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Wladimir I. Lenin 19141010 Rede zu G. V. Plechanows Referat „Über die Stellung der Sozialisten zum Kriege"

Wladimir I. Lenin: Rede zu G. V. Plechanows Referat

„Über die Stellung der Sozialisten zum Kriege"1

11. Oktober 1914

Kurzer Zeitungsbericht

[Golos Nr. 33, 21. Oktober 1914. Nach Sämtliche Werke, Band 18, Wien-Berlin 1929, S. 62-64]

Unsere vom Zentralkomitee der Partei ausgearbeiteten Thesen“ – beginnt Genosse Lenin seine Rede – „wurden den Italienern zugeschickt und viele davon, leider nicht alle, wurden in die Resolution von Lugano aufgenommen.“

Der erste Teil des Plechanowschen Referats, welcher der Charakterisierung des Verrats der deutschen Sozialdemokratie diente, gefiel dem Opponenten sehr, dasselbe kann aber nicht von dem zweiten Teil gesagt werden, in dem Plechanow den Versuch machte, die Haltung der französischen Sozialisten voll und ganz zu rechtfertigen.

Wie kann man den französischen Sozialismus verteidigen, der die Italiener zum Eintritt in den Krieg aufgefordert hat? Selbst in den außerordentlich dehnbaren Resolutionen der Internationale wird man schwerlich Stellen finden, wo dieser Appell gerechtfertigt würde.

Der gegenwärtige Krieg offenbarte, welch gewaltige opportunistische Welle aus den Tiefen des europäischen Sozialismus emporstieg. Die europäischen Opportunisten versuchten zum Zweck ihrer Rehabilitierung sich des alten abgenutzten Arguments von der „Geschlossenheit der Organisation“ zu bedienen.

Die deutschen Orthodoxen verzichten auf ihren Standpunkt, um die formelle Einheit der Partei zu wahren. Er, Gen. Lenin, habe immer auf den Opportunismus hingewiesen, den eine solche Fragestellung enthalte, er habe immer den Versöhnlichkeitsstandpunkt bekämpft, der die Grundsätze preisgebe. Alle Resolutionen von Vandervelde und Kautsky hätten an dieser opportunistischen Neigung gekränkt, – an der Tendenz, offensichtliche Widersprüche auszugleichen. Kautsky ging in seinem Aufsatz über den Krieg2 so weit, dass er alle entschuldigte, mit der Erklärung, alle hätten von ihrem Standpunkt aus recht, da subjektiv sich alle in Gefahr sähen und subjektiv alle ihr Existenzrecht mit Füßen getreten sähen. Gewiss war bei den Franzosen eine derartige Stimmung unter dem Gesichtswinkel der Psychologie des Moments, des menschlichen Empfindens begreiflicher und daher sympathischer, dennoch darf sich der Sozialismus bei seiner Beurteilung der Dinge nicht lediglich von der bloßen Invasionsfurcht leiten lassen, und es muss offen gesagt werden, dass im Verhalten der Franzosen mehr Chauvinismus als Sozialismus war.

Plechanow – spricht Lenin weiter – kritisiert diejenigen Genossen, die behaupten, es sei nicht festzustellen, wer als erster angegriffen habe. Nach Auffassung des Opponenten ist der gegenwärtige Krieg durchaus nichts Zufälliges, etwa das Ergebnis eines Angriffs von dieser oder jener Seite, – vielmehr ist er durch die gesamten Entwicklungsbedingungen der bürgerlichen Gesellschaft herbeigeführt. Er war längst vorausgesagt, und zwar gerade in solcher Kombination und auf solcher Linie. Der Baseler Kongress sprach eine deutliche Sprache über diesen Krieg und sah sogar voraus, dass Serbien als Vorwand für den Konflikt dienen würde.

Weiter erläutert Gen. Lenin, worin die Pflicht der Sozialisten während des Kriegs bestehe. Nur dann erfüllen die Sozialdemokraten ihre Pflicht, wenn sie gegen den chauvinistischen Taumel ihres eigenen Landes kämpfen. Und das beste Beispiel solcher Pflichterfüllung haben die serbischen Sozialdemokraten geliefert.

Eingedenk der Marxschen Worte, dass „die Arbeiter kein Vaterland haben“, darf das Proletariat sich nicht an der Verteidigung der alten Rahmen der bürgerlichen Staaten beteiligen, sondern es muss die neuen Rahmen für die sozialistischen Republiken schaffen. Die breiten Massen des Proletariats werden dies auch mit ihrem richtigen Instinkt unbedingt erkennen. Was sich gegenwärtig in Europa abspielt, ist nichts anderes als eine Spekulation auf die schlimmsten und zugleich zähesten Vorurteile. „Unsere Aufgabe“ – sagt Lenin – „besteht nicht darin, dass wir mit dem Strome schwimmen, sondern darin, dass wir den nationalen, den pseudo-nationalen Krieg in den entscheidenden Zusammenstoß des Proletariats mit den herrschenden Klassen verwandeln.“

Des weiteren kritisiert Lenin den Eintritt von Sozialisten ins Ministerium und weist dabei auf die Verantwortung hin, die diese Sozialisten auf sich laden, indem sie sich mit allen Schritten der Regierung solidarisieren.

Es ist besser, in ein neutrales Land zu gehen und von dort aus die Wahrheit zu sagen. Besser, sich mit freiem, unabhängigem Wort an das Proletariat zu wenden, als Minister zu werden,“ – so schließt der Opponent seine kurze Rede.

1 Das Referat Plechanows „Über die Stellung der Sozialisten zum Kriege“, das am 11. Oktober 1914 gehalten wurde, war von der (menschewistischen) Ortsgruppe zur Unterstützung der SDAPR. in Lausanne (Schweiz) organisiert worden.

In der Diskussion trat Lenin auf (weiter meldete sich von den Versammlungsteilnehmern niemand zum Wort). Der Bericht über das Referat Plechanows, über die Rede Lenins und über das Schlusswort Plechanows findet sich unter dem Titel „Die Führer der russischen Sozialdemokratie über den Krieg“ in Nr. 31, 32 und 33 der Pariser internationalistischen Zeitung „Golos“ vom 18., 20. und 21. Oktober 1914.

Die in der Versammlung gehaltenen Reden wurden von dem Korrespondenten des „Golos“ (Initialen: I. K.) nachgeschrieben.

2 Lenin hat hier den Artikel Kautskys im Auge: „Die Sozialdemokratie im Kriege“, erschienen in Nr. 1 der „Neuen Zeit“ vom 2. Oktober 1914.

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