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Wladimir I. Lenin 19171007 Die Helden des Schwindels

N. Lenin: Die Helden des Schwindels1

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 6, 20. Oktober 1917, S. 7-10]

Die sog. Demokratische Beratung ist zu Ende. Gott sei dank: noch eine Komödie haben wir hinter uns. Wir kommen doch vorwärts, wenn auch in den Büchern der Geschicke unserer Revolution vorgeschrieben ist, dass wir durch eine gewisse Zahl von Komödien durch müssen

Um die politischen Resultate der Demokratischen Beratung richtig einzuschätzen, muss man ihre Bedeutung im Klassenkampfe, die aus objektiven Tatsachen hervorgeht, festzustellen versuchen.

Die weitere Zersetzung in den Regierungsparteien der Sozialisten-Revolutionäre und der Menschewiki, der für alle offensichtliche Verlust der Mehrheit in der revolutionären Demokratie, der weitere Schritt zur Vereinigung, aber auch zur Demaskierung des Bonapartismus des Herren Kerenski, wie der Herren Zeretelli, Tschernow und Co – das ist die Bedeutung der Beratung.

In den Sowjets haben die Soz.-Rev. und Menschewiki die Mehrheit verloren. Deswegen müssten sie den Weg des Schwindels betreten: sie haben ihre Verpflichtung in drei Mon. einen neuen Kongress aller Sowjets einzuberufen, die Rechenschaft denen, die den Zentralen Vollzugsausschuss gewählt haben, abzulegen, gebrochen und eine „demokratische" Beratung zusammen geschwindelt. Von diesem Schwindel sprachen die Bolschewiki schon vor der Beratung und die Resultate bewiesen, dass sie Recht gehabt haben.

Die Argumente von der Sorte, dass die Genossenschaften „eine große Bedeutung in der Reihe der demokratischen Organisationen haben", wie auch die „rechtmäßig „gewählten Vertreter der Kommunalversammlungen und der Semstwos – all diese Beweise sind so fadenscheinig, dass nur die gröbste Heuchelei sie anzuführen wagen kann.2

Erstens. Der Zentral-Vollzugsausschuss wurde von den Sowjets gewählt und die Ablehnung, ihnen Rechenschaft abzulegen, ist bonapartistischer Schwindel. Zweitens, die Sowjets sind nur insoweit Vertreter der revolutionären Demokratie, in wie weit in ihnen die sitzen, die wirklich den revolutionären Kampf führen wollen. Auch vor den Genossenschaftlern und den Mitgliedern der Kommunalversammlungen sind die Türe nicht geschlossen. Die Herren der Sowjets waren doch auch dieselben Soz.-Rev. und Menschewiki.

Der, der sich auf die Arbeit in den Genossenschaften, in der städtischen Verwaltung beschränkte, verzichtet gutwillig auf seine Stelle in den Reihen der revolutionären Demokratie, er ging in den Lager der konterrevolutionären, oder neutralen Demokratie über. Jeder weiß, dass zu der genossenschaftlichen Arbeit, zu der Kommunalverwaltung nicht nur Revolutionäre gehen, es melden sich auch Reaktionäre, jeder weiß, dass man in Genossenschaften und Munizipalitäten zu keinen Arbeiten von politischer Bedeutung gewählt wird.

So, unter der Hand sich eine kleine Hilfe aus den Reihen der „Jedinstwo"3 und „parteilosen" Reaktionären herauszuziehen – das war das Ziel der Herren Dan, Zeretelli, Tschernow und Co bei dem Schwindel mit der Demokratischen Beratung. Darin besteht ihr Bonapartismus, der sie mit dem Bonapartisten Kerenski verbindet.

Die Bestehlung der Demokratie unter dem Deckmantel der heuchlerischen Aufrechterhaltung der demokratischen Allüren, das ist der Inhalt der Beratung.

Nikolaus der II. stahl der Demokratie sozusagen große Summen: er rief Parlamente ein, in denen die Junker hundertmal mehr Vertreter hatten als die Bauern. Die Dans und Zeretellis treiben kleinen Diebstahl: sie rufen eine „Demokratische Beratung" ein, in der die Arbeiter und die Bauern mit Recht sich beklagen, dass ihre Vertretung gekürzt wurde zu Gunsten der Bourgeoisie und der reaktionären Demokratie am nächsten stehenden Elementen: der Genossenschaften und Munizipalitäten. Mit den Arbeiter- und armen Bauernmassen haben die Herren Liber, Dan und Zeretelli gebrochen, von denen rücken sie ab. Ihr Heil suchen sie jetzt im Schwindel, hier ist auch der Rettungsseil „ihres" Kerenski.

Die Klassenscheidung schreitet vorwärts. Im Innern der Parteien der Soz.-Rev. und Menschewiki wächst der Protest und reift die Spaltung infolge des Verrats der „Führer" an den Interessen der Mehrheit. Die Führer stützen sich auf die Minderheit – im Gegensatz zu den Grundsätzen der Demokratie. Die Folge muss die Politik des Schwindels sein.

Kerenski offenbart sich immer mehr als Bonapartist. Erst nannte er sich selbst Sozialist-Revolutionär. Jetzt stellt es sich heraus, dass er ein „März"-Sozialist4 ist, der aus dem Lager der Trudowiki, der Reklame wegen herüber tänzelte Er ist Anhänger der Breschko-Breschkowskaja, dieser „Madame Plechanow" unter den Soz.-Rev., dieser „Madame Potressow" aus dem Djen. Der sog. „rechte" Flügel der sog. „sozialistischen" Partei der Plechanow, Breschkowskaja, Potressow das ist die Kumpanei des Herren Kerenski und dieser Flügel unterscheidet sich in nichts von den Kadetten

Kerenski loben die Kadetten. Er führt ihre Politik, er berät hinter dem Rücken des Volkes mit ihnen und mit Rodsjanko. Tschernow hat nachgewiesen, dass er unter einer Decke mit Sawinkow – dem besten Freunde Kornilow – steckte. Kerenski ist auch ein Anhänger Kornilows, der sich zufälliger Weise mit Kornilow überwarf: Kerenski bleibt in intimsten Bunde mit anderen Kornilowabenteurern. Das ist eine Tatsache, die einerseits die Erklärungen Sawinkows und das Djelo Naroda, anderseits das von Neuem beginnende Spiel Kerenskis mit den Kornilowleuten unter dem neuen Titel „Handels und Industrieklasse", beweisen.

Geheime Abmachungen mit den Kornilow-Verschwörern, geheime Kumpanei (durch Tereschtschenko & Co) mit den „alliierten" Imperialisten, geheime Verschiebung und Sabotage der Konstituierenden Versammlung, geheimer Betrug an den Bauern der schönen Augen des Herrn Rodsjankos wegen (die Verdoppelung der Maximalpreise auf Brot, damit ist Herr Kerenski in Wirklichkeit beschäftigt. Das ist seine Klassenpolitik. Darin besteht sein Bonapartismus).

Und die Anwesenheit der Bolschewiki bei diesem niederträchtigen Schwindel, dieser Komödie kann einzig und allein nur in derselben Welse gerechtfertigt werden, wie unsere Anwesenheit in der dritten Duma: auch in einem Schweinestall müssen wir unserer Sache dienen, und aus dem Schweinestall dem Volke zu Belehrung Material sammeln.

Der Unterschied besteht nur darin, dass die dritte Duma in einer Periode des offensichtlichen Niederganges der Revolution einberufen wurde, jetzt aber naht eine revolutionäre Welle.

Besonders charakteristisch ist meiner Ansicht nach die Rede des früheren Justizministers Sarudny. Er erzählt, es genügte, dass Kerenski nur „andeutete", dass die Regierung reorganisiert sein soll – und alle Minister reichten ihre Rücktrittsgesuche ein. „Den anderen Tag“ – so erzählt der naive, kindisch-naive (gut wenn nur naive) Sarudny – „den nächsten Tag, unbeachtet unseres Rücktritts wurden wir zusammengerufen, man beriet mit uns, endlich entließ man uns". „In dem Saal allgemeine Heiterkeit", notieren auf dieser Stelle die offiziellen „Iswestija".

Lustige Leute, diese Herren Helfershelfer an dem bonapartistischen Betruge der Volksmassen durch die „Republikaner". Aber Spaß beiseite! „Von Anfang an“ – erzählt weiter Sarudny– „hörten wir zwei Sachen: die Hebung der Kampfestüchtigkeit der Armee und die Beschleunigung des Friedens auf demokratischer Basis. Nun, was den Frieden anbelangt, so weiß ich nicht, so lange ich Mitglied der Regierung war, ob die Prov. Regierung irgend welche Schritte in dieser Hinsicht getan hat. Ich habe es allerdings nicht gesehen. (Beifall und eine Stimme: „nichts haben sie getan", verzeichnen die Iswestija) Als ich in meinem Charakter des Mitglieds der Regierung mich über diese Frage erkundigte, bekam ich nie Antwort…"

So sprach Sarudny, nach dem Bericht des Offiziosus „Iswestija". Und die Beratung hört ruhig zu, lässt es über sich ergehen, unterbricht nicht den Redner sprengt nicht die Sitzung, stellt nicht auf der Stelle die Frage der unverzüglichen Demission Kerenskis und der Regierung! Sehr schön, meine Herren, aber möchten sie mir vielleicht zeigen, worin der Unterschied zwischen einem „revolutionären Demokraten" und einem Lakaien besteht?

Dass Lakaien imstande sind, heiter zu lachen, wenn „ihr" Minister, mit einer seltenen Dosis Naivität oder Stumpfsinn begnadet, ihnen erzählt, wie Herr Kerenski die Minister auseinander jagt (um hinter den Rücken des Volkes und „ohne überflüssige Zuschauer" mit den Kornilowhelden verhandeln zu können), das ist natürlich. Das Lakaien schweigen, wenn „ihr" Minister, der angeblich das allgemeine Gedresch über den Frieden ernst nahm und die Heuchelei nicht merkte, erklärt, dass er nicht einmal eine Antwort auf seine Fragen über reelle Schritte zur Erlangung des Friedens bekam, auch das ist nicht zu verwundern. Denn so ziemt es sich den Lakaien, sich von der Regierung betrügen zu lassen. Aber was hat damit die „Demokratie" und noch dazu die „revolutionäre" zu tun?

Und hier will ich die Fehler der Bolschewiki beleuchten. Es ist ein Fehler in einem solchen Moment sich mit ironischen Beifall und Zurufen zu begnügen.

Das Volk ist müde der Unentschlossenheit und Verschleppung. Die Unzufriedenheit wächst Die wichtigste Frage der reaktionären Demokraten, aller dieser Liber, Dan, Zeretelli und Co ist, die Aufmerksamkeit des Volkes durch die komödienhafte Beratung abzulenken, das Volk durch diese neue Farce zu „beschäftigen", die Bolschewiki von der Masse abzuschneiden, indem die Zeit der bolschewistischen Delegierten durch eine so unwürdige Beschäftigung, wie das Zuhören den Herren Sarudny, vertrödelt wird. Und die Sarudny sind noch die besten!

Die Bolschewiki müssten weggehen zum Zeichen des Protestes. Sie müssten den Komödiensaal verlassen, um nicht zur Ablenkung der Aufmerksamkeit des Volkes von wichtigen Fragen durch die „Beratung" beizutragen.

Die Bolschewiki sollten in die Fabriken und Kasernen gehen. Dort war der richtige Platz für all die Delegierten, die aus allen Enden Russlands kamen und nach der Rede Sarudnys den ganzen Abgrund der Fäulnis der Soz.-Rev. und Menschewiki sahen. Dort in nächster Nähe der Massen sollten sie in Hunderten und Tausenden von Versammlungen die Massen belehren, was die komödienhafte Beratung gezeitigt hat.

Zehn aufgeklärte Soldaten und Arbeiter aus einer zurückgebliebenen Fabrik sind tausendmal mehr wert als Hunderte zusammen geschwindelte Delegierten der Herren Liber und Dan. Die Ausnutzung des Parlamentarismus, besonders in einer revolutionären Zeit, besteht gar nicht darin, dass man die teure Zeit vertrödelt in Diskussionen mit den Vertretern der Fäulnis, sondern darin, die Massen zu belehren, indem man ihnen die Resultate der Fäulnis vor die Augen stellt.

1 Der Artikel des Gen. Lenin wurde abgesandt vor der Bildung der neuen Regierung.

(Red. Bote.)

2 Die Zeretelli & Co. begründeten die Einberufung der Demokratischen Beratung an Stelle des Kongresses der Sowjets mit der Notwendigkeit, die Genossenschaften, Kommunalverwaltungen und andere m den Sowjets nicht vertretenenen demokratische Institutionen einzuladen.

Red.

3 „Jedinstwo" ist die Organisationen der Plechanowleute

4 Märzsozialisten nennt man die, die erst nach dem Sieg der Revolution im März sich als Sozialisten bekannten.

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