Wladimir
I. Lenin:
Die sozialistische Revolution und das
Selbstbestimmungsrecht der Nationen
(Thesen)1
[Verfasst
Anfang März 1916. Veröffentlicht in deutscher Sprache im April 1916
im „Vorboten“
Nr. 2, in russischer Sprache im Oktober 1916 im „Sbornik
Sozialdemokrata“
Nr. 1.
Deutsche,
von W. I. Lenin redigierte, im „Vorboten“ veröffentlichte
Fassung, mit Berücksichtigung der nachträglichen Korrekturen Lenins
sowie der Änderungen in der russischen Fassung. Nach
Sämtliche Werke, Band 19, 1930, S. 39-55]
1.
Imperialismus, Sozialismus und Befreiung der unterdrückten Nationen Der
Imperialismus ist die höchste Stufe der Entwicklung des
Kapitalismus. Das Kapital ist in den fortgeschrittenen Ländern über
die Rahmen des Nationalstaates hinausgewachsen: es hat Monopole an
Stelle der Konkurrenz gestellt und alle objektiven Voraussetzungen
der Verwirklichung des Sozialismus geschaffen. Deshalb steht in
Westeuropa und in den Vereinigten Staaten Amerikas der revolutionäre
Kampf des Proletariats um die Niederwerfung der kapitalistischen
Regierungen und die Expropriation der Bourgeoisie an der
Tagesordnung. Der Imperialismus erzeugt2
einen solchen Kampf, indem er die Klassengegensätze ungemein
verschärft, die Lage der Massen in ökonomischer Hinsicht –
Trusts, Teuerung – sowie in politischer Hinsicht verschlimmert:
Wachstum des Militarismus, Kriege, Verstärkung der Reaktion,
Befestigung und Erweiterung des nationalen Druckes und des
kolonialen Raubes verursacht. Der siegreiche Sozialismus muss die
volle Demokratie verwirklichen, folglich nicht nur vollständige
Gleichberechtigung der Nationen realisieren, sondern auch das
Selbstbestimmungsrecht der unterdrückten Nationen durchführen, d.
h. das Recht auf freie politische Abtrennung anerkennen.
Sozialdemokratische Parteien, die durch ihre ganze Tätigkeit sowohl
jetzt als während und nach der Revolution nicht zu beweisen
imstande sein werden, dass sie die unterjochten Nationen befreien
und ihre eigenen Beziehungen zu denselben auf dem Boden der freien
Vereinigung aufbauen werden – eine solche Vereinigung aber würde
zur lügnerischen Phrase ohne die Freiheit der Abtrennung –,
derartige Parteien würden Verrat am Sozialismus begehen.
Allerdings
ist die Demokratie eine Staatsform, die mit dem Absterben3
des Staates überhaupt ebenfalls verschwinden muss. Das aber wird
erst dann eintreten, wenn der siegreiche Sozialismus dem
vollständigen Kommunismus weichen wird.
2.
Die sozialistische Revolution und der Kampf um die Demokratie
Die
sozialistische Revolution ist kein einzelner Akt, keine einzelne
Schlacht an einer Front, sondern eine ganze Epoche schärfster
Klassenkonflikte, eine lange Reihe von Schlachten nach allen
Fronten, d. h. in allen Fragen der Ökonomie sowie der Politik,
Schlachten, welche nur mit der Expropriation der Bourgeoisie enden
können. Es wäre ein großer Irrtum zu glauben, dass der Kampf um
die Demokratie imstande wäre, das Proletariat von der
sozialistischen Revolution abzulenken oder auch nur diese Revolution
in den Hintergrund zu schieben, zu verhüllen und dergleichen. Im
Gegenteil, wie der siegreiche Sozialismus, der nicht die
vollständige Demokratie verwirklicht, unmöglich ist, so kann das
Proletariat, das den in jeder Hinsicht konsequenten, revolutionären
Kampf um die Demokratie nicht führt, sich nicht zum Siege über die
Bourgeoisie vorbereiten.
Nicht
weniger falsch wäre es, einen der Punkte des demokratischen
Programms, so z. B. das „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“,
fallen zu lassen, und zwar auf Grund seiner angeblichen
„Undurchführbarkeit“4
oder seines „illusorischen“ Charakters wegen in der
imperialistischen Epoche. Die Behauptung, das Selbstbestimmungsrecht
der Nationen sei im Rahmen des Kapitalismus undurchführbar, kann
entweder im absoluten ökonomischen oder relativ politischen Sinne
aufgefasst werden.
Im
ersten Sinne ist diese Behauptung theoretisch grundfalsch. In diesem
Sinne ist im Rahmen des Kapitalismus etwa das „Arbeitsgeld“ oder
die Abschaffung der Krisen und dergleichen mehr undurchführbar.
Aber es ist falsch, dass das Selbstbestimmungsrecht der Nationen
genau
so
undurchführbar sei. Zweitens würde selbst ein einziges Beispiel,
das5
der Abtrennung Norwegens von Schweden im Jahre 19056,
genügen, um die „Undurchführbarkeit“ in diesem Sinne zu
widerlegen. Drittens wäre es lächerlich zu bestreiten, dass bei
einer kleinen Veränderung der gegenseitigen politischen und
strategischen Beziehungen, z. B. Deutschlands und Englands, heute
oder morgen die Konstituierung neuer Staaten – etwa eines
polnischen, indischen und ähnlicher – „durchführbar“7
sei. Viertens korrumpierte das Finanzkapital in seinem Streben nach
Expansion und wird auch künftig die „freieste“ demokratische
und republikanische Regierung und die gewählten Beamten eines
beliebigen, wenn auch „unabhängigen“ Landes, „frei“
korrumpieren.
Die
Herrschaft des Finanzkapitals, wie des Kapitals überhaupt, ist
durch keinerlei
Umgestaltungen auf dem Gebiete der politischen Demokratie zu
beseitigen. Und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen liegt ganz
und ausschließlich auf diesem Gebiete. Aber diese Herrschaft des
Finanzkapitals hebt nicht im Mindesten die Bedeutung der politischen
Demokratie als einer freieren, weiteren und klareren Form8
der Klassenunterdrückung und der Klassenkämpfe auf. Daher führen
alle Ausführungen über die „Undurchführbarkeit“ im
ökonomischen Sinne einer der Forderungen der politischen Demokratie
bei dem Kapitalismus zu einer theoretisch falschen Definition der
allgemeinen und grundlegenden Beziehungen des Kapitalismus zur
politischen Demokratie überhaupt.
Im
zweiten Falle ist diese Behauptung unvollständig und ungenau. Denn
nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, sondern alle
grundlegenden Forderungen der politischen Demokratie sind beim
Imperialismus nur unvollständig, verstümmelt und als eine seltene
Ausnahme (z. B. die Abtrennung Norwegens von Schweden im Jahre 1905)
„durchführbar“. Die Forderung der sofortigen Befreiung der
Kolonien, die von allen revolutionären Sozialdemokraten aufgestellt
wird, ist ebenfalls beim Kapitalismus ohne eine Reihe von
Revolutionen „undurchführbar“. Aber darauf folgt keinesfalls
der Verzicht der Sozialdemokratie auf den sofortigen und
entschiedenen Kampf für alle
diese Forderungen. Das wäre ja nur in die Hand der Bourgeoisie und
Reaktion gespielt. Ganz im Gegenteil, man muss alle diese
Forderungen nicht reformistisch, sondern entschieden revolutionär
formulieren, sich nicht auf die Rahmen der bürgerlichen Legalität
beschränken, sondern diese Rahmen zerbrechen, sich nicht mit dem
parlamentarischen Auftreten und äußerlichen Protesten begnügen,
sondern die Massen mit in den aktiven Kampf hineinziehen,
verbreitend und anregend den Kampf um jede demokratische Forderung
bis zum direkten Angriff9
des Proletariats auf die Bourgeoisie, d. h. zur sozialistischen
Revolution, die die Bourgeoisie expropriiert, führen. Die
sozialistische Revolution kann nicht nur aus einem großen Streik,
oder einer Straßendemonstration, oder einem Hungeraufstand, einer
Militärempörung, oder einer Meuterei in den Kolonien, sondern aus
einer beliebigen politischen Krise, wie der Prozess
Dreyfus
oder
der Zaberninzident,
oder im Zusammenhang mit dem Referendum in der Frage der Abtrennung
der unterdrückten Nationen und ähnlichem mehr entflammen.
Die
Verstärkung der nationalen Unterjochung in der Ära des
Imperialismus bedingt für die Sozialdemokraten nicht den Verzicht
auf den „utopischen“, wie ihn die Bourgeoisie bezeichnet, Kampf
für die Freiheit der Abtrennung der Nationen, sondern ganz im
Gegenteil, eine verstärkte Ausnützung aller Konflikte, die auch
auf diesem Boden entstehen, als Veranlassung für Massenhandlungen
und revolutionäre Kämpfe gegen die Bourgeoisie.
3.
Die Bedeutung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen und seine
Beziehung zur Föderation
Das
Selbstbestimmungsrecht der Nationen bedeutet ausschließlich das
Recht auf Unabhängigkeit im politischen Sinne, auf die Freiheit der
politischen Abtrennung von der unterdrückenden Nation. Konkret
bedeutet diese Forderung der politischen Demokratie die volle
Freiheit der Agitation für die Abtrennung und die Lösung der Frage
über die Abtrennung durch das Referendum der betreffenden, d. h.
der unterdrückten Nation, so dass diese Forderung nicht der
Forderung der Abtrennung, der Zerstückelung, der Bildung kleiner
Staaten gleich ist. Sie ist nur ein folgerichtiger Ausdruck für den
Kampf gegen jegliche nationale Unterjochung. Je mehr die
demokratische Organisation des Staates bis zur völligen Freiheit
der Abtrennung ausgestaltet ist, desto seltener und schwächer wird
in der Praxis die Bestrebung zur Abtrennung sein, denn die Vorteile
der großen Staaten sind sowohl vom Standpunkt des ökonomischen
Fortschrittes als auch von demjenigen der Interessen der Massen
zweifellos, wobei diese Vorteile mit dem Kapitalismus steigen. Die
Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes ist nicht gleichbedeutend
mit der Anerkennung des Prinzips der Föderation. Man kann ein
entschiedener Gegner dieses Prinzips, ein Anhänger des
demokratischen Zentralismus sein, aber der nationalen
Rechtsungleichheit* die Föderation als den einzigen Weg zum
vollständigen demokratischen Zentralismus vorziehen.
Eben
von diesem Standpunkt aus zog
der Zentralist Marx
sogar
die
Föderation zwischen Irland und England der Gewaltunterjochung
Irlands durch England vor.
Das
Ziel des Sozialismus ist nicht nur Aufhebung der Kleinstaaterei und
jeder Absonderung von Nationen, nicht nur Annäherung der Nationen,
sondern auch ihre Verschmelzung. Und eben, um dieses Ziel zu
erreichen, müssen wir einerseits die Massen über den reaktionären
Charakter der Idee von Renner
und Bauer
(sogenannte
„national-kulturelle Autonomie“)
aufklären, anderseits aber die Befreiung der unterdrückten
Nationen nicht in allgemeinen weitschweifigen Phrasen, nicht in
nichtssagenden Deklamationen, nicht in der Form der Vertröstung auf
den Sozialismus, sondern in einem klar und präzis formulierten
politischen Programm fordern, und zwar in spezieller Bezugnahme auf
die Feigheit und Heuchelei der „Sozialisten“ der unterdrückenden
Nationen. Wie die Menschheit zur Abschaffung von Klassen nur durch
die Übergangsperiode der Diktatur der unterdrückten Klasse kommen
kann, so kann sie zur unvermeidlichen Verschmelzung der Nationen nur
durch die Übergangsperiode der völligen Befreiung, d. h.
Abtrennungsfreiheit aller unterdrückten Nationen kommen.
4.
Die proletarische, revolutionäre Fragestellung des
Selbstbestimmungsrechts der Nationen
Nicht
nur die Forderung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen, sondern
alle10
Punkte unseres demokratischen Minimalprogramms wurden noch11
im 17. und 18. Jahrhundert von dem Kleinbürgertum aufgestellt. Und
das Kleinbürgertum stellt sie alle12
jetzt noch utopisch auf. Es beachtet den Klassenkampf und seine
Verstärkung unter dem Regime der Demokratie nicht, es glaubt an den
„friedlichen Kapitalismus“. Genau so ist die das Volk
irreführende Utopie der friedlichen Vereinigung der
gleichberechtigten Nationen beim Imperialismus, die von den
Kautskyanern
verteidigt wird.
Als
Gegengewicht dieser spießbürgerlichen opportunistischen Utopie
muss das Programm der Sozialdemokratie als das Grundlegende,
Wesentliche und Unvermeidliche beim Imperialismus die Einteilung der
Nationen in unterdrückte und unterdrückende hervorheben.
Das
Proletariat der unterdrückenden Nationen kann sich mit den
allgemeinen, schablonenhaften, von jedem Pazifisten wiederholten
Phrasen gegen Annexionen und für die Gleichberechtigung der
Nationen überhaupt nicht begnügen. Das Proletariat kann nicht an
der für die imperialistische Bourgeoisie besonders „unangenehmen“
Frage der Grenzen
des Staates, die auf nationaler Unterjochung beruhen, still
vorbeigehen. Es kann sich vom Kampfe gegen die gewaltsame
Zurückhaltung der unterjochten Nationen in den Grenzen des
vorliegenden Staates nicht enthalten, und eben dieses heißt für
das Selbstbestimmungsrecht der Nationen kämpfen. Das Proletariat
muss die Freiheit der politischen Abtrennung der von „seiner“
Nation unterdrückten Kolonien und Nationen fordern. Andernfalls
wird der Internationalismus des Proletariats zu leeren Worten; weder
Vertrauen noch Klassensolidarität unter den Arbeitern der
unterdrückten und unterdrückenden Nationen sind möglich; die
Heuchelei der reformistischen und Kautskyschen Vertreter des
Selbstbestimmungsrechts, die die von ihren „eigenen Nationen“
unterdrückten und in „ihrem eigenen“ Staate gewaltsam
zurückgehaltenen Nationen verschweigen, bleibt dabei immer noch
unentlarvt.
Anderseits
müssen die Sozialisten der unterdrückten Nationen auf die
vollständige und bedingungslose, auch organisatorische Einheit der
Arbeiter der unterdrückten mit denen der unterdrückenden Nation
besonders bestehen und sie ins Leben rufen. Ohne dies ist es
unmöglich, auf der selbständigen Politik des Proletariats sowie
auf seiner Klassensolidarität mit dem Proletariat der anderen
Länder bei all den verschiedenen Streichen, Verrätereien und
Gaunereien der Bourgeoisie zu bestehen. Denn die Bourgeoisie der
unterdrückten Nationen missbraucht beständig die Losungen der
nationalen Befreiung, um die Arbeiter zu betrügen: in der inneren
Politik benützt sie diese Losungen zur reaktionären Verständigung
mit der Bourgeoisie der herrschenden Nation (z. B. die Polen in
Österreich und Russland, die eine Abmachung mit der Reaktion
treffen zur Unterdrückung der Juden und Ukrainer); in der äußeren
Politik bemüht sie sich, sich mit einer der wetteifernden
imperialistischen Regierungen zu verständigen, um ihre räuberischen
Ziele zu verwirklichen (die Politik
der kleinen Balkanstaaten
u. a. m.).
Die
Tatsache, dass der Kampf gegen eine imperialistische Regierung für
die nationale Freiheit unter bestimmten Bedingungen von einer
anderen „Großmacht“ für ihre ebenfalls imperialistischen Ziele
ausgenützt werden kann, kann die Sozialdemokratie ebenso wenig
bewegen, auf die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der
Nationen zu verzichten, als die mehrfachen Fälle der Ausnützung
der republikanischen Losungen von der Bourgeoisie in ihrer
politischen Betrügerei und Finanzräuberei z. B. in romanischen
Ländern die Sozialdemokratie auf ihren Republikanismus zu
verzichten bewegen können*.
5.
Marxismus und Proudhonismus
in der Nationalfrage
Im
Gegensatz zu den kleinbürgerlichen Demokraten sah Marx in allen
demokratischen Forderungen ausnahmslos nicht etwas Absolutes,
sondern einen historischen Ausdruck des von der Bourgeoisie
geleiteten Kampfes der Volksmassen gegen den Feudalismus. Es gibt
keine der demokratischen Forderungen, die nicht unter bestimmten
Umständen als Werkzeug des Betruges gegen die Arbeiter von Seiten
der Bourgeoisie dienen konnte oder gedient hätte. Daher wäre es
theoretisch grundsätzlich falsch, eine der politischen Forderungen
der Demokratie, nämlich das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, in
dieser Hinsicht auszusondern und den übrigen Forderungen
entgegenzustellen. In der Praxis kann das Proletariat nur dann seine
Selbständigkeit bewahren, wenn es den Kampf für alle
demokratischen Forderungen, die Republik nicht ausgenommen, dem
revolutionären Kampf für die Niederwerfung der Bourgeoisie
unterordnet. Anderseits, im Gegensatz zu den Proudhonisten, die das
nationale Problem „im Namen der sozialen Revolution“ verneinten,
hob Marx in erster Linie, indem er hauptsächlich die Interessen des
Klassenkampfes des Proletariats in den fortgeschrittenen Ländern im
Auge hatte, das grundlegende Prinzip des Internationalismus und des
Sozialismus hervor: Nie kann ein Volk, das andere Völker
unterdrückt, frei sein.
Eben
vom Standpunkt des Interesses der revolutionären Bewegung der
deutschen Arbeiter forderte Marx im Jahre 1848, dass die
siegreiche Demokratie Deutschlands die Freiheit der von den
Deutschen unterjochten Völker verkünden und verwirklichen solle.
Eben vom Standpunkte des revolutionären Kampfes der Arbeiter
Englands forderte Marx im Jahre 1869 die Abtrennung Irlands von
England, wobei er hinzufügte: „obgleich nach der Trennung
Föderation
kommen mag“. Nur durch die Aufstellung einer solchen Forderung
erzog Marx die Arbeiter Englands im wirklich internationalen Geiste.
Nur auf diese Weise konnte er den Opportunisten und dem bürgerlichen
Reformismus, der bis auf heute, nach Ablauf eines halben
Jahrhunderts, diese irländische „Reform“ nicht verwirklicht
hat, eine revolutionäre Lösung der vorliegenden historischen
Aufgabe entgegenstellen. Nur so war Marx imstande, im Gegensatz zu
den Verteidigern des Kapitals, welche die Freiheit der Abtrennung
der kleinen Nationen als eine Utopie und als undurchführbar
erklärten und nicht nur die ökonomische, sondern auch die
politische Konzentration als fortschrittlich bezeichneten, die
Fortschrittlichkeit dieser Konzentration nicht13
imperialistisch zu vertreten. Nur so war er imstande, die Annäherung
der Nationen nicht auf dem Wege der Vergewaltigung, sondern der
freien Vereinigung der Proletarier aller Länder zu verteidigen. Nur
so war es Marx möglich, der äußerlichen, oft heuchlerischen
Anerkennung der Gleichberechtigung und des Selbstbestimmungsrechtes
der Nationen den revolutionären Kampf der Massen auch14
auf dem Gebiete der nationalen Frage entgegenzustellen.
Der
imperialistische Krieg der Jahre 1914-1916 und der von ihm entdeckte
Augiasstall von Heuchelei der Opportunisten und Kautskyaner haben
aufs Anschaulichste die Richtigkeit dieser Politik von Marx
bewiesen. Diese Politik soll als Muster für alle fortgeschrittenen
Länder gelten, denn jedes von ihnen unterdrückt jetzt fremde
Nationen.**
6.
Drei Staatstypen in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht der
Nationen
Es
sind drei Haupttypen in dieser Hinsicht zu unterscheiden:
I.
Die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder Westeuropas und die
Vereinigten Staaten Amerikas. Die bürgerlich-fortschrittliche
nationale Bewegung ist hier längst beendet. Jede dieser „großen“
Mächte unterdrückt fremde Nationen in den Kolonien sowie im
eigenen Lande. Die Aufgaben des Proletariats der herrschenden
Nationen sind hier eben dieselben, wie sie im 19. Jahrhundert in
England in Bezug auf Irland waren.***
II.
Osteuropa: Österreich, der Balkan und insbesondere Russland.
Hier hat das 20. Jahrhundert besonders die bürgerlich-demokratischen
nationalen Bewegungen entwickelt und den nationalen Kampf
verschärft. Das Proletariat dieser Länder kann die Aufgaben der
konsequenten Durchführung der bürgerlich-demokratischen Revolution
nicht ausführen noch den sozialistischen Revolutionen der anderen
Länder beistehen, ohne das Selbstbestimmungsrecht der Nationen zu
verteidigen. Besonders schwierig und wichtig ist hier die Aufgabe
der Verschmelzung des Klassenkampfes der Arbeiter der unterdrückten
und der15
der unterdrückenden Nationen.
III.
Die Halbkolonien, wie China, Persien, die Türkei und alle Kolonien
mit einer Bevölkerung von zirka 1000 Millionen Menschen. Die
bürgerlich-demokratischen Bewegungen sind hier teilweise kaum im
Anfangsstadium, teilweise noch lange nicht beendet. Die Sozialisten
haben nicht nur die bedingungslose und sofortige Befreiung der
Kolonien zu fordern – diese Forderung bedeutet aber politisch
nichts anderes als die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der
Nationen –, sondern sie müssen revolutionäre Elemente in den
bürgerlich-demokratischen nationalen Befreiungsbewegungen in diesen
Ländern entschieden unterstützen und ihrem Auflehnen, ihren
Aufständen, respektive ihrem revolutionären Kriege gegen16
die sie unterjochenden imperialistischen Staaten beistehen.
7.
Der Sozialchauvinismus und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen
Die
imperialistische Epoche und der Krieg in den Jahren 1914 und 1915
haben die Aufgabe des Kampfes gegen den Chauvinismus und
Nationalismus in den fortgeschrittenen Ländern besonders
hervorgehoben. In Bezug auf die Frage des Selbstbestimmungsrechts
der Nationen gibt es zwei Hauptschattierungen unter den
Sozialchauvinisten, d. h. den Opportunisten und Kautskyanern, die
den imperialistischen reaktionären Krieg durch den Begriff der
„Vaterlandsverteidigung“ zu verschönern suchen.
Einerseits
sehen wir die direkten Diener der Bourgeoisie, welche die Annexionen
verteidigen, weil der Imperialismus und die politische Konzentration
fortschrittlich seien, und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen
ablehnen, weil es17
so utopisch, illusorisch, spießbürgerlich usw. sei. Dazu gehören:
Cunow,
Lensch,
Parvus
und die äußersten Opportunisten Deutschlands, ein Teil der Fabier
und Führer der Trade-Unions in England, in Russland die
Opportunisten Sjemkowski,
Liebmann,
Jurkjewitsch
u. a. m., die gegen das Selbstbestimmungsrecht auftreten und so die
alten Annexionen des Zarismus (Finnland usw.) verteidigen18.
Anderseits
sehen wir die Kautskyaner, zu welchen auch Vandervelde,
Renaudel
und mehrere Pazifisten Englands und Frankreichs gehören. Sie sind
für die Einheit mit den ersteren und unterscheiden sich von diesen
in der Praxis nicht, indem sie das Selbstbestimmungsrecht der
Nationen nur äußerlich und heuchlerisch verteidigen. Sie finden,
„es sei zu viel verlangt“ (Kautsky, „Neue
Zeit“,
21.
Mai 191519),
wenn man die Forderung der Freiheit der politischen Abtrennung
aufstellt; sie bestehen nicht auf der Notwendigkeit der
revolutionären Taktik der Sozialisten gerade der unterdrückenden
Nationen, ganz im Gegenteil, sie vertuschen deren revolutionäre
Pflichten, rechtfertigen ihren Opportunismus, erleichtern deren
Betrug der Völker, vermeiden gerade die Frage von Grenzen20
des Staates, der gewaltsam unter seiner Herrschaft die
ungleichberechtigten Nationen zurückhält usw.
Die
einen wie die andern sind die gleichen Opportunisten, die den
Marxismus prostituieren, indem sie jede Fähigkeit, die theoretische
Bedeutung und praktische Unentbehrlichkeit der Taktik von Marx, die
durch das Beispiel Irlands erläutert wurde, zu begreifen verloren
haben.
Was
die Annexionen anbetrifft, so ist diese Frage im Zusammenhang mit
dem Krieg besonders aktuell geworden. Aber was bedeutet eigentlich
Annexion? Es ist leicht, sich zu überzeugen, dass jeder Protest
gegen Annexionen nichts anderes als entweder die Anerkennung des
Selbstbestimmungsrechts der Nationen bedeutet oder eine leere
pazifistische Phrase ist, die den Status quo verteidigt, und jede
Gewalt, sei sie auch revolutionärer Natur, verabscheut. Ähnliche
Phrasen sind grundsätzlich falsch und mit dem Marxismus
unvereinbar.
8.
Die konkreten Aufgaben des Proletariats in der nächsten Zukunft
Die
sozialistische Revolution kann in der nächsten Zukunft beginnen. In
diesem Falle wäre die sofortige Aufgabe des Proletariats: die
Erkämpfung der politischen Macht, die Expropriation der Banken und
die Verwirklichung anderer diktatorischer Maßregeln. Die
Bourgeoisie – und besonders die Intelligenz vom Typus der Fabianer
und Kautskyaner – wird sich bemühen, die Revolution in solch
einem Augenblick zu zerstückeln und zu bremsen, indem sie ihr
beschränkte demokratische Ziele vorschreiben wird. Wenn alle
rein demokratischen Forderungen imstande sind, schon beim
beginnenden Ansturm der Proletarier gegen die Grundlage der Macht
der Bourgeoisie der Revolution im gewissen Sinne im Wege zu stehen,
so wird die Notwendigkeit, die Freiheit aller21
unterjochten Völker (d. h. das Selbstbestimmungsrecht) zu verkünden
und zu verwirklichen, ebenso aktuell während der sozialistischen
Revolution, wie sie es für den Sieg der bürgerlich-demokratischen
Revolution war, z. B. in Deutschland im Jahre 1848 oder in Russland
im Jahre 1905.
Möglicherweise
werden aber bis zum Beginn der sozialistischen Revolution noch fünf,
zehn oder noch mehr Jahre verfließen. Es wird eine solche
revolutionäre Erziehung der Massen an der Tagesordnung stehen, die
die Zugehörigkeit zur Arbeiterpartei der Sozialchauvinisten und
Opportunisten, ebenso wie deren Sieg, ähnlich wie im Jahre
1914/1522,
unmöglich machen wird.
Die
Sozialisten werden den Massen zu erklären haben, dass die
Sozialisten Englands, welche die Freiheit der Abtrennung der
Kolonien sowie Irlands nicht fordern, die Sozialisten Deutschlands,
welche ebenfalls die Freiheit der Abtrennung der Kolonien sowie
Elsass-Lothringens,
der Polen, Dänen nicht fordern, die unmittelbare revolutionäre
Propaganda und revolutionäre Massenaktion gegen die nationale
Unterdrückung nicht verbreiten, die solche Vorkommnisse, wie der
Zaberninzident, zur breitesten illegalen Propaganda unter dem
Proletariat der unterdrückenden Nation, zu Straßendemonstrationen
und revolutionären Massenaktionen nicht ausnützen, die Sozialisten
Russlands, die die Freiheit der Abtrennung Finnlands, Polens, der
Ukraine u. a. nicht verlangen usw. –, dass solche Sozialisten als
Lakaien23
der von Blut und Schmutz triefenden imperialistischen Monarchien und
der24
imperialistischen Bourgeoisie handeln.
9.
Die Stellungnahme zum Selbstbestimmungsrecht der Nationen der
russischen und polnischen Sozialdemokratie und der
II.
Internationale
Die
Meinungsverschiedenheiten
unter den revolutionären Sozialdemokraten Russlands und Polens
in der Frage des Selbstbestimmungsrechts der Nationen treten schon
im Jahre 1903 auf dem Parteitag hervor, wo das
Programm der SDAP Russlands
angenommen worden ist und wo gegen die Proteste der Delegierten der
polnischen Sozialdemokratie der § 9 des Programms angenommen worden
ist, der das Selbstbestimmungsrecht der Nationen formuliert. Seither
wurde nie von den Vertretern der polnischen Sozialdemokratie die
Forderung wiederholt, den § 9 aus dem Programm zu entfernen oder
ihn irgendwie anders zu formulieren. In Russland, wo zu den
unterjochten Nationen nicht weniger als 57 Prozent seiner
Gesamtbevölkerung (mehr als 100 Millionen) gehören, wo diese
Nationen hauptsächlich die Grenzgebiete des Staates bewohnen, wo
ein Teil dieser Nationen oft auf einer höheren Stufe der Kultur
sich befindet als die Großrussen, wo die politischen Verhältnisse
besonders barbarisch sind und nicht selten an das Mittelalter
erinnern – wo die bürgerlich-demokratische Revolution noch nicht
vollendet ist –, in Russland ist die Anerkennung des Rechts auf
die Freiheit der Abtrennung von Russland der vom Zarismus
unterjochten Nationen für die Sozialdemokratie, ihrer
demokratischen und sozialistischen Aufgaben wegen, eine
bedingungslose Pflicht. Unsere Partei, die im
Jahre 1912 aufgebaut worden ist,
hat im
Jahre 1913
eine Resolution25
angenommen, die das Selbstbestimmungsrecht der Nationen wiederholt
und es gerade im oben erwähnten Sinne erläutert.
Die
Entfaltung des Chauvinismus der Großrussen in den Jahren 1914 und
1915 unter der Bourgeoisie sowie unter den opportunistischen
Sozialisten (Rubanowitsch,
Plechanow,
„Nasche
Djelo“
u. a. m.) veranlasst uns, um so mehr auf dieser Forderung zu
bestehen und gleichzeitig zu erklären, dass diejenigen, die diese
Forderung ablehnen, praktisch den Chauvinismus der Großrussen sowie
den Zarismus unterstützen. Unsere Partei erklärt, dass sie für
solches Auftreten gegen das Selbstbestimmungsrecht irgendwelche
Verantwortung aufs
Entschiedenste ablehnt.
In
der neuesten
Formulierung
der Position der polnischen Sozialdemokratie in der Nationalfrage
(Erklärung auf der Zimmerwalder
Konferenz)
sind folgende Gedanken enthalten:
Diese
Erklärung geißelt die deutsche usw. Regierung, weil die
„polnischen Länder“ wie ein Pfand im künftigen Spiel der
Kompensationen behandelt werden, „ohne
dem polnischen26
Volk die Entscheidung über seine Geschicke einzuräumen“.
„Die polnische Sozialdemokratie legt den entschiedensten und
feierlichsten Protest ein gegen
dieses Zerschneiden und Zerfleischen eines ganzen
Landes.“
Sie geißelt die Sozialisten, welche den Hohenzollern … „die
Erlösung der unterdrückten Völker übertrugen.“ Sie spricht die
Überzeugung aus,
dass nur die Teilnahme an diesem bevorstehenden Kampf des
revolutionären internationalen Proletariats um den Sozialismus „die
Fesseln
der nationalen Unterdrückung sprengen und jede Fremdherrschaft
aufheben
wird, dem polnischen
Volke
die Möglichkeit einer freien, allseitigen Entwicklung als einem
gleichberechtigten
Glied in der Internationale der Völker sichern wird“. Sie erkennt
den Krieg „für
die
Polen“
als „doppelt
brudermörderischen“ (Bulletin
der
ISK,
Nr. 2, 27. September 1915, Bern, S. 15).
Von
der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts unterscheiden sich diese
von uns unterstrichenen Sätze im Grunde genommen nicht, und wenn
man dieses „Recht“ in anderen Ausdrücken formulieren will, so
streiten wir natürlich um Worte nicht. Diese Sätze leiden nur27
an einer größeren Weitschweifigkeit und Unbestimmtheit der
politischen Formulierungen als die Mehrzahl der Programme und
Resolutionen der II. Internationale.
Jeder
Versuch, diese Gedanken politisch klar zu formulieren und ihre
Anwendung auf28
die kapitalistische oder auch nur sozialistische Ordnung zu
bestimmen, wird die Irrtümlichkeit der Ablehnung des
Selbstbestimmungsrechts der Nationen von Seiten der polnischen
Sozialdemokratie noch anschaulicher beweisen.
Der
Beschluss
des Londoner
internationalen sozialistischen Kongresses im Jahre 1896,
der das Selbstbestimmungsrecht der Nationen anerkennt, muss auf
Grund der oben aufgestellten Thesen ergänzt werden, mit dem Hinweis
1. auf die besondere Unentbehrlichkeit dieser Forderung unter der
Herrschaft des Imperialismus; 2. auf die historische29
Bedingtheit und den Klassencharakter aller Forderungen der
politischen Demokratie, der vorliegenden nicht ausgenommen; 3. auf
die Notwendigkeit, die konkreten Aufgaben der Sozialdemokratie der
unterdrückenden Nationen von denen der Sozialdemokratie der
unterdrückten zu unterscheiden; 4. auf die inkonsequente, rein
äußerliche und infolgedessen in ihrer politischen Bedeutung
heuchlerische Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen
von Seiten der Opportunisten und Kautskyaner; 5. auf die
tatsächliche Ähnlichkeit mit den Chauvinisten derjenigen
Sozialdemokraten, besonders der Nationen der „Großmächte“
(Großrussen, Angloamerikaner, Deutsche, Franzosen, Italiener,
Japaner u. a.), die auf die Freiheit der Abtrennung der Kolonien und
Nationen, welche von „ihren“ Nationen unterdrückt werden, nicht
bestehen; 6. auf die Notwendigkeit, den Kampf für diese sowie für
alle grundlegenden Forderungen der politischen Demokratie dem
revolutionären Kampf für die Beseitigung der kapitalistischen
Ordnung30
und für die Verwirklichung des Sozialismus unterzuordnen.
Der
Kampf der Sozialdemokratie der kleinen Nationen, insbesondere der
polnischen Sozialdemokratie, mit den das Volk betrügenden
nationalistischen Losungen ihrer Bourgeoisie führte sie zur
Ablehnung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen.
Die
Übertragung dieses Standpunktes auf die gesamte Internationale wäre
theoretisch falsch; es hieße, den Proudhonismus an Stelle des
Marxismus einsetzen und eine unbewusste Unterstützung des
gefährlichsten Chauvinismus und Opportunismus der großstaatlichen
Nationen.
Die
Redaktion des „Sozialdemokrat“,
Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands
Postskriptum.
In der soeben erschienenen „Neuen
Zeit“
vom 3. März 1916 reicht Kautsky dem Vertreter des schmutzigsten
deutschen Chauvinismus, Austerlitz,
offen die christliche Versöhnungshand31,
indem er für das habsburgische Österreich die Freiheit der
Abtrennung der unterdrückten Nationen ablehnt, für Russisch-Polen
aber,
um Hindenburg
und Wilhelm
II. einen Lakaiendienst zu erweisen, anerkennt. Bessere
Selbstentlarvung des Kautskysmus könnte man schwerlich wünschen!
1
Die
Thesen „Die
sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der
Nationen“
wurden in der theoretischen Zeitschrift der Zimmerwalder
Linken,
dem „Vorboten“,
und zwar in Nummer 2 vom April 1916, abgedruckt. Sie waren gegen die
polnischen Sozialdemokraten von der Zimmerwalder Linken (Radek
u. a.) und gegen die Gruppe
Bucharin-Pjatakow
gerichtet, die die Losung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen
ablehnten. [aus Anmerkung 94 der „Ausgewählten Werke]
Deutsche,
von W. I. Lenin redigierte, im „Vorboten“ veröffentlichte
Fassung, mit Berücksichtigung der nachträglichen Korrekturen
Lenins sowie der Änderungen in der russischen Fassung. Die Red.
2
Im „Vorboten“: „erheischt“. Die Red.
3
Im „Vorboten": „der Auflösung“. Die Red.
4
Änderung der Red. Im „Vorboten“: „Unverwirklichkeit“. Die
Red.
5
Änderung der Red. Im „Vorboten“: fehlt „das“. Die Red.
7
Im „Vorboten“: „undurchführbar“. Die Red.
8
Im „Vorboten“: nicht gesperrt. Die Red.
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Änderung der Red. Im „Vorboten“: „Andrang“. Die Red.
10
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
11
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
12
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
*
Selbstverständlich ist es ganz lächerlich, das
Selbstbestimmungsrecht darum abzulehnen, weil daraus die Anerkennung
der „Vaterlandsverteidigung" angeblich hervorgehen muss. Mit
demselben Recht, d. h. mit demselben Unrecht, berufen sich die
Sozialchauvinisten auf jede beliebige Forderung der Demokratie (z.
B. die der Republik) oder auf jede beliebige Formulierung des
Kampfes gegen die nationale Unterdrückung. Der Marxismus lehnt die
Vaterlandsverteidigung im Kriege 1914-1916, auf Grund einer
konkret-historischen Analyse der Bedeutung dieses Krieges, ab.
Ebenso wie der Marxismus auf Grund einer solchen Analyse die
Landesverteidigung z. B. in solchen Kriegen, wie die der großen
französischen Revolution
oder der Garibaldianer,
anerkannte.
13
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
14
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
**
Oft wird behauptet – z. B. vom deutschen Chauvinisten Lensch
in Nr. 8-9 der „Glocke“
[Gemeint
sind die Artikel von Paul Lensch:
„Die Selbstbestimmungsflause“ in „Die
Glocke“,
Nr. 8 vom 15. Dezember 1915 (S. 465-476), und „Sozialismus und
Annexionen in der Vergangenheit“ in „Die Glocke“, Nr. 9 vom 1.
Januar 1916 (S. 493-500).],
– dass das negative Verhalten von Marx zur Nationalbewegung
einiger Völker, wie z. B. zur Bewegung der Tschechen im Jahre 1848,
die Unnötigkeit des Anerkennens des Selbstbestimmungsrechtes vom
Standpunkt des Marxismus beweist. Das ist aber falsch. Denn im Jahre
1848 waren ebenso historische wie politische Gründe da, um zwischen
„reaktionären“ und revolutionär-demokratischen Nationen zu
unterscheiden. Marx hatte Recht, als er die ersten verurteilte und
für die zweiten Partei ergriff. Das Selbstbestimmungsrecht ist eine
der Forderungen der Demokratie, die natürlich dem Kriterium der
Gesamtinteressen
der Demokratie unterliegt, in den Jahren 1848 und den folgenden
forderten diese Gesamtinteressen in erster Linie den Kampf gegen den
Zarismus.
***
In einigen Kleinstaaten, die im Kriege 1914-1916 nicht beteiligt
sind, wie z. B. Holland, die
Schweiz, nützt die Bourgeoisie energisch die Losung des
Selbstbestimmungsrechts der Nationen aus, um die Teilnahme an dem
jetzigen imperialistischen Kriege zu rechtfertigen. Das ist einer
der Beweggründe, die der Sozialdemokratie solcher Länder zur
Ablehnung des Selbstbestimmungsrechts der Nationen Anstoß gaben.
Die richtige proletarische Politik, nämlich die Ablehnung der
„Vaterlandsverteidigung“ im imperialistischen
Kriege, rechtfertigen sie mit Hilfe unrichtiger Argumente. Man
erhält in der Theorie eine Verstümmelung des Marxismus und in der
Praxis eine Art kleinstaatlicher Beschränktheit (im „Vorboten“
sind die beiden Worte gesperrt. Die Red.),
die Ignorierung von Hunderten von Millionen einer Bevölkerung, die
von großstaatlichen Nationen unterjocht sind. Genosse Gorter
hat Unrecht, wenn er in seiner prächtigen Broschüre,
„Imperialismus, Krieg und Sozialdemokratie“, das Prinzip des
Selbstbestimmungsrechtes ablehnt. Aber praktisch wendet
er ganz richtig eben dieses Prinzip an, wenn er die sofortige
„politische und nationale
Unabhängigkeit“ Niederländisch-Indiens fordert und die
holländischen Opportunisten dafür geißelt, dass sie auf die
Aufstellung dieser Forderung und auf den Kampf für dieselbe
verzichten. (Im „Vorboten“ enthält der letzte Satz keine
Sperrungen. Die Red.)
15
Änderung der Red. Im „Vorboten“: „mit denen“. Die Red.
16
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
17
Änderung der Red. Im „Vorboten“ fehlt „es“. Die Red.
18
Im russischen Text fehlt von „die gegen“ bis „verteidigen“.
Die Red.
19
Gemeint
ist der Artikel
Kautskys
„Nochmals
unsere Illusionen“, und zwar dessen dritter Abschnitt „Das Recht
der Nationen auf Selbständigkeit“, „Die
Neue Zeit“
Nr. 8 vom 21. Mai 1915, S. 237-241.
Bei
Lenin irrtümlich: „16. April 1915“. Die Red.
20
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
21
Im „Vorboten“ nicht gesperrt. Die Red.
22
Im russischen Text: „wie in den Jahren 1914-1916“. Die Red.
23
Im russischen Text: „als Chauvinisten, als Lakaien“. Die Red.
24
Änderung der Red. Im „Vorboten“ fehlt „der“. Die Red.
25
Siehe Lenin, „Sämtliche Werke“, Bd. XVII [sic!], „Resolutionen
der ,Sommerkonferenz' des ZK der SDAPR mit den Parteiarbeitern“.
Die Red.
Wenn
Lenin
hier von der Wiederherstellung der Partei im Jahre 1912 spricht, so
meint er damit die in diesem Jahre abgehaltene Prager
Konferenz
der
Partei, auf der jene „entschiedene Politik des Bruchs mit dem
Opportunismus aller Schattierungen, wie sie von den russischen
Bolschewiki
in den Jahren 1904-1912 durchgeführt wurde […] , endgültig
organisatorisch vollzogen und wo ein rein bolschewistisches
Zentralkomitee geschaffen wurde. Die Resolution über die nationale
Frage, von der Lenin spricht, wurde von diesem Zentralkomitee auf
der sogenannten „Augustberatung
mit den Parteifunktionären“ beschlossen […]. [aus Anmerkung
101 der „Ausgewählten Werke“, Band 5]
26
Im „Vorboten“ sind die Worte „ohne dem polnischen“ nicht
gesperrt. Die Red.
27
Hier handelt es sich um eine nachträgliche Einfügung Lenins. Im
„Vorboten“: .. unterscheiden sich diese von uns unterstrichenen
Sätze im Grunde genommen nicht. Sie leiden nur …
“
usw. Die Red.
28
Änderung der Red. Im „Vorboten“: „an“. Die Red.
29
Im russischen Text: „politische“. Die Red.
30
Im russischen Text: „dem revolutionären Massenkampf für den
Sturz der bürgerlichen Regierungen“. Die Red.
31
Gemeint ist Kautskys
Artikel „Noch einige Bemerkungen über nationale Triebkräfte“,
„Die
Neue Zeit“
Nr. 23 vom 3. März 1916.
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