Rosa Luxemburg 19050125 Die Revolution in Russland

Rosa Luxemburg: Die Revolution in Russland

[Die Neue Zeit (Stuttgart), 23. Jg. 1904/05, Erster Band, S. 572-577. Nach Gesammelte Werke Band 1/2, 1970, S. 477-484]

Bald richt' ich mich rasselnd in die Höh',

Bald kehr' ich reisiger wieder.

Die kapitalistische Welt und mit ihr der internationale Klassenkampf scheint endlich aus der Stagnation, aus der langen Phase des parlamentarischen Kleinkriegs heraustreten und wieder in eine Periode elementarer Massenkämpfe eintreten zu wollen. Es ist zwar diesmal nicht der gallische Hahn, der wieder, wie es Marx erwartete, die nächste revolutionäre Morgendämmerung in Europa durch sein keckes Krähen verkündet. Gerade für Frankreich haben sich die Moräste der parlamentarischen Periode am gefährlichsten erwiesen, und es scheint die internationale Führung im Klassenkampf vorläufig aus den Händen gegeben zu haben. Der Ausgangspunkt der nächsten revolutionären Welle hat sich vom Westen nach dem Osten verschoben: In Deutschland und in Russland sind nun fast gleichzeitig zwei gewaltige soziale Kämpfe, zwei proletarische Massenerhebungen ausgebrochen, die mit einem Male wieder die im Schoße der modernen Gesellschaft arbeitenden revolutionären Elementarkräfte an die Oberfläche gezerrt und alle jene Illusionen über den nunmehr ruhigen, „gesetzlichen" Verlauf der Entwicklung, die während der internationalen Windstille üppig in die Höhe geschossen waren, wie leichte Spreu in alle Winde zerstreut haben. Wer hat den Generalstreik im Ruhrgebietgewollt", und wer hat ihn „hervorgerufen"? Wenn irgendwo, so war in diesem Falle alles, was an Arbeiterschaft ganz oder teilweise klassenbewusst und organisiert ist – konfessionelle Gewerkvereine, freie Gewerkschaften, Sozialdemokratie –, bestrebt und bemüht, die Erhebung eher zu verhindern als sie zu provozieren. Wäre es nur ein großer Streik, ein umfangreicher Lohnkampf gewesen, wie sie von Zeit zu Zeit ausbrechen, dann hätte er auch vielleicht vereitelt, hinausgeschoben, zerbröckelt werden können. Da aber die Bewegung im Ruhrgebiet in ihrem ganzen Charakter – in der Mannigfaltigkeit der Momente, die ihr zugrunde liegen und die in ihrer Totalität das ganze Dasein des Minenproletariats erschöpfen, in der Unbestimmtheit ihres unmittelbaren letzten Anlasses – nicht ein partieller Kampf gegen diese oder jene Teilerscheinung, sondern im Grunde genommen eine Erhebung des Lohnsklaven gegen die Kapitalsherrschaft als solche in ihrer nacktesten Gestalt ist, so brach sie wie ein atmosphärisches Gewitter mit Elementargewalt aus. Dem bewussten organisierten Teile des Proletariats blieb nur die Wahl, sich an die Spitze der Sturmflut zu stellen oder von ihr auf die Seite geschleudert zu werden. Und der Generalstreik im Ruhrgebiet ist deshalb ein typisches, lehrreiches Exempel der Rolle, die der Sozialdemokratie als Partei auch in den früher oder später bevorstehenden proletarischen Erhebungen überall zufallen wird, ein Exempel, das alle behaglichen literarischen Disputationen darüber, ob wir die soziale Revolution „machen" oder aber diese „veraltete", „unzivilisierte" Methode des Kampfes zum alten Eisen werfen und lieber uns fleißig weiter ins Parlament wählen wollen, in ihrer ganzen Lächerlichkeit aufzeigt.

Dieselbe historische Lehre in anderer Form gibt uns in diesem Augenblick Petersburg. Große revolutionäre Ereignisse haben die Eigentümlichkeit, dass sie, sosehr sie im Großen und Ganzen vorausgesehen, erwartet worden sein mögen, doch stets, sobald sie da sind, in ihrer Kompliziertheit, in ihrer konkreten Gestalt als eine Sphinx, ein Problem vor uns erstehen, das in jeder Faser begriffen, ergründet, gelernt werden will. Und vollends ist es klar, dass der gegenwärtigen russischen Revolution auf keinen Fall beizukommen ist mit Phrasen von „krachenden Eisschollen", „unendlichen Steppen", „stumm weinenden müden Seelen" und dergleichen krachenden belletristischen Redensarten im Geiste bürgerlicher Journalisten, deren ganze Wissenschaft über Russland aus der jüngsten Theatervorstellung des Gorkischen „Nachtasyls" oder aus ein paar Tolstoischen Romanen herrührt und die mit gleichmäßig wohlwollender Ignoranz über die sozialen Probleme beider Hemisphären hinweg gleiten. Es wäre andererseits offenbar auch eine gar zu magere Ausbeute an politischer Weisheit und geschichtlicher Lehre, wenn wir als den ersten und wichtigsten Schluss aus der Petersburger Revolution mit der Jaurèsschen „Humanité" die für den russischen Absolutismus wahrhaft niederschmetternde und für das Weltproletariat erquickende Sicherheit schöpfen wollten, dass der letzte Romanow nach dem Petersburger Blutbad für die bürgerliche Diplomatie sozusagen salonunfähig geworden sei und von keinem „konstitutionellen Monarchen" oder „republikanischen Staatsoberhaupt" einer Allianz mehr für würdig gehalten werden dürfe.

Vor allem aber wäre es völlig verkehrt, wollte die Sozialdemokratie Westeuropas mit dem abgeschmackten Kopfschütteln Ben Akibas in der russischen Umwälzung bloß eine geschichtliche Nachäffung dessen erblicken, was in Deutschland und Frankreich schon längst „dagewesen". Im Gegensatz zu Hegel kann vielmehr mit weit größerem Rechte gesagt werden, dass sich in der Geschichte nichts zweimal wiederholt. Die russische Revolution, die formell nur für Russland dasjenige nachholt, was die Februar- und Märzrevolution für das westliche und mittlere Europa vor einem halben Jahrhundert vollbracht hat, ist jedoch zugleich – gerade weil sie ein stark verspäteter Nachzügler der europäischen Revolutionen – ein ganz besonderer Typus für sich.

Russland tritt auf die revolutionäre Weltbühne als das politisch zurückgebliebenste Land; es kann vom Standpunkte der bürgerlichen Klassenentwicklung mit dem vormärzlichen Deutschland keinen Vergleich aushalten. Allein gerade deshalb trägt, entgegen allen landläufigen Ansichten, die jetzige russische Revolution den ausgesprochensten proletarischen Klassencharakter von allen bisherigen Revolutionen. Freilich, die unmittelbaren Ziele der heutigen Erhebung in Russland gehen nicht über eine bürgerlich-demokratische Staatsverfassung hinaus, und das Schlussergebnis der Krise, die vielleicht und höchstwahrscheinlich noch jahrelang mit raschem Wechsel von Flut und Ebbe dauern kann, wird womöglich nichts anderes als eine kümmerliche konstitutionelle Verfassung sein. Und doch ist die Revolution, die zur Geburt dieses bürgerlichen Wechselbalgs geschichtlich verdammt ist, eine so rein proletarische wie noch keine vorher.

Vor allem fehlt in Russland gänzlich diejenige Gesellschaftsklasse, die in allen bisherigen modernen Revolutionen die größte, die führende Rolle spielte, indem sie, ökonomisch und politisch eine Zwischenschicht zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zum revolutionären Bindeglied für beide wurde, den radikalen und demokratischen Charakter der bürgerlichen Klassenkämpfe bedingte, dadurch das Proletariat für den Heerbann der Bourgeoisie gewann und so den notwendigen materiellen Mechanismus der bisherigen Revolutionen herstellte. Wir meinen das Kleinbürgertum. Dieses war zweifellos der lebendige Kitt, der in den europäischen Revolutionen die verschiedensten Schichten zu einer Aktion zusammenschweißte, der in Klassenkämpfen, die ihrem geschichtlichen Inhalt nach Bewegungen der Bourgeoisie waren, als Schöpfer und Träger der notwendigen Fiktion vom gesamten „Volke" fungierte. Dasselbe Kleinbürgertum war auch der politische, geistige, intellektuelle Erzieher des Proletariats, und gerade in jener Februarrevolution, in der das Pariser Proletariat zum ersten mal klassenbewusst aufgetreten ist und sich von der Bourgeoisie geschieden hat, ist der Einfluss des Kleinbürgertums am stärksten zum Vorschein gekommen.

In Russland existiert ein Kleinbürgertum im modernen europäischen Sinne gar nicht. Es gibt zwar ein kleinstädtisches Bürgertum, doch ist dieses gerade der Hort der größten politischen Reaktion und geistigen Barbarei.

Eine ungefähr analoge Rolle zum Kleinbürgertum der westeuropäischen Staaten spielt freilich in Russland die umfangreiche Schicht der Intelligenz der sogenannten liberalen Berufe. Sie ist es, die sich der politischen Erziehung des arbeitenden Volkes seit jeher massenhaft hingibt. Allein, diese Intelligenz selbst ist nicht, wie ehemals in Deutschland und Frankreich, die ideologische Vertretung bestimmter Klassen der liberalen Bourgeoisie und des demokratischen Kleinbürgertums. Denn die Bourgeoisie in Russland ist wiederum als Klasse Trägerin nicht des Liberalismus, sondern des reaktionären Konservatismus oder, was eigentlich noch schlimmer, der völligen reaktionären Passivität. Der Liberalismus seinerseits ist in dem sozialen Hexenkessel Russlands nicht aus einer modern-bürgerlichen, fortschrittlichen Tendenz des industriellen Kapitalismus hervor gewachsen, sondern vielmehr aus dem freihändlerisch gesinnten, durch die forcierte staatliche Pflege des Kapitalismus zur Opposition getriebenen agrarischen Adel. Damit ist schon im Voraus gegeben, dass dieser russische Liberalismus weder in sich die revolutionäre Kraft einer gesunden modernen Klassenbewegung noch jene natürliche Affinität und jene sozialen Berührungspunkte mit der Arbeiterklasse hat, die zwischen der liberalen industriellen Bourgeoisie und dem industriellen Proletariat in den europäischen Ländern vorhanden waren. Die krankhafte Schwächlichkeit und innere Feigheit des russischen agrarischen Liberalismus sowohl wie seine Entfremdung von dem städtischen Industrieproletariat waren dadurch bedingt, damit schied aber der Liberalismus als politischer Führer und Erzieher der Arbeiterklasse aus.

Das Werk der Aufklärung, Schulung und Organisierung der Masse des Proletariats, das in allen anderen Ländern in vorrevolutionären Epochen von bürgerlichen Klassen, Parteien und Ideologen besorgt wurde, dies Werk blieb daher in Russland die ausschließliche Aufgabe der Intelligenz, aber nicht der ideologisch-bürgerlichen, sondern der revolutionären, sozialistischen Intelligenz, der deklassierten Intelligenz, die als ideologische Vertretung der Arbeiterklasse selbst fungierte. Die ganze Summe von Klassenbewusstsein, politischer Reife und Idealismus, die in der Massenerhebung des Petersburger Proletariats zum Ausdruck gekommen, zur Tat geworden ist, kommt ausschließlich auf das Konto der jahrzehntelangen unermüdlichen Maulwurfsarbeit der sozialistischen, genauer gesprochen, der sozialdemokratischen Agitation.

Und diese Summe ist, wenn man näher zusieht, eine enorme. Allerdings hat das erste Auftreten der Petersburger Arbeitermasse noch verschiedene Schlacken – zarengläubige Illusionen, unbekannte zufällige Führer vom gestrigen Tage – an die Oberfläche geworfen. Wie in allen großen revolutionären Ausbrüchen wälzt die glühende Lava zunächst noch allerlei Schlamm aus der Tiefe an den Rand des Kraters. Aber unter diesen Zufälligkeiten des Momentes und Rudimenten einer überkommenen Weltanschauung, die übrigens im Feuer der revolutionären Situation mit Sturmesschnelle abgestreift werden, kommen deutlich zum Vorschein die kräftigen, gesunden, stark entwickelten Keime des rein proletarischen Klassenbewusstseins und auch jener schlichte heroische Idealismus ohne die Pose und ohne die theatralische Gebärde der großen bürgerlichen Geschichtsmomente, die ein sicheres und typisches Symptom aller Klassenbewegungen des modernen, aufgeklärten Proletariats sind. Dabei ist jedem einigermaßen mit den russischen Verhältnissen Vertrauten bekannt, dass wiederum entgegen den Beispielen Westeuropas das Proletariat in der russischen Provinz, das jetzt der Reihe nach von der revolutionären Welle erfasst wird, das Proletariat im Süden, im Westen, im Kaukasus noch bedeutend klassenbewusster und besser organisiert ist als das Proletariat der Zarenhauptstadt.

Freilich ist diese erste Massenerhebung der Petersburger Arbeiterschaft auch für die russische Sozialdemokratie selbst zweifellos eine Überraschung gewesen, auch die äußere Leitung der grandiosen politischen Revolte lag offenbar nicht in den Händen der Sozialdemokratie. Man wird deshalb geneigt sein, davon zu sprechen, dass die Ereignisse der russischen Sozialdemokratie „über den Kopf gewachsen" seien. Versteht man darunter das elementare Hinauswachsen der Bewegung an Umfang und Rapidität über die Berechnungen der Agitatoren, auch über die vorhandenen Kräfte und Mittel zu ihrer Beherrschung und Leitung hinaus, dann wird das Wort gewiss auf den jetzigen Moment in Russland passen. Doch wehe derjenigen Sozialdemokratie, die es nicht fertigbringt, in entsprechenden historischen Situationen Geister auf die soziale Bühne heraufzubeschwören, die ihr in diesem Sinne „über den Kopf wachsen". Das würde nur mit anderen Worten beweisen, dass die Sozialdemokratie es nicht versteht, eine wirkliche revolutionäre Massenbewegung in Fluss zu bringen, denn planmäßig hervorgerufene, organisierte und wohlgeleitete, kurz „gemachte" Revolutionen existieren nur in der blühenden Phantasie Puttkamerscher Polizeiseelen oder preußischer und russischer Staatsanwälte.

Versteht man aber unter dem „Hinauswachsen über den Kopf", dass die Richtung, die Macht, das Phänomen selbst der proletarischen Revolution für die Politiker eine Überraschung war, dass sie sich im stürmischen Laufe ihre Ziele weit über die Erwartungen hinaus gesteckt hat, dann ist die Sozialdemokratie heute geradezu der einzige Faktor des öffentlichen Lebens im Zarenreich, dem die Petersburger Ereignisse nicht über den Kopf gewachsen sind, der geistig die Situation vollkommen beherrscht.

Ein Blitz aus heiterem Himmel war die plötzliche politische Massenerhebung des Petersburger Proletariats nicht bloß für die hirnlosen Kretins der herrschenden Diebesbande des Zarismus, nicht bloß für den stockbornierten rohen Haufen der industriellen Geldsäcke, die in Russland den Platz einer Bourgeoisie einnehmen. Sie war es nicht minder für die russischen Liberalen, für die ad majorem libertatis gloriam festessenden Herren, die auf den Banketten in Kiew und Odessa die auftretenden proletarischen Redner mit lauten Pfuirufen und „Hinaus mit euch!" empfingen; für die Herren Struve & Co., die noch am Vorabend der Petersburger Revolution die revolutionäre Aktion des russischen Proletariats eigentlich als eine „abstrakte Kategorie" betrachteten und die Jerichomauern des Absolutismus am sichersten durch das liberale Gemiaue und Gewinsel der „hochangesehenen Persönlichkeiten" stürzen zu können glaubten.

Sie war es endlich nicht minder für jene lockere, bewegliche Schicht der Revolutionäre aus der Intelligenz, die, alle Augenblicke wie schwankes Rohr im Winde hin und her schwankend, bald nur an die rettende Tat der Bombe und des Revolvers mit eingravierten fürchterlichen Worten, bald nur an blinde Bauerntumulte, bald überhaupt an gar nichts mehr glaubten und abwechselnd himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt als beweglicher Flugsand der Revolution vom Terrorismus zum Liberalismus und umgekehrt pendelten und nur an die selbständige Klassenaktion des russischen Proletariats nie festen Glauben fassen konnten.

Und nur die starren Dogmatiker der russischen Sozialdemokratie, die Plechanow, Axelrod, Sassulitsch und ihre Jünger, diese unangenehme, eigensinnige Gesellschaft, die sich in gewissen Kreisen der Internationale derselben ehrenden Unliebsamkeit erfreut wie die französischen „Guesdeisten", hat mit der ganzen felsenfesten Ruhe und Sicherheit, wie sie nur eine wissenschaftliche, festgefügte Weltanschauung verleiht, das Kommen des Petersburger 22. Januar seit Jahrzehnten vorausgesagt und durch ihre bewusste Agitation vorbereitet und herbeigeführt.

Das Marxsche „Dogma" war es eben, das der russischen Sozialdemokratie ermöglicht hat, unter der bizarren Eigenheit der sozialen Verhältnisse Russlands fast mit mathematischer Sicherheit die großen Linien der kapitalistischen Entwicklung schon vor mehr als zwanzig Jahren vorauszusehen und ihre revolutionären Konsequenzen in planmäßiger Tätigkeit vorwegzunehmen und zu realisieren.

Das Marxsche „Dogma" war es, das den Sozialdemokraten in Russland ermöglichte, die Arbeiterklasse im Zarismus als politische Klasse zu entdecken und als den einzigen künftigen Träger zunächst der politischen Emanzipation Russlands vom Absolutismus, sodann der eigenen Emanzipation von der Kapitalsherrschaft.

Dasselbe Marxsche „Dogma" ließ die russische Sozialdemokratie unbeirrt gegen alles und jedes die selbständige Klassenaufgabe und Klassenpolitik des russischen Proletariats verteidigen, als die physische Existenz der Arbeiterschaft in Russland erst aus der ledernen Sprache der offiziellen Industriestatistiken herausgelesen, die russischen Fabriken erst summiert, beinahe jeder mathematische Proletarier sozusagen erst in heißen Polemiken erstritten werden musste.

Und dann, als der schwanke russische Intellektuelle wiederum von Sorgen geplagt wurde, dass der russische Kapitalismus sich nicht „in die Breite", sondern „in die Tiefe" entwickle, das heißt, dass die Industrie, mit der fertigen Technik des Auslandes ausgerüstet, zu wenig Proletarier beschäftige, so dass vielleicht die russische Arbeiterklasse numerisch zu schwach für ihre Aufgaben sein möchte.

Und dann, als die kulturelle Existenz des russischen Proletariats für die „Gesellschaft" erst aus den denkwürdigen Veröffentlichungen über den Zulauf der Arbeiter zu den öffentlichen Lesehallen entdeckt wurde, gleichsam wie die Existenz neuer wilder Stämme in den amerikanischen Urwäldern.

Und dann später, als trotz der Existenz der Arbeiterklasse, trotz der großen Streiks nur an die politische Wirksamkeit des studentischen Terrors geglaubt wurde.

Und erst vorgestern, als trotz der enormen sozialistischen Bewegung Russlands im Ausland mit echt doktrinärer Schablonenhaftigkeit vor allem und am meisten im Grunde genommen an die liberale Bewegung des Zarenreichs geglaubt wurde.

Und gestern, als angesichts des Krieges eigentlich wiederum nicht auf die Klassenaktion der russischen Proletarier, sondern auf die Aktion der Japaner alle Hoffnungen gesetzt wurden.

Und im letzten Augenblick, als wieder und immer wieder nicht an die selbständige revolutionäre Politik der sozialdemokratischen Arbeiterklasse, sondern zum mindesten nur an eine Vermischung aller „revolutionären" und „oppositionellen" Parteien in Russland, an eine politische Pastete geglaubt wurde, zu der die proletarische Politik mit allen anderen „aus größeren Gesichtspunkten" und „angesichts des großen Momentes" schleunigst zusammen gebacken werden müsste.

Der 22. Januar hat das Wort zum Fleische werden lassen und das russische Proletariat in selbständiger politischer Revolution vor aller Welt gezeigt. Es ist der Marxsche Geist, der auf den Straßen Petersburgs um die russische Freiheit die erste große Schlacht geschlagen hat, und er ist es, der mit der Notwendigkeit eines Naturgesetzes über kurz oder lang den Sieg erfechten wird.

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