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Wladimir I. Lenin 19150000 Zur Frage der Dialektik

Wladimir I. Lenin: Zur Frage der Dialektik

[Das Fragment „Zur Frage der Dialektik" bildet einen Teil der bisher unveröffentlichten, im Moskauer Lenin-Institut befindlichen philosophischen Hefte Lenins, die eine Reihe von Notizen und Auszügen über Naturwissenschaft und Philosophie enthalten. Das vorliegende Fragment wurde vermutlich in der Zeit zwischen 1912 und 1914 abgefasst. {Die „Werke“, Band 38, datieren den Text mit 1915.} In deutscher Sprache erschien es bereits in der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus", 1. Jahrg., 1925, Heft 2. Nach Sämtliche Werke, Band 13, Berlin 1927, S. 373-379]

Spaltung des Einheitlichen und Erkenntnis seiner widerspruchsvollen Bestandteile [siehe Zitat aus Philon über Heraklit am Anfang von Teil III (über die „Erkenntnis") des „Heraklit" von Lassalle1] ist das Wesen (eine der „Wesenheiten", eines der grundlegenden, wenn nicht das grundlegende Merkmal oder der Hauptzug) der Dialektik. So stellt auch Hegel die Frage (Aristoteles2 ringt damit beständig in seiner „Metaphysik" und bekämpft Heraklit bzw. die Ideen Heraklits).

Die Richtigkeit dieser Seite des Inhaltes der Dialektik muss an der Hand der Geschichte der Wissenschaft geprüft werden. Dieser Seite der Dialektik wird gewöhnlich (z. B. bei Plechanow) nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet: die Identität der Gegensätze wird als Summe von Beispielen genommen („z.B. Same", „z. B. Urkommunismus", – wie das auch Engels tut3, doch nur aus Gründen der Popularisierung), nicht aber als Gesetz des Erkennens (und Gesetz der objektiven Welt).

In der Mathematik: + und –. Differential und Integral.

In der Mechanik: Wirkung und Gegenwirkung.

In der Physik: Positive und negative Elektrizität.

In der Chemie: Verbindung und Dissoziation der Atome.

In der Gesellschaftswissenschaft: Klassenkampf.

Identität der Gegensätze (vielleicht richtiger: deren „Einheit", obwohl der Unterschied der Ausdrücke „Identität" und „Einheit" hier nicht besonders wesentlich ist; in gewissem Sinne sind beide richtig4) bedeutet Anerkennung (Aufdeckung) der widerspruchsvollen, einander ausschließenden, entgegengesetzten Tendenzen für alle Erscheinungen und Vorgänge der Natur (Geist und Gesellschaft inbegriffen). Bedingung der Erkenntnis aller Weltvorgänge in ihrer „Selbstbewegung", in ihrer spontanen Entwicklung, in ihrem lebendigen Sein ist die Erkenntnis derselben als Einheit der Gegensätze. Entwicklung ist „Kampf" der Gegensätze. Die beiden grundlegenden (oder möglichen? oder in der Geschichte zu beobachtenden) Auffassungen der Entwicklung (Evolution) sind: Entwicklung als Verkleinerung und Vergrößerung, als Wiederholung; und Entwicklung als Einheit der Gegensätze (Spaltung des Einheitlichen in einander ausschließende Gegensätze und deren gegenseitige Beziehung).

Die erste Auffassung ist tot, arm, trocken, die zweite lebendig. Nur die zweite liefert den Schlüssel zum Verständnis der „Selbstbewegung" alles Seienden; nur sie liefert den Schlüssel zum Verständnis der „Sprünge", der „Unterbrechung im Aufeinander", der „Verwandlung in das Gegenteil", der Vernichtung des Alten und Entstehung des Neuen.

Die Einheit (Zusammenfallen, Identität, Wirkungsgleichheit) der Gegensätze ist bedingt, temporär, vergehend, relativ. Der Kampf der sich gegenseitig ausschließenden Gegensätze ist absolut, wie die Entwicklung, die Bewegung absolut ist.

N. B. Der Unterschied zwischen Subjektivismus (Skeptizismus, Sophistik usw.) und Dialektik besteht u. a. darin, dass in der (objektiven) Dialektik auch der Unterschied zwischen Relativem und Absolutem selbst relativ ist. Für die objektive Dialektik ist auch im Relativen Absolutes enthalten. Für den Subjektivismus und die Sophistik ist das Relative nur relativ und schließt das Absolute aus.

Bei der ersten Auffassung der Bewegung tritt die Selbstbewegung, deren treibende Kraft, deren Quelle, deren Motiv (oder diese Quelle wird nach außen verlegt – Gott, Subjekt usw.) in den Schatten. Bei der zweiten Auffassung richtet sich das Hauptaugenmerk gerade auf die Erkenntnis der Quelle der „Selbst"-bewegung.

Marx analysiert im „Kapital" zunächst das einfachste, gewöhnlichste, grundlegendste, massenmäßigste, alltäglichste, milliardenfach zu beobachtende Verhältnis der bürgerlichen Warengesellschaft: den Warenaustausch. Die Analyse deckt in dieser einfachsten Erscheinung (in dieser „Zelle" der bürgerlichen Gesellschaft) alle Widersprüche (bzw. die Keime aller Widersprüche) der modernen Gesellschaft auf. Die weitere Darstellung zeigt uns die Entwicklung (sowohl Wachstum wie Bewegung) dieser Widersprüche und dieser Gesellschaft in der Summe ihrer Grundbestandteile, von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende.

Dies muss nun die Methode der Darstellung (bzw. des Studiums) der Dialektik überhaupt sein (denn die Dialektik der bürgerlichen Gesellschaft bei Marx ist nur ein besonderer Fall der Dialektik überhaupt) … Beginnen mit dem Einfachsten, Gewöhnlichsten, Massenhaftesten usw., mit beliebigen Aussagen, wie: die Blätter des Baumes sind grün, Johann ist ein Mensch, der Spitz ist ein Hund u. a. Schon hier (wie Hegel genial erkannt hat) haben wir eine Dialektik: Einzelnes ist Allgemeines. (Vgl. dazu Aristoteles, „Metaphysik", übersetzt von Schwegler, Bd. II, 8, 40, 3. Buch 4, Kapitel 8 u. 9, „denn natürlich kann man nicht der Meinung sein, dass es ein Haus" [ein Haus überhaupt] „gebe außer den sichtbaren Häusern".5)

Somit sind Gegensätze (das Einzelne ist dem Allgemeinen entgegengesetzt) identisch: das Einzelne existiert nicht anders als in dem Zusammenhang, der zum Allgemeinen führt. Das Allgemeine existiert nur im Einzelnen, durch das Einzelne. Jedes Einzelne ist (auf die eine oder andere Art) Allgemeines. Alles Allgemeine bildet ein Teilchen oder eine Seite oder das Wesen des Einzelnen. Alles Allgemeine umfasst alle einzelnen Dinge lediglich annähernd. Alles Einzelne geht in das Allgemeine nur unvollständig ein usw. usw. Alles Einzelne hängt durch Tausende von Übergängen mit einer anderen Art Einzelner (Dinge, Erscheinungen, Vorgänge) zusammen usw. Hier bereits finden sich Elemente, Keime, Begriffe der Notwendigkeit, des objektiven Zusammenhanges in der Natur usw. Zufälliges und Notwendiges, Erscheinung und Wesen sind schon hier vorhanden, denn wenn wir sagen: Johann ist ein Mensch, der Spitz ist ein Hund, dies ist ein Baumblatt usw., so lassen wir eine Reihe von Merkmalen als zufällige beiseite, sondern das Wesentliche vom bloß Erscheinenden und stellen sie einander gegenüber.

Auf diese Weise kann man (und soll man) in jeder beliebigen Aussage, wie in einer „Zelle", die Keime aller Elemente der Dialektik aufdecken und so zeigen, dass die Dialektik überhaupt der gesamten menschlichen Erkenntnis eigen ist. Und die Naturwissenschaft zeigt uns (und das muss wiederum an einem beliebigen einfachen Beispiele demonstriert werden) die objektive Natur mit denselben Eigenschaften, Verwandlung des Einzelnen in das Allgemeine, des Zufälligen in das Notwendige, die Übergänge, die Transgressionen, den gegenseitigen Zusammenhang der Gegensätze. Die Dialektik ist eben die Erkenntnistheorie (Hegels und) des Marxismus. Gerade diese Seite der Sache (es handelt sich hier nicht um die „Seite", sondern um das Wesen der Sache) ließ Plechanow unbeachtet, von anderen Marxisten ganz zu schweigen.

Die Erkenntnis stellt in Form eines Systems von Kreisen sowohl Hegel6 (vgl. Logik) als auch der moderne „Erkenntnistheoretiker" der Naturwissenschaft, der Eklektiker und Gegner der Hegelei (die er nicht begriffen hat), Paul Volkmann (vgl. dessen „Erkenntnistheoretische Grundzüge der Naturwissenschaft"7), dar.

(Ist Chronologie erforderlich? Nein!)

Kreise" der Philosophie: der Antike: von Demokrit bis zu Plato und zur Dialektik Heraklits;

der Renaissance: Descartes versus Gassendi (Spinoza?);

der Neuzeit: Holbach – Hegel über Berkeley, Hume, Kant;

Hegel – Feuerbach – Marx.

Die Dialektik als eine lebendige, vielseitige (bei ewig zunehmender Zahl von Seiten) Erkenntnis mit einer Unzahl von Schattierungen jeglicher Art, Schattierungen der Annäherung an die Wirklichkeit (mit einem philosophischen System, das sich aus jeder Schattierung zu einem Ganzen auswächst), – dies der unermesslich reiche Inhalt, verglichen mit dem „metaphysischen" Materialismus, dessen Haupt übel in der Unfähigkeit besteht, die Dialektik auf die Bildertheorie, auf den Prozess und auf die Entwicklung der Erkenntnis anzuwenden.

Der philosophische Idealismus ist nur vom Standpunkt des groben, einfachen metaphysischen Materialismus Unsinn. Umgekehrt ist vom Standpunkte des dialektischen Materialismus der philosophische Idealismus eine einseitige, übertriebene, überschwängliche (Dietzgen) Entwicklung (Aufblähung, Aufschwellung) eines der Züge, einer der Seiten, einer der Grenzen der Erkenntnis zum von der Materie, von der Natur losgelösten, vergötterten Absoluten. Idealismus bedeutet Pfaffentum. Stimmt! Doch ist der philosophische Idealismus („richtiger gesagt" und „außerdem") ein Weg zum Pfaffentum über eine der Schattierungen der unendlich verwickelten Erkenntnis des (dialektischen) Menschen.

Die Erkenntnis des Menschen ist nicht (bzw. beschreibt nicht) eine gerade Linie, sondern eine Kurve, die sich dem System der Kreise, einer Spirale, unendlich nähert. Jedes Bruchstück, jeder Splitter, jedes Stückchen dieser Kurve kann verwandelt werden (einseitig verwandelt werden) in eine selbständige, ganze, gerade (Linie), die, wenn man vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, dann in den Sumpf, zum Pfaffentum führt (wo sie das Klasseninteresse der herrschenden Klassen verankert). Gradlinigkeit und Einseitigkeit, Hölzernheit und Verknöcherung, Subjektivismus und subjektive Blindheit, voilà die erkenntnistheoretischen Wurzeln des Idealismus. Das Pfaffentum (= philosophischer Idealismus) aber besitzt natürlich erkenntnistheoretische Wurzeln, ist nicht ohne Boden. Es ist unstreitig eine taube Blüte, aber eine taube Blüte, die am lebendigen Baum der lebendigen, fruchtbaren, wahren, machtvollen, allmächtigen, objektiven, absoluten menschlichen Erkenntnis blüht.


1 Die zitierte Stelle findet sich auf S. 400 von „Ferdinand Lassalles gesammelten Reden und Schriften", Bd. 8 (herausgegeben von E. Bernstein 1920) und lautet: „Denn das eine ist das aus zwei Gegenteilen Bestehende, so dass, wenn es entzwei geschnitten wird, die Gegenteile erkennbar werden."

2 So sagt Aristoteles gegen Heraklit, dass dessen Prinzip: „Sein oder Nichtsein sei ein und dasselbe", dem Satze des Widerspruchs zuwiderlaufe. An anderer Stelle sagt er, dass nach der Philosophie des Heraklit nicht sowohl alles sei, als gar nichts sei. Endlich kritisiert er Heraklit folgendermaßen: „Denen, welche da sagen, dass das Sein und Nichtsein zugleich sei, passiert es, dass sie hierin vielmehr sagen, alles sei in Ruhe, als in Bewegung befindlich; denn es ist gar nicht vorhanden, wohinein sich etwas umwandle, da alles schon jedem zukommt". Aristoteles meint, dass, da nach Heraklit jedes Ding ist und nicht ist, also beide Momente des Gegensatzes schon in sich enthält, deren Einheit ist, keine Bewegung von einem Gegensatz zu dem anderen stattfinden kann.

3 In seinem Werke: „Zur Frage der Entwicklung der monistischen Geschichtsauffassung" erläutert Plechanow zwei Stellen aus Engels' „Anti-Dühring". Die eine lautet:

Nehmen wir ein Gerstenkorn. Billionen solcher Gerstenkörner werden vermahlen, verkocht und verbraut, und dann verzehrt. Aber findet solch ein Gerstenkorn die für es normalen Bedingungen vor, fällt es auf günstigen Boden, so geht unter dem Einfluss der Wärme und der Feuchtigkeit eine eigene Veränderung mit ihm vor, es keimt; das Korn vergeht als solches, wird negiert, an seine Stelle tritt die aus ihm entstandene Pflanze, die Negation des Korns. Aber was ist der normale Lebenslauf dieser Pflanze? Sie wächst, blüht, wird befruchtet und produziert schließlich wieder Gerstenkörner, und, sobald diese gereift, stirbt der Halm ab, wird seinerseits negiert. Als Resultat dieser Negation der Negation haben wir wieder das anfängliche Gerstenkorn, aber nicht einfach, sondern in zehnj, zwanzig-, dreißigfacher Anzahl." („Anti-Dühring", S. 138.)

An der anderen Stelle führt Engels Rousseaus Ideen als Beispiel einer dialektischen Denkweise an und zeigt, dass nach Rousseau die gesellschaftliche Entwicklung antagonistisch verlaufe.

Im Zustand der Natur und der Wildheit waren die Menschen gleich; und da Rousseau schon die Sprache als eine Fälschung des Naturzustandes ansieht, so hat er vollkommen Recht, die Gleichheit der Tiere einer Art, soweit diese reicht, auch auf diese, neuerdings von Haeckel als Alali, Sprachlose, hypothetisch klassifizierten Tiermenschen anzuwenden. Aber diese gleichen Tiermenschen hatten vor den übrigen Tieren eine Eigenschaft voraus: die Perfektibilität, die Fähigkeit, sich weiter zu entwickeln: und diese wurde die Ursache der Ungleichheit. Rousseau sieht also in der Entstehung der Ungleichheit einen Fortschritt. Aber dieser Fortschritt war antagonistisch, er war zugleich ein Rückschritt… Jeder neue Fortschritt der Zivilisation ist zugleich ein neuer Fortschritt der Ungleichheit. Alle Einrichtungen, die sich die mit der Zivilisation entstandene Gesellschaft gibt, schlagen in das Gegenteil ihres ursprünglichen Zwecks um. ,Es ist unbestreitbar, und Grundgesetz des ganzen Staatsrechts, dass die Völker sich Fürsten gegeben haben, um ihre Freiheit zu schützen, nicht aber sie zu vernichten.' Und dennoch werden diese Fürsten mit Notwendigkeit die Unterdrücker der Völker und steigern diese Unterdrückung bis auf den Punkt, wo die Ungleichheit, auf die äußerste Spitze getrieben, wieder in ihr Gegenteil umschlägt, Ursache der Gleichheit wird: vor dem Despoten sind alle gleich, nämlich gleich null… Und so schlägt die Ungleichheit wieder um in Gleichheit, aber nicht in die alte naturwüchsige Gleichheit der sprachlosen Urmenschen, sondern in die höhere des Gesellschaftsvertrages." (Ebenda, S. 142 u, 143.)

Diese zwei Stellen verteidigt Plechanow gegen die Angriffe des subjektiven Soziologen K. Michailowski.

4 Man kann die „Einheit" der Gegensätze als Identität der Gegensätze auffassen. Lenin erläutert hier, wann dies der Fall ist. Falsch ist es, wenn man diese Identität so deutet, dass man meint, dass in den ursprünglich einheitlichen, gegensatzlosen Erscheinungen die Gegensätze erst allmählich entstehen, um dann in der „Synthese" wieder zu verschwinden. Demgegenüber setzt Lenin die Heraklitische Ansicht wieder in ihre Rechte ein, wonach jede Erscheinung die Einheit der Gegensätze in sich schließt, die jedoch als Gegensätzliches erst erkennbar wird, „nachdem es", wie es bei Heraklit heißt, „entzwei geschnitten wird", d. h. wenn die Gegensätze die dialektische Einheit zu sprengen drohen. Bis zu dieser Phase kann man in „gewissem Sinne" von Identität der Gegensätze sprechen, sofern man darunter nur nicht das Fehlen von Gegensätzen versteht.

Es sei hier besonders betont, dass Lenin hier die Dialektik ausdrücklich auch auf die Natur und die Naturerkenntnis ausdehnt, was einige idealistisch orientierte „Marxisten" leugnen.

5 Hegel, „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften", 2. Aufl., S. 162.

Gewöhnlich denkt man beim Urteil zuerst an die Selbständigkeit der Extreme, des Subjekts und Prädikats, dass jenes ein Ding oder eine Bestimmung für sich, und ebenso das Prädikat eine allgemeine Bestimmung außer jenem Subjekt etwa in meinem Kopfe sei, – die dann von mir mit jener zusammengebracht, und hiermit geurteilt werde… Das abstrakte Urteil ist der Satz: das Einzelne ist das Allgemeine. Dies sind die Bestimmungen, die das Subjekt und Prädikat zunächst gegeneinander haben, indem die Momente des Begriffs in ihrer unmittelbaren Bestimmtheit oder ersten Abstraktion genommen werden Es ist für einen verwundernswürdigen Mangel an Beobachtung anzusehen, das Faktum in den Logiken nicht angegeben zu finden, dass in jedem Urteil solcher Satz ausgesprochen wird: das Einzelne ist das Allgemeine, oder noch bestimmter: das Subjekt ist das Prädikat (z. B. Gott ist absoluter Geist). Freilich sind die Bestimmungen Einzelheit und Allgemeinheit, Subjekt und Prädikat auch unterschieden, aber darum bleibt nicht weniger das ganz allgemeine Faktum, dass jedes Urteil sie als identisch aussagt."

6 Hegel: „Logik", II. Teil, S. 503.

Auf diese Weise ist es, dass jeder Schritt des Fortgangs im Weiterbestimmen, indem er von dem unbestimmten Anfang sich entfernt, auch eine Rückannäherung zu demselben ist, dass somit das, was zunächst als verschieden erscheinen mag, das rückwärtsgehende Begründen des Anfangs, und das vorwärtsgehende Weiterbestimmen desselben ineinander fällt und dasselbe ist. Die Methode, die sich hiermit in einen Kreis schlingt…"

Vermöge der aufgezeigten Natur der Methode stellt sich die Wissenschaft als ein in sich geschlungener Kreis dar, in dessen Anfang, den einfachen Grund, die Vermittlung das Ende zurück schlingt; dabei ist dieser Kreis ein Kreis von Kreisen; denn jedes einzelne Glied, als Beseeltes der Methode, ist die Reflektion-in-sich, die, indem sie in den Anfang zurückkehrt, zugleich der Anfang eines neuen Gliedes ist."

7 In der hier im Zusammenhang mit der „Kreisbewegung" der Erkenntnis von Lenin erwähnten Schrift Paul Volkmanns, „Erkenntnistheoretische Grundzüge der Naturwissenschaften" (2. Aufl., Leipzig, B. G. Teubner, 1910) kommen offenbar folgende Stellen in Betracht:

So möchte ich denn der äußeren Anpassung (d. h. der Anpassung des Subjekts an das Objekt. Die Red.), an welche diese Betrachtung angeknüpft ist, eine innere Anpassung gegenüberstellen. Entspricht der äußeren Anpassung das Bild der Oszillation (Schwingung), so möchte der inneren Anpassung das Bild des Kreislaufs entsprechen. In diesem Sinne sagt Liebig: ,Der Fortschritt ist eine Kreisbewegung, in welchem sich der Radius verlängert.' In diesem Sinne zeichnet Leibniz das Bild der Spirale und schreibt darunter: ,inclinita resurgit'." (S. 35.)

Ferner:

Der Erkenntnisprozess ist und bleibt eben ein oszillierender (schwingender) und asymptotischer (sich allmählich nähernder). Dem Fernstehenden mag in vielen Fällen eine derartige Behandlung, die im letzten Grunde auf einer ständigen Durchdringung der Induktion und Deduktion beruht, als ein circulus vitiosus erscheinen. Die fortschreitende naturwissenschaftliche Erkenntnis bewegt sich in vielen Fällen allerdings in einem Kreise – aber dies doch wesentlich in dem Sinne, dass jeder neue Kreislauf der Erkenntnis mit einer Fülle von Präzisionen und Berichtigungen verbunden ist." (S. 359.)

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