Rosa Luxemburg: Wie die polnische Sonderorganisation die „Einigung" versteht Volkswacht (Breslau), 14. Jahrgang, Nr. 9 (Montag, 12. Januar 1903), S. 3, Sp. 2, verglichen mit der Wiedergabe in Gesammelte Werke, Band 6, Berlin 2014, S. 473 f.] Wir haben neulich auf Grund des Berichts über den polnischen Parteitag im „Vorwärts" das eigentümliche Verhalten der polnischen Sondergruppe in der Frage der Einigung beleuchtet. Der soeben erschienene Bruchteil des Berichts in der „Gazeta Robotnicza" (vom 7. Januar) zeigt aber, dass die Verhandlungen des genannten Parteitags tatsächlich in noch schrofferem Widerspruch zu den vereinbarten Grundlagen der Einigung standen, als man dies nach dem deutschen Bericht annehmen konnte. Aus dem ganzen Vorstandsbericht geht zur Evidenz hervor, dass die polnische Sondergruppe in jeder Hinsicht nach der Einigungskonferenz in demselben Kurs fortzufahren beabsichtigt wie bis jetzt. Nicht nur wird die „Einigung" mit gehässigsten Attacken auf unsere zur Gesamtpartei gehörigen Genossen eingeleitet, auch die „Wiederherstellung Polens" wird als Parteigrundsatz aufrecht erhalten. Wie sehr indes diese Darstellung den wirklichen Verlauf der Einigungskonferenz und der tatsächlichen Auffassung des deutschen Parteivorstands von derselben widerspricht, beweist das folgende offizielle Schreiben, das der genannte Vorstand am 9. Dezember an die Genossen in Posen und Schlesien gerichtet hat. „Zu dem aus den Kreisen der deutschen Genossen laut gewordenen und besonders von den Posener Genossen energisch vertretenen Wunsche, der polnische Parteivorstand möge noch zur Anerkennung des Absatzes 2 der Leitsätze der Genossin Luxemburg und Genossen: Als Programm der Partei gilt das Erfurter Programm. Das Postulat der Unabhängigkeit des polnischen Staates kann nicht als bindendes politisches Programm der Partei gelten und in der Agitation betätigt werden, veranlasst werden, hat der deutsche Parteivorstand folgende Stellung eingenommen: Die in dem Absatz 2 der Luxemburgschen Leitsätze enthaltene Forderung ist bereits in den zwei Zeilen der Leitsätze des deutschen Parteivorstandes: Zugehörigkeit der polnischen Organisation zu der Gesamtpartei Deutschlands, Anerkennung des Parteiprogramms und der Parteiinstanzen enthalten. Wenn die polnische Organisation nur ein integrierender Bestandteil der deutschen Sozialdemokratie ist, gilt für sie natürlich auch nur das deutsche, das heißt das Erfurter Programm. Und da Letzteres von einem unabhängigen polnischen Staate nichts weiß, kann auch nicht von der polnischen Organisation diese Forderung erhoben oder sonst wie betätigt werden. Alle etwaigen von der polnischen Organisation früher gefassten und dem Erfurter Programm zuwiderlaufenden Beschlüsse sind vom Tage der vollzogenen Einigung an null und nichtig. Der deutsche Parteivorstand ist damit mit den Genossen, welche auf die besondere Anerkennung des gedachten Abschnittes der Luxemburgschen Leitsätze Wert legen, völlig einer Meinung, er hält nur die besondere Betonung einer selbstverständlichen Sache für überflüssig." Dies ist die Auffassung des deutschen Parteivorstandes, die den Vertretern der polnischen Sonderorganisation in aller Offenheit und Loyalität mitgeteilt und von diesen ausdrücklich akzeptiert worden ist. Es war notwendig, dies hier öffentlich zu konstatieren, da diese Auffassung auf dem polnischen Parteitag völlig verschwiegen worden ist. Es kann aber nicht geduldet werden, dass die Einigung nur zustande kommt unter der Voraussetzung: Die Polengruppe betreibt ihre nationalistische Agitation unter der Oberfläche fort und die Sozialdemokratische Partei zahlt ihnen dafür Subventionen. Eine Einigung auf solcher Grundlage ist unmöglich. |
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