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Karl Liebknecht 19110214 Unerhörte Angriffe des Zentrums

Karl Liebknecht: Unerhörte Angriffe des Zentrums

Rede zur Geschäftsordnung und persönliche Bemerkungen in der Debatte zum Etat des Ministeriums des Innern, Kapitel 83, Titel 1

[Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der Abgeordneten, 21. Legislaturperiode, IV. Session 1911, 2. Bd., Berlin 1911, Sp. 1932 f., 1937-1939, 1942]

Vizepräsident Dr. Porsch: (…) Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Meine Herren, eine Abendsitzung wird anberaumt und dauert genau eine Stunde oder vielmehr eine Dreiviertelstunde lang. Was das bedeutet, dass Sie jetzt Schluss machen, darüber ist uns kein Zweifel. Der Schluss ist gemacht worden nach der Rede des Herrn Abgeordneten Gronowski, nach einer Rede, die sich ausschließlich, obwohl das worüber er sprach, gar nicht zum Etat gehörte, mit der Sozialdemokratie - -

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das war nicht mehr zur Geschäftsordnung. Ich möchte bitten, dass Sie zur Geschäftsordnung sprechen.

Liebknecht: Ich bin nun, wie Ihnen bekannt gewesen ist, speziell damit beauftragt gewesen, die Angriffe des Abgeordneten Gronowski gegen meine Partei zurückzuweisen, Angriffe, die unerhörter Art gewesen sind.

(Oho! im Zentrum)

Ich wäre in der Lage gewesen, jedes Wort von ihm, soweit es einen Angriff gegen die Sozialdemokratie enthielt, als eine Entstellung, als eine infame demagogische Lüge – –

(Große Unruhe – Rufe: „Pfui!“ – Glocke das Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Ich rufe Sie zur Ordnung, Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Meine Herren, ich wäre in der Lage gewesen, nachzuweisen, dass die Ausführungen über die Zentrumssozialpolitik und unsere Sozialpolitik, dass seine Ausführungen über den Zentrumston und unsern Ton - -

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, Sie können die Rede, die Sie hätten halten wollen, jetzt nicht zur Geschäftsordnung halten. Ich habe Ihnen schon einen sehr weiten Spielraum mit Rücksicht darauf gegeben, dass Sie vom Wort ausgeschlossen sind. Ich muss Sie aber bitten, Ihre Ausführungen möglichst zusammenzufassen.

Liebknecht: Jene Rede, die direkt darauf zugespitzt war, auf die zu spekulieren, die nicht alle werden, musste in Ihnen den lebhaften Wunsch erwecken, dass sie nicht a tempo die Widerlegung erfahre, die ihr gebührt.

(„Sehr wahr!“ bei den Sozialdemokraten)

Es wäre uns ein Leichtes, ein sehr Leichtes gewesen, an dem Herrn Gronowski eine moralische Züchtigung vorzunehmen.

(Große Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich muss Sie dringend ersuchen, sich zu mäßigen und zur Geschäftsordnung zu sprechen.

Liebknecht: Jemandem, der so angegriffen ist, in einer solchen Weise die Möglichkeit der Verteidigung zu nehmen, das ist ein Verfahren, wie wir es allerdings in diesem Hause schon gelegentlich erfahren haben, das aber verdient, vor allem Lande als das bezeichnet zu werden, was es ist: feig, ehrlos, unanständig.

(Große Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter Liebknecht, ich rufe Sie zum zweiten Mal zur Ordnung wegen Ihrer ganz ungebührlichen Ausdrucksweise.

II

Vizepräsident Dr. Porsch: Zu einer persönlichen Bemerkung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Meine Herren, der Herr Abgeordnete Gronowski hat in seiner Rede irgend etwas nicht ganz Verständliches über die Eindrücke angeführt, die ich angeblich in Amerika gewonnen habe. Ich werde mich gelegentlich darüber auslassen. Ich erkläre jetzt nur – –

(Zuruf aus dem Zentrum: „Hoffentlich!“)

Natürlich! Hoffen Sie nicht zu sehr –. Ich werde darauf zurückkommen; im Augenblick halte ich es nicht für nötig. Ich kann nur feststellen, dass seine Behauptungen in diesem Punkte durchaus schief gewesen sind.

Meine Herren, wenn der Abgeordnete Gronowski gegenüber meiner Kennzeichnung des Beschlusses in Bezug auf den Schluss der Besprechung meinte, dass das Zentrum hiervon nicht betroffen werden könnte, weil es gegen den Schlussantrag gestimmt habe, so darf ich mir die Bemerkung gestatten, dass das Zentrum in diesem Hause Macht und Freunde genug besitzt, – –

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das ist keine persönliche Bemerkung, Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht.

(Zuruf rechts: „Das kann er nicht unterscheiden!“ – Heiterkeit)

Liebknecht: Ich behaupte, dass diese Behauptung des Abgeordneten Gronowski nur als Spiegelfechterei betrachtet werden kann. In der Tat hat das Zentrum es so gewollt, und nur mit seinem Willen konnte es so geschehen,----

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das ist auch keine persönliche Bemerkung, Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Meine Herren, in Bezug auf die Unwahrheit, die Herr Abgeordneter Gronowski wegen des Anlasses seiner Rede hier ausgesprochen hat, und durch die er dann wiederum den Schlussantrag zu rechtfertigen suchte, an dem er angeblich gar nicht beteiligt ist, in Bezug hierauf hat mein Freund Hirsch bereits das Nötige gejagt. Aber ich möchte gerade in Bezug auf diese Bemerkung des Herrn Abgeordneten Gronowski, die gegen mich gerichtet war, darauf hinweisen, dass die kurze Abendsitzung unzweifelhaft beweist – –

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das ist keine persönliche Bemerkung; Sie machen ja allgemeine Ausführungen.

Liebknecht: Nein, ich mache Ausführungen gegen dasjenige, was Herr Abgeordneter Gronowski mir vorgeworfen hat.

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Nein, das ist keine persönliche Bemerkung. Sie können nur richtigstellen, was gejagt worden ist, oder Angriffe zurückweisen; aber Sie machen Ausführungen. Sie beweisen etwas gegen Herrn Abgeordneten Gronowski; das ist in einer persönlichen Bemerkung unzulässig.

Liebknecht: Ich bemerke, dass es trotz alledem dabei bleiben wird, dass dieser Schluss der Sitzung als eine im parlamentarischen Leben noch nicht dagewesene Kneiferei angesehen werden wird. Und wenn Herr Abgeordneter Gronowski schließlich gemeint hat, dass die Charakterisierung, die ich dem Beschlusse des Hauses habe angedeihen lassen, von ihm mit Würde getragen würde – „von ihm", so hat er ausdrücklich gesagt, „nehme ich die Kennzeichnung gern in Anspruch und fühle mich –"

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, Sie können jetzt nicht eine persönliche Bemerkung für den Abgeordneten Gronowski machen; das geht Sie doch nichts an.

Liebknecht: Er hat erklärt, dass die Kennzeichnung, die ich dem Beschluss des Hauses habe angedeihen lassen, von ihm als eine Ehre empfunden wird.

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Das geht aber Sie doch nichts an; das ist doch für Sie seine persönliche Bemerkung.

(Heiterkeit)

Liebknecht: Aber doch, wenn er sagt, dass eine Bemerkung von mir, die beleidigend ist, von ihm als eine Ehre aufgefasst wird, dann habe ich allerdings ein gutes Recht, darauf eine persönliche Bemerkung zu machen.

Vizepräsident Dr. Porsch: Sie können einen Angriff zurückweisen oder etwas richtig stellen, aber Sie können keine Ausführungen machen.

Liebknecht: Das tue ich ja nur. Ich bemerke gegenüber diesem persönlichen Angriff des Abgeordneten Gronowski auf meine Ausführungen, dass darauf das alte Sprichwort zutrifft: Wer hinter dem Ofen gesessen hat, der weiß, wie es dahinter aussieht. Er hat auf die Schläge, die ich der Mehrheit von vorhin, der Rechten, erteilt habe, seinerseits aufgeschrien.

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter, das ist keine persönliche Bemerkung.

Zu einer persönlichen Bemerkung hat das Wort der Abgeordnete Hoffmann.

Liebknecht: Ich bin noch nicht zu Ende.

Vizepräsident Dr. Porsch: Dann muss ich Sie bringend bitten, dass Sie lediglich persönliche Bemerkungen machen. Sie haben jetzt nicht das Wort zu einer Rede.

Liebknecht: Der Abgeordnete Gronowski hat damit ein glattes Schuldeingeständnis abgelegt in Bezug auf den Debattenschluss.

(Glocke des Präsidenten)

Vizepräsident Dr. Porsch: Herr Abgeordneter Dr. Liebknecht, das ist auch keine persönliche Bemerkung. Ich muss Sie bringend ersuchen: wenn der Präsident etwas von Ihnen verlangt so müssen Sie das respektieren, sonst hört alle Ordnung im Hause auf.

(Der Abgeordnete Dr. Liebknecht verlässt die Rednertribüne – Große Heiterkeit im Zentrum und rechts)

III

Vizepräsident Dr. Porsch: Zu einer persönlichen Bemerkung hat das Wort der Abgeordnete Dr. Liebknecht.

Liebknecht: Es scheint so, als ob die eine Bemerkung des Abgeordneten Gronowski, dass ihm seine Volksschulbildung vorgehalten sei, sich auf eine Bemerkung meinerseits beziehen sollte. Was wir dem Abgeordneten Gronowski aber vorwerfen – das kann ich richtigstellen –, ist nicht seine Volksschulbildung, sondern die Sorte von Bildung, die er sich in München-Gladbach1 angeeignet hat.

(„Oh, oh!“ im Zentrum)

1 München-Gladbach war der Sitz des Volksvereins für das katholische Deutschland. Dieser organisierte unter anderem eine breite Versammlungstätigkeit, gab viele Druckerzeugnisse heraus und bildete Funktionäre des Katholizismus aus.

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