Exekutivkomitee der Kommunistischen internationale: Die Kommunistische Internationale an die amerikanischen Genossen

Exekutivkomitee der Kommunistischen internationale:

Die Kommunistische Internationale an die amerikanischen Genossen

An die Zentralkomitees: 1. der Kommunistischen Partei Amerikas und 2. der Kommunistischen Arbeiterpartei Amerikas

[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 266-273]

Werte Genossen!

Aus den Berichten der Genossen, die aus Amerika gekommen sind und die die beiden Strömungen des amerikanischen Kommunismus vertreten, hatte das Exekutivkomitee der Internationale die Möglichkeit, die Differenzen zwischen den amerikanischen Genossen kennen zu lernen, die Differenzen, die zur offenen Spaltung und zur Bildung zweier kommunistischer Parteien führten. Die Frage wurde in einer erweiterten Sitzung des Exekutivkomitees der Internationale behandelt, an der außer den Mitgliedern des Exekutivkomitees auch Vertreter der beiden Parteien Amerikas und der kommunistischen Organisationen Frankreichs, der Schweiz, Ungarns, Finnlands und Jugoslawiens anwesend waren. Als Ergebnis gelangte das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale zu folgenden Schlüssen:

Die Spaltung fügt der kommunistischen Bewegung in Amerika starken Schaden zu. Sie führt zur Verpulverung von revolutionären Kräften, zu einem schädlichen Parallelismus, zu unnötigen Reibungen und zu einem nicht zu rechtfertigenden Aufwand von Kräften für den inneren Kampf. Und das zu einer Zeit, wo die Sammlung der Kräfte der amerikanischen Bourgeoisie bis zu einem unerhörten Umfang gewachsen ist, wo sich der Klassenkampf mit einem jeden Tage immer mehr zuspitzt, unerhörte Opfer seitens des amerikanischen Proletariats erfordernd! Und das zu einer Zeit, wo sich in Zusammenhang mit dem unvermeidlichen Anwachsen der Weltrevolution vor der Arbeiterklasse Amerikas die größten Möglichkeiten und die glänzendsten Aussichten eröffnen.

Die sorgfältige Einsicht in das gesamte Material sowohl der einen wie der anderen Seite überzeugte uns, dass ernste programmatische Differenzen zwischen den beiden Parteien nicht bestehen. Es gibt gewisse Widersprüche in Organisationsfragen. Es gab einige Streitigkeiten über die Form des Bruches mit der alten sozialpatriotischen Partei. Das war aber alles.

Unter solchen Umständen hat die Spaltung nicht die mindeste Berechtigung und muss unter allen Umständen aus der Welt geschafft werden. Insofern beide Parteien auf dem Boden der Kommunistischen Internationale stehen – daran zu zweifeln haben wir gar keinen Anlass – ist die Einigkeit der Partei nicht nur möglich, sondern unbedingt notwendig. Das Exekutivkomitee besteht mit aller Entschiedenheit auf der sofortigen Durchführung dieser Einigkeit.

Die Notwendigkeit der sofortigen Vereinigung wird auch noch durch den Umstand gebieterisch diktiert, dass beide Parteien gewissermaßen die verschiedenen Seiten der kommunistischen Bewegung in Amerika vertreten, wobei sie einander sehr gut ergänzen können. In .der einen Partei (Kommunistische Partei Amerikas) blieben hauptsächlich ausländische, in den sog. „nationalen Föderationen“ vereinigte Elemente. Die andere (Kommunistische Arbeiterpartei Amerikas) repräsentiert vorwiegend amerikanische oder englisch sprechende Elemente. Wenn die ersteren mitunter in theoretischer Hinsicht besser geschult und mit den Überlieferungen des revolutionären Kampfes der Arbeiterklasse Russlands enger verbunden sind, so stehen sie aber zu gleicher Zeit mit der Massenbewegung und den Massenorganisationen der amerikanischen Arbeiter, die allmählich den breiten Weg des Klassenkampfes betreten, weniger in Verbindung. Wenn die zweiten eine derartige theoretische Schule noch nicht durchgemacht haben, haben sie dafür den kolossalen Vorzug, dass die kommunistische Partei durch sie viel leichter auf die breiten Massen der einheimischen amerikanischen Arbeiter zu wirken vermag, denen in den bevorstehenden entscheidenden Klassenkämpfen die wichtigste Rolle zufallen wird. Bei den einen ist Propaganda, bei den anderen die Agitation besser organisiert.

Beide Parteien ergänzen einander somit ganz naturgemäß. Und nur auf dem Wege ihrer Vereinigung ist in Amerika die Schaffung einer starken kommunistischen Partei möglich, die zur Führerin der Massenbewegung in der herannahenden kommunistischen Revolution werden muss.

Zwecks einer möglichst schnellen Vereinigung schlägt das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale den beiden Parteien vor, sofort einen gemeinsamen Kongress einzuberufen, dessen Beschlüsse für beide Teile bindend sein sollen. Zur Vorbereitung und Einberufung des Kongresses, wie auch zwecks Koordinierung der Arbeit der beiden Parteien bis zur völligen Vereinigung wird ein Organisationsbüro geschaffen, bestehend aus einer gleichen Anzahl von Vertretern der beiden Parteien. Als Grundlage der Vereinigung müssen die Prinzipien dienen, die in den Richtlinien der Kommunistischen Internationale und in den Beschlüssen des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale niedergelegt worden sind. Außerdem möchte das Exekutivkomitee noch auf folgendes hinweisen:

1. Die Kommunistische Partei muss anstreben, in ihren Reihen alle Elemente zu vereinigen, die die Notwendigkeit der baldigsten Eroberung der Macht und der Diktatur des Proletariats anerkennen. Es versteht sich von selbst, dass dieses Bekenntnis kein einfaches Lippenbekenntnis und nicht etwa nur rein theoretisch sein darf. Es muss sich in die Tat umsetzen und verpflichtet einen jeden, der Parteimitglied sein will, zu einem selbstaufopfernden Kampf um den Sturz der Macht der Bourgeoisie und die Errichtung der Macht der Arbeiterklasse. Bei Vorhandensein dieser Vorbedingung, bei Übereinstimmung im Hauptsächlichen und Grundsätzlichen, erscheinen die Differenzen in anderen Fragen unwesentlich, wie z. B. in der Frage der Ausnutzung der parlamentarischen und der anderen legalen Möglichkeiten, in der Anwendung des einen oder des anderen Kampfmittels, betreffend die verschiedenen Organisationsformen. Derartige Differenzen sind in allen Ländern unvermeidlich, wo man an den Aufbau einer Kommunistischen Partei schreitet, aus Elementen, die eine verschiedenartige politische Vergangenheit haben (Linkssozialisten, die aus den Reihen der alten Parteien hervorgehen, Parteilose, die auf den Standpunkt des konsequenten Klassenkampfes übergehen, Anarchisten und Syndikalisten, die die Notwendigkeit der Ergreifung der Macht und der Diktatur des Proletariats erkennen usw.). Sich wegen diesen Differenzen, die nun in der Epoche des unmittelbaren revolutionären Kampfes um die Macht nur eine untergeordnete Bedeutung haben, zu spalten, ist absolut unzulässig. Das einzige, was die Partei bei Aufkommen von Differenzen von einer jeden Organisation und von einem jeden einzelnen Mitglied fordern muss, ist die unbedingte Disziplin, die unweigerliche Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit. Wenn bis zur Fassung irgend eines Beschlusses in den Reihen der Partei eine allseitige Diskussion der Frage notwendig und eine freie Kritik zulässig ist, sind, nachdem der bindende Beschluss der Partei zustande gekommen ist, alle ihre Mitglieder, darunter auch diejenigen, die mit ihm nicht einverstanden waren, verpflichtet, ihn ohne jeglichen Vorbehalt durchzuführen. Einerseits: die größte Duldsamkeit zu Andersdenkenden während der Diskussion, andererseits: Befolgung der strengsten Disziplin bei Durchführung der Parteibeschlüsse. Derart sind diejenigen Grundbedingungen, ohne die die Schaffung einer starken Partei unmöglich ist.

2. Der völlige Bruch mit den alten sozialistischen Parteien (American Socialist Party und Sozialist Labor Party) ist eine selbstverständliche Vorbedingung einer Kommunistischen Partei. Diese Forderung bedeutet jedoch nicht, dass einzelne Genossen, wie auch ganze Organisationen, die früher den alten Parteien angehörten, nicht in der Kommunistischen Partei Aufnahme finden können, insofern sie sich entschieden auf den Standpunkt des konsequenten Klassenkampfes und der Diktatur des Proletariats stellen. Die Kommunistische Partei muss eine Massenorganisation und nicht ein enger geschlossener Zirkel sein. Das „Abgrenzen“ von nicht kommunistischen Elementen muss im Sinne des Abrückens von verstockten sozialverräterischen Elementen und von den Elementen des „Zentrums“ aus den alten Parteien aufgefasst werden, unter keinen Umständen aber im Sinne eines sektiererischen Abstoßens von Arbeitern, die früher den alten Parteien angehörten und nun mit ihnen brechen. Die Pforten der Kommunistischen Partei müssen für Proletarier weit geöffnet sein, mögen diese auch nicht alle Einzelheiten der kommunistischen Theorie sich zu eigen gemacht haben, wenn sie nur aufrichtig der proletarischen Revolution ergeben sind und den Kampf gegen die Herrschaft der Bourgeoisie in der Tat führen. Die Kommunistische Partei wird für sie die beste Schule des Kommunismus sein.

3. Bisher wandten die amerikanischen Sozialisten des linken Flügels ihre Hauptaufmerksamkeit der Propaganda zu, und nach dieser Richtung hin leisteten sie wichtige Arbeit. Aber, sich in einem mehr oder weniger engen Kreis von Gesinnungsgenossen einschließend, standen sie in hohem Maße fern von dem laufenden Klassenkampf der proletarischen Massen, der sich in breitem Strom über das ganze Land ergoss. Sie spielten jedenfalls keine führende Rolle in den größten Zusammenstößen zwischen Kapital und Arbeit. Man muss dessen eingedenk sein, dass die Periode der entscheidenden Kämpfe beginnt. In ihren Reihen alle klassenbewussten und tatkräftigsten Elemente der Arbeiterklasse vereinigend und die breiteste Massenagitation und die Propaganda der Ideen des Kommunismus entfaltend, muss die kommunistische Partei sich gleichzeitig zum Ziel machen, die Führerin des Klassenkampfes des Proletariats in allen seinen verschiedenartigen Formen zu werden, beginnend von den wirtschaftlichen Teilstreiks, Demonstrationen, Massenversammlungen, Wahlkämpfen, bis zu dem politischen Generalstreik, bis zu dem bewaffneten Aufstand des Proletariats. Die Hineinziehung von breiten Proletariermassen in den Strom des revolutionären Klassenkampfes – das ist die Hauptaufgabe der amerikanischen Kommunisten in gegenwärtiger Zeit.

4. In jeder Weise den Spaltungsprozess in der American Federation of Labor und anderen ihr nahestehenden zünftlerischen Gewerkschaften und deren Vereinigungen fördernd, muss die Partei die Herstellung von möglichst engen Beziehungen zu denjenigen wirtschaftlichen Organisationen der Arbeiterklasse anstreben, in denen die Tendenzen des industriellen Unionismus (I.W.W., „One big Union“, I.U.W., einzelne Verbände, die sich von der AFofL abspalten) zum Ausdruck kommen. Die Partei muss in engstem Einvernehmen mit ihnen arbeiten, gleichzeitig ihre Vereinigung und die Schaffung von starken, vom Klassenbewusstsein durchdrungenen wirtschaftlichen Organisationen des Proletariats anstreben. Die industriellen Verbände in ihrem täglichen Kampf für die unmittelbaren wirtschaftlichen Forderungen in jeder Weise unterstützend, muss die Partei die Erweiterung und Vertiefung dieses Kampfes, seine Verwandlung in einen Kampf für die revolutionären Ziele des Proletariats – um den Sturz der Bourgeoisie und die Vernichtung der kapitalistischen Ordnung – anstreben.

5. Die Partei muss neben den kommunistischen Parteizellen die Bildung von Arbeiterbetriebsausschüssen („Betriebsräten“) in jeder Weise unterstützen, die einerseits als Basis zum alltäglichen wirtschaftlichen Kampf, andererseits als Schule, die den Vortrupp der Arbeiterklasse für die Verwaltung der Industrie bei Durchführung der Diktatur des Proletariats vorbereiten sollen, dienen könnten. Es versteht sich von selbst, dass diese Arbeiterausschüsse in engstem Einvernehmen mit den Organisationen des industriellen Unionismus arbeiten müssen.

6. Die Partei darf nicht ein Gemisch von selbständigen, autonomen „nationalen Föderationen“ darstellen. Die nationalen Föderationen haben eine wichtige geschichtliche Rolle in der sozialen Bewegung Amerikas gespielt (langjährige systematische Opposition in den alten Parteien, Schaffung der Liga für sozialistische Propaganda, Organisierung des „linken Flügels“), aber im Weiteren, bei der schnellen Verschärfung und Erweiterung des Klassenkampfes und der maßlosen Komplizierung der vor dem Proletariat Amerikas stehenden Aufgaben, werden die nationalen Föderationen nur in dem Fall in der Lage sein, ihre Aufgabe zu erfüllen, wenn sie sich möglichst eng mit den Bruderorganisationen der amerikanischen Arbeiter, verschmelzen. Das jähe Zerbrechen der geschichtlich überlieferten Organisationsformen ist selbstverständlich nicht wünschenswert, da es zu einer völligen Zerstörung der „nationalen Föderationen“, dieser unermüdlichen Propagandisten der kommunistischen Ideen in Amerika führen würde. Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale weist daher darauf hin, dass man bei Verwirklichung des vorgezeichneten Zieles, d. h. der völligen organisatorischen Verschmelzung der nationalen Föderationen mit den übrigen Teilen des amerikanischen Kommunismus, eine gewisse Vorsicht und Allmählichkeit walten lassen muss. Den nationalen Föderationen kann ihre Autonomie in Sachen der Propaganda in den betreffenden fremden Sprachen bewahrt bleiben. Aber auf dem Gebiet des wirtschaftlichen und politischen Kampfes müssen sie den leitenden Parteiorganen unterstellt werden. In Zeiten scharfer Kämpfe muss die Anwendung des allgemeinen Stimmrechts (Referendum) innerhalb der Partei auf das Mindestmaß herabgesetzt werden, es können jedenfalls Fragen, die ihrem Wesen nach eine schnelle Losung erfordern, nicht auf dem Wege der Urabstimmung gelöst werden. In der Zwischenzeit zwischen den Kongressen muss das Exekutivkomitee der Partei über die vollen Machtbefugnisse verfügen.

7. Die immer zunehmenden Verfolgungen der Kommunisten in Amerika stellen die Frage der illegalen Arbeit auf die Tagesordnung. Der Kongress der Kommunistischen Internationale im März 1919 hat sich zu dieser Frage klar genug geäußert. Die illegale Arbeit ist notwendig, denn die bürgerlichen „Demokratien“ in der ganzen Welt schaffen tatsächlich den Belagerungszustand für die kommunistischen Arbeiter. Vor 2-3 Jahren schien den englischen Genossen die Idee in einem so „freiem“ Lande wie England illegal zu arbeiten, lächerlich. Nun haben die englischen revolutionären Arbeiter gelernt, auch illegale Arbeit zu leisten. Dasselbe geschah auch in Deutschland, wo die „sozialdemokratischen“ Henker, Noske, Scheidemann und Konsorten versuchen, die mächtige kommunistische Bewegung der deutschen Arbeiter mit der Illegalität zu bannen. Man muss lernen, die legale Arbeit mit der illegalen zu kombinieren. Man muss einen jeden Fußbreit der legalen Möglichkeiten ausnutzen. Zu gleicher Zeit muss man lernen, auch illegal Flugblätter herauszugeben, illegale Zirkel zu versammeln, im Notfall illegale Betriebsräte zu schaffen, eine illegale Zentralleitung zu haben usw.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale ist überzeugt, dass Ihr Euch den vor Euch stehenden verantwortlichen Aufgaben gewachsen zeigt. Von den Erfolgen des Kommunismus in Amerika hängt der Sieg des internationalen Proletariats ab.

Mit kommunistischem Gruß!

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen internationale

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