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Wladimir I. Lenin 19140310 Über A. Bogdanow

Wladimir I. Lenin: Über A. Bogdanow

[„Putj Prawdy“, Nr. 21, 25. Februar/10. März 1914. Nach Sämtliche Werke Band 17, Moskau-Leningrad 1935, S. 277-280]

Die Redaktion erhielt einen von dreizehn „linken Bolschewiki“ unterzeichneten und mit der Überschrift „Tiflis-Kaukasus“ versehenen Brief mit der Anfrage, wie sich die Redaktion zur Mitarbeit A. Bogdanows verhalte. Die Verfasser des Briefes bezeichnen sich als „ideelle Anhänger der ,Wperjod‘-Gruppe“, und ihr Ton ist unserer Zeitung gegenüber offenkundig und bestimmt feindlich.

Dessen ungeachtet halten wir es für nötig, uns ein für allemal mit ihnen auseinanderzusetzen.

Warum ist die Mitarbeit A. Bogdanows an den Arbeiterzeitungen und -zeitschriften, die auf dem Standpunkt des konsequenten Marxismus stehen, unmöglich geworden? Darum, weil A. Bogdanow kein Marxist ist.

Die Verfasser des Briefes beschreiten den Weg, den ihnen Bogdanow in seinem Briefe in der Zeitung der Liquidatoren selbst vorgezeigt hat, und suchen die Erklärung für das Verschwinden der Arbeiten A. Bogdanows aus den Spalten unserer Zeitungen in irgendwelchen persönlichen Beziehungen, in der Ränkesucht einzelner Personen usw. Alles das ist gehäufter Unsinn, der weder untersucht noch erklärt zu werden verdient. Die Sache ist weit einfacher und klarer.

Wenn sich die Verfasser des Briefes nicht für „Persönlichkeiten“, sondern für die Geschichte der organisatorischen und ideologischen Beziehungen unter den Marxisten interessierten, so wüssten sie, dass schon im Mai 1909 eine zuständige Versammlung der Bolschewiki nach vorausgegangener gründlicher und langer Diskussion die Verantwortung für die literarisch-politische Tätigkeit A, Bogdanows abgelehnt hat. Wenn die Verfasser des Briefes dem spießbürgerlichen Klatsch und Gerede weniger Bedeutung beimäßen und mehr mit dem ideologischen Kampfe unter den Marxisten rechneten, so wüssten sie, dass A. Bogdanow im seinen Büchern ein bestimmtes sozial-philosophisches System geschaffen hat und dass sich alle Marxisten ohne Unterschied der Fraktion gegen dieses System als ein nichtmarxistisches und antimarxistisches ausgesprochen haben. Alle, die sich für die Geschichte des Marxismus und der Arbeiterbewegung in Russland interessieren, wissen, und wer es nicht weiß, soll sich darüber unterrichten, soll darüber lesen und so erfahren, dass hinter der Frage der Mitarbeit A. Bogdanows an einer Arbeiterzeitung die wesentlichere, prinzipielle Frage nach dem Verhältnis zwischen der Philosophie von Marx und der Lehre A. Bogdanows steht. Diese Frage ist in Büchern, Broschüren und Artikeln untersucht, behandelt, durchgekaut worden. Der politische Standpunkt gegenüber der Mitarbeit dieses oder jenes Literaten an der Arbeiterpresse besteht darin, darüber nicht vom Standpunkt des Stils, des Scharfsinns, des Popularisierungstalents des in Frage stehenden Schriftstellers, sondern vom Gesichtspunkt seiner Richtung im Ganzen, von dem Gesichtspunkt zu urteilen, was er mit seiner Lehre in die Arbeitermassen hinein trägt. Die Marxisten sind überzeugt, dass die literarische Tätigkeit A. Bogdanows als Ganzes genommen auf den Versuch hinausläuft, dem Proletariat übertünchte idealistische Vorstellungen bürgerlicher Philosophen einzuimpfen.

Wenn irgend jemand glaubt, dass dem nicht so sei, dass im Streite um die philosophischen Grundlagen des Marxismus nicht Plechanow, nicht Iljin, sondern Bogdanow im Recht sei, so soll er auch mit einer Verteidigung des Bogdanowschen Systems und nicht mit Hinweisen darauf hervortreten, dass der eine oder andere populäre Artikel Bogdanows in den Spalten der Arbeiterpresse Raum finden könne. Doch kennen wir unter den Marxisten keine Verfechter des Bogdanowschen Systems. Gegen seine Lehre haben sich nicht nur seine „Fraktions“-Gegner, sondern auch seine ehemaligen Mitarbeiter von der politischen Gruppe, der er angehörte, gewandt.

So steht die Sache mit Bogdanow. Die Marxisten haben seine Versuche, den Marxismus „abzuändern“ und zu „verbessern“, untersucht und dabei festgestellt, dass sie dem Geiste der modernen Arbeiterbewegung fremd sind. Die Gruppen, mit denen er arbeitete, haben die Verantwortung für seine literarische und jede andere Tätigkeit abgelehnt. Man kann sich danach nun zu Bogdanow verhalten, wie man will, aber für ihn Platz in den Spalten der Arbeiterpresse fordern, die dazu berufen ist, das Abc des Marxismus zu verbreiten, heißt weder den Marxismus noch die Lehre Bogdanows noch die Aufgaben der marxistischen Aufklärung der Arbeitermassen verstehen.

Bei diesem Werk, bei der Aufklärung der Arbeitermassen, der unsere Zeitung dient, kann uns Bogdanow kein Weggefährte sein, denn er und wir haben eine verschiedene Auffassung von dieser Aufklärung. Das ist das Wesen der Sache, das durch Anspielungen auf persönliche Beziehungen auf eigensüchtige Weise verwischt wird. Jene Arbeiter, denen die Richtung ihrer Zeitung teuer ist, müssen alle Versuche, die Sache auf die „Persönlichkeit“ der einen oder anderen Literaten zurückzuführen, wie schmutzigen Kehricht beiseite werfen, sie müssen sich über die Frage des Charakters der Lehre Bogdanows unterrichten. Und wenn sie begonnen haben werden, sich über sie zu unterrichten, werden sie bald zu jener Schlussfolgerung gelangen, zu der auch wir gelangt sind: der Marxismus ist eines, die Lehre Bogdanows aber ist etwas ganz anderes. Ein Arbeiterblatt hat doch das Bewusstsein des Proletariats von dem bürgerlich-idealistischen Beigemisch zu reinigen, nicht aber in seinen Spalten dieses unverdauliche Gemisch zu servieren.

Aber, wird man uns sagen, die „Prawda“ hat doch immerhin einige Artikel A. Bogdanows abgedruckt. Ja, sie hat welche abgedruckt.

Doch das war, wie jetzt allen klar geworden, lediglich ein Fehler, der bei einer so neuen Sache wie der Schaffung der ersten Arbeiterzeitung Russlands unvermeidlich war. Die Genossen, die bei diesem Werke am Ruder standen, hofften, dass in den populären Artikeln, die Bogdanow der Redaktion verlegte, die Propaganda des marxistischen Abc die besonderen Züge der Lehre Bogdanows in den Hintergrund drängen werde. Es erwies sich, wie zu erwarten war, dass das nicht geschah. Nach den ersten – mehr oder weniger neutralen – Artikeln sandte Bogdanow einen Artikel ein, in welchem er offenkundig versuchte, das Arbeiterblatt in ein Werkzeug der Propaganda nicht des Marxismus sondern seines Empiriomonismus zu verwandeln. Diesem seinem Artikel scheint A. Bogdanow eine derartige Bedeutung beigemessen zu haben, dass er nachher, d. h. seit dem Frühjahr 1913, keinerlei Artikel mehr entsandte.

Die Frage seiner Mitarbeit stand nun vor der Redaktion prinzipiell und wurde in dem den Lesern bekannten Sinne entschieden.

Jetzt einige Worte über die Gruppe „Wperjod“. Sie ist in unserer Zeitung als „Abenteurergruppe“ bezeichnet worden.

Dank ihrem Unvermögen, politisch und nicht spießbürgerlich zu denken, sahen die Verfasser des Briefes auch hier irgendeine persönliche Anspielung auf Mitglieder dieser Gruppe. Das ist wiederum abgeschmackt. Als „abenteurerhaft“ bezeichnen die Marxisten die Politik von Gruppen, die nicht auf dem Boden des wissenschaftlichen Sozialismus stehen, beispielsweise die Anarchisten, die Narodniki-Terroristen u. a. m. Die Abweichungen der „Wperjod“-Leute in der Richtung zum Anarcho-Syndikalismus, ihre Nachsicht gegenüber der „Gottbildnerei“ Lunatscharskis, dem Idealismus Bogdanows, den theoretisch-anarchistischen Allüren St. Wolskis usw. wird niemand zu bestreiten wagen. Und inwiefern die Politik der „Wperjod“-Leute auf den Weg des Anarchismus und Syndikalismus geraten ist, insofern wird jeder Marxist sie als Politik des Abenteurertums bezeichnen.

Das ist einfach eine Tatsache, die durch den vollständigen Zerfall der Gruppe „Wperjod“ bestätigt wird. Sobald die Arbeiterbewegung wiedererstand, hat sich diese aus verschiedenartigen Elementen ohne bestimmte politische Linie, ohne Verständnis für die Grundlagen der Klassenpolitik und des Marxismus zusammengeleimte Gruppe restlos zersetzt.

Abseits von diesen Gruppen, den „Empiriomonisten“, „Gottbildnern“, „Anarchisten“ usw., wird die Arbeiterbewegung unter dem Banner des Marxismus vorwärts schreiten.

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