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Rosa Luxemburg 19030105 Das Blutbad in Tichorezk. Der materielle Erfolg des Rostower Streiks

Rosa Luxemburg: Das Blutbad in Tichorezk.

Der materielle Erfolg des Rostower Streiks

[Leipziger Volkszeitung, Nr. 3 vom 5. Januar 1903. Nach Gesammelte Werke, Band 1/2, Berlin 1970, S. 304 f.]

Erst neuerdings erhält man durch eine Veröffentlichung des Donschen Komitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei eine Darstellung der Niedermetzelung streikender Arbeiter in Tichorezk. Die Rostower Streikbewegung hatte sich auch nach dem Nachbarort Tichorezk verpflanzt, und sechs Tage nach dem Militärmassaker in Rostow suchte man in Tichorezk die Arbeiterbewegung in einem Blutbade zu ersticken. Es war am 30. November, als sich dort eine wilde Kosakenhorde auf eine Arbeiterversammlung warf. Die Arbeiter setzten sich zuerst, dann legten sie sich ganz auf die Erde; aber ihre Hoffnung, dass die Kosaken die Liegenden verschonen würden, war trügerisch: Die Kosaken ritten auf die liegende Menge los und hieben rechts und links hinein. Da erhoben sich die Arbeiter und schlugen die Kosaken zurück. Jetzt ertönen Schüsse. Die Arbeiter laufen auseinander, aber die Kosaken drängen in die Häuser hinein und schlagen auch da die Wehrlosen nieder. Sogar ein Arbeiter, der in der Versammlung nicht anwesend gewesen war und gerade mit zwei Eimern Wasser auf den Schultern nach Hause ging, wurde aus nächster Nähe von einem Kosaken erschossen; ein anderer Kosak drang in die Wohnung eines Arbeiters, und als die Frau den Banditen zurückhalten wollte, zog er den Säbel und zerschnitt ihr mit einer Bewegung den Leib. Außerdem erteilte der Polizeihauptmann den Befehl, alle Arbeiter aus den Eisenbahnkasernen hinauszuwerfen. Eine furchtbare Szene spielt sich ab. Die Habseligkeiten der Arbeiter fliegen auf die Straße, Säuglinge werden durchs Fenster hinausgeworfen, Kisten mit Hab und Gut werden erbrochen und geplündert. Auf dem Kampfplatz liegen abgehauene Körperteile, Leichen und eine große Anzahl Verwundeter.

Nach neuesten Meldungen sind in Tichorezk dreißig Personen getötet worden.

Von den 28 Forderungen, die die Streikenden in Rostow gestellt hatten, sind 25 bewilligt worden. Unerfüllt sind geblieben die Forderungen des Neunstundentages, der Lohnzahlung für die Streikdauer und der Abschaffung der Geldstrafen. Nach den letzten Nachrichten dauert die Gärung unter den Arbeitern noch fort, auch kleinere Versammlungen werden noch abgehalten.

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