Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale 19200325 An die Arbeiter Deutschlands, an die Arbeiter der ganzen Welt

Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale:

An die Arbeiter Deutschlands, an die Arbeiter der ganzen Welt

Über den Bürgerkrieg in Deutschland

[Manifest, Richtlinien, Beschlüsse des Ersten Kongresses. Aufrufe und offene Schreiben des Exekutivkomitees bis zum Zweiten Kongress. Hamburg 1920, S. 241-245]

Wie die Kämpfe auch unmittelbar enden mögen, die sich gegenwärtig auf den Straßen der deutschen Städte abspielen, die sich unter unseren Augen entwickelnden Ereignisse bilden eine der bedeutendsten Seiten in der Geschichte der internationalen proletarischen Revolution.

Während anderthalb Jahren hat die Regierung der weißen Sozialdemokraten, der Mörder Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs, systematisch die deutschen Arbeiter entwaffnet und die Söhnlein der deutschen Bourgeoisie bewaffnet. Die weiße Sozialdemokratie bahnte den weißen Generälen den Weg. Und als es diesen weißen Generälen schien, dass sie bereits genügend erstarkt und dass die deutsche Revolution in genügendem Maße demoralisiert wäre durch die verräterische Sozialdemokratie, da versuchten diese weißen Generäle eine gegenrevolutionäre Umwälzung in Deutschland zu vollziehen.

Doch sie hatten sich verrechnet. Ein elektrischer Funke durchzuckte alle Proletarier Deutschlands ohne Ausnahme. Die feige Bande der Ebert und Noske floh aus Berlin aus Furcht vor ihren eigenen Generälen. Doch das heldenmütige Berliner Proletariat schob durch eine einzige machtvolle Kraftanstrengung die Regierung der weißen Generäle beiseite, die bloß einige Tage zu existieren vermochte. Die Gegenrevolution der Generäle wirkte Wunder; sie öffnete auch jenen rückständigen Schichten der Werktätigen die Augen, die, demoralisiert durch die Propaganda der gelben Sozialdemokratie, bisher der Regierung Eberts und Noskes vertrauten. Mit einem machtvollen Stoß drängte das Berliner Proletariat die Bande der Lüttwitz und Kapp aus seiner Stadt. Die Flamme des Generalstreiks hat sich fast über ganz Deutschland verbreitet. Das deutsche Proletariat, das von den gelben Sozialdemokraten dreifach verraten und vielfach betrogen worden, das die Schlächter Noskes enthauptet haben und das in manchen verspielten Schlachten verblutet ist, trat zum Schrecken der gesamten Bourgeoisie und zur Überraschung der ganzen kleinbürgerlichen Sozialdemokratie als gigantische Klasse vor der ganzen Welt auf.

Demgemäß, wie sich der Generalstreik abspielte und die deutschen Arbeiter zu den Waffen griffen, begannen sich die weißen Sozialdemokraten aufs Neue mit den weißen Generälen auszusöhnen. Angesichts des roten Gespensts des Kommunismus schlossen sich die verräterische Sozialdemokratie und die gegenrevolutionäre Bourgeoisie wiederum zu einem einigen Block, zu einer einigen, reaktionären Masse zusammen. Der Henker Ebert beabsichtigt, morgen im Kampf gegen die Kommunisten die Baltikumtruppen zu benutzen, dieselben Truppen, die gestern Ebert gezwungen haben, aus Berlin zu flüchten. Das Ruhrgebiet, wo die heldenhaften Arbeiter die Macht ergriffen und sich gerüstet haben, umzingeln reaktionäre Truppen und wollen es durch Hunger niederringen. Ebert und Noske wenden den deutschen Arbeitern gegenüber dieselben Mittel an, die die reaktionären deutschen Generäle vor zwei Jahrzehnten in Afrika anwandten in Bezug auf die widerspenstigen Kolonien, deren Bewohner durch Hunger und Durst bezwungen wurden. Und die räuberischen Ententeregierungen, die eine mehr oder minder formelle Neutralität bewahrten, als es sich um Streit zwischen eigenen Leuten handelte, als die Regierungen Ebert und Kapp sich bekämpften, sind jetzt bereit, besondere reaktionäre Truppen auszuwählen, um in Deutschland einzudringen und den Henkern des deutschen Proletariats im Kampf gegen die herannahende proletarische Revolution Hilfe zu leisten.

Doch trotz alledem entwickelt sich die proletarische Bewegung in Deutschland mit bewunderungswürdiger Hartnäckigkeit. Die deutschen Arbeiter halten bereits drei große Gebiete des Landes in den Händen. Die deutschen Arbeiter haben Waffen erhalten. Das ist die Hauptsache. Und es gibt keine Macht in der Welt, die den deutschen Arbeitern die Waffen wieder nehmen könnte, da sie eingesehen haben, dass die militärische Diktatur unvermeidlich wird, wenn die Arbeiter noch einmal entwaffnet werden. Unter unerhört schwierigen Umständen entstand die Rote Armee in Deutschland. Und sie wächst trotz alledem, zum Schrecken der Unterdrücker des Proletariats und zur Freude der Arbeiter aller Länder. Das Entstehen einer ständigen Roten Armee, wenn auch vorläufig noch gering an Zahl, ist von ungeheurer Bedeutung für das Geschick der proletarischen Revolution in Deutschland. Keine geringere Eroberung ist es auch, dass die Landarbeiter und Knechte in großer Zahl sich den aufständischen städtischen Proletariern anschließen, sich rüsten und den Vorkämpfern der Städte als Reserve zu Hilfe eilen.

Der Bürgerkrieg in Deutschland wird nicht eher enden, als bis der Sieg in den Händen der Arbeiter ist. Weder neuer Verrat der „Führer" der Gewerkschaften noch faule Kompromisse, welche von dem rechten Flügel der Unabhängigen, die sich durch nichts von den Scheidemännern unterscheiden, ausgeheckt werden, können die Macht der Bourgeoisie retten. Die Lehre war zu anschaulich, der Stoß, der das ganze Arbeiterdeutschland in Bewegung setzte, war zu mächtig. Der Weg der Arbeiter Deutschlands zur Macht ist mit Dornen bedeckt. Die Bourgeoisie und ihre Diener, die weißen Sozialdemokraten, leisten hartnäckigen Widerstand. Doch nichts kann die bürgerliche Herrschaft retten. Der Thron der Bourgeoisie ist auch in Deutschland ins Wanken geraten. Wenn die französischen und englischen Kapitalisten auch morgen ihre Truppen zur Bezähmung der deutschen Arbeiter entsenden, übermorgen werden sie mit Schrecken sehen, wie die von ihnen entsandten Soldaten mit den deutschen Arbeitern fraternisieren. Die Intervention seitens der französischen und englischen Kapitalisten wird die Welle des Kommunismus als Echo nach England und Frankreich tragen und die heranreifende proletarische Revolution in diesen Ländern nur beschleunigen.

Die Bourgeoisie kann ihrem Geschick nicht entgehen. Die proletarische Revolution und die Errichtung der Sowjetmacht in ganz Europa ist ebenso unvermeidlich, wie nach dunkler Nacht unvermeidlich der Morgen tagt.

Was hat der Versuch des gegenrevolutionären Umsturzes in Deutschland den Arbeitern aller Länder bewiesen? Mit greller Deutlichkeit hat dieser Versuch wieder und wiederum bewiesen, wie recht die Kommunistische Internationale hatte, als sie oftmals erklärte: in der beginnenden Epoche des Bürgerkrieges sind nur zwei Diktaturen möglich. Entweder die Diktatur des Proletariats, die die ganze Menschheit befreit und das gesamte Leben auf kommunistischen Grundlagen umbaut, oder die Diktatur der reaktionärsten brutalsten Bourgeois und Generäle, die die Schlinge um den Hals der Arbeiterklasse zuziehen und die Menschheit zu neuen Kriegen führen. Entweder die eine oder die andere Diktatur. Es gibt kein Drittes.

Dank den Verrätern der deutschen Sozialdemokratie ist die deutsche Revolution einen Kreuzesweg gegangen. Im Lauf von anderthalb Jahren ging sie von Fall zu Fall in herabsteigender Linie. Jetzt ist aber der Kelch bis zur Neige geleert. Der deutschen Arbeiterklasse hat sich ein neuer Stern entzündet. Die deutsche Revolution geht wieder in aufsteigender Linie vorwärts, und sie wird zum völligen Siege gelangen.

Der Sieg der Sowjetmacht in Deutschland rückt die Sache der proletarischen Revolution in allen Ländern mit gigantischer Kraft vorwärts. Der Bund zweier Sowjetrepubliken – Russland und Deutschland – stärkt sowohl die eine wie die andere und eröffnet den deutschen und russischen Arbeitern den Weg zur Regelung des Wirtschaftslebens und zur Rettung des Volkes vor Hunger. Der Bund beider Sowjetrepubliken wird zu jenem ungeheuren Magnet werden, der die Herzen der Proletarier der ganzen Welt anziehen wird. Und dem Bund der beiden Sowjetrepubliken werden sich eins ums andere neue Länder anschließen, in denen die Diktatur des Proletariats siegen wird.

Arbeiter Deutschlands! Ihr seht nun alle ein, wohin die Politik der weißen Sozialdemokratie führt. Ihr seht nun mit voller Klarheit, wie Scheidemann und Ebert Euch an die deutsche Bourgeoisie verraten. Ihr seht nun, wie die von Ebert und Scheidemann entsandten Banden bereits nicht nur Kommunisten niederknallen, sondern auch wie in Adlershof sozialdemokratische Arbeiter, die mit den Waffen in der Hand gegen die Reaktion kämpfen wollen. Rüstet Euch, deutsche Proletarier! Überall, wo Ihr nur Waffen bekommen könnt, nehmt sie in Eure Hände. Errichtet Räte. Die Verhältnisse, die sich jetzt gestalten, werden den Räten neues Leben einhauchen. Die gelbe Sozialdemokratie kann die Räte jetzt nicht erwürgen, wie sie es vor einem Jahr tat. Baut Eure Rote Armee aus! Schafft überall, wo es möglich ist, rote Truppen, ohne die Sache auf einen Augenblick hinauszuschieben. Fahret fort, vorzudringen unter dem Banner des Kommunismus und derjenigen, die Euch nicht durch Lippenbekenntnis, sondern durch die Tat unterstützen. Der Kampf wird erst dann seinen Abschluss finden, wenn Ihr die Regierung der Sozialverräter, der Agenten der Bourgeoisie vernichtet habt. Die Sozialdemokraten jetzt am Ruder belassen, das hieße sicher nach kürzester Frist einen neuen gegenrevolutionären Umsturz seitens der Generäle Wilhelms erwarten – dieses Mal aber besser durchdacht, besser vorbereitet, mehr organisiert und bereits im engen Bund mit den Sozialverrätern durchgeführt.

Arbeiter Österreichs! Werdet Ihr wirklich warten, bis Euch Eure eigenen Lüttwitz und Kapp, der Liebedienerei der Renner und Bauer überdrüssig, diese fortjagen, um die Säbeldiktatur zu errichten? Werdet Ihr wirklich warten, bis die Söhnlein der Grundherren und Bourgeois sich noch besser bewaffnen und Euch noch gründlicher entwaffnen, um mit noch größerer Kraft auf Euch loszustürzen, als es die Feinde des Volkes in Deutschland tun?

Arbeiter der Ententeländer! Arbeiter Frankreichs, Englands, Belgiens, Italiens! Habt genau acht auf die Hände Eurer Machthaber. Wisset: sie beabsichtigen, die siegende proletarische Revolution in Deutschland zu erwürgen. Wisset: es gibt keinen Verrat, keine Niederträchtigkeit, zu der die Imperialisten, die in Euren Ländern am Ruder der Macht stehen, nicht fähig wären, um die deutsche Revolution zu zertreten. Helft Euren Brüdern, den deutschen Arbeitern! Durch Eure Kundgebungen, Eure Aktionen, Eure Vorbereitung macht es der ganzen Welt und vor allen Dingen den herrschenden Klassen Eurer eigenen Länder klar, dass Ihr den belgischen Kapitalisten nicht gestattet, die deutschen Arbeiter zu erwürgen.

Französische, englische und belgische Soldaten! Wenn man Euch gegen Eure Brüder, die aufständischen deutschen Arbeiter, schickt, wenn man Euch zwingt, die Bajonette gegen die hungernden deutschen Proletarier, ihre Frauen und Mütter zu richten, wendet diese Bajonette gegen Eure eigene bürgerliche Obrigkeit, geht über zu den Aufständischen, fraternisiert mit ihnen. Bedenkt, dass es kein größeres Verbrechen für einen ehrlichen Werktätigen gibt, als seine Hände mit dem Blut der Arbeiter eines anderen Landes zu färben. Wisset: die deutschen Arbeiter kämpfen für Brot, für Frieden, für Freiheit. Wisset: der Krieg nimmt erst dann ein Ende, wenn wir mit eiserner Hand der Macht der Kapitalisten ein Ende machen.

Mit verhaltenem Atem verfolgen die Arbeiter aller Länder den heldenhaften Kampf der ruhmvollen deutschen Proletarier. Die werktätigen Massen der ganzen Welt hegen mit Liebe die unter unseren Augen erwachende deutsche proletarische Revolution.

Es lebe der letzte entscheidende Kampf!

Es lebe die proletarische Revolution in Deutschland und in der ganzen Welt!

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale.

25. März 1920.

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