Wladimir I. Lenin: Von der Zerstörung einer jahrhundertealten Ordnung zum Aufbau einer neuen [„Kommunistitscheski Subbotnik“, 11. April 1920 gez.: N. Lenin. Nach Sämtliche Werke, Band 25, Wien-Berlin 1930, S. 187-189] Unsere Zeitung ist der Frage der kommunistischen Arbeit gewidmet. Das ist eine der wichtigsten Fragen für den Aufbau des Sozialismus, Vor allem muss man sich gründlich klar werden darüber, dass diese Frage erst nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, erst nach der Expropriierung der Großgrundbesitzer und Kapitalisten, erst nach den entscheidenden Siegen des Proletariats über die Ausbeuter, die verzweifelten Widerstand leisteten, gegenrevolutionäre Aufstände und den Bürgerkrieg organisierten, praktisch gestellt werden konnte, Anfang 1918 schien diese Zeit gekommen zu sein, und nach der Februaroffensive (1918) des deutschen Imperialismus gegen Russland war tatsächlich diese Zeit herangerückt. Aber sie war von so kurzer Dauer, und die neue, mächtigere Welle gegenrevolutionärer Aufstände und Invasionen setzte so rasch ein, dass die Sowjetmacht keine Möglichkeit fand, sich irgendwie gründlich und energisch mit den Fragen des friedlichen Aufbaues zu beschäftigen. Jetzt haben wir hinter uns zwei Jahre unerhörter, ungeheurer Schwierigkeiten, des Hungers, der Entbehrungen und Heimsuchungen, aber auch unerhörter Siege der Roten Armee über die Heere der internationalen kapitalistischen Reaktion, Jetzt bestehen ernsthafte Aussichten (wenn die französischen Kapitalisten Polen nicht in den Krieg hineinhetzen), dass wir einen stabileren, längeren Frieden bekommen. ln den zwei Jahren haben wir bereits eine gewisse Erfahrung im Aufbau auf sozialistischer Grundlage erworben. Deshalb kann und muss die Frage der kommunistischen Arbeit konkret gestellt werden, Übrigens: richtiger wäre es, nicht von der kommunistischen, sondern von der sozialistischen Arbeit zu sprechen, denn wir haben es nicht mit der höchsten, sondern mit der untersten, der ersten Entwicklungsstufe der neuen Gesellschaftsordnung zu tun, die aus dem Kapitalismus erwächst. Kommunistische Arbeit im engeren, genaueren Sinne des Wortes ist unbezahlte Arbeit für die Gesellschaft, die man leistet, nicht um eine bestimmte Pflicht zu erfüllen, nicht um Anspruch auf gewisse Produkte zu erhalten, Arbeit, die nicht nach vorher festgelegten, gesetzlichen Normen geleistet wird, sondern freiwillige Arbeit, ohne Norm, ohne auf Entlohnung zu rechnen und ohne eine Entlohnung anzunehmen, Arbeit, die aus Gewohnheit und aus der (zur Gewohnheit gewordenen) Erkenntnis von der Notwendigkeit der Arbeit für das Gemeinwohl geleistet wird, Arbeit als Bedürfnis eines gesunden Organismus, Es ist jedem klar, dass wir, d. h. unsere Gesellschaft, unsere Gesellschaftsordnung, noch sehr, sehr weit entfernt sind von einer wirklich umfassenden Massenanwendung einer solchen Arbeit. Aber es ist bereits ein Schritt vorwärts auf diesem Wege, dass sowohl das gesamte fortgeschrittene Proletariat (die Kommunistische Partei und die Gewerkschaften) als auch die Staatsmacht diese Frage stellen. Um Großes zu vollbringen, muss man mit Kleinem anfangen. Und andererseits, nach dem „Großen“, nach der Staatsumwälzung, die das Eigentum der Kapitalisten aufgehoben und die Macht dem Proletariat übergeben hat, kann man den Aufbau des Wirtschaftslebens auf neuer Grundlage auch nur mit Kleinem beginnen. Kommunistische Samstage, Arbeitsarmeen, Arbeitspflicht – das sind verschiedene Formen der praktischen Verwirklichung der sozialistischen und kommunistischen Arbeit. Hier kann man noch eine Unzahl von Mängeln feststellen, Über diese Mängel zu lachen (oder in Wut zu geraten), vermögen, abgesehen von den Verteidigern des Kapitalismus, nur Leute, die absolut nicht zu denken verstehen, Mängel, Fehler, Fehlgriffe sind bei einer so neuen, schweren großen Sache unvermeidlich. Wer beim Aufbau des Sozialismus vor den Schwierigkeiten Angst bekommt, wer sich dadurch einschüchtern lässt, in Verzweiflung gerät oder kleinmütig und kopflos wird, der ist kein Sozialist. Eine neue Arbeitsdisziplin, neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenhangs der Menschen, neue Formen und Methoden der Heranziehung der Menschen zur Arbeit zu schaffen, – das ist eine Aufgabe von vielen Jahren und Jahrzehnten, Das ist die dankbarste, die erhabenste Aufgabe. Unser Glück, dass wir nach dem Sturze der Bourgeoisie und der Unterdrückung ihres Widerstandes imstande waren, die Voraussetzungen zu schaffen, die diese Arbeit möglich machten. Und wir gehen mit aller Energie an diese Arbeit, Ausdauer, Beharrlichkeit, Bereitschaft, Entschlossenheit und die Fähigkeit, aber und abermals zu probieren, die eigenen Fehler zu korrigieren und um jeden Preis das Ziel zu erreichen, – diese Eigenschaften hat das Proletariat 10, 15, 20 Jahre vor der Oktoberrevolution und im Laufe der zwei Jahre nach dieser Revolution entwickelt, wobei es ungeheure Entbehrungen, Hunger, Zerstörung und Elend ertragen musste. Diese Eigenschaften des Proletariats sind die Bürgschaft dafür, dass das Proletariat siegen wird. 8. April 1920 |