geziert und durch Rubriken genügend ausgezeichnet, ist durch eine künstliche Erfindung des Druckens und der Typenbildung, ohne irgendeinen Gebrauch der Feder, so hergestellt und zur Ehre Gottes mit Fleiß vollendet durch Johann Fust, Mainzer Bürger, und Peter Schöffer von Gernsheim im Jahre des Herrn 1457 am (Maria) Himmelfahrtsabend." Als Erfinder der neuen Kunst nennen sich Fust und Schöffer also nicht. Da Fust als wucherischer Geldmann an Gutenberg gehandelt hatte, so darf man vielleicht sagen, dass er nur aus Angst vor dem lebenden Erfinder nicht gewagt habe, sich die Erfindung anzumaßen, aber es ist lediglich eine unbewiesene Annahme eifriger Vorkämpfer Gutenbergs, dass dieser noch das Material für den Psalter gearbeitet habe, und ihm dies Material mit widerrechtlicher Gewalt zu entreißen, der eigentliche Zweck des von Fust gegen Gutenberg angestrengten Prozesses gewesen sei. Schöffers Verdienst, in dem ersten datierten Druckwerk ein fast unübertreffliches und unübertroffenes Meisterwerk der Typographie geschaffen zu haben, kann nach dem Maße unserer heutigen Kenntnis mit triftigen Gründen nicht angefochten werden.

Für die Frage nach der Erfindung der Buchdruckerkunst ist jene Annahme übrigens von gar keiner Bedeutung. Hätte Gutenberg auch nichts hergestellt als die 36zeilige Bibel mit ihren großen Typen oder selbst nur ein kleines Schulbuch, so wäre sein Ruhm und Verdienst um nichts geringer. Mit Recht sagt einer seiner Vorkämpfer: „Seine Ehrenkrone braucht nicht allein keinen bibliographischen Quark, sondern angesichts einer einzigen, aber ersten typographisch gedruckten Blattseite verblasst das glänzendste spätere Prachtwerk bis zur Unsichtbarkeit." Auch ist es ein weitverbreiteter, aber deshalb nicht weniger hinfälliger Irrtum, die kulturhistorische Bedeutung der ersten Drucke, des Psalters, aber auch schon der 42zeiligen Bibel, in den Zutaten an Gold und Farben zu suchen. Das gehört nicht in die epochemachende Erfindung der Typographie, sondern in die damals herkömmliche Bücherornamentik, von der mittelalterliche Handschriften noch viel bessere und stilgerechtere Proben geben.

Gutenberg wusste sich nach dem vernichtenden Schlage, den ihm Fusts ehrlose List zugefügt hatte, mit zäher Energie wieder aufzuraffen. In einem Doktor Humery fand er einen neuen und diesmal anständigen Geldgeber, der sich für seine Vorschüsse zwar auch durch ein Pfandrecht an Gutenbergs neuerrichteter Druckerei sicherte, aber seine Gewalt nicht missbrauchte, so dass Gutenberg bis zu seinem Tode im Besitze seiner neuen Offizin geblieben ist. Aus ihr ging im Jahre 1460 ein neues großes Werk hervor, das sogenannte Katholikon, eine zu jener Zeit sehr beliebte grammatikalisch-lexikalische Kompilation eines Dominikanermönchs. Es ist ein Großfolioband von 374 Blättern, in gespaltenen Kolumnen von je 66 Zeilen. Die Schlussschrift lautet: „Unter dem Beistande des Allerhöchsten, auf dessen Wink die Zungen der Kinder beredt werden und der oft den Kleinen enthüllt, was er den Weisen verbirgt, ist dieses vortreffliche Buch, das Katholikon, im Jahre der Fleischwerdung des Herrn 1460, in dem gesegneten Mainz, einer Stadt der berühmten deutschen Nation, die Gottes Huld mit einem so hohen Geisteslichte, einem freien Geschenk seiner Gnade, vor den übrigen Völkern der Erde vorzuziehen und auszuzeichnen für würdig befunden hat, nicht mit Hilfe von Rohr, Kiel oder Feder, sondern durch das wunderbare Zusammenstimmen von Maß und Verhältnis der Patronen und Formen gedruckt und vollendet worden." Da die Typen des Katholikons von Fust und Schöffer niemals gebraucht worden sind, eine dritte Druckerei damals aber in Mainz nicht bestand, so rührt dies Buch unzweifelhaft von Gutenberg her, aber weshalb er sich auch jetzt nicht als Drucker genannt hat, ist ein noch ungelöstes Rätsel. Dass er es aus angeborener Schüchternheit unterlassen habe oder weil er dem Allerhöchsten allein die Ehre habe geben wollen oder weil er sich durch die prächtigeren Drucke von Fust und Schöffer beschämt gefühlt habe oder weil er sich als Edelmann zu keiner mechanischen Kunst habe bekennen wollen, sind handgreiflich luftige Hypothesen, so eifrig sie verfochten worden sind. Aber auch die scheinbar einleuchtendere „tragische Notwendigkeit", dass der Erfinder der Typographie sich durch Anonymität vor der gerichtlichen Pfändung durch seine zahlreichen Gläubiger habe schützen müssen, fällt in sich zusammen, wenn man erwägt, dass Humery, von dem Gutenberg nie bedrängt worden ist, sich das Pfandrecht an der neuen Druckerei gesichert hatte.

Im Jahre 1462 wurde die Stadt Mainz in einem heftigen Kampfe zwischen Dietrich von Isenburg und Adolf von Nassau, die sich um das Erzbistum rauften, durch Feuer und Sturm verheert, wobei auch die beiden Druckereien untergingen. Jedoch gewann Gutenberg nun einen friedlichen Lebensabend; der Sieger Adolf von Nassau nahm ihn am 18. Januar 1465 unter sein Hofgesinde auf, gab ihm jährlich ein Kleid, zwanzig Malter Korn und zwei Fuder Wein, befreite ihn von Schätzung, Wachen, Folge und anderen Diensten. Eine neue Druckerei in Eltville, der Residenz Adolfs, scheint unter Leitung oder doch unter Beihilfe Gutenbergs errichtet worden zu sein; sie druckte mit den Typen des Katholikons, und einer der beiden Drucker verschwägerte sich mit Gutenberg. Er selbst hat anscheinend seinen Wohnsitz in Mainz behalten, wo er auch begraben worden ist. Sein Grab ist verschollen, und selbst sein Todestag lässt sich nicht genau angeben; er muss nicht weit vor den 24. Februar 1468 gefallen sein, denn an diesem Tage verpflichtete sich Humery gegen Adolf von Nassau, die von Gutenberg bei dessen Tode hinterlassenen Druckgeräte nur in der Stadt Mainz zum Drucken zu gebrauchen, sie auch nur einem Mainzer Bürger zu verkaufen oder diesem doch das Vorkaufsrecht zuzugestehen.

Die schnelle Verbreitung seiner Kunst hat Gutenberg noch in ihren Anfängen erlebt. Sie datiert von der Verwüstung der Stadt Mainz im Jahre 1462, wodurch namentlich die Gehilfen von Fust und Schöffer in alle Welt zerstreut wurden. Doch wäre sie trotz dieses äußerlichen Hebels nicht zu verstehen, wenn die europäische Kultur auf der damaligen Höhe ihrer Entwicklung nicht nach dem „wunderbaren Geheimnisse" gelechzt hätte wie dürres Land nach einem befruchtenden Regen.

Noch jetzt lassen sich für das Zeitalter der Wiegendrucke (Inkunabeln), das man bis zum Jahre 1500 zählt, die Namen von mehr als 1000 Buchdruckern nachweisen, ganz überwiegend deutschen Ursprungs. In Mainz selbst wurden in dieser Zeit 5, in Ulm 6, in Basel 16, in Augsburg 20, in Köln 21 Buchdruckereien errichtet. In Nürnberg wurden bis zum Ende des Jahrhunderts 25 Buchdrucker als Bürger aufgenommen. Der berühmteste von ihnen war seit 1470 Anton Koberger, der mit 24 Pressen arbeitete und über 100 „Gesellen" als Setzer, Korrektoren, Drucker, Buchbinder, Posselierer und Illuministen beschäftigte. Eine fast ebenso große Tätigkeit wie Koberger entfalteten Hans Schönsperger in Augsburg und die Baseler Meister Johann Amerbach, Wolfgang Lachner und Johann Froben.

Nicht minder schnell als in Deutschland selbst verbreiteten deutsche Drucker ihre Kunst in Italien, in Subiaco, Rom, Siena, Venedig, Perugia, Neapel, Palermo und vielen anderen Orten; in Foligno druckte Johann Neumeister aus Mainz im Jahre 1472 zum ersten Male Dantes „Göttliche Komödie". Ebenso zahlreich waren die Deutschen als erste Drucker in Frankreich und in Spanien; selbst auf der ungesunden afrikanischen Insel St. Thomas ließen sich Drucker aus Nördlingen und Straßburg nieder. Nach Ofen wurde die „deutsche Kunst" 1473, nach London 1477, nach Oxford 1478, nach Dänemark 1482, nach Stockholm 1483, nach Mähren 1486, nach Konstantinopel 1490 verpflanzt. „Wir Deutsche", schrieb damals rühmend ein humanistischer Schriftsteller, „beherrschen fast den ganzen geistigen Markt des gebildeten Europa." Aus den ersten Druckereien entwickelten sich die ersten Verlagsgeschäfte; Peter Schöffers Filiale in Paris wurde 1475 schon auf die damals große Summe von 2425 Goldtalern geschätzt; Anton Koberger hatte „in den namhaftesten Städten der Christenheit sechzehn offene Cräm und Gewölbe", aus der Zeit bis 1500 lassen sich noch über 200 seiner Verlagswerke namhaft machen, zumeist starke Werke in größtem Folio. Der Buchhandel mit Italien lag namentlich in der Hand der Baseler Drucker; nach England vertrieb, wie Erasmus einmal aus Canterbury schreibt, der Drucker Franz Birkmann in Köln fast alle Bücher. Die ersten deutschen Verleger waren nicht nur rührige Geschäftsleute, sondern auch Männer voll ernsten und hohen Strebens; ihre Namen sind in der Geschichte der Wissenschaft unvergessen, und nicht minder wurden sie Förderer der Kunst durch die Holzschnitte, womit sie die Erzeugnisse ihrer Pressen schmückten.

Mit der Typographie erblühte die Xylographie. Der Holzschnitt entfaltete seine Schwingen als Kunst, nachdem der Tafeldruck durch den Letterndruck überwunden worden war. Sein goldenes Zeitalter begann freilich erst mit dem sechzehnten Jahrhundert, mit dem großen Meister Albrecht Dürer, doch nahm er schon mit der Buchdruckpresse seine aufsteigende Entwicklung. Es entsprach denselben Bedürfnissen der Zeit, denen sie ihre schnelle Blüte verdankten, dass Buchdruck und Holzschnitt sich bald von der kirchlichen zur weltlichen, von der lateinischen zur deutschen Literatur wandten. Gemeinsam gaben sie dem 1494 erschienenen „Narrenschiff" Sebastian Brants, der bedeutendsten Leistung der deutschen Literatur seit Jahrhunderten, eine ungeheure Verbreitung. Brants Gedicht war eine kühne Satire auf die geistlichen und weltlichen Mächte der Zeit, dabei voll gesunden und kräftigen Humors; den Reigen der hundert und mehr Narrensorten, die Brant in sein Narrenschiff lädt, führt er selbst, als Büchernarr, der viel Bücher habe und immer neue kaufe, und sie doch weder lese noch verstehe; ein Gestirn erster Größe, das die eigentlich bürgerliche Literatur eröffne, wird Brant von seinem besten Herausgeber genannt.

Er war ein Vorläufer der deutschen Reformation, deren historischer Verlauf undenkbar ist ohne Buchdruck und Holzschnitt, ohne die rasche Presse, die alle die fliegenden Blätter, von Luthers Thesen und Huttens Pamphleten bis zu den zwölf Artikeln des großen Bauernkriegs, über das Land streute. Zum ersten Male zeigte sich die ungeheure Bedeutung der neuen Erfindung als eine Triebfeder der historischen Entwicklung, der sie jenen beschleunigten Gang verlieh, den das gedruckte Wort vor dem geschriebenen und gesprochenen Wort voraus hat. Seitdem ist sie die klassische Waffe jeder Revolution geblieben, die der gesitteten Menschheit ein Stück vorwärtsgeholfen hat. Nicht als ob sie die Ursache der Revolution sei, wie ihr kurzsichtige Finsterlinge so oft nachgeredet haben, aber das mächtigste Werkzeug aller Revolutionen, in denen die Völker ungestüm zu höheren Formen des menschlichen Lebens vorwärtsdrängen, ist sie seit ihrer Entstehung immer gewesen und wird sie immer bleiben.

Sie konnte den traurigen Verfall der deutschen Nation von der Mitte des sechzehnten bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts nicht hindern; auch diese edle und freie Kunst musste sich unter das Joch beugen, und wie unendlich vieles von dem, was sie ein paar Jahrhunderte lang auf deutschem Boden geschaffen hat, liegt heute unter Moder und Staub vergraben, woran so leicht keine menschliche Hand mehr rühren mag! Dann aber hat sich der Genius des deutschen Volkes mit den fünfundzwanzig Soldaten Gutenbergs wieder einen ebenbürtigen Platz unter den großen Kulturvölkern erobert. Vergleicht man einen Erstlingsdruck Lessings und Goethes mit den Prachtwerken aus der Zeit Gutenbergs und Schöffers, so sieht man handgreiflich, wie arm die deutsche Nation geworden war, aber aus diesen dürftigen und mageren Blättern ging eine Fülle welterobernden Lichtes aus, und wie in Luthers und Huttens Tagen wurde das gedruckte Wort zu einer unwiderstehlich revolutionierenden Macht.

Dann sank es wieder zum feilen Helfer kulturfeindlicher Mächte herab, nicht in schweinsledernen Bänden theologischen Gezänks, jedoch in jener kapitalistischen Zeitungsmakulatur, von der es hieß: Gedruckt sei wie gelogen. Aber zum dritten Male sehen wir seine welthistorische Mission in unseren Tagen, wo es dem Emanzipationskampf der modernen Arbeiterklasse den stärksten Nachdruck gibt. Man möchte fast sagen, dass in dem Namen der „deutschen Kunst" von Anfang an ein wenig historische Prophetie gelegen habe; mit keiner Waffe haben die Deutschen in den revolutionären Kämpfen der modernen Jahrhunderte so glücklich gefochten wie mit ihr, und deshalb haben die deutschen Fürsten und Könige auch immer einen instinktiven Hass gegen sie gehegt. Als im Jahre 1840 – ein Jahrzehnt zu früh – der vierhundertste Geburtstag des Letterndrucks gefeiert werden sollte, wurde die Feier an vielen deutschen Orten polizeilich verboten, und Herwegh sang damals das kecke Spottlied:


Es ist ein Berg auf Erden,

Der steht zu Mainz am Rhein,

Mit trutzigen Gebärden

Schaut er ins Land hinein.

Zu lang war dem Kyffhäuser

Des Rotbarts Todesnacht,

Da ist für seinen Kaiser

Der gute Berg erwacht.

Zuschanden heißt er werden

Der Raben schwarzes Werk,

Der beste Berg auf Erden,

Das ist der Gutenberg.


Von ihrem ersten Entstehen an hat Gutenbergs Kunst an der Spitze des historischen Fortschritts gestanden, so oft sie auch dem historischen Rückschritt hat dienen müssen. Darin unterscheidet sie sich grundtief von der anderen großen Erfindung, die am Ausgange des Mittelalters steht, dem Schießen mit Pulver, das manchmal wohl dem historischen Fortschritt gedient hat, aber mehr und mehr die mächtigste Waffe des Rückschritts geworden ist. Diesen Vergleich beleuchtete ein anderer berühmter Dichter des Proletariats, beleuchtete Freiligrath zu Gutenbergs vierhundertstem Todesjahre mit Worten, die heute fast noch mehr zutreffen als vor dreißig Jahren, und die deshalb unsern Gedenkartikel schließen mögen:


Wohl kämpfte auch das Pulver für Freiheit, Licht und Recht -

Doch dient es meist als Scherge, als schnöder Herrenknecht!

Zu oft nur schlug es nieder, was aufstand kühn und frei,

Und sandte in treue Herzen seinen Mitprofoss, das Blei!

Nein, andrer Waffen braucht' es im Kampf der neuen Zeit -

Und die hast du geschmiedet, Mann, den wir feiern heut!


Den Geist, den unterdrückten, hast wehrhaft du gemacht;

Du gabst ihm Schwert und Harnisch, du führtest ihn zur Schlacht!

Du gabst ihm die goldnen Pfeile, das leuchtende Geschoß -

Und sieh' zur Hölle wichen die Schatten und ihr Tross!

Tiar' und Kron' erblassten, die Dunkelheit zerrann,

Aufflammte breit die Sonne – der Tag, der Tag brach an!


Die du der Welt gegeben, die Waffen ruhten nicht, -

Noch immer währt die Fehde des Dunkels mit dem Licht!

Die Schatten, die geschlagen bis hinter der Hölle Tor,

Sie wagten sich, sie wagen sich immer noch hervor!

Noch wogen im Kampf die Massen, die feindlichen, hin und her -

Noch immer muss uns helfen, o Meister, deine Wehr!


Schreckbilder allerorten! Und ist es nicht von Rom,

So droht von andrer Stelle Phantom noch auf Phantom!

In diesen letzten Tagen ist es des Mönches Geist,

Des alten Pulvermönches, den es zu bannen heißt!

Er eilt von Volk zu Volke geschäftiger als je;

Er möchte die Welt beherrschen, das Land und auch die See!

Nur auf Zerstörung sinnt er, auf riesig Stahlgeschoß,

Auf rascheste Kugelsendung, auf eisernen Schiffskoloss!

Ein Pulverturm die Erde! Und alles für „Macht und Ruhm"!

Und alles wider die Freiheit, das freie Menschentum!

Auf, Gutenberg, zu Hilfe! Wir treten an dein Grab,

Wir rufen einen Segen und einen Dank hinab!

Wir wissen es: Wie lange auch daure dieser Krieg,

Dir, und durch dich dem Lichte, bleibt endlich doch der Sieg!

Comments