Wladimir I. Lenin: Die Partei des Proletariats bei den Wahlen zu den Bezirksdumas [„Prawda" Nr. 56, 26. (13.) Mai 1917. Nach Sämtliche Werke, Band 20.1, Wien-Berlin 1928, S. 486-488] Unsere Partei geht mit selbständigen Listen zur Wahl. Nach den im Sekretariat des ZK vorliegenden vorläufigen Meldungen sind in vier Bezirken von zwölf (Moskowski-, Roschdjestwenski-, Kolpinski- und Porochowskoi-Bezirk) die Listen ohne irgendwelche Blocks aufgestellt worden. In allen übrigen Bezirken haben wir einen Block geschlossen nur mit den Internationalisten, und zwar: in sechs Bezirken (2. Stadtbezirk, Narwski-, Petrogradskaja Storona-, Moskowski-Bezirk, im 1. Stadtbezirk und im Wassileostrowski-Bezirk) mit den „Meschrayonzy"1 (die bekanntlich den Eintritt der Narodniki und der Menschewiki in das Kapitalistenministerium in entschiedenster Weise verurteilt haben); dann in vier Bezirken (Wyborgski-, Newski-, Wassileostrowski-Bezirk und im 1. Stadtbezirk) mit den internationalistischen Menschewiki, den Gegnern des „sozialistischen" Ministerialismus, und in einem Bezirk (Newski) auch mit den Internationalisten aus der Sozialrevolutionären Partei, die den „Ministerialismus" ihrer Partei verurteilen. Eine solche Vereinigung mit den Internationalisten aus anderen Parteien entspricht vollkommen sowohl den Beschlüssen unserer Konferenzen (der Petrograder und der allrussischen) als auch der grundsätzlichen Linie der proletarischen Partei gegen das kleinbürgerliche Oboronzentum und den Ministerialismus der Menschewiki und Narodniki. Die Propaganda eines „linken Blocks", die unter anderem auch die „Nowaja Schisn" treibt, konnte natürlich die Beschlüsse unserer Partei nicht erschüttern. Falsch, grundfalsch ist die Ansicht, dass die Kommunalwahlen „keinen so stark ausgeprägten politischen Charakter tragen" (wie die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung). Ebenso falsch ist, dass die „Kommunalprogramme der einzelnen sozialistischen (??) Parteien sich nur wenig voneinander unterscheiden". Solche merkwürdigen Redensarten nachsprechen, ohne sachlich auf die Argumente der „Prawda" einzugehen, heißt entweder der Erörterung der wichtigsten Frage aus dem Wege gehen oder geradezu kapitulieren. Die Wahlen in der Hauptstadt mitten in der Revolution reduzieren wollen auf ein rein (oder auch nur vorwiegend) „kommunales" Programm – das ist ungeheuer albern. Das ist ein Hohn auf die Erfahrung aller Revolutionen. Das ist ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand der Arbeiter, die sehr gut wissen, dass die Rolle Petersburgs eine führende, manchmal sogar eine entscheidende ist. Die Kadetten vereinigen alle Rechten, die gesamte Konterrevolution, alle Grundbesitzer und Kapitalisten. Sie sind für die Regierung, sie wollen das revolutionäre Petrograd herabdrücken auf die Rolle eines Nachbeters der Regierung der Kapitalisten, die über zehn Minister verfügen gegen sechs Narodniki und Menschewiki. Den Kadetten, den Chauvinisten, den Anhängern des Krieges um die Meerengen steht die Partei des Proletariats gegenüber, die dem Imperialismus unbedingt feindlich gegenübersteht, die allein fähig ist, mit den Interessen des Kapitals zu brechen und ernsthafte revolutionäre Maßnahmen zu ergreifen, ohne die es unmöglich ist, den werktätigen Massen im Augenblick der heranrückenden, bereits unmittelbar drohenden Katastrophe von unermesslichem Umfang zu helfen. Ohne revolutionäre Maßnahmen gibt es keine Rettung. Ohne die Arbeitermiliz als Vorstufe zur sofortigen Bildung einer Volksmiliz ist es unmöglich , selbst bei bestem Willen unmöglich, solche Maßnahmen durchzuführen, ist es insbesondere unmöglich, auch die „Polonaisen" und die Desorganisation der Lebensmittelversorgung zu beseitigen. Die „Mittellinie" aber, die Linie des Kleinbürgertums, der Menschewiki und Narodniki, die fromme Wünsche verkünden und sich durch das Paktieren mit den Kapitalisten und die Unterordnung unter die Kapitalisten (sechs Minister gegen zehn!!) entmannen, diese Linie ist nicht lebensfähig. Die Massen werden sich bald durch die Erfahrung davon überzeugen, selbst wenn sie vorübergehend sich auf das „Paktieren" mit den Kapitalisten verlassen. Wer für die tatsächliche Verwirklichung der Interessen der werktätigen Massen ist, für die Beseitigung der Polizei, für ihre Ersetzung durch eine Volksmiliz, für ernste, revolutionäre Maßnahmen, um das Land aus dem unerhörten Krisenzustand, aus der unerhörten Zerrüttung zu befreien, der muss für die Listen der proletarischen Partei, der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) stimmen. 1 „Zwischenbezirksorganisation der Vereinigten Sozialdemokraten", abgekürzt „Meschrayonzy" genannt. – Die Organisation entstand in Petrograd während des Krieges und existierte bis zum 6. Parteitag der Bolschewiki im Juli 1917, wo sie sich mit der bolschewistischen Partei verschmolz. Die Organisation trug offiziell einen außerfraktionellen Charakter; bis zur Februarrevolution zählte sie etwa 200 organisierte Arbeiter; sie verbreitete Flugblätter und brachte auch zwei Nummern einer illegalen Zeitung „Wperjod" („Vorwärts") heraus. In ihrer Stellung zum Kriege vertraten die „Meschrayonzy" einen internationalistischen Standpunkt und in ihrer Taktik standen sie den Bolschewiki nahe. Im Sommer 1917 gehörten der Organisation der „Meschrayonzy" Trotzki, Lunatscharski, Wolodarski, Uritzki u. a. an. Die Konferenz der „Meschrayonzy", auf der die Vereinigungsfrage behandelt wurde, fand am 23. (10.) Mai 1917 statt. Das bolschewistische Zentralkomitee war auf der Konferenz durch Lenin, Sinowjew und Kamenew vertreten. Die Konferenz lehnte die von Lenin beantragte Resolution ab und nahm die Resolution Trotzkis an. |